Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

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Als man den mageren Feldern ansah, daß die Großstadt nicht mehr fern sein konnte, kramte Frau Bomberling in ihrer Reisetasche. Sie wollte untersuchen, ob auch nichts zerbrochen sei an den hübschen Sachen, die sie ihrem guten Bomberling mitbrachte.

Zuerst wickelte sie eine kleine Marmorfigur aus. Es war die esquilinische Venus im Salonformat. Bomberling sollte sie sich auf den Schreibtisch stellen. Wenn er sich auch nicht um Kunst kümmerte. Er würde zugeben müssen, wie anerkennenswert es sei, daß jemand den menschlichen Körper so richtig habe nachahmen können.

Ein zweites Paketchen enthielt einen kleinen Abguß der römischen Wölfin mit den säugenden Knaben Romulus und Remus. Eigentlich hatte sie beim Einkauf geglaubt, daß die Kinder ein Knabe und ein Mädchen wären. Denn sie dachte, die Wölfin stelle die Amme von Romeo und 144 Julia vor. Diese alten Geschichten verwechselte man immer wieder untereinander. Aber Bomberling würde sich auch so darüber freuen.

Sie konnte es gar nicht erwarten, all ihr neues Wissen vor ihm auszukramen und endlich wieder einmal alles von der Seele schwatzen zu können.

Der Zug stürmte in die Bahnhofshalle. Die Augen mit Tränen gefüllt, schwenkte Frau Bomberling ihr Taschentuch der schwarzen Menge entgegen, die dort wartend stand.

Endlich entdeckte man Paul im Gewühl.

Er hatte scharfe Falten um den Mund und versuchte vergeblich ein Lächeln aufzubringen. Er sagte, daß Bomberling an einer kleinen Erkältung leidend im Bett liege. Hermann sei bei ihm geblieben.

Babette dachte, daß Paul so ernst sei, weil sie ihm diesen strengen Brief über die Ehe geschrieben hatte. Beleidigt sah sie in das Durcheinander der lauten Straßen, durch das der Wagen ihrem Heim zueilte.

Frau Anna sprach freudig erregt von Kamillentee und Lakritzensyrup. Sie wollte ihren Bomberling bald kuriert haben. Nun war sie ja wieder da.

Aber als ihr an der Wohnungstür Hermann um den Hals fiel und laut wie ein Kind weinte, genau so wie damals, als ihm als Vierzehnjährigen sein Eichkätzchen gestorben war, da wußte sie, daß etwas Schlimmes geschehen sein mußte.

Sie rannte in das Schlafzimmer.

Unter dem Schutz des dicken vergoldeten Engels, den er selbst geschnitzt hatte, ruhte Bomberling mit 145 geschlossenen Augen. Zahlen und Ziffern schoben sich über seine feuchten, bläulichen Lippen. Er rechnete und rechnete . . .

Von einem Atemzug zum anderen hatte sich Frau Bomberlings Welt verändert.

Sie hatte vergessen, daß die Erde voll war von vornehmen oder begüterten Männern, aus denen man die Schwiegersöhne machte.

Sie fühlte es gar nicht, daß Tante Helene ihren knochigen Arm um sie legte und ihr tröstend erklärte, daß sich alle Menschen zu Tode arbeiten müßten, um leben zu können.

Sie war gar nicht geschmeichelt darüber, daß die Frau Rätin kam, ihr weinend das Du anbot und sie daran erinnerte, daß ihr Seliger fünfzehn Jahre auf seinem Lehrstuhl saß und doch aufstehen mußte, als der Allmächtige rief.

Es war ihr alles so gleichgültig wie die sieben schweren Namen der sieben römischen Hügel, die ihr auch wieder entfallen waren.

Sie wollte nichts anderes, als daß Bomberling die Augen aufmachen sollte und Mäuschen sagen würde.

Darauf wartete sie. Und sie wich weder Tag noch Nacht von seinem Bett.

Sie bemerkte es nicht, daß sich in Babettes weichem Gesicht haarscharfe Linien einzuzeichnen begannen.

Sie sah es nicht, daß Hermann wie ein hilfloser großer Junge zwischen seinen Büchern saß, die Augen verschwollen. Sie wollte auch niemanden im Zimmer dulden. Die erwachsenen Kinder schienen ihr Fremde. Denn in der Öde der langen Stunden, wo sie Bomberlings wirres Haar, das dünn und grau geworden war, streichelnd beiseