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1. Teil
Mergui und Südsiam


Mergui und seine Inseln

Jedes erreichte Ziel ist wieder nur ein Anfang. Wenn diese Erkenntnis dem Menschen auf seinem mühsam erklommenen Lebensweg auch manchmal den Mut zu nehmen vermag, so erweckte sie in uns, als wir endlich nach sechswöchiger Reise in Mergui landeten, ein Frohlocken ohnegleichen. Vorbei war es mit den schlaflosen Nächten in engen Kabinen glühender Schiffe, vorbei mit der erzwungenen Muße und dem konventionellen Zeitvertreib unter wohlgesinnten Mitmenschen, vorbei mit den Schattengebilden europäischer Zivilisation, als welche sich die großen Städte Indiens entpuppten. Wohl standen wir staunend vor Ranguns Goldener Pagode, vor dem tausendfältigen Getriebe bunter Menschen aller Rassen, das diese Stadt erfüllt, die so recht das harte Aneinanderprallen, aber auch das Ineinandergleiten des Ostens und des Westens widerspiegelt. Aber diesem Westen, der sich uns in Gestalt von Behörden und Audienzen, von Warenhäusern und Banken, von Zollämtern und Telegrammen an die Fersen heftete, endgültig entronnen zu sein, erschien uns als solches Glück, daß wir allen Schwierigkeiten des Expeditionsbeginns, der sich nun in Mergui abspielen sollte, mit Freuden entgegensahen.

Ein Zyklon auf den Andamanen hat sich an der Küste von Mergui in starken Stürmen und Regenschauern fühlbar gemacht. Drückende Schwüle und Feuchtigkeit liegt nun in der Luft. Jeden Tag stehen schwere dunkle Wolken am Himmel, und der Südwestmonsum, der die Regen bringt, kann jeden Augenblick einsetzen. Wir haben Eile. Sobald einmal Wolkenbrüche und Wirbelstürme das Meer aufpeitschen, ist unser Vorhaben, die Moken aufzusuchen, die als scheue Nomaden das Inselgewirr des Merguiarchipels bewohnen, nicht mehr durchführbar. Warum aber sind wir so knapp vor der Regenzeit gekommen? Weil die Moken sonst ständig in Booten hausen, sich jeder Begegnung mit Fremden durch Flucht entziehen und nur vor Beginn der Regen in sturmgeschützten Buchten einsamer Inseln flüchtige Hütten bauen, um ihre Boote für die bevorstehende Monsumzeit instand zu setzen. Aus diesem Grunde sind sie, wenn überhaupt, nur zu dieser Jahreszeit sichtbar. Werden wir an sie herankommen können? Das ist die bange Frage, die zugleich ängstigt und lockt.

Mergui, diese kleine Küstenstadt im Golf von Bengalen, die Hauptstadt von Tenasserim, blickt auf eine stolze Vergangenheit zurück. Hier lebt noch der geheimnisvolle Osten der alten Seefahrer, strahlend und finster, lebendig und unveränderlich, voll Gefahren und Versprechungen. Als jene kühnen Männer, die den Osten als ihre Beute betrachteten, in der Mitte des 17. Jahrhunderts hier Ruhm und Reichtum suchten, gehörte Mergui zum Königreich Siam und war der größte Umschlagplatz zwischen China, Indien und dem Persischen Golf. Viele Hunderte von Segelschiffen und Barken kreuzten damals die trägen Wasser des Tenasserimflusses, schwer beladen mit Porzellan und Seide, Baumwolle, Kupfer und Sandelholz, mit Gold und Zinn, oder Elefanten, die damals in großer Zahl in den wilden Dschungeln Siams gefangen und von Mergui aus auf schwankenden Schiffen hinüber nach Indien verfrachtet wurden, wo sie in den häufigen Kriegen der indischen Fürsten als eine Art Tank Verwendung fanden. Ihr gefahrvoller Transport soll ein sehr einträgliches Geschäft gewesen sein. Missionare und Händler aus dieser Zeit berichten vom Ansehen und Reichtum der Stadt, in der sich viele Europäer verschiedenster Nationalität niedergelassen hatten. Auch viele arabische Händler wanderten hier ein, rissen alles an sich, was Geld einbrachte, saugten zwar die siamesische Landbevölkerung unbarmherzig aus, verschafften aber der Stadt reiche Einnahmen. Seit nun das Königreich Siam die Provinz Tenasserim samt Mergui an England abtreten mußte, hat sich das Bild geändert. Die Handelsflotten der Welt tummeln sich dort nicht mehr, und die wenigen Europäer, die hier leben, ersehnen den Tag, an dem sie Mergui wieder verlassen können: Für sie ist Mergui nur die regenreichste Gegend der ganzen Kolonie, übermäßig heiß und schwül, alljährlich von Blattern- und Choleraepidemien heimgesucht.

Schön ist der Blick von dem Hügel herab, der inmitten der Stadt emporragt. Da liegen das Meer und die vielen stillen dichtbewaldeten Inseln, über denen allabendlich die Sonne in den satten Farben der Tropen untergeht. (Abb. 1.) Dem Strande entlang stehen die Pfahlhäuser der burmesischen Fischer und Händler. In der Nähe der Brücke, an der jede Woche einmal ein kleiner Küstendampfer anlegt, wimmelt es von Seglern und Barken mit ihren gewölbten Blätterdächern und der stehenden Rudermannschaft. Auf der anderen Seite erstrecken sich grüne Wiesen der Küste entlang, auf denen Schafe und Ziegen weiden. Im Zentrum der Stadt breiten sich die Straßen des neuen, meist von Chinesen bewohnten Stadtteiles aus, da liegt der weitläufige Marktplatz. Dichte Menschenmengen strömen hin und her, Kulis ziehen, um die Wette laufend, buntbemalte Rikschas, Ochsenkarren rattern vorbei, buddhistische Priester in safrangelben Gewändern wandern still, die Bettelschale in der Hand, von Haus zu Haus, und Kinder spielen in allen Ecken und Winkeln der schmalen Gassen. Ihr Schreien vermengt sich mit dem lauten Getriebe der menschlichen Ameisen, die sich da unten im bunten Durcheinander hin und her bewegen.

Auf der Spitze des Hügels steht eine große goldene Pagode. Die Glöckchen am feingegliederten Turm erklingen in zarten Tönen, sobald der Wind sie bewegt. Friedlich und still ist es hier oben, nur das Gemurmel der betenden Priester schwingt sanft aus den Klostermauern in den Abend hinaus. Schlendernden Schrittes schreiten Frauen und Kinder, festlich gekleidet, mit Blumengewinden zum Tempel hin und legen ihre Opfergaben vor die sinnende Gestalt des Buddha. Die kleinen Blüten dieser kunstvollen Gebilde sind einzeln auf Stäbchen aufgefädelt oder zu kleinen Polstern zusammengesteckt. Farbenprächtig sehen sie aus, doch wirkt ihre regelmäßige Ornamentik in unseren Augen steif und unnatürlich. Die zarte Lieblichkeit unserer Wiesenblumen fehlt diesen betäubend duftenden Geschöpfen der Tropen.

Mit weichem Gang, den tiefen ruhigen Blick träumerisch vor sich gerichtet, schreitet die vornehme Inderin in der abendlichen Kühle dahin. Vom Haupte fließt ihr reiches Gewand herab, goldene Ohr- und Nasenringe und Fußreifen glänzen auf ihrer dunklen Haut. Anders die Burmesin. Sie ist zierlich, kokett, hellhäutig. Immer sorgfältig und rein gekleidet, trägt sie ein weißes Organdijäckchen über dem reich mit Spitzen besetzten Leibchen. Ein meist rot oder gelb gemustertes Tuch ist eng um ihre schlanken Hüften geschlungen, geschickt halten die Zehen winzige Sandalen. Im hochaufgekämmten glänzend schwarzen Haar stecken frisch duftende weiße Blüten. Die Gesichtshaut ist so glatt und matt, daß sie manche Europäerin darum beneiden würde. Anmutig hält sie den flachen lackierten Schirm in der Rechten, die Linke hebt beim Gehen graziös den Rock. So kommen die Frauen fröhlich plaudernd daher, umringt von einer Menge Kinder aller Altersstufen. Sie lassen sich unter einem der großen Bäume nieder und sammeln mit lässigen Gebärden, immer lächelnd, Blüten und Früchte ein. Hell klingen ihre Stimmen, jung und unbeschwert. Im Westen über den Inseln geht die Sonne unter und taucht die sanften Hügel und fernen Bergrücken des Festlandes in glühende Farben und läßt die vielen goldenen Pagodentürme, die mitten im Grün an vergangene Herrlichkeit erinnern, nochmals aufblitzen, bevor die dunkle Nacht alles mit ihrem Schleier bedeckt.

Das ist Mergui von heute. Die bewegte Vergangenheit der Stadt lebt nur in dem bunten Volksgemisch seiner Bewohner fort. Da gibt es Siamesen und Malaien, Burmesen und Chinesen, die die Perlfischerei in der Hand haben, reiche Araber, die viereckige Ziegelbauten bewohnen, deren Stil wohl maurisch anmuten soll.

Groß ist die Zahl der indischen Kulis, die allmonatlich zu Tausenden von Vorderindien herüberkommen. Das Problem des indischen Kuli ist einer der Hauptgründe, weshalb die Burmesen eine Trennung und Autonomie gegenüber Vorderindien verlangten. Sie wollten ihre gefährlichen Konkurrenten, die alljährlich riesige Summen aus Burma nach Indien schicken, ausschalten. Es wird aber noch lange dauern, bis der burmesische Arbeiter den indischen Kuli ersetzen kann! Fleiß, Ausdauer und unvorstellbare Genügsamkeit sind die Trümpfe, die dieser in der Hand hält. Tagaus tagein läuft er hinter der Rikscha her oder arbeitet unermüdlich in den Bergwerken, eine Handvoll Reis, etwas Curry und Zuckerrohr genügen ihm, um seinen Hunger zu stillen, die Nächte verbringt er im Freien oder zusammengepfercht in stallartigen Schuppen. Die chinesischen Arbeiter sollen die Inder wohl an Tüchtigkeit übertreffen, werden aber dennoch von diesen verdrängt, da sie höhere Löhne beanspruchen.

Den Burmesen wiederum mangelt es an Fleiß und Zähigkeit. »Die Burmesen sind wie Hauskatzen«, erzählt mir ein burmesischer Ladenbesitzer, »sie reisen nicht gerne, sie bleiben am liebsten zu Hause und sind zufrieden, wenn sie genug zu essen haben. Sie können nicht sparen, verdienen sie etwas, geben sie es sofort für Kleider und Essen aus. So ist der indische Arbeiter nicht. Wenn dieser 2 Rupien 1 Rupie = etwa 1 Reichsmark (heutiger Wert), geteilt in 16 Annas zu je 12 Pies. im Tage verdient, braucht er 4 Annas davon zum Leben, den Rest hebt er auf. Verdient er nur 4 Annas im Tage, so lebt er von 1 Anna und erspart sich drei davon. Ich kenne drei Brüder aus Madras«, erzählte der Burmese weiter, »einer blieb daheim, die beiden anderen arbeiteten hier als Kuli und sandten dem Bruder monatlich ihre Ersparnisse. Nach 10 Jahren kauften sie sich in ihrer Heimat eine Bewässerungsanlage um 2000 Rupien, pflanzten Reis, hielten sich Haustiere und verbrachten den Rest ihres Lebens zufrieden auf dem kleinen Bauernhof, ohne viel zu arbeiten.« Das harte Leben in der Fremde, ob es nun 10 oder 20 Jahre dauert, wird nur als Übergangsstadium betrachtet, in der Ferne lockt stets ein endgültiges Ziel – dies ist das Geheimnis und die Stärke der indischen Kuli, die in der Fremde ein so unsagbar armes Leben ertragen können.

Im Widerspruch dazu stehen die hohen Löhne und die Unbrauchbarkeit jener Eingeborenen, die in Diensten von Europäern stehen. Wir fahnden nach einem Dolmetsch, einem Koch und einem Führer, wobei uns Mohamed Rahma, der Agent einer Bergwerkgesellschaft behilflich ist. Unter »zivilisierten« Eingeborenen Begleiter zu finden, wenn es heißt in die Wildnis zu gehen, ist eines der schwierigsten Kapitel auf Expeditionen. Wie oft schon war auf unseren Reisen der mühsam errungene Erfolg durch die Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit solcher Leute in Frage gestellt worden!

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Abb. 1. Blick auf die Merguiinseln, im Vordergrund ein Malaienboot

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Abb. 2. Burmesischer Segler in voller Fahrt

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Abb. 3. Aus Bambus und Palmblättern sind die Pfahlhäuser der burmesischen Fischer auf den felsigen Ufern der Merguiinseln errichtet

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Abb. 4. Junger Burmese beim Fischen von Garnelen

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Abb. 5. Burmesin beim Wenden der zum Trocknen ausgebreiteten Fischpaste

Als Dolmetsch erweist sich bald Enty, der Sohn eines Chinesen und einer Burmesin, der gut englisch spricht, als recht verwendbar. Er bringt uns auch einen Moken, der kurz vorher mit einem chinesischen Händler in Mergui eingetroffen ist. Dieser sieht wie ein echter Urwaldmensch aus, kleinwüchsig, mit primitiven Gesichtszügen und angstvoll blickenden Augen. Er versteht zwar nicht, was wir eigentlich von ihm wollen, aber eines hat er bereits gelernt: Er verlangt 10 Rupien Vorschuß, um sich Opium kaufen zu können. (Über die Opiumsüchtigkeit der Moken und ihre Folgen werde ich später noch einiges zu berichten haben.) Ich gebe ihm zwei Rupien, und er verspricht am Tage der Abfahrt zur Stelle zu sein. Schwieriger ist die Beschaffung des Kochs. Wahre Prachtgestalten von Köchen stellen sich vor: Einer mit rosaseidenem Lungi, dem bis zum Boden reichenden Hüfttuch, der andere in vollendetem Khaki, andere wieder mit Regenschirm und europäischem Sakko zur chinesischen Hose – nur in einem gleichen sie sich alle: sie verlangen alle einen unverschämt hohen Monatslohn, duften nach Schnaps, weisen die Merkmale gewohnheitsmäßiger Trinker auf und sind außerdem mit Krätze behaftet. Als sie von dem ihnen bevorstehenden Buschleben hören, lassen sie alle die Köpfe hängen und verlangen sofort noch einen Küchenboy, der die »schwere« Arbeit verrichten soll. Alle diese Herren verschwinden ebenso rasch wie sie gekommen sind. Und wie schon so oft wird auch diesmal ein junger Bursche, der gar nichts kochen kann, zu unserem Küchenchef erwählt. Wir können uns mit ihm vorläufig noch in keiner Sprache verständigen, aber wozu ist dem Menschen die Gabe ausdrucksvoller Gebärden gegeben, wenn nicht, um die Sprache zu ersetzen? Und Hassan versteht auch sofort, was meine Frau damit meint, wenn sie wie ein Huhn gackert oder wie ein Ochse brüllt: er bringt mit sicherem Griff Eier und Ochsenfleisch vom Markt nach Hause!

Wir kaufen nun Proviant für die nächsten Monate ein und besuchen die englischen Distriktsbeamten. Niemand weiß, auf welchen Inseln die Moken zu finden sind. Überall erhalten wir dieselbe Antwort auf unsere Fragen: Man hatte versucht, die Inseln der Moken zu verwalten, mußte aber den Versuch wegen vollständiger Erfolglosigkeit aufgeben. Es war nicht möglich gewesen, den Moken Begriffe wie Kopfsteuer, Geldeswert, amtliche Autorität usw. annähernd verständlich zu machen, meist aber konnte man ihrer überhaupt nicht habhaft werden. Sie flohen in ihren Booten auf Nimmerwiedersehen davon, sobald sich ein Regierungsschiff auch nur von weitem sehen ließ. »Sie essen Opium und sind unsagbar schmutzig«, so viel wissen die Engländer. »Sie sollen ausgerottet werden, wie alle diese primitiven Völker, damit wir uns überall ausbreiten können«, so sprechen die Burmesen.

Auch zu den heimatlosen Moken wandern wir, die am Rande der Stadt einige verfallene Blätterhütten bewohnen. Es sind zerlumpte, opiumsüchtige Menschen, die wohl nur mehr wenig ihren in Freiheit lebenden Stammesgenossen gleichen. Sie haben ihr freies hartes Nomadenleben aufgegeben, um für Opium in der Küstenstadt niedrigste Arbeiten zu verrichten. Sie erzählen von einer großen Mokengruppe, die sich auf einer etwa 50 Meilen von Mergui entfernten Insel niedergelassen haben soll. »Doch vor zwei Monaten sind fast alle an Cholera gestorben. Die wenigen Überlebenden flohen entsetzt, niemand weiß wohin«, so sprechen die Moken.

Alle diese Auskünfte verringern unsere Zuversicht. Immerhin lassen sich mit Hilfe eines Chinesen einige Inseln feststellen, wo wir einigermaßen Aussicht haben sollten, wilde Moken anzutreffen.

Wir wollen nun eines der schönen burmesischen Segelboote mieten, die unten im Hafen liegen. Der Schiffer aber fürchtet sich, um diese Jahreszeit so weit auf das Meer hinauszufahren, und wir müssen uns entschließen, einen Motorsegler zu chartern, der zwar bequemer und sicherer ist, aber unsere Reisekasse stark belastet.

