Richard Arnold Bermann
Die Derwischtrommel
Richard Arnold Bermann

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Der Freund

Ein Steppenaraber von den Taaischa, Abdullahi nennt man ihn, macht sich auf den Weg, um einen heiligen Derwisch aufzusuchen, von dem er gehört hat.

Der Stamm der Taaischa im Lande Fur gehört zu dem großen Volke der Baggara; das sind die weithin schweifenden Rinderhirten der südlichen Steppe. Die furchtbaren Reiter der Taaischa sind in den Negerdörfern gefürchtete Sklavenjäger.

Dieser Abdullahi, der jetzt nach Abba will, ist der Sohn des Mohammed Adam, genannt Turschain (das ist: häßlicher Ochse) – eines gottesfürchtigen Mannes, der sehr erfahren war im Lesen der Vorbedeutungen, die man aus den Figuren im Sande erkennt. Vor jeder Razzia kamen die Beduinen zu ihm, um ihn zu fragen, ob der Raubzug Erfolg haben würde; auch rezitierte er die Machtvollen Namen, so daß sie Gewalt über die Waffen der Feinde gewinnen konnten. – Von seinen vier Söhnen ist Abdullahi einer. Er hat nicht die Kenntnis der Schrift noch der Gelehrsamkeit, dafür ist er ein Krieger, angesehen bei seinem Stamme. Da Sibêr Rahamet in Dar-Fur einfällt und das Land unterjocht, bekämpft Abdullahi ihn. Im Kampfe wird er gefangen; Sibêr schenkt ihm sein Leben.

Bald darauf stirbt Abdullahis Vater, der weise Zeichendeuter, und sterbend rät er dem Sohn eine Wallfahrt an. Er soll einen gewissen heiligen Mann besuchen, der auf einer Insel im Nil wohnt.

*

Abdullahi der Taaischi geht barfuß neben seinem Esel einher, der den Wasserschlauch trägt. So geht er, mit seiner Lanze bewaffnet, durch viele und weite Länder: nie hatte er geahnt, daß Allah die Welt so groß gemacht hat. Unterwegs kommt er durch die Siedlungen von Menschen, die die Baggara hassen: sie nennen sie Räuber und stinkende Rinderdiebe!

Da er sich der Nilinsel Abba nähert, vernimmt er, daß der Sajjid Mohammed Achmed sie wieder verlassen hat. Er ist nach Messalamieh gegangen, um seinen Ordensscheich zu begraben, den greisen Koreïschi. Abdullahi der Taaischi treibt seinen mageren Esel weiter, auf Messalamieh zu.

*

Mohammed Achmed ist nach dem Tod seines alten Scheichs nun selbst das Haupt seines Ordens, »Herr des Gebetteppichs«, wie man es ausdrückt. Es geziemt ihm nunmehr, mit eigenen Händen die Grabeskuppel über den Überresten seines geistlichen Vaters zu wölben.

Man hat den Greis an der Stelle begraben, an der er gestorben ist; Mohammed Achmed und seine vielen Jünger formen Ziegel aus Lehm und bauen das würfelförmige Grabgebäude, das später eine weißgetünchte Kuppel krönen soll. Es ist fromm und verdienstlich, diese Arbeit zu tun, und von allen Seiten strömen die Muselmanen herbei, um ein paar Tage lang Lehm zu kneten oder die getrockneten Ziegel herbeizuschleppen, unter vielen Gebeten und lautem Vortrag von Suren aus dem Koran. Mohammed Achmed selbst legt Hand an, und so sieht ihn Abdullahi zum erstenmal: wie er an der halb fertigen Mauer des Heiligengrabes steht, mit einem Gefäß voll Lehm zu seinen Füßen, und Ritzen zwischen den Ziegeln verschmiert.

Der Pilger, am Grabe angelangt, grüßt erst den Toten: »Friede sei mit dir, o Scheich!« – Dann geht er langsam um die Grabstätte, die Fat'ha rezitierend, die hochmächtige Sure der Eröffnung:

»Gelobt sei Allah, der Herr der Welt, der Barmherzige – –«

Der Beter achtet wohl darauf, am Ende »Amen!« zu sagen, nach dieser Sure darf das Wort nicht unterlassen werden, so hat der Engel Gabriel selbst den Propheten gelehrt. Dann hockt Abdullahi der Taaischi, der seinen Gang um das Grab vollendet hat und der vielleicht keine andere Sure zu sagen weiß, denn er ist ungelehrt, im Schatten der Mauer nieder und starrt lange zu Mohammed Achmed hin, der bald mit seinen geschickten Zimmermannshänden kräftig am Werk ist, bald zu der Menge spricht, die ihn auf Schritt und Tritt umringt. Er lächelt die ganze Zeit, und Abduhlahi, der nur ganz von fern zu ihm hinzublicken wagt, glaubt einen Duft von ihm wehen zu spüren, der berauscht und froh macht. Lang sitzt Abdullahi der Taaischi da, ganz schüchtern und zitternd.

*

Abdullahi, Sohn Mohammeds, ist groß, mager und knochig, ein wenig älter als Mohammed Achmed, ein echter Beduine mit einer Hakennase, sein Gesicht ist lichtbraun und pockennarbig, der Bartwuchs spärlich. Das mit großen Flicken benähte Derwischhemd, das er trägt, ist nicht mehr sauber: wie alle Baggara ist er dem Genuß von flüssiger Butter sehr ergeben, und seine Kleider sind davon immer fettig.

Erst als die Sonne sinkt und die Stunde des Abendgebets nicht mehr fern ist, reißt er sich aus diesem Rausch, dieser Verzückung, diesem stummen Staunen und tritt auf den Heiligen zu. Mit gesenktem Blick bringt er seine Bitte vor: er möchte den Eid der Treue leisten, der Diener und Schüler Mohammed Achmeds sein, bis zur Todesstunde.

Die beiden sehen einander fest ins Auge. Das Lächeln Mohammed Achmeds flackert auf wie ein leuchtendes Feuer, in das neuer Brennstoff gefallen ist. Er nickt langsam mit seinem Kopf.

*

Der heilige Scheich heißt seinen neuen Jünger erst Wasser und einen Gebetteppich holen und die religiöse Waschung vollziehen. Dann stehen die beiden Männer einander gegenüber, in einem Kreis von zusehenden Frommen, und verschränken die Hände auf eine besondere Art, die sonst beim zeremoniellen Verlöbnis zwischen Mann und Weib verwendet wird. Der lange Ärmel des Scheichs verhüllt sorgsam diese verschlungenen Hände wie ein Geheimnis.

Nun befiehlt Mohammed Achmed dem Beduinen, ihm die Worte nachzusprechen, die er ihm langsam vorsagen wird. Erst ein Sündenbekenntnis:

»Ich erflehe Verzeihung von Gott, dem Großen – –«

Dreimal muß Abdullahi das sagen. Dann:

»– – außer dem es eine andere Gottheit nicht gibt, dem Lebenden, dem Immerwährenden.«

– »Zu ihm wende ich mich mit Reue hin, seine Gnade erflehe ich, seine Verzeihung und von dem Höllenfeuer Erlösung.«

– »Wendest du dich zu Gott mit Reue?« fragt nun Mohammed Achmed mit einem gütigen Ausdruck, der den Jünger entzückt.

Er antwortet, nachdem der Scheich ihm den Satz erst vorgesagt hat:

»Ich wende mich zu Gott mit Reue; wegen meiner Taten bin ich betrübt; ich will nicht rückfällig werden!«

Und nun, mit einem Erzittern, küßt Abdullahi der Taaischi die noch ein wenig mit Lehm bespritzte Hand seines Meisters und sagt, laut, rauh, heftig die Worte des großen Eides:

»Ich erbitte Gunst von Gott dem Großen und dem edlen Propheten, auf dem die Gnade sei und das Gebet, und als Führer zu Allah, gepriesen sei sein Name, wähle ich meinen Herrn, den Sajjid Mohammed Ibn Sajjid Abdallah, entschlossen, niemals zu schwanken, nie mich von ihm zu trennen. Gott ist unser Zeuge. Bei Gott dem Großen!«

Dreimal wiederholt er den Eid. Dann sagen sie gemeinsam die Sure Fat'ha. Sie sind einander für immer verbunden.

