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Der große Augenblick

An der Quelle erhielten wir durch unseren Botengänger Nachricht von Ju, daß er uns im Meaudorf erwarte. Unverzüglich machten wir uns dorthin auf.

Bevor ich an die Schilderung unseres Zusammentreffens mit den Geistern der gelben Blätter schreite, scheint es mir nötig, einige Worte über die Meau zu sagen, ohne deren Hilfe es uns niemals möglich gewesen wäre, mit den scheuen Waldnomaden zusammenzutreffen.

Ein altes Meausprichwort sagt: »Den Fischen das Wasser, den Vögeln die Luft, den Meau die Berge.« Und so ist es in der Tat. Die Meau leben in den chinesischen Provinzen Kiangsi, Kweichau und Yünnan, sie sind im Norden von Indochina und in den Schanstaaten anzutreffen, sie haben sich im nördlichen Siam angesiedelt. Ihre Sagen und Legenden berichten von längst vergangenen Zeiten, da sie die weiten Hochlandschaften der Mongolei und Sibiriens bewohnten. Immer aber waren es nur die Höhen der mächtigen asiatischen Gebirgszüge, die ihnen als Lebensraum dienten. Von Norden nach Süden gehen ihre Wanderungen, vom kontinentalen Klima Innerasiens gegen die Tropen zu, denselben Weg, den so viele Völker Asiens gegangen sind. Doch während diese meist in den fruchtbaren Ebenen Südchinas und Hinterindiens eine Heimat gefunden haben, sind die Meau ihren Bergen treugeblieben. Wohl hat sich im Laufe ihrer unsteten Vergangenheit ihre Wirtschaftsform infolge Anpassung an die jeweiligen landschaftlichen Verhältnisse mehrmals geändert, wohl sind ihre Sprache und andere Kulturelemente von den Völkern ihres Durchzugsgebietes beeinflußt worden, doch ihre physische Konstitution ist die gleiche geblieben. Die Meau siechen dahin, wenn sie die Mindesthöhenlage von 1400 Meter – die als Malariagrenze gelten kann – verlassen, sie sind in ganz hohem Maß für Malaria und andere Tropenkrankheiten empfänglich. So haben sie auf ihren Wanderungen die weiten Täler gemieden, sind von Kamm zu Kamm gezogen und haben sich immer wieder neuen Urwald in mühevoller Arbeit als Ackerland errungen.

Aber nicht nur der Kampf mit den unwirtlichen Bergen, sondern auch unaufhörliche blutige Kriege mit den Chinesen erfüllen die Vergangenheit dieses Volkes. Seit frühgeschichtlichen Zeiten haben es diese immer wieder versucht, die selbständigen und unabhängigen Meaustämme, die vor ihnen das Land besiedelten, zu unterjochen und ihrem Riesenreiche einzuverleiben. Die Meau, einst ein mächtiges und gut organisiertes Kriegervolk, dessen Tapferkeit in den chinesischen Chroniken vielfach verewigt ist, mußten schließlich der Übermacht weichen.

Die in den hinterindischen Raum vorgerückten Meau fanden in den steilen, zerklüfteten Gebirgen, die weder Hochplateaus noch ausgedehnte Hochtäler aufweisen, keine Möglichkeit, ihren Pflugbau anzuwenden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf Hackbau überzugehen, und die neue Generation weiß nicht mehr, wie der Pflug aussieht, den ihre Vorväter gebraucht haben.

Die Meau kennen keine Düngung. Die Nährstoffe der Erde des durch Feuer gerodeten Urwaldes sind den starken Abspülungen gewaltiger Regen ausgesetzt und bald erschöpft. Fast jedes Jahr müssen daher neue Felder gerodet werden, um die Bewohner eines Dorfes mit genügend Bergreis, Mais und Hirse zu versorgen. Ist im Umkreis des Dorfes kein anbaufähiges Land mehr vorhanden oder sagt der Schamane aus gewissen Zeichen Unglück voraus, muß das Dorf verlegt werden. Voll Mut und Zuversicht wandern dann die Menschen mit ihrem Hab und Gut der neuen Heimat entgegen. Das alte Dorf, die schönen, aus axtbehauenen Holzplanken zusammengefügten Häuser stehen nun einsam und verlassen da, verfallen und vermodern, und bald hat der rasch wachsende Urwald die Stelle verschlungen, die fünf, sechs oder zwanzig Jahre lang den Meau Heimat war.