Die Eigentümerin des Schoners ist eine Burmesin. Die burmesische Frau, so zierlich und hübsch sie auch aussieht, ist wegen ihrer Intelligenz und Geschäftstüchtigkeit bekannt. Sie verwaltet meist das Familienvermögen und verfügt auch über das Einkommen des Mannes, der meist nur eine kleines Taschengeld von ihr erhält. Dies scheint sehr weise eingerichtet zu sein, da die Hauptbeschäftigung der Männer – wenigstens nach Angabe ihrer Frauen – schlafen und trinken sein soll. So ist auch meine zarte Geschäftspartnerin sehr hartnäckig, im Verhandeln geübt, zäh wie ein Armenier, und wir sitzen stundenlang auf der Plattform ihres Pfahlhauses, bis wir endlich zu einem beide Teile befriedigenden Abschluß gelangen.

Der Motorsegler, dem wir uns nun anvertrauen sollen, führt sechs Mann Besatzung und den stolzen Namen »Yan Chin«. Er wird ausgeschwefelt, gereinigt und zum Start überholt. Inzwischen verpacken wir unser umfangreiches Gepäck in Blechkoffer und deponieren einen Teil bei unserem braven Mohamed Rhama.

Vor Sonnenaufgang versammeln wir uns alle an Bord. Wo aber ist unser Moken, dem ich zwei Rupien Vorschuß gegeben hatte? Er ist nirgends zu finden und bleibt spurlos verschwunden. Wir eilen von Haus zu Haus und schließlich in die Mokenhütten, um einen anderen aufzutreiben, aber keiner will mit uns kommen. Da hilft kein Ärger und kein Fluchen, ohne Moken, dessen Hilfe wir bei einer Annäherung an seine scheuen Volksgenossen unbedingt benötigen, können wir nicht fahren. Nach langem Zureden erklärt sich ein altes verrunzeltes Männchen bereit, uns zu folgen, wenn wir seine Frau und seine Kinder mitnähmen. Das aber ist ausgeschlossen, da schon wir, meine Frau und ich, Enty, Hassan und die sechs Mann der Besatzung an Bord kaum Platz haben. Nach stundenlanger Verzögerung folgt uns schließlich ein junger Kerl, ein Perlfischer, aufs Boot. Er heißt Petjen und sieht sehr unglücklich drein, gewiß mißtraut er uns. Mit finsterer Miene kauert er sich in einen Winkel des Decks und macht den Eindruck eines verschleppten Kindes.

Ein lebhaft schreiender Haufen von Frauen und Mädchen nimmt Abschied von unseren Bootsleuten, der Motor wird angelassen, der Anker gelichtet – wir fahren davon, in die Wirrnis der unbekannten grünen Inseln hinein.

 

Regelmäßig klappert der Petroleummotor. Unser Schoner zieht über das spiegelglatte Meer zwischen bergigen dichtbewaldeten Inseln dahin, Kurs immer nach Südwest. Die Sonne brennt heiß vom wolkenlosen Himmel herab. Es ist nicht leicht, zwischen den Inseln zu navigieren. Die Gezeitenströmungen sind reißend, viele Fahrtrinnen nur bei Hochflut fahrbar, hier streckt sich eine weite Sandbank ins Meer hinaus, dort sind es steinige Riffe oder Mangrovensümpfe, die dem Schiffer Halt gebieten. Wir können bald verstehen, wieso die Moken in ihren kleinen wendigen Booten so leicht entwischen können, bleiben doch unserem gewiß nicht großen Segler manche Durchfahrten versperrt und viele Buchten verschlossen.

Sobald wir Mergui verlassen hatten, steckten die Buddhisten unter unseren Bootsleuten einige Räucherkerzen am Bug des Schiffes in Brand, auch Blätter und Blüten legten sie dazu und murmelten Gebete, um von einem ihrer zahlreichen Schutzgeister eine glückliche Fahrt zu erflehen. Nun ruhen sie unbekümmert und weltverloren unter dem rückwärtigen Aufbau des Schiffes am Boden hingestreckt und summen vor sich hin. Sema, ein baumlanger Matrose, entlockt seiner kleinen zweisaitigen Harfe zarte Töne, die leider durch ein fürchterliches Gebrüll des zweiten Kapitäns übertönt werden. Petjen aber, das verschleppte Kind, sagt kein Wort. Er hockt in einem Winkel, packt aus dem Zipfel seines Hüfttuches ein schmutziges Papierknäuel aus und entnimmt diesem eine kleine braune Kugel. Er erinnert mich in seiner Stellung und seinen Bewegungen an einen Schimpansen im Zoo, der vorsichtig seine Frucht schält. Er wickelt die Opiumkugel in ein Blatt und steckt sie in den Mund. Unbeweglich verharrt er in derselben Stellung und starrt stumpf vor sich hin.

Schon nach kurzer Zeit aber blickt er aufmerksam über das Deck hin, beobachtet das Tun der anderen, und schließlich erleben wir eine Überraschung, indem wir feststellen müssen, daß Petjen keineswegs so dumm ist, wie er aussieht. Sobald er nachdenkt, verändert sich sein Gesichtsausdruck vollkommen, der dumpfe Blick wird lebhaft, fast schlau, und ganz langsam verzieht sich sein Gesicht zu einem breiten Lächeln, wenn er etwas sagt, worüber er sich uns gegenüber schämt. So gesteht er, daß er eigentlich Tutha hieße, als er aber einmal schwer erkrankte einen anderen Namen annahm und sich jetzt mit dem burmesischen Namen Petjen nenne. Dies sei so üblich, um die bösen Geister, die den Menschen die Krankheit bringen, irrezuführen.

