Richard Arnold Bermann
Die Derwischtrommel
Richard Arnold Bermann

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Die Insel

Der junge Derwisch, den der Scheich der Sanamanîjja Tarîka von seiner Schwelle gejagt hat, lebt nachher jahrelang auf der Insel Abba im Weißen Nil.

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Auf der bewaldeten Insel in der Nähe des Negerlandes ist ein Mann von Dongola ansässig, Achmed Scharfî. Bei ihm leben die Söhne seines verstorbenen Neffen. Dieser Verstorbene, der Abdallah geheißen hat oder der Sajjid Abdallah, denn er hatte stets behauptet, den Titel führen zu dürfen, der den Abkömmlingen des Propheten gebührt, – ist ein trefflicher Bootszimmermann gewesen, geschickt im Bau von großen und kleinen Schiffen und von Schöpfrädern, wie sie am Ufer des Flusses in den Feldern gebräuchlich sind. Auch die vier Söhne des Mannes haben dieses Handwerk gelernt. Die Familie stammt von der ägyptischen Grenze, von Dongola. Seit dem Tode Abdallahs haben die Söhne ihre Heimat bei ihrem Oheim auf Abba. Der älteste heißt Mohammed, dann kommt Hamed, dann Mohammed Achmed; der jüngste, Abdallah, ist nachgeboren. Die Brüder des Derwischs Mohammed Achmed sind kraftvolle, einfache Menschen, gewandt in dem Handwerk ihres verstorbenen Vaters, das sie auch auf Abba erfolgreich betreiben. Überall, nilauf, nilab, kennt man die ausgezeichneten Barken aus Akazienholz, die diese begabte Familie baut. Auch Mohammed Achmed hat das Zimmermannshandwerk erlernt, und er hat es auch noch als Derwisch mehr als einmal betrieben, denn ein weltlicher Arbeitsberuf ist den Jüngern der Orden nicht untersagt. Indessen sind Oheim und Brüder nun, da der Wanderer auf ihre Insel zurückkehrt, mit Freuden bereit, für ihn zu sorgen, auch wenn er niemals arbeiten wollte. Er ist für sie der Gelehrte, der Fromme, der Stolz der Familie, der ihren Anspruch auf die hochheilige Abkunft vom Propheten Allah erweisen und durchsetzen wird. Die beste Hütte des mit Dornen umhegten Gehöfts, in dem der Großoheim mit den Seinen wohnt, gehört dem Heiligen des Geschlechts.

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Keine Ordensregel verbietet dem Derwisch die Heirat. Er hat zwei gesetzliche Frauen, die beide Fatima heißen und beide seine leiblichen Basen sind, die eine die Tochter seines Vaterbruders, die andere seines Großoheims auf der Insel Abba. Aber er wohnt nicht bei seinen Weibern in seiner Hütte; sie kommen nur täglich zu ihm in das höhlenartige Loch im Ufer des Nils, wo er als Einsiedler haust. Sie kommen, zwei keusch verhüllte Gestalten, schwesterlich schwatzend zur Höhle, küssen ihrem Herrn die Hand, füllen seine hölzerne Bettelschale mit Durrhagrütze oder gedörrtem Fischfleisch.

So lebt Mohammed Achmed. Er trägt nichts am Leibe als ein Hemd aus rauhem Stoff. Ist es zerrissen, dann müssen die Weiber es mit Flicken benähen; ist es schmutzig, dann müssen sie es sorgfältig waschen. Nie duldet er an sich und um sich Unreinlichkeit. Er hat einen Gürtel aus Palmstroh und eine Schädelkappe aus dem gleichen Flechtwerk. So kann man ihn manchmal auf den Feldern des Oheims arbeiten sehen. Dann bemüht er sich wie irgendein Negersklave. Er wartet Kamele und Esel; ein andermal hilft er den Brüdern auf ihrer Werft; er weiß die Zimmermannsaxt sehr wohl zu gebrauchen. Indessen, er arbeitet nicht zum Erwerb oder weil es von ihm verlangt wird: nur sich selbst will er seine Demut beweisen. Meistens sitzt er doch, fern von den Seinen, fremd den Seinen, in dieser einsamen Höhle im Ufergestrüpp.

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Vor dem Eingang der Höhle hat er ein Schattendach, vier Pfähle, mit Laub gedeckt, darunter steht sein Angareb, das sudanesische Ruhebett aus Rahmenlatten und Lederriemen, das im Sudan auch der Ärmste hat. Hier pflegt der Derwisch die Stunden des Tages zu verträumen, die nicht dem Gebet gehören und den endlosen mystischen Übungen, durch die er den Leib zu betäuben, die Seele müde zu machen sucht, so daß sie sich völlig Allah ergibt, in die Gottheit einschmilzt.

Oft dauert es wochenlang, ehe er wieder aus der Höhle ans Tageslicht kommt, in der er gebetet, geschrien, gefastet hat. Dann wieder kommen Tage, an denen er ausruhen muß, Kräfte sammeln und träumen.

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Unter dem Strohdach liegt er und blickt auf den fließenden Nil. Der Nil ist sein ältester Freund, seine wirkliche Heimat. Auf einer Insel wie dieser ist Mohammed Achmed geboren worden, auf Darar bei Dongola, in einem aus Nilschlamm gekneteten Dorf unter Dattelpalmen. Das melancholische Singen des Schöpfrads, das aus dem Nil das Wasser ans Ufer hebt, ist seine erste Erinnerung. Der Nil bei Dongola, bald idyllisch zwischen den grünen Gärten und Feldern strömend, bald stürmisch in Katarakten gegen die Felsen tobend, das ist das erste Erlebnis dieses Menschen gewesen, es ist, als ob ihm der Nil durch die Adern flösse, dunkel, uralt, geheimnisvoll, gefährlich, befruchtend, vernichtend. Sein Vater, der Bootszimmermann, hat ihn fast noch als Säugling mit ans Wasser genommen; ehe er gehen konnte, schwamm er mit anderen nackten Kindern im Nil herum; später einmal hat ihm der Vater ein ganz kleines Boot gemacht, und er hat es mit den Händchen paddelnd gerudert.

Den Nil hat er nie aus seinem Leben verloren, auch nicht, als sein Vater später die Seinen mit sich stromaufwärts genommen hat, nach Khartum und Kerreri, wo der Bootszimmermann bis zu seinem verfrühten Tode gearbeitet hat. Mohammed Achmed kann in seiner Erinnerung das Bild des Vaters vom Nil nicht trennen. Er sieht ihn halbnackt im seichten Wasser ein beschädigtes Boot reparieren oder in der Werft am Ufer mit einer Axt in der Hand.

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Aber der Vater Mohammed Achmeds ist nicht ein gewöhnlicher Mensch gewesen, zufrieden, wenn er das nötige Essen erarbeitet hatte. Er war im Koran und in den Traditionen erfahren fast wie ein Fikih, ein Schriftgelehrter. Nie hat er eines von den fünf Tagesgebeten versäumt, seine Kinder hat er Suren sagen gelehrt. Immer und immer hat er beteuert, was die Dorfleute daheim niemals glauben wollten: daß an ihm von den Ahnen her etwas Besonderes sei, eine unfaßbar herrliche Heiligkeit. Seine Vorfahren hätten nicht immer am Nil gewohnt. Sie wären mit dem Heer der alten arabischen Eroberer von Osten gekommen, aus Medina, der Stadt des Propheten Mohammed – und von dem Stamm des Propheten selber seien sie gewesen. Nachkommen Fatimas, der Tochter Mohammeds und seines Vetters Alî. Zugleich mit der ersten Sure, die er beten gelernt hat, hat Mohammed Achmed eine erhabene, eine fast göttliche Ahnenreihe hersagen müssen.

»Ich bin der Sajjid Mohammed Achmed, Sohn des Sajjids Abdallah, Sohnes des Fahl, der der Sohn des Abd el-Welî war, Sohnes des Abdallah, Sohnes des Mohammed, Sohnes des Mekkapilgers Scherif, – der der Sohn war Alîs, des Sohnes des Achmed, des Sohns des Alî. Sohnes des Hasb en-Nebî, Sohnes von Sabr –«

Der Knabe hat die Namen der Ahnen weitergesprochen in ihrer aufsteigenden Reihe. Der Vater des Urahnen Sabr, irgendwann in den dunklen Jahrhunderten, heißt Abd el-Kerîm, dann kommen Hussain, Aun-Allah, Nadschm ed-Dîn, Otmân, Musa, Abu al-Abbas, Junus, Otmân, Jaqûb, Abd el-Kâdir, Hassan el-Askarî – –

»Sohn Ulwâns«, hat der Knabe weiter gelernt, »des Sohnes des Abd el-Bâquî, Sohn des Sachra, Sohnes des Jaqûb, Sohnes des Hassan es-Sibt, der der Sohn war unseres Herrn, des Imams Alî, Sohnes von Mohammeds Oheim Abu Tâlib – –«

Bei den mehr als heiligen Namen des Khalifen Alî, des Märtyrers Hassan und jenes anderen Hassan, genannt el-Askarî, von dem nach den Traditionen der zwölfte Imam seine Abkunft herleiten muß, der Erwartete, der später den Islam vollenden soll, – treten dem Knaben Tränen des Stolzes in seine Augen. Das sind seine Ahnen, obwohl die anderen Jungen über den unerwiesenen Anspruch spotten, ja, er ist der Sajjid Mohammed Achmed ibn es-Sajjid Abdallah, ein »Scherif« aus dem Haus des Propheten Allahs, auf dem der Segen sei und das Gebet – –

Vielleicht ist es das, was den Knaben zu solchem Fleiß gedrängt hat, in den Medressen von Kerreri und Khartum, wo er, zu den Füßen des Fikih hockend, das Lesen lernte und die heiligen Texte. Mit neun Jahren hat er den ganzen langen Koran aus dem Kopf zu rezitieren vermocht, als ein kleines Wunder hat er schon damals gegolten; die Mutter war stolz, die Oheime, seine Brüder – –

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Der Einsiedler von Abba, auf seinem Lager am Eingang der Höhle, träumt weiter von den Jahren, da er der Jünger größerer Meister gewesen ist, heiliger Scheichs: Scheich el-Emîr, im Flußland zwischen den beiden Nilen, dann bei Scheich Mohammed el-Kher in Berber. Wieviel Lernen, wieviel Fasten, wieviel harte und knechtische Arbeit am Tag, welches Wachen und Beten, Beten und Wachen bei Nacht! –

Bis er sich eines Tages in zitterndem Zweifel geprüft hat, ob er nun würdig wäre, dem großen Heiligen Allahs als Knecht und Schüler zu dienen, dem Oberhaupt der Sammanîjja Tarîka, Mohammed Scherif –

Der ihn schließlich nach vielen Jahren des Dienstes und der Treue von seiner Schwelle gejagt hat wie einen unreinen Hund – –

Wenn seine Gedanken bis dorthin geflossen sind, bis zu der entsetzlichen Schmach jenes Tages, flüchtet Mohammed Achmed mehr als einmal in dieses finstere Erdloch, das er sich als Zuflucht vor eben diesen Gedanken gegraben hat, und beginnt aufs neue die Wonne sowohl als Marter bedeutender Übungen, die mehr als Gebet sind und mehr als Aszese; in ihnen steckt eine Magie, die Macht verleiht, die Unsichtbare beschwört, mystische Wesen zur Hilfe zwingt, vielleicht auf die Gottheit selber bestimmend einwirkt – –

Da ist die »Riada«: der aszetische Büßer, in sauberen Kleidern und strenge fastend, wiederholt durch Tage und Tage zwei von den Namen Allahs: »Jâ Kerîm, jâ Rahîm!« »O du Großmütiger, du Erbarmer!« Nicht willkürlich; genau bestimmte und kabbalistisch bedeutsame Zahlen regeln die Wiederholung der Gebete, der Gesten. Einundzwanzigmal nach dem Morgengebet die hundertundneunte Sure: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht, was ihr verehrt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre; noch werde ich je verehren, was ihr verehrt, noch werdet ihr je verehren, was ich verehre; euch sei eure Religion, mir die meine – –« Dies einundzwanzigmal, darauf alle neunundneunzig Namen Allahs, dreimal, dann die beiden Namen: Jâ Kerîm, jâ Rahîm, ohne die geringste Pause immer wieder, immer wieder, bis in die Nacht hinein, nur unterbrochen von den nötigsten Leibesverrichtungen; zwischendurch zu einer bestimmten Stunde tausendmal das Gebet für den Propheten (»Gott segne und bewahre den Propheten!«). Manchmal wird eine gewisse Formel gesagt, die sehr geheim ist; der Beter liegt vorwärts gebeugt mit der Stirn im Staub. Dann wieder die beiden Namen, so oft mal hintereinander, als die Buchstaben, die sie bilden, Zahlenwert haben – –

Tag und Nacht, Tag und Nacht. Der Beter nährt sich spärlich von getrockneten Trauben, etwas Mehl, Öl und Essig. Während der ganzen Zeit dampfen neben ihm Wohlgerüche, die in einer besonderen Räucherpfanne brennen müssen, Benzoëharz, Amber, andere und geheime Mittel, die schwer duftende Nebel erzeugen. Der Beter, trunken von Allah, von seiner singenden Stimme, den Bewegungen seines Kopfes, mag schließlich Gesichte sehen: Unbekannte kommen zu ihm, er hat sie herabgezwungen, sie sind ihm zu Diensten verpflichtet. Formlose Wesen aus einer anderen Welt, leuchtende oder düstere, tauchen plötzlich auf, Stimmen beginnen zu sprechen, sie sagen ungeheure Dinge – –

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Diese geheimen Stimmen, die zu ihm sprechen, geben dem Gedemütigten wohl sein Selbstvertrauen zurück, und viel mehr: nach und nach beginnt der Mann, der das Joch getragen hat, seinen Nacken frei zu fühlen, das Haupt zu erheben.