 

Viele Monate haben wir mit den Meau gelebt, gearbeitet, alle Elemente ihrer Kultur erfassen und eine reichhaltige ethnographische Sammlung anlegen können. Die Ergebnisse dieser Arbeit werde ich in einem besonderen Werke zusammenfassen.

Wir lernten die Meau als ungemein tüchtige, begabte und lebenskluge Menschen kennen. Zu ihrer außerordentlichen Widerstandsfähigkeit gegen körperliche Strapazen gesellt sich ein reger Geist. Sie besitzen weder eine Schrift, noch andere Verständigungsmittel als die Sprache. Ein erstaunliches Gedächtnis, und eine allgemeine Gabe des fließenden Ausdrucks ermöglicht es ihnen aber, uralte Überlieferungen von Generation zu Generation zu übermitteln.

Ihre moralische Hochwertigkeit konnten wir in vielen kleinen Dingen des Zusammenlebens immer wieder feststellen. Obwohl sie selbst arm an Lebensmitteln waren, brachten sie uns täglich Eier, Mais, Zuckerrohr, Reis und Gemüse ins Lager und lehnten jede Gegengabe ab. Daß sie niemals nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, ist vor allem aus ihrer Stellung zu den Phi Tong Luang zu ersehen. Diese scheuen Urwaldkinder, die von ihren Nachbarn als böse Geister betrachtet, hingemordet oder aber in brutalster Weise ausgenützt und betrogen werden, und deren Scheu vor anderen Menschen daher keine Grenzen kennt, besitzen nur Zutrauen zu den Meau. Diese haben ihre Überlegenheit ihnen gegenüber niemals ausgenützt, gewähren ihnen Schutz, Hilfe und auch Obdach an der wärmenden Feuerstelle, wenn die heimatlosen Nomaden in der trostlosen Regenzeit durchnäßt und hungrig an ihre Türen klopfen.

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Abb. 50. Die »Geister der gelben Blätter« in ihrer nestartigen Behausung. Sie besteht aus lose in den Boden gesteckten Blättern der Fächerpalme; Bambusstauden bilden den seitlichen Schutz

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Abb. 51. Wie Adam und Eva im Paradies ruhen die Phi Tong Luang auf Blättern unter ihrem flüchtig errichteten Windschirm, der nur in der Regenzeit etwas dichter gedeckt wird

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Abb. 52. Wenn des Nachts das Bellen der kleinen Hunde Gefahr durch ein Raubtier kündet, werfen die Urwaldmenschen trockenen Bambus in die Glut, die hoch aufflammt und das Tier verscheucht

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Abb. 53. Das Ehepaar Bernatzik bei der Mahlzeit vor ihrer Behausung im Bambusdschungel

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Abb. 54. Mit einfachen Stöcken graben die Phi Tong Luang die eßbaren Wurzeln des Urwaldes aus, wobei ihnen ihre Hunde behilflich sind

Die Meau sind ungemein fleißig und arbeiten buchstäblich von früh bis spät im Hause oder auf den Feldern.

Mit der gleichen Hingabe aber, der sie bei der Arbeit fähig sind, verbringen sie ihre Feste. Nicht viele Festtage stehen in ihrem Kalender; aber wenn einmal gefeiert wird, da dauert es viele Tage und Nächte, und der Reisschnaps fließt reichlich in die durstigen Kehlen. (Abb. 68.) Dann besuchen die jungen Burschen die Mädchen der benachbarten Dörfer, die oft viele Tagemärsche auseinander liegen und in der Regenzeit voneinander völlig abgeschlossen sind. Dann wird die Braut gesucht und gefunden, und die rauhen, ernsten Männer verwandeln sich in romantische Minnesänger.

