Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

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Das Leben eilt vorwärts und wartet nicht. Wir müssen uns selbst bemühen, wenn wir noch eine Weile mitkommen wollen.

Bomberling hatte begriffen, daß Anna neben seinem Bett saß. Mit allen Kräften versuchte er, wieder ins Dasein zurückzukehren.

Täglich tappte er der Gesundheit ein wenig näher.

Er saß aufrecht im Bett, im Sessel neben ihm saß Anna. Auf einem Nachttisch stand die esquilinische Venus neben der römischen Wölfin.

Eines Morgens lag ein Brief dazwischen. Es waren einige Zeilen von Hermann. Er sagte dem Vater, daß er sich keine Sorge um ihn machen solle, er werde auf das 149 Studium verzichten. Der Vater solle nichts weiter tun als gesund werden.

Diesen ganzen Tag zeigte er sich nicht am Krankenbett.

Bomberling hätte ihm gern gesagt, daß er es gar nicht gewußt habe, daß sich sein großer studierter Junge noch etwas aus ihm mache.

Aber nun versuchte er, mit den ersten unsicheren Schritten das Leben wieder einzuholen. Seine alte Energie half ihm dabei. Nicht lange und er konnte schon bis zum Balkon schlürfen. Zwischen den Pelargonien und dem Vogelbauer saß er, starrte in den blauen Himmel oder sah auf Anna, die nähte.

Es war Mai. Napoleon schmetterte seine Lieder, wie wenn er sich auf einem Fliederbaum schaukelte.

Auch Frau Bomberling war wieder zum Leben erwacht.

»Ich wundere mich, daß sich der junge Herr Kippenbach nicht nach deinem Befinden erkundigt,« sagte sie.

»Nur nicht denken,« antwortete Bomberling und schloß die Augen. Er schien zu schlummern. In Wirklichkeit aber rechnete er heimlich. Seit Tagen war er schon wieder bei dieser Arbeit. Er wußte, daß Paul bemüht war, die Firma zu retten. Er suchte eine Aktiengesellschaft zu gründen. Eine unbekannte Macht schien in dem Jungen Riesenkräfte wachgerufen zu haben . . .

Eines Tages, als Frau Bomberling ausgegangen war, um die ersten Erdbeeren für ihren August zu erstehen, war er bei ihrer Rückkehr verschwunden. Ehe sie noch begreifen konnte, was geschehen war, klingelte das Telephon und Bomberlings ruhige Stimme sagte:

150 »Sei unbesorgt, Mäuschen, ich bin in der Fabrik und arbeite mit Paul.«

»Was bist du für ein Mann,« rief Anna zurück. Aber Bomberling war schon wieder fort.

Erregt ging Frau Anna in der großen Wohnung umher. Jede halbe Stunde fragte sie in der Fabrik an, wie es Bomberling ginge.

Babette, die Paul in allen diesen Wochen im Büro geholfen hatte, antwortete der Mutter jedesmal geduldig und zärtlich, daß sich der Vater ausgezeichnet befände.

Ihre Stimme klang so froh und jung.

Frau Bomberling seufzte. Sie ging auf den Balkon und sah zu Kippenbachs Fenster hinüber. Vielleicht konnte man mit einem freundlichen Kopfnicken die alten Beziehungen ein wenig instandsetzen.

Aber alle Jalousien waren herunter, wie wenn selbst die Fenster beleidigt wären.

Frau Bomberling seufzte aufs neue, und als sie diesmal ans Telephon ging, rief sie kurz entschlossen die Nummer der Frau Baronin Pryczsbitzky-Ratzoska.

Die Baronin meldete sich sofort und sagte, daß sie mit großem Bedauern von dem vielseitigen Unglück erfahren habe.

Frau Bomberling erwiderte, daß sich in Rom ein italienischer Conte beinahe das Leben genommen, weil ihn Babette nicht habe erhören wollen.

Die Frau Baronin drückte von neuem ihr Beileid aus. Echte italienische Grafen wären eine gesuchte Marke. Sonst wäre jetzt stille Zeit. Die Reisesäson habe begonnen, und da versuche jeder sein Glück auf eigne Faust.