Während wir mit den Leuten plaudern, sitzen meine Frau und ich unter dem Dach des Maschinenraumes auf einer am Boden ausgebreiteten Matte. Die an und für sich schon drückend heiße Luft wird durch die Nähe des Motors bis zu einem kaum erträglichen Maße gesteigert. Das Dach ist niedrig und gestattet nur ein Herumkriechen in gebückter Haltung. Dazu weht der Wind von achtern, man glaubt zu ersticken. Von Zeit zu Zeit kühlt das Wasser einer Kokosnuß unsere brennenden Kehlen. Auf Deck über dem Laderaum stehen unsere Feldbetten in der prallen Sonne, das ist unsere Schlafstelle.

Ein Burmesenboot kreuzt in der Ferne hart am Winde. (Abb. 2.) Ich gehe über Stag und halte darauf zu. Da geht der Burmese über Hals und jagt vor dem Winde wie mit Flügeln davon. Es bedarf des vollen Motoreinsatzes, bis es uns gelingt, ihn aufzuholen. Mit ängstlichen Gesichtern sehen uns die fremden Kerle entgegen; gewiß haben sie Schmugglerware an Bord. Sichtlich erleichtert grinsen sie, als wir plötzlich knapp vor ihrem Bug wieder wenden und unseren alten Kurs aufnehmen. Unser Boot und unsere Mannschaft erweisen sich bei diesen Manövern als tüchtig und von den Matrosen bis zum Steuermann und »Ingenieur«, wie sich der Mann, der den Motor bedient, überlegen nennt, wird dieses erste Lob mit selbstgefälligem Lächeln entgegengenommen.

Wir fahren an den Gipfeln und hellgrünen Mangrovensümpfen von Kings Island, an Sellore Island und Sakanthit vorbei. Wir ankern gegenüber Kennedy Island, um eines der kleinen burmesischen Fischerdörfer zu besuchen, die so lockend am Rande der grünen Inseln daliegen. Wie aus einer Spielzeugschachtel nebeneinandergereiht sind die luftigen Pfahlbauten, von einer Reihe Kokospalmen beschattet, Nestern gleich über den muschelbesetzten Felsblöcken errichtet. (Abb. 3.) Das Gewirr von aneinandergebundenen Bambusstangen, die dünnen geflochtenen Wände und das mit Palmblättern gedeckte Dach sehen aus, als müßte der erste Sturm alles ins Meer hinabfegen.

Die Menschen haben hier keine andere Möglichkeit, als Pfahlhäuser zu bauen, denn steil ragt der steinige Grund gleich hinter den Hütten empor, bei Hochflut aber rauschen die Brandungswellen unter ihnen hinweg.

Viel größer als das Haus selbst ist die Plattform, auf der sich das tägliche Leben abspielt. Eine Schar splitternackter Kinder tummelt sich in der Sonne. Frauen halten die Zipfel ihrer roten Lungis bis zu den Knien empor und stampfen mit den Füßen in einem braunen Brei herum, der einen bestialischen Gestank verbreitet. Es ist die so sehr beliebte burmesische Garnelenpaste, die nebst dem Verkauf von Salzfischen den ausschließlichen Lebenserwerb dieser einsamen Fischer darstellt. Mit großen Netzen, die an zwei im spitzen Winkel an das Ende eines Ruderbootes befestigten Stangen gebunden sind (Abb. 4), fangen die Männer und Burschen allabendlich Millionen dieser kleinen Krebse, die dann mit Salz vermengt in der Sonne getrocknet werden. Frauen, die auch bei der Arbeit die weißen Hibiscusblüten im Haar tragen, wenden öfter im Tage den Brei um (Abb. 5), dann wird er stundenlang mit den Füßen verrührt. Diese Paste, deren uns freundlichst angebotene Kostproben wir wegen »völliger Appetitlosigkeit« dankend ablehnen, wird in den Küstenorten des Festlandes auf den Markt gebracht und dafür andere lebenswichtige Dinge wie Salz, Reis, Petroleum und Kattun im Tauschhandel erworben.

Zwei Burschen drehen in einem überdachten Winkel eine alte Reismühle, die wohl chinesischen Ursprungs ist, während magere Hühner die Spreu durchsuchen und räudige Hunde in der ärgsten Sonnenglut träge vor sich hindämmern. Wir fragen den alten Burmesen, der uns im Dorfe herumführt, nach dem Brunnen. Das Grundwasser liegt sehr tief und ist von rötlicher Farbe wie das Gestein. Wir haben jetzt drei Tage ohne Möglichkeit, Süßwasser zu erhalten, vor uns und müssen Vorrat nehmen. Mit vollen Wassertöpfen paddeln wir wieder zur Yan Chin hinüber.

Abends sitzen wir bei Tee, Sardinen und köstlichen Mangos an Deck und genießen das Schauspiel, wie sich der heiße Tag in Ruhe und Frieden zu Ende neigt. Ein Zug Nashornvögel fliegt über unseren Köpfen den Schlafbäumen im Dschungel zu. Ihr harter Flügelschlag durchschneidet mit metallenem Klang die lautlose Stille. Rasch wird es dunkel, bis langsam der zunehmende Mond das Meer, die Insel und unser ruhendes Schiff erhellt.

Auf dem teerigen, überall mit Betel und Fischresten beschmierten engen Boot ist es nicht leicht, das unentbehrliche abendliche Bad zu nehmen. Mit zäher Energie erbaut sich meine Frau aus einigen Plachen einen Waschraum, der die Blicke der Bootsleute abhält. An einem Strick wird der mit Meerwasser gefüllte Kübel heraufgezogen und über dem Körper ausgeschüttet. Hell glitzern die Sterne über dieser Zeremonie, die mehr als Sinnbild einer gründlichen Reinigung als eine solche selbst zu nennen ist. Bald streicht der Wind leise über unser luftiges Lager hinweg und singt uns in den Schlaf.