Ihre Liebeslieder vererben sich von Generation zu Generation und sind in ihrer Ausdrucksweise oft rührend und reich an Gefühlsstärke. Ein guter Sänger findet Mädchen so viel er will, ein Bursche aber, der nicht gut zu reden, nicht zu singen weiß, dessen Werbung wird sicherlich abgeschlagen. So kommt es, daß Mädchen und Burschen, wenn sie sich abends im Dschungel oder in den kleinen Reisfeldhütten heimlich treffen, gar wenig miteinander reden, sondern sich alles, was ihnen auf dem Herzen liegt, vorsingen. Er hält die Hand des Mädchens und schwört ihr singend Treue: »Das Tuch, das du mir schenktest, werde ich bewahren solange ich lebe, ich werde bei dir sein, wenn ich es trage. Solange ich lebe werde ich immer zu dir zurückkehren, sollte ich aber sterben, wird meine Seele um dich schweben.« Und das Mädchen erwidert: »So oft ich den Halsring ansehe, den du mir gabst, werde ich deiner gedenken. Wenn mir jemand zwei Früchte gibt, werde ich nur eine essen, wenn man mir zwei Becher Wasser reicht, werde ich nur einen trinken. Seitdem du mich umarmt hast, wandert meine Seele nicht in den Wolken und nicht auf der Erde, mir ist, als ob ich stürbe vor Glück …«

So klingt es da oben in den weltfernen Bergen der Meau, wenn die Nacht über den jungfräulichen Wäldern liegt, die noch Tiger, Büffel, Bären und wilde Elefanten beherbergen.

In dieses geschlossene Bergreich der Meau drangen wir ein. In fast 2000 m Höhe liegt an der Quelle des Nam Fa das Dorf des Meauhäuptlings Tsin Tsai. Doch gleich zu Beginn unseres Aufenthaltes stellte sich ein böses Mißgeschick zwischen ihn und uns. Am Tage, an dem wir im Dorfe erschienen, war ein Meau von einem Tiger überfallen und getötet worden. Unzweifelhaft ein Geschehen, das eine höhere Macht verursacht hatte. Nichts war naheliegender, als unser Erscheinen damit in Zusammenhang zu bringen. Wir widersprachen energisch, da beschloß der Häuptling ein Gottesurteil über unser Schicksal entscheiden zu lassen.

Hell lodernde Flammen beleuchten das Gesicht des Häuptlings, seine schräggestellten Augen starren wie geistesabwesend in das Feuer, vor dem er kniet. Von seiner Stirne, über der ein Schatten tiefen Nachdenkens liegt, wölbt sich der kühne Bogen einer Adlernase hinab bis zu den schmalen geschlossenen Lippen. Langes schwarzes Haar hängt zu einem Knoten geknüpft seitlich herab. Ein großer silberner Halsreifen ruht schwer auf dem dunklen Gewand, das seine hagere Gestalt umfließt. Mit erhobenen Händen ruft er den Erdgeist herab, der sich den Menschen im Feuer offenbart. Er stellt ihm die Frage, ob wir beide weißen Fremdlinge, die so plötzlich im Reiche der Meau aufgetaucht waren, am Tode des Mannes Schuld tragen, ob wir dem Stamme Glück oder Unheil bringen. Stumm hocken wir dem Häuptling gegenüber und warten auf unseren Schicksalspruch.

Tsin Tsai nimmt die biegsamen, aus Bambus gespaltenen Ordalstäbchen zur Hand, zieht sie einige Male durch die Flammen, hebt sie zum Himmel empor, hält sie an seine Brust, über unsere Köpfe und dann wieder zum Himmel. Dann spricht er Gebete, beschwört den Geist und opfert Geisterpapier, das nur zu kultischen Zwecken dient, indem er es verbrennt. Mit dem langen Nagel seines rechten Daumens biegt er die Stäbchen in gewissen Abständen ab und faltet sie ruckartig zusammen. (Abb. 67.) Aus der Lage und Richtung der abgebogenen Kanten ersieht er die Antwort des Geistes.