*

Da der Bau des Grabes vollendet ist, man sieht die grellweiße Kuppel von fern her, kehrt Mohammed Achmed auf seine Insel zurück. Er reitet auf einem Esel, und die Seinen schreiten hinter ihm, ein großes und lautes Gefolge. Vor dem Esel aber geht der Baggara Abdullahi und trägt ein großes schwarzes Banner, mit Koranversen als Inschrift, die Abdullahi nicht lesen kann.

Das Banner ist schwer, der Weg ist weit, Abdullahis Sandalen sind ganz durchlöchert. Er hinkt ein wenig, scheint leidend. Dennoch treffen neidische Blicke seinen Rücken. Die Anhänger Mohammed Achmeds sind fast alle Danagla, Männer von Dongola, aus seinem eigenen Stamm, oft seine Blutsverwandten. Am Blauen Nil sind einige Araber aus den Wüsten am Roten Meer zu ihnen gestoßen. Abdullahi, der Baggara, ist unter all diesen Kamelarabern der einzige, der nach Kühen riecht und ihnen schon deswegen sehr verhaßt. Sein Dialekt klingt fremd und sehr lächerlich. Seine Sitten sind anders und gelten als roh. Daß der heilige Scheich sein Banner in die stinkenden Klauen dieses Beduinen gelegt hat! – Sie sagen es ganz laut vor Abdullahi, des Abends am Feuer. Er, ein Einsamer unter den vielen, ballt die Faust und kann doch nicht erwidern, daß alle Danagla Diebe sind, nach Kamelmist stinken, und daß bekanntlich jeder von ihnen ein Schaitan in Menschengestalt ist. Das hieße den Meister beschimpfen, Mohammed Achmed, der selber aus Dongola stammt.

*

Niemals während der Tage des Marsches spricht Mohammed Achmed mit dem Baggara; obgleich er das Banner trägt, ist er der geringste der Brüder, die Probezeit ist noch nicht um. Ein älterer Derwisch, Ali, hat den Auftrag erhalten, den Novizen zu unterweisen und ihn zu belehren. Er findet ihn nicht ohne raschen Verstand, doch vollkommen unbelehrbar. Statt über die Eigenschaften des Propheten Mohammed zu meditieren, denkt er nach, wie es möglich wäre, über die Türken zu siegen: so und so viele Baggara-Reiter müßte man haben, mit Lanzen und Radschloßgewehren. – – Am Lagerfeuer, des Abends, versucht Ali vergebens aus diesem Mann einen Derwisch zu machen, einen, der im Geist mit der Gottheit verschmilzt, der sich in Ekstasen ihr hingibt. Nur wenn von dem Scheich gesprochen wird, von Mohammed Achmed, kennt Abdullahi Ekstasen, Anwandlungen von Geistigkeit. In solchen Augenblicken deutet er manchmal in mystischer Weise auf geheime Dinge hin, die er weiß: sein Vater, der Geomant, der bei den Baggara hochberühmte Zeichendeuter, hat sie ihm verkündet, als er im Sterben lag und mit seiner letzten Kraft noch dem Sohne auftrug, an den Nil zu reisen, zu dem Derwisch Mohammed Achmed. Denn dieser, hat der sterbende Vater gewußt, dieser ist – –

»Was?« fragt begierig der alte Ali.

Aber Abdullahi verstummt. Man wird schon sehen. Jetzt ist es noch nicht an der Zeit, davon zu sprechen!

*

Unterwegs, wie er dem marschierenden Zuge vorangeht, mühsam ausschreitend unter der Last des großen Banners, zu den Klängen der Derwischtrommel, die rastlos hinter ihm dröhnt, – fühlt Abdullahi manchmal, ja, er fühlt deutlich auf seinem gebeugten Rücken, wie eine Liebkosung, den Blick des Mannes, dem er dieses Banner voranträgt. Er dreht sich nicht um, er wagt es nicht, aber er richtet sich straffer auf, er vergißt seine wunden Füße und daß diese Danagla, Söhne von Hunden, ihn immer so furchtbar beleidigen. Immer weiter, immer weiter will er so gehen, durch den ganzen Sudan, durch die ganze Welt, mit dem schwarzen Banner Mohammed Achmeds, vor dem der Ungläubige noch zittern soll und der Turk sich beugen.

*

Nachdem sie auf Abba angelangt sind, unter viel Schreien und Freudenschüssen und großem Paukengetöse, erhält der Novize Abdullahi eine kleine Hütte mit einem spitzen Strohdach angewiesen, nicht weit von der großen, in der jetzt Mohammed Achmed für gewöhnlich lebt, denn nur zur Kasteiung geht er manchmal noch in die Höhle.

In dieser kleinen kegelförmigen Hütte wird Abdullahi sehr krank. Eine Ruhr verzehrt ihn, macht ihn ganz schwach. Der alte Derwisch Alî pflegt ihn nicht ohne Güte; sonst betritt kein menschliches Wesen die Hütte.

Eines Tages nimmt Alî den Wasserschlauch und geht zum Nil, um Wasser zu holen, – und kommt niemals wieder. Viel später erst wird Abdullahi erfahren, daß er an einer seichten Uferstelle ins Wasser gegangen ist und daß ein Krokodil ihn am Bein gepackt hat.

Abdullahi, auf seiner sudanesischen Bettstatt in der kleinen Hütte, wartet lange auf den alten Derwisch und noch sehnsüchtiger auf das Wasser; dann verschwimmt alles im Fieberfeuer. Der Kranke ist ganz allein und vergessen, und doch dringt der Lärm des Dorfes bis in die Hütte. Mehr als einmal hört er im Fiebertraum die milde Stimme seines heiligen Meisters; vielleicht sitzt er draußen unter dem Schattendach und spricht zu der Menge, die um ihn ist.

Der Baggara Abdullahi liegt da, er weiß nicht wie lange. Ist ein Tag vergangen? Ist eine Woche vergangen? Es muß gegen Abend sein; es wird dunkel. Draußen singt jemand ein Lied:

»Von Liebe verstört ist mein Herz – –
– – O Gazelle unter den Gazellen von Jemen;
Ich bin dein Sklave, obgleich nicht erkauft.
O Mohammed – – «

Abdullahi der Taaischi hört das Lied und muß weinen, weil er nun sterben wird, das weiß er. Er möchte hinaus aus der Hütte, schreien – –

Er ist ganz schwach. Nur seine Hand bewegt sich noch, und das Bettgestell knirscht unter seiner Last.

Auf einmal steht Mohammed Achmed in der Hütte. Hinter ihm kommt eine von seinen Frauen herein, die Tochter seines Oheims Mohammed Scharfî. Sie trägt eine Kürbisschale, aus der ein Dampf kommt. Mohammed Achmed nimmt ihr die Schale ab und tritt damit näher, bis zu der Angareb-Bettstatt, auf der der Kranke liegt. Er setzt sich an ihren Rand, mit seinem Lächeln. Abdullahi kann sich nicht regen, aber seine Sinne sind wunderbar wach. Das grobe Gewand, das der Heilige trägt, erscheint ihm so weiß, es leuchtet durch das Dunkel der Hütte; die bunten Flecke, die aufgenäht sind, schimmern wie Edelsteine. Und jetzt schließt der Kranke die Augen, er kann den Glanz nicht ertragen. Da riecht er himmlische Düfte.

Er erwacht wieder aus der Ohnmacht, die ihn befallen hat. Er ist ganz froh, ganz stark, er kann nur nicht sprechen. Der Freund sitzt neben ihm, der zu ihm gekommen ist. Er reicht ihm die Kürbisschale, in der Medida ist, ein Mehlbrei, mit heißer Butter bereitet.

Jetzt spricht er mit seiner herrlichen Stimme: »Trinke dies und vertraue auf Gott!«

Abdullahi der Taaischi vertraut noch mehr auf den heiligen Freund als auf Gott. Er führt die Schale an seine Lippen, er trinkt, er ist schon gesund, er weiß es, er ist schon stark – –

Auf einmal sitzt er, mit einem Ruck hat er sich aufgerichtet, seine Augen sind weit geöffnet und sprühen Licht. Er sagt mit lauter Stimme, was er schon so lange gedacht hat. Das, was sein sterbender Vater ihm anvertraut hat:

»Du bist der Erwartete Mahdi!«


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