Jetzt kommt er wieder aus seiner Höhle zum Vorschein. Die Menschen von Abba, die diesen Geheimnisvollen, den in die Erde Verkrochenen, bisher nur von ferne sahen, mit einem gewissen Grauen, finden ihn jetzt bisweilen unter der großen Akazie, in deren Schatten die Dorfbewohner zusammenkommen. Man läßt ihm den Ehrenplatz nahe am Stamm des Baumes; dort sitzt er, auf einem Schaffell. In der Hand hat er einen Rosenkranz; sein geflicktes Derwischhemd ist wunderbar sauber, um die Schädelkappe trägt er ein Turbantuch von strahlender Weiße; ein Ende des Tuches hängt über die Wange herab und berührt seinen schwarzen Bart, der sorgsam geölt ist. Wer nahe herankommt, aber wenige wagen es, spürt einen Wohlgeruch, der von dem lächelnden Manne ausgeht. Ist das der Duft der mystischen Räucherflammen in seiner Höhle, oder duftet die Heiligkeit dieses Einsiedlers so, an die man zu glauben beginnt?

Erst hält eine abergläubische Scheu die Bewohner der Insel fern. Auch ziemt es sich nicht, einen Frommen zu stören, der den Rosenkranz betet. Aber bald gewinnt das freundliche Lächeln des Mannes die Kinder. Kleine Nackepatsche, braune arabische Jungen ohne ein Stückchen Kleidung am Leibe, und Negerkinder aus dem Schillukdorf, ganz Riesenbauch und Wollkopf, auf langen Spinnenbeinchen, kommen, starren ihn an, spielen schließlich in seiner Nähe ohne Angst ihre seltsamen Spiele. Das gibt den Frauen von Abba den ersten Vorwand, gleichfalls zu kommen. Junge und alte Weiber, schwarze und hellere, verhüllte und nackte, bleiben am Rande der Lichtung stehen, auf der dieser gewaltige Baum ist, und sehen mit großen Augen verzückt oder kichernd den schönen Heiligen an. Sie sind es, die zuerst gewisse Zeichen an ihm bemerken: die Lücke zwischen den Schneidezähnen, ein Muttermal auf der rechten Wange, – – Zeichen, die viel bedeuten!

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Die Insel Abba liegt an dem großen Wasserweg nach den reichen südlichen Negerländern. Die Dampfschiffe kommen vorbei, die der Pascha von Khartum nach Faschoda schickt, in die neu erschlossenen Äquatorprovinzen. Die Segelbarken kommen vorbei, die aus den Faktoreien der großen arabischen Händler im Negerland das Elfenbein bringen und tragische Frachten von elend zusammengepreßten Sklaven. Der Karawanenweg vom Tsadsee, auf dem aus Bornu, Wadai, Dar-Fur die Pilger nach Mekka streben, kreuzt unfern von Abba den Weißen Nil. Der Flecken Kawa, gegenüber der Insel am östlichen Ufer, ist ein großer Handelsplatz und Hafen; hier und von Abba holen die Dampfer aus den Wäldern das Holz für ihre Feuer, bevor sie in die holzarme Sumpfgegend weiterfahren.

So kommt es, daß Abba, obgleich nur von wenigen Menschen bewohnt, von Ackerbauern, die aus den nubischen Dörfern um Dongola vor dem Steuererheber geflüchtet sind, und von einigen riesigen Schilluknegern, deren Dörfer aus spitzen Kegelhütten von hier an am Strome beginnen – daß Abba von zahlreichen Fremden besucht wird. Boote landen: große Dahabiehs und die plumpen Frachtschiffe, die man Nuggars nennt. Auf Abba wohnt ja eine Familie von Zimmerleuten, die lecke Schiffe ausbessern können, – und wie oft leidet ein Boot in den Katarakten oder wird von einem wütenden Flußpferd beschädigt! – Auch weiß man bereits, daß auf Abba ein neuer Heiliger lebt. Die Schiffer gehen ans Land, um ihn zu sehen, wie er unter dem Baum sitzt; mancher bittet ihn auch um ein wundertätiges Amulett. Man weiß doch, daß die Worte der sechsundvierzigsten Sure, von einem Kundigen auf eine Planke des Schiffes geschrieben, jedes Scheitern des Fahrzeuges verhüten! Wenn dieser heilige Fikih will, schreibt er es auf die Planke: »Im Namen Allahs schwimme dahin, Schiff, und wirf den Anker! In Wahrheit, der Herr ist sehr gnädig, erbarmungsreich!« – Wenn er will, schreibt er auf ein bleiernes Täfelchen: »Jâ Rachmân, jâ Rahîm« – was bekanntlich das Fischernetz, in das die Tafel gelegt wird, mit Fischen füllt.

