Margarete Beutler
Leb' wohl, Bohème!
Margarete Beutler

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VII Gedankliches

Nach der Weinlese

        Nun stehn die kleinen Pforten alle offen,
Die talwärts zu den Rebenhängen führen!
Kein Wächter eilt, sie nächtens zu verschließen.
Der Wächter Amt ist aus. Sie schwelgen wohl
Im jungen Wein bereits und reden trunken . . .
Die Reben aber, ihres Schmucks beraubt,
Der Schwere und der Süße ihrer Trauben,
Entsenden Blatt für Blatt zur Erde wieder
Und kräuseln müde ihre dürren Ranken.
Wie Frauen, deren Haare alternd bleichen,
Die niemand mehr sich Mühe gibt zu hüten,
Weil keine Süßigkeit gefährdet ist
Und keiner Frucht mehr Räuber schändend nahen,
So liegen sie an den verlaßnen Straßen
Im Moderkranz der fahlen Lauben da,
Und selbst die kleinen Wasser wandern träger
Dem großen Strom der breiten Tale zu. 106

 

Der Hügel am Flusse

(Eine Abendbetrachtung)

            Hier stockt der Fuß, hier strecken sich die Glieder
In seidnes Gras zu Füßen wilder Schlehen,
Und hier muß nun die Seele immer wieder
Die Schattenstraße des Vergangnen gehen:

Ein sandiger Uferpfad zuerst nur, schlängelt
Sie kraus durch Heide und durch dürres Feld,
Wo still der Schnitter seine Sense dengelt
Und ernst der Bauer dürftiges Land bestellt –

Wie schmiegen sich ins Licht der ersten Träume
Von Leben und von Kindertändeleien
Der silbergrünen jungen Weidenbäume
Endlos sich wiegende, verschlungene Reihen!

Ein brauner Kinderleib taucht in die Wellen,
Und schmale Glieder schaukeln sich behende
Auf Zweigen, die in blaue Weiten schnellen . . .
Nur Frühling ist es, Frühling und kein Ende!

– Wie schmiegt sich in die Zeit des Überganges
Vom Knaben-Mädchen zu der Grüblerin
Das satte Gelb des Uferwiesenhanges
Und seines Blühens tief versteckter Sinn!

Der Sinn der Knospe, die sich strafft und rundet
Wie junges Fleisch im kühlen Morgenbad!
Der Zweck der Frucht wird heimlich scheu erkundet,
Im Buch der Sehnsucht dreht sich Blatt um Blatt . . . 107

Und breiter wird der Weg. Die Heiden weichen,
Schnellpulsig treibt des Lebensstromes Lauf,
Und eine Landschaft, üppig ohnegleichen,
Tut sich dem Weib in Sturm und Sonne auf.

Doch selbst in diese Jahre der Vollendung,
Des Liebesdreiklangs und der Mutterlust
Senkt sich der Ruf von unerfüllter Sendung
Wie Stachel in die schwer bedrückte Brust.

Ein Tag stellt seinen Bruder stets zur Rede,
Weil nicht Gelingen seiner Sehnsucht ward,
Und von den Nächten ahnt es eine jede,
Wie trübe Hoffnung auf das Morgen harrt. – –

Nun schmiedet sich von Ring zu Ring die Kette,
Ein Sommer reicht dem andern schnell die Hand –
Wenn ich den Gipfel erst erwandert hätte,
Wie zeigte sich mir dann ringsher mein Land?

Ich zage oft. Der Freunde Schar wird kleiner,
Doch ständig größer wächst der Pflichten Last,
Und von den letzten Monden schied wohl keiner,
Wo mir mein Weibtum bitter nicht verhaßt.

Wann wird mir nur die Ruhe, die ich suche,
Zur Morgengabe, daß ich sie beseele?
Wann spricht der Geist: »Du lebtest, Mensch, nun buche,
Was du gelebt! Du lebtest – nun erzähle!« –? 108

 

Leb' wohl, Bohème!

        Müde ward ich nunmehr der Torheit in dunstigen Schenken,
Und ich frage mich oft: Wie nur ertrugst du den Lärm,
Wie ertrugst du so lang die Luft jener stickigen Stuben,
Wo in Becher der Lust heimliche Tränen gemischt?
Und der emsigen Schar auf flinken Schiffen vergleichbar,
Die in eilender Hast giftigen Küsten entflieht,
Und ihr kostbarstes Gut in reinere Lande sich rettet,
Segelt ballastbeschwert – Sehnsucht geht mit ihm an Bord,
Liebe kürzt ihm den Weg – das tüchtige Volk der Gedanken,
Den Gefilden des Geists dürstend und hoffnungsvoll zu:
Dort in Ehrfurcht gesellt dem einen, dem anderen Meister
Atmet es freiere Luft, sieht es ein würdiger' Ziel!

 


 


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