Wir haben Glück. Keine Schuld wird uns angelastet. Unsere Anwesenheit würde dem Dorfe zum Heile gereichen – und Häuptling Tsin Tsai heißt uns willkommen: »Ihr seid die ersten Weißen, die ich sehe, es soll mir Ehre und Freude sein, euch Gastfreundschaft zu gewähren. Solange ihr in meinem Dorfe weilt, will ich euch schützen wie meine Brüder. Mein Haus sei euer Haus, mein Volk das eure, nie soll es Fehde geben zwischen unseren Sippen.«

Er war der Mann, dem man Vertrauen schenken konnte, und bald stand unser Lager an den steilen wilden Ufern des Nam Fa unter seinem Schutz.

Unsere Laoträger sandten wir, nachdem sie sich einige Tage ausgerastet hatten, wieder zurück und behielten außer Bun Ma und Nam Som nur zwei junge Burschen in unseren Diensten, die anhängliche und fröhliche Gesellen waren. Nun hatte ich lauter einwandfreie, arbeitsfreudige Leute unter mir, eine Tatsache, die als Grundlage ersprießlicher Arbeit nicht zu unterschätzen ist.

So kam eines Tages der große Augenblick: Der Ruf »Die Phi Tong Luang sind da!«, erscholl durch unser Lager.

Tsin Tsai hatte nur zwei dazu bewegen können, uns vor Augen zu treten, Vater und Sohn. Dennoch – unser Ziel war erreicht, und uns überkam eine unbändige Freude und eine tiefe Genugtuung darüber, daß wir uns durch zahlreiche Mißgeschicke nicht hatten entmutigen lassen. Was sollen wir zu ihnen sagen, wo sollen wir sie empfangen, wodurch werden wir ihre scheuen Herzen gewinnen? Wir fühlten instinktiv, wieviel von der Lösung dieser Fragen abhing und waren innerlich äußerst erregt. Später, als mich die Phi Tong Luang schon »Vater« nannten, dachten wir oft noch an diesen Augenblick der ersten Begegnung zurück.

Wir schritten hinunter zu dem großen Windschirm, den unsere Leute bewohnten. Dann standen sie vor uns, Vater und Sohn, in gebückter Haltung, mit zusammengezogenen Schultern, als ob sie frierten. Mit angstvoller Neugierde blickten sie zu uns auf. In ihren dunklen Augen lag ein tiefer Glanz. Noch nie habe ich bei Menschen so einen Gesichtsausdruck gesehen. Nur Tiere sahen mich mit diesen suchenden, tastenden, unendlich scheuen Blicken an. (Abb. 45.)

Meine Frau und ich nickten uns zu: Wir hatten uns die Phi Tong Luang ganz anders vorgestellt! Wie, das wußten wir wohl selber nicht, vielleicht hatten wir doch Zwergneger oder eine Ähnlichkeit mit den Moken erwartet? Die beiden Menschen aber, die da zu Häuflein zusammengekauert bewegungslos vor uns saßen, hatten leicht welliges, schwarzes Haar und eine von Schmutzkrusten überzogene hellgelbe Hautfarbe, große Augen, eine schwere Deckfalte, aber keine Mongolenfalte, mittelstarke Lippen, eine geringe Prognathie des Untergesichtes, eine schmale Nase und weiße Iris. Sie machten einen außerordentlich infantilen Eindruck. Ich suchte in der Erinnerung nach einer Ähnlichkeit mit irgendeinem der vielen Völker, die ich gesehen – ich konnte keine finden.

Ich ließ sie fragen, woher sie kamen, wohin sie gingen, wo ihre Frauen seien. Sie aber schauten nur von einem zum anderen und sagten: »m–m«, jenes langgezogene, singende, in die Höhe gezogene »m–m«, das wir noch oft zu hören bekommen sollten, bis wir es schließlich selber gebrauchten, wenn wir uns über etwas wunderten.

Plötzlich ging ein Leuchten über das Gesicht des alten Urwaldvaters, und er sagte: »Gib dem Vater eine Medizin, damit er fliegen kann, es ist so beschwerlich über die Berge zu steigen.« Die Meau hatten, um die Phi Tong Luang zum Mitgehen zu bewegen, ihnen versprochen, daß sie von uns eine Medizin zum Fliegen erhalten würden. Was sollte ich nun tun? Ich durfte doch weder die Phi Tong Luang enttäuschen, noch die Meau Lügen strafen. Woher sollte ich aber eine Medizin zum Fliegen nehmen? Ich überlegte eine Weile, dann sagte ich zu ihnen: »Wohl besitze ich eine solche Medizin, doch haben mir meine Geister verboten, das köstliche Gut jungen Leuten, die ihre Beine gebrauchen können, zu verabreichen. Es ist eine Medizin für Greise. Gebe ich sie kräftigen Männern, so ist sie wirkungslos, mich aber würde der Zorn der beleidigten Geister treffen. Für euch habe ich aber ein Mittel, das ermüdete Körper wieder erfrischt.« Mit diesen Worten ließ ich ihnen mit schwerem Herzen unseren letzten russischen Tee zubereiten und – die Phi Tong Luang waren mit der Wirkung zufrieden.

Bald aber meinte der Alte, daß sie nun wieder fortgehen müßten, sonst glaubte seine Frau, daß ihn ein Tiger gefressen oder ein böser Mensch getötet hätte. Sie würde das Lager, in dem er sie zurückgelassen hatte, verlassen, und er könne sie dann nicht mehr finden. Wo denn seine Frau und seine anderen Kinder wären?, fragte ich weiter. »Weit weg«, sagte er mit einer alle Berge umfassenden Handgebärde. Zwei seiner Söhne waren beim Wurzelsammeln von Tigern überfallen und getötet worden, bei seiner Frau war nur mehr seine kleine Tochter geblieben. Es stellte sich auch heraus, daß die vor kurzem von den Tin erschossenen Phi Tong Luang sein Bruder, dessen Frau und deren Sohn gewesen waren. Er selbst war daraufhin mit seiner Familie in diese Gegend, die ihm scheinbar unbekannt war, geflohen.

Ich schlug ihm vor, daß sein Sohn Frau und Tochter holen, er aber bei uns bleiben sollte, und versprach ihm ein Schwein, Tabak und Stoffe. Da blickte er auf seine völlig durchlöcherten Fetzen, an deren Webart man die Herkunft von den Meau erkannte, und sagte: »Das geht nicht, daß du den Yumbri Die Phi Tong Luang nennen sich selbst Yumbri. so viel schenkst, sie haben ja nichts, was sie dir geben können.«

Da versuchte ich auf eine andere Weise sein Vertrauen zu gewinnen. Nach den Angaben von Major Seidenfaden sollten ja die Phi Tong Luang ein Jägervolk sein. Ich bot ihnen daher an, gemeinsam zu jagen und die Beute mit ihnen zu teilen. Die Wirkung dieses Vorschlages aber war eine höchst unerwartete. »Äh«, riefen sie ängstlich, und sprangen auf, »die wilden Tiere sind böse, die Yumbri wollen sie nicht sehen, die Tiger werden sie fressen!« Lange dauerte es, bis sie sich wieder beruhigt hatten und sich nochmals niederließen. Mit erschrockenen Augen verfolgten sie unausgesetzt alle unsere Bewegungen.

Wir trachteten noch dies oder jenes zu erfahren, bemühten uns aber, unsere Neugierde zu zügeln, um unsere seltenen Gäste nicht kopfscheu zu machen. Mit hilfeflehenden Augen wendete sich schließlich der alte Phi Tong Luang Tsin Tsai, seinem Beschützer, zu und sagte: »Der Vater hat Hunger und möchte fort von hier.« Während er sich langsam von der Erde erhob, sagte er zu mir gewendet: »Der Vater hat vor dir Angst gehabt, aber jetzt fürchtet er sich nicht mehr. Nun weiß er, daß du ihn nicht töten willst, jetzt liebt er dich.« Siegesbewußt ließen wir ihn ziehen. Doch am nächsten Morgen waren zu unserer Verzweiflung beide spurlos aus dem Meaudorf verschwunden!

Sie kamen aber wieder und brachten die Frau, das kleine Mädchen und eine verheiratete Tochter und deren Knaben mit. Die Frauen überreichten uns zwei Matten und wollten dafür ein Schwein haben! Sie waren weniger scheu als die Männer, kamen gleich zu uns ins Lager, lachten und sprachen eine Menge Dinge, die wir nicht verstehen konnten. Ihr halblanges, schwarzes Haar hing wirr über die Schultern herab und über das Gesicht. (Abb. 61.) Ihre Hände waren auffallend klein, die Füße groß, die Gestalt überaus grazil.

Die jüngere der beiden Frauen hatte ein breites, aber hübsches Gesicht, etwas hervortretende Jochbeinbögen und jene für die Phi Tong Luang so typische Nase. Die Lippen waren mittelbreit, die Augen groß und glänzend. Sie trugen ein Stück Stoff um die Hüften gebunden, sonst waren sie nackt und, wie alle Phi Tong Luang die wir trafen, völlig schmucklos.

Liebevoll trug die junge Madonna des Urwaldes ihren kleinen Knaben an der Brust. (Abb. 44.) Er mochte wohl zweieinhalb Jahre alt sein, war überaus lebhaft und gar nicht ängstlich. Unternehmend spazierte er bald in unserem Lager umher, griff nach allem und zerriß, was ihm in die Händchen kam. Ganz anders benahm sich das sechsjährige Mädchen, das nicht von der Seite der Mutter wich, wie ein kleiner Affe zusammengekauert dasaß und scheu zu uns herüberblickte. (Abb. 66.)

Die Phi Tong Luang kennen keine Namen und verwenden zur Anrede nur die Verwandtschaftsbezeichnungen. Sie sagen Vater, Mutter, älterer Sohn, Tochter, Großvater und so fort und nannten auch meine Frau und mich »Mutter« und »Vater«. Kein Wunder, daß uns bald alle unsere Begleiter so nannten, und umgekehrt Bun Ma den alten Phi Tong Luang mir gegenüber als »Your elder son« und dessen Sohn als »Your son« bezeichnete. Es ergaben sich somit recht komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse. Doch eines stand fest, die Phi Tong Luang waren »unsere Kinder«. Den Sohn des Alten aber nannten wir alle »Tulu – ug«, das Laowort für »Sohn« im Phi-Tong-Luang-Dialekt, langgezogen und singend ausgesprochen.

Mit Hilfe der Meau war eine Verständigung möglich. Einige von ihnen verstanden Phi Tong Luang und konnten sich auf Laos mit unserem englischsprechenden Dolmetsch Bun Ma verständigen. Andererseits sprachen aber auch einige Phi Tong Luang Laos und konnten sich mit Bun Ma direkt verständigen. Es war jedoch nicht immer eine leichte Unterhaltung und Bun Ma machte oft ein verzweifeltes Gesicht. Da wir aber immer mehrere Gewährsleute zur Verfügung hatten und den Widersprüchen auf verschiedenen Wegen nachgingen, konnten wir mit zuverlässigen Ergebnissen rechnen. So war es trotz des Sprachengewirrs um uns möglich, an die Arbeit zu gehen und zu versuchen, eine Monographie der Phi Tong Luang aufzunehmen.


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