Um 5 Uhr morgens bin ich wach und sehe ein leichtes Glühen im Osten. Nach und nach verschwinden die Sterne. Vom Dorfe her hört man Kindergeschrei und Säuglingsweinen. Hähne krähen, und ich blinzle hinüber. Auf der Plattform strecken sich Menschen den Schlaf aus den Gliedern, Frauen mit Kindern auf den Hüften kommen aus den Häusern heraus und blicken in den goldenen Morgen hinein. Ein prächtiger klarer Tag ist uns wieder beschieden. Während sich meine Frau noch wohlig im Feldbett streckt, gebe ich Befehl zur Abfahrt, und der knatternde Motor durchbricht roh das morgendliche Idyll. Langsam wenden wir nach Süden, und das liebliche Dorf ist bald nur mehr ein heller Strich am Ufer der grünen Insel.

Tagelang geht es nun an unbewohnten Inseln vorbei, bis an die Ufer reicht der dichte tropische Regenwald heran. Dunkelbraune Milane und einsame Adler kreisen über den Wipfeln. Gespannt spähen wir mit dem Zeiss die Ufer entlang – keine Spur eines Lebens ist zu sehen, nur selten wagt sich ein Affe aus dem dunklen Dschungel in das grelle Licht des Strandes heraus. Da ruft plötzlich meine Frau: »Moken, Moken!« Tatsächlich liegt, kaum sichtbar, ein einsames Mokenboot am Rande einer Bucht im Watt. Wir steuern näher heran, da es aber verlassen scheint, nehmen wir bald wieder unseren alten Kurs auf.

Am nächsten Morgen sehen wir Rauch in einer Bucht aufsteigen und erkennen acht Mokenboote. Um sie nicht zu beunruhigen, ankern wir in beträchtlicher Entfernung und paddeln im kleinen Kanoe, nur von Petjen begleitet, hin. Da kommt Bewegung in die stille Bucht. Dunkle Gestalten klettern aus den überdachten Booten, ziehen diese schleunigst an den Strand und verschwinden im schützenden Urwald. Als wir hinkommen, kläffen uns nur ein paar Hunde aus den leeren Booten entgegen. Wir warten, schicken Petjen in den Wald, er ruft und lockt, wie man etwa Hühner zur Futterstelle heranruft. Alles vergebens, nichts rührt sich. Enttäuscht kehren wir zurück. Noch zweimal müssen wir an diesem Tage die gleichen Erfahrungen machen.

Dazu kommt der Durst, und die Suche nach den Moken muß vorläufig der Suche nach einer Süßwasserquelle weichen. Wir hatten uns auf unsere »landeskundigen« Schiffer verlassen – und unser Wasservorrat ist zu Ende. Vor einer kleinen Insel steht eine mächtige Brandung, wir gehen an Land, um Wasser zu holen. Da erheben sich einige Aasgeier mit schwerem Flügelschlag – und vor uns liegen drei verweste Leichen neben einem stinkenden Wasserloch. Wie alle Jahre ist die Cholera vor der Regenzeit ausgebrochen, es sind ihre ersten Spuren. Da eine andere Süßwasserquelle nicht zu finden ist, müssen wir mit dem Inhalt des Wasserloches vorlieb nehmen, und kochen das Wasser gleich am Strande in einigen leeren Benzinkannen ab, um es genießbar zu machen.

Die Fluten der Ebbe rücken immer weiter zurück und legen das Riff und die herrlichen Korallengärten frei.

Fast trocken liegt das Riff vor uns. Ein Heer von Krabben kriecht am sandigen Boden dahin, verschwindet aber bei unserem Erscheinen eiligst in Schlupflöchern unter den Steinen. Eßbare Muscheln hat die Natur hier in tausendfältigen Arten freigebig ausgestreut, riesige Austernbänke ragen seit Tausenden von Jahren unberührt empor. Mit spitzen Steinen schlagen wir die mit dem Fels verwachsenen handgroßen Austern auf. Im Nu sind die schlüpfrigen Tiere verzehrt. Unsere Schiffer schreiten im Riff umher, suchen, klopfen und schlagen Muscheln ab, sammeln Schnecken und ziehen unter kindlichem Gelächter die widerlich dicken, schleimigen Seegurken aus ihren Verstecken.

Fremdartig, voll eigenen Zaubers, ragt der Korallengarten aus dem seichten Wasser. Wie unendlich zart die Verästelungen und die abwechslungsreichen Formen, Farben und Gestalten dieser wundervollen Meeresgewächse sind! Herrliche Seeanemonen öffnen und schließen sich, lila, rot und weiß leuchten sie hervor. Doch tückisch lauern Gefahren in der seltenen Pracht. Da verletzen spitze Muscheln den vorsichtig schreitenden Fuß, dort lauert ein giftiger Roche auf Beute, und schon hat meine Frau einen der langen schwarzen Stacheln des »ta em«, eines unheimlichen Meerestieres, im Fuß. Die nadeldünnen Enden des giftigen Stachels dringen ihr tief ins Fleisch. Sie ruft mich um Hilfe an, und mir gelingt es, ihn herauszuziehen und dabei das gefährliche Abbrechen zu vermeiden.

Wir benützen die Gelegenheit, ein kühlendes Bad zu nehmen, und schwimmen alle zusammen unter großem Geschrei und Gejohle, wie es hier so Sitte ist, um die Haifische zu vertreiben, zum Boot hinüber. Doch leider ist dies heiße Bad nicht erfrischend. Drückender als zuvor legt sich die feuchte Schwüle um unsere Glieder.

Heranziehende Regenwolken und ferner Donner künden uns endlich nahe Erlösung aus diesem Brutkessel. Rasch flüchtet unser vorsichtiger Kapitän in eine schützende Bucht. So liegen wir schon um 4 Uhr vor Anker und trauern über den ungenützten halben Tag. Bald aber brausen wie aus mächtigen Scheffeln schwere Regenschauer nieder, prasseln aufs Deck und auf die nur durch leichte Plachen geschützten Betten. Wir flüchten in den Maschinenraum und trachten durch die Luke genügend Luft zu schnappen, um nicht zu ersticken. Es gelingt uns nicht. Wir steigen hinauf auf das Dach und lassen den Regen, den ersten Regen, über uns herniederprasseln. Das tut wohl!