151 Sie hätte nur noch den kleinen Rentier Prill auf Lager, der immer noch keine Hypothek auf sein fünfstöckiges Haus gefunden habe.

Frau Bomberling antwortete, daß sie nichts dergleichen im Sinn gehabt hätte, sondern der lieben Bekannten nur einmal guten Tag hätte sagen wollen.

Die Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska bedankte sich für diese Aufmerksamkeit und fügte hinzu, daß sie jetzt leider auch die kleinen Konferenzen durch den Fernsprecher berechnen müsse. Sie werde sich erlauben, eine kleine Nota zu schicken.

In größter Eile hing Frau Bomberling den Hörer zurück auf seinen Nickelhaken. Da hatte sie wieder etwas verschwendet, obgleich an allen Ecken und Enden gespart werden mußte.

Sie war recht niedergedrückt, als die anderen heimkehrten.

Traurig blickte sie über Bomberling und Hermann, über Paul und Babette hinweg. Nirgends sah sie einen Schwiegersohn.

Es konnte sie auch nicht erheitern, daß Tante Helene kam, um sich nach Bomberlings Befinden zu erkundigen und zu erzählen, daß Hilde Wegner und Sebold bald Hochzeit feiern werden.

Sie sagte:

»Wenn manche manchmal wüßte, wie's manchmal kommt, würde manche manchmal weniger wählerisch sein.«

Frau Bomberling erwiderte, daß Babette unvergleichlich schöner sei als Hilde und tüchtig dazu.

Tante Helene sagte freundlich, daß man Frau 152 Bomberlings Reden nicht übelnehmen dürfe. Auch die Eule fände ihre Jungen schön.

Und dann begann sie Paul zu loben.

Man hatte ihm den Direktorposten angeboten, wenn sich die Aktiengesellschaft verwirklichen sollte.

»Ja,« sagte sie, »wenn das mein Sohn wäre, dann würde ich stolz sein.«

Die Jahre machen vergeßlich. Tante Helene wußte nicht mehr, daß sie an dem Tage, als Paul jedem Familienmitglied als Erbe angeboten wurde, beleidigt verzichtet hatte. Sie hatte erklärt, daß sie sich testamentarisch keine Kinder verschreiben lasse. Wem Gott Nachkommen geben wolle, dem schenke er sie auf natürlichem Wege.

Sie hatte nicht Unrecht. Natur bleibt immer die größte Beglückerin.

Aber heute erinnerte sie sich an nichts mehr von alledem, und niemand half ihrem Gedächtnis nach, denn Frau Bomberling war eingeschlafen. Die kummervollen Worte hatten sie widerstandslos gemacht. Ihr Kopf war zur Seite geneigt. Die sorgfältig gebaute Frisur hatte sich verschoben. Das Licht des Kronleuchters zeigte schonungslos die Silberstreifen zwischen dem Blondhaar . . .

Einige Tage später, als sich Frau Bomberling gerade freute, daß sie beim Schlächter zehn Pfennige gespart hatte, wurde ihr ein kleiner Brief überbracht. Sie vermutete, daß es ein Wort des jungen Kippenbach war. Oder das heimliche Zeichen von irgendeinem, den Babettes Schönheit schwindlig gemacht hatte.

Aber es war die Rechnung der Frau Baronin:

Eine Unterredung am Fernsprecher – zehn Mark.

153 Außerdem war ein verschlossener Briefumschlag beigefügt. Darauf stand: Wichtige Winke für die Sommersäson.

Es kostete ebenfalls zehn Mark, konnte aber uneröffnet dem Überbringer zurückgegeben werden.

Frau Bomberling zögerte. Dies verschlossene Papier erregte sie. Zehn Mark waren viel Geld, erhöhten die Rechnung auf zwanzig. Aber sollte man gerade an Babette sparen? An dem guten Kinde? Das treu und eifrig von morgens bis abends half?

Hastig zahlte sie dem Boten zwanzig Mark und behielt die wichtigen Winke.

Jedoch ehe sie den Brief hatte öffnen können, wurde die Wohnungstür aufgeschlossen und Bomberling kam zurück, begleitet von Paul und Babette. Zu ganz ungewohnter Zeit: denn es war noch lange nicht Abend.