Muß dieser »Abu Faldscha«, der »Vater der Zahnlücke«, wie sie ihn allgemein nennen, nicht die Formel kennen, die mit Rosenwasser auf einen Streifen Gazellenhaut geschrieben wird, – den man vor einem Kampf an die Fahne heftet oder dem Führer in seinen Turban steckt? Ein Araber, aus Khartum, der stromaufwärts zu Sibêr Rahamet reist, dem größten Sklavenjäger am oberen Nil, kommt auf seinem Wege nach Abba und bittet den heiligen Derwisch um diesen Talisman, den er bei den Überfällen auf Negerdörfer mitführen möchte. Ein Scheich der Baggara im Süden will das bekannte Mittel zum Einfangen flüchtiger Sklaven.

Alle die fremden Besucher bringen Geschenke mit, manchmal ein Schaf oder Körbe voll Durrhakörner, manchmal selbst Elfenbein oder schöne Gewänder oder Maria-Theresien-Taler. Der lächelnde junge Derwisch unter dem großen Baum hört jeden an, sagt jedem ein frommes Wort, gibt dem oder jenem auch ein kupfernes Röllchen, in dessen Innern ein Korantext steht, bekennt aber kaum, Wunderkräfte zu besitzen: »Alle Kraft und Macht ist bei Allah!«

Alle Geschenke verteilt er an die Armen von Abba. Man nennt ihn deshalb: »Der Entsager.«

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Längst schon sind die bewaldeten Inseln im Nil ein Zufluchtsort für Flüchtlinge, die der Türke verfolgt. Der Türke, der »Turk«, so heißen im ganzen Sudan die Ägypter, weil ihre Effendis und Paschas meist türkischer Abkunft sind, obwohl auch Syrer darunter sind, christliche Kopten und Europäer. Der Turk ist jeder, der hellhäutig ist und einen Tarbusch trägt: man weiß nicht recht, ist er ein Muselman, wie er meistens behauptet, oder ungläubig, wie manchmal geflüstert wird. Wie immer: der Turk ist der böse Feind des Sudâni, Tyrann, Erpresser und Leuteschinder. Nach Abba flüchtet der Dongolawi, dem der Pascha die Dattelernte wegnehmen ließ, der Dschaalin, dem seine Kamele gepfändet wurden. Ein Baggara-Araber ist her entronnen, den der Baschi-Bosuk zu foltern drohte, um das Versteck seiner Rinder im Wald zu entdecken. – Der Baschi-Bosuk! Die anatolischen oder arnautischen Söldner des Paschas plündern den ganzen Sudan. Mit der Remingtonflinte und dem Kurbatsch aus Nilpferdhaut in der Hand kommen sie und fordern nicht die gesetzliche Steuer, sondern das Zehnfache. Dann noch für sich schwarze Sklavenweiber und das fetteste Essen, viele Töpfe Bier. Widerstrebende peitschen sie, oder sie legen einen Gefesselten nackt auf die am Mittag brennende Erde. Versucht ein mannhafter Araber bewaffneten Widerstand, dann wird seine Dornseriba oder sein Zeltdorf von den Basingern überrumpelt, halbnackten heidnischen Schwarzen im Solde des Paschas, die als Kriegsproviant manchmal blutige Fetzen Menschenfleisch in den Patronentaschen tragen, die aber mit guten Gewehren bewaffnet sind und zum Kämpfen dressiert. – Das ist der Turk, das tut er im Sudan.

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Immer öfter hört der Büßer von Abba diese grollenden und verzweifelten Stimmen: »Turk! Turk!« – Mischen sie sich in die trunkenen Träume seiner Gebetsekstasen? Nach Tagen, die er von neuem in der Höhle verbracht hat, in immer strengerem Fasten, spricht er einmal einem nahe um ihn sich drängenden Kreise unter dem Baum jene Suren des heiligen Buches vor, die den Sieg des Glaubens verheißen und das Unheil, das den Ungläubigen droht.

Bald vielleicht, sagt er geheimnisvoll, kommt die Stunde. Ein Retter, ein Rächer wird erwartet. Bei Allah allein ist das Wissen!


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