Nach einigen Stunden hört der Regen auf. Nur flammende Blitze leuchten noch in der Ferne und spalten die schwarze Wolkenwand. Über uns aber glitzern die Sterne. Die Luft ist kühl, und schön der Abend in dieser verlassenen Bucht. Meine Frau aber findet keinen trockenen Fleck, alles an Bord ist durchnäßt, es schmerzt ihr Fuß, sie ist müde und seufzt: »Könnte man doch dieses Inselparadies zur schönen Jahreszeit mit einer bequemen Jacht befahren!«

Am Morgen sind alle unsere Gedanken wieder den Moken zugewandt. Das Unwetter kommt uns zu Hilfe. Auch einige Mokenboote haben eine schützende Bucht nicht weit von unserem Ankerplatz über Nacht aufgesucht. Wir erblicken sie von weitem und wieder beginnt das Anpirschen, wieder die angstvolle Spannung – o Wunder, sie bleiben auch bei unserem Herannahen ruhig auf dem Wasser liegen. (Abb. 7.) Nur einige Frauen und Kinder laufen ängstlich durch das seichte Wasser dem Walde zu. Inmitten der Mokenboote erkennen wir einen burmesischen Segler. Ein Mann steht am Steuer und begrüßt uns freundlich. Er ist Malaie, Agent einer »Gesellschaft zur Verwertung der Meeresprodukte«, und zeigt uns seine Lizenz, die ihn zum Sammeln der Meeresprodukte berechtigt.

Diese Lizenzen werden von der britischen Kolonialregierung versteigert und dem Höchstbietenden jeweils zugeschlagen. Wir erfahren weiter, daß der Malaie in seinem Segelboot die Moken monatelang auf ihren Fahrten begleitet und mit ihnen Freuden und Leiden teilt. Er füllt sein Boot mit Ambra, dem kostbaren Walprodukt, Perlen, Perlmutter, Muscheln und Schnecken aller Art, mit Seegurken und eßbaren Vogelnestern, die die Moken für ihn sammeln. Dafür bekommen sie Reis, gesalzene Fische und Opium von ihm.

Es ist dies eine für den ganzen Archipel charakteristische Erscheinung. Fast bei jeder größeren Mokengruppe ist ein Malaie oder Chinese zu finden, der sich an sie heftet wie die Biene an den Honigtopf. Um diese eigenartige Symbiose zu verstehen, muß man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Die Moken sind der letzte Rest eines primitiven Urvolks in Hinterindien, das von späteren Völkerwellen abgedrängt wurde. Auch nachdem die Moken zwischen den schwer zugänglichen Merguiinseln ihre letzte Zufluchtsstätte gefunden hatten, waren sie ständig der Unterdrückung höherer Kulturvölker ausgesetzt gewesen. Chinesische Händler, malaiische Sklavenjäger, die regelrechte Jagden auf sie veranstalteten, und siamesische Seeräuber haben aus ihnen im Laufe der Jahrhunderte das unendlich scheue, ängstliche Volk gemacht, das sie bis heute sind. Seit alters her sind sie, die keine andere Waffe als den Fischspeer kennen, gewohnt, zu flüchten, menschliche Siedlungen zu meiden, ewig voll Angst, immer in Bewegung, von Insel zu Insel zu ziehen, von allen betrogen, ohne Freuden und ohne Wissen um die Außenwelt. Dem einsamen Chinesen oder Malaien aber sind sie ergeben, sein Boot erkennen sie aus weiter Ferne. Ihm schließen sie sich an, denn durch seine Gegenwart sind sie vor anderen Verfolgern geschützt. Er aber weiß seine Machtstellung zu befestigen: Er lockt mit Bequemlichkeit, indem er »seine« Moken mit Lebensmitteln versorgt und sie nun nicht ausschließlich auf das mühevolle Sammeln angewiesen sind. Er macht sie opiumsüchtig und erreicht damit, daß die Männer um der ihnen unentbehrlich gewordenen Droge willen zu jeder Leistung bereit sind und ihm die oft sehr kostbaren Meeresprodukte um einen Bruchteil des wahren Wertes abliefern. Meist heiratet er auch eines der Mokenmädchen, da er genau weiß, daß verwandtschaftliche Bande bei diesen Eingeborenen eine große Rolle spielen, ja die einzigen Bande sind, die sie überhaupt anerkennen.

Daß sich die Moken im übrigen wohl bewußt sind, von ihrem Malaien übervorteilt zu werden, beweist ihr Ausdruck für Händler »nyuko«, das heißt »ganz schlechter Mensch«. Da sie aber nur die Wahl haben, vogelfrei von allen Seiten verfolgt oder nur von einem Händler ausgebeutet zu werden, wählen sie das kleinere der beiden Übel. Schlau wie er ist, flößt nun »der ganz schlechte Mensch« den Moken eine geradezu unüberwindliche Angst vor der anglo-burmesischen Regierung ein, um zu verhindern, daß sich die Unterdrückten um Hilfe an sie wenden.

Angesichts dieser Sachlage, die sich übrigens bei fast allen heute noch lebenden Primitiven in dieser oder jener Form vorfindet, wird es uns klar, daß wir nur durch die Vermittlung eines solchen Händlers mit den Moken in Verbindung treten können.

Der Malaie kennt eine Bucht, in der sich bereits einige Mokengruppen für die bevorstehende Regenzeit Hütten erbaut haben. Er soll uns morgen dorthin geleiten.

Da es Abend geworden ist, übernachten wir neben den Moken. Nun haben wir sie endlich gefunden, die scheuen Nomaden des Meeres, die uns schon so oft entwischten!

Da hocken Frauen und Kinder in den Booten und erwarten die Männer, die an Land gegangen sind, um wilden Honig zu suchen. Mit angstvollen, scheuen Blicken sehen sie zu uns herüber – wie ein im Walde aufgestöbertes Wild. Fürchten sie, daß auch wir sie ausrauben oder entführen werden, um sie als Sklaven zu verkaufen?

 

Am Morgen nehmen wir den Malaien an Bord. Er lotst uns hinaus über das offene Meer, daß die Wellen unseren braven Schoner nur so tanzen lassen. Wir erreichen Lampi Island und fahren lange Zeit die Ufer und zahlreichen Buchten dieser großen Insel ab. Langsam gleitet die Yan Chin durch eine schmale Enge zwischen zwei Inseln. Der lange Tema steht vorne am Bug und lotet die Untiefen aus. Es fehlt nicht viel und wir bleiben stecken. Der Kapitän brüllt den Steuermann an, die Matrosen laufen kopflos hin und her, denn schon schleift unser Kiel an einer Klippe. Da, eine rasche Wendung, und wir kommen durch. Wie ein spiegelglatter See liegt plötzlich eine von Urwald umrahmte Bucht vor uns. Und dort sind die Mokenboote – zehn – zwanzig – dreißig!

Wir gehen an Land und erfahren, daß auch diese Moken sich »unter den Schutz« eines Malaien gestellt haben. Er heißt Hadschi Abdu und bewohnt ein Holzhaus am Strande. Sein glattes Gesicht, sein nach allen Seiten unruhig spähender Blick flößen uns kein großes Vertrauen ein. Er erzählt, daß sich die Moken vor etwa 14 Tagen hier gesammelt und die meisten von ihnen schon kleine Hütten am Strande errichtet hatten, um sich für einige Wochen niederzulassen und ihre Boote in Ruhe auszubessern.

Doch nicht dies allein ist der Grund, warum die Nomaden sich hier niedergelassen haben. In der Regenzeit, wenn das Fischen und Sammeln beschwerlich wird, ziehen sie es vor, eine sichere Nahrungsquelle zu besitzen. Diese aber bietet ihnen der Malaie, der Teilhaber eines Bergbauunternehmens ist. Auf Lampi Island gibt es Zinnvorkommen. Die Moken waschen das 70- bis 75prozentige Erz auf ganz primitive Weise mit Holztellern, liefern es dem Malaien ab und bekommen von ihm je nach Menge und Schwere des Erzes Opium, Reis und Tabak. Es liegt aber nicht in der Natur der Moken, irgendein fixes Arbeitsverhältnis einzugehen. Sie waschen Zinn solange es sie freut – und sind plötzlich eines Morgens mit ihren Booten wieder verschwunden. Hadschi Abdu aber ist ohne Sorge. Er weiß, wie sehr das Opium lockt, seine wilden Kinder kehren immer wieder zu ihm zurück.

Hadschi Abdu will uns nicht hierbehalten. Er erfindet tausend Ausreden, um uns zu veranlassen, uns einer anderen Mokengruppe anzuschließen. Im Norden, auf der anderen Seite der langgestreckten Insel, würden wir »ganz wilde« Moken finden, meint er. Diese Möglichkeit lockt so sehr, daß wir unsere Odyssee nochmals zu beginnen beschließen. Sobald ich dies bekanntgebe, entsteht eine wahre Meuterei an Bord, denn Seeleute nach unserem Begriff sind unsere Schiffer nicht. Sie sind wasser- und windscheu und können es kaum erwarten, wieder an Land zu schlafen. Schließlich tut aber doch jeder mit mürrischem Gesicht seine Pflicht. Still und stumm durchfahren wir bei steigender Flut wieder die schmale Riffpassage.

Doch es lohnt sich diesmal nicht. Zwar stoßen wir am nächsten Tag tatsächlich auf vier Mokenboote, die größere Anzahl die Individuen in der »Residenz« des Malaien ist aber unbedingt vorzuziehen. So machen wir einige Aufnahmen und kehren zu Hadschi Abdu zurück.

Dessen Freundschaft heißt es nun gewinnen. Das ist nicht allzu schwer, Geld heißt das Losungswort.

Bald löst sich vorsichtig ein schwer beladenes Mokenboot von unserem Motorsegler und trägt unser Gepäck an Land. Am Strande kauern die dunkelhäutigen Gestalten der Moken und sehen stumm und bewegungslos der Ankunft der Fremden entgegen.

Wir finden nicht weit von der kleinen Siedlung unter dicht belaubten alten Bäumen einen idealen Lagerplatz. Doch kaum beginnen unsere Burschen mit Haumessern den Boden vom Gestrüpp zu reinigen, gebietet ihnen der Malaie Einhalt. Der alte Banyunbaum sei der Wohnsitz böser Geister, die sich bitter rächen würden, wollten wir sie in ihrem Frieden stören. Es folgt eine lange Unterredung. Als wir aber feststellen, daß weder der Malaie noch die Moken, sondern ausschließlich wir die Rache der Geister zu fürchten hätten und auch kein anderer annähernd so günstiger Lagerplatz in der Nähe zu finden ist, entschließen wir uns dennoch, den bösen Geistern ihren Wohnsitz streitig zu machen. In wenigen Stunden steht unser neues Heim in ihrem Bereich und unser Schicksal in ihrer Macht.

Nur wer das Lagerleben kennt, kann ermessen, wie wohl wir uns nun fühlen nach dem mühevollen Boots- und Wanderleben der letzten Wochen. Wir sitzen auf bequemen Klappstühlen vor unserem Wohnzelt und blicken nach Westen. Vor uns liegt der schmale weiße Sandstrand, das blaue Meer, und in der Ferne ragen von Brandungswellen umtoste Felsberge und Inselstriche empor. Auf der anderen Seite aber läßt eine kleine Lichtung den Blick auf die grüne undurchdringliche Wand des Urwaldes frei. In tiefen Atemzügen ziehen wir den köstlichen Duft der feuchten Erde ein und lauschen den geheimnisvollen Stimmen, die zu uns herüberdringen, bis es Abend wird. Nur ab und zu fallen die Nüsse des Banyunbaumes mit lautem Krachen auf unsere Zeltwand nieder.


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