Erschreckt steckte Frau Bomberling das Papier in die Tasche.

Aber auch die Ankommenden sahen aus, als hätten sie ein Geheimnis zwischen sich.

»Erlaube, daß ich dir Herrn Direktor Paul Bomberling vorstelle,« sagte August schmunzelnd und tappte sich in einen Lehnstuhl.

Auch Anna mußte sich setzen, als sie erfuhr, daß die Fabrik weitergeführt wurde, mit Paul an der Spitze. Eine große Kunsttischlerei sollte entstehen. Das Sarglager würde nach und nach aufgegeben werden.

»Ich lauf davon,« sagte Babette, als es unangenehm still wurde im Zimmer, und rasch war sie hinaus.

Zum erstenmal seit ihrer Rückkehr hatte sie wieder Blumen im Arm. Maiglöckchen und Anemonen.

154 »Siehst du,« sagte Bomberling zu Anna, »nun hast du doch wenigstens einen Neffen mit einem Titel.«

Frau Bomberling blickte auf und guckte zu Paul hinüber. Er trug einen schwarzen Rock und sah feierlich verändert aus.

»Wer hätte das gedacht,« murmelte sie.

Bomberling sprach weiter.

»Das muß dich trösten, daß ich nichts weiter mehr sein werde als ein altes Stück Hausrat. Hermann wird trotzdem weiter studieren können. Nur die Babette wird uns im Wege sein und den Haushalt unnütz verteuern.«

Er blinzelte von Anna zu Paul.

Das sah Anna nicht. Ihre Augen waren dick voll Tränen.

Sie fand es schändlich von August, vor dem fein gewordenen Paul von Babette in dieser Art zu sprechen.

Feuerrot im Gesicht erklärte sie, daß sie den englischen Salon, die russischen Tassen und sonst noch allerhand verkaufen werde. Das gab eine Mitgift. Babette könne jeden Tag an jedem Finger einen Mann haben.

Auch die wichtigen Winke für die Sommersäson fielen ihr tröstend ein.

Aber auf einmal war Babette wieder im Zimmer und küßte sie ab. Paul sah noch feierlicher aus, und Bomberling schien wieder ganz rund vor Freude, und schließlich hatte sie begriffen, daß Babette längst einen Bräutigam hatte und daß es Paul war, den jeder jetzt »Herr Direktor« titulieren mußte.

Sie saß ganz stumm da, vornübergebeugt, ihre Gedanken schossen durcheinander.

155 Diese zwanzig Mark hätte sie sparen können, dachte sie als erstes, sogar die Reise nach Rom. Was würde Tante Helene sagen? Und die Rätin? Und richtig, im Monat Mai war Babette Braut. Und ohne Särge. Kein Fremder holte sie weg. Paul hatte sie schon als Kind treu bewacht. Und sie selbst durfte wieder alles essen? Konnte ohne Gewissensbisse das Herumkriechen aufgeben?

Immer wilder purzelte alles in ihrem Kopf zusammen. Wie heißer Kaffee durchströmte sie die Freude.

Als Bomberling fragte, ob sie sich denn nicht freue, nickte sie schwer.

Sie richtete sich erst wieder auf, als Tante Helene ins Zimmer gestürzt kam und wissen wollte, ob es wahr sei, was sie von Onkel Albert erfahren hätte.

Sie tupfte sich die Stirn und schalt auf das widerlich heiße Maiwetter.

Frau Bomberling sagte langsam:

»Siehst du, nun ist auch Paul mein Sohn. Und Babette wird eine Frau Direktor.«

Tante Helene tupfte sich weiter die Stirn und gratulierte. Und dann sagte sie, daß sie gerade in der Zeitung gelesen habe, daß keine moderne Mutter mehr Wert darauf lege, ob ihre Tochter einen Mann bekäme oder nicht. Darüber wäre man nun endlich hinaus. –

Doch das muß ein Irrtum gewesen sein. Es gibt nämlich keine modernen Mütter. Es gibt nur Mütter.

 

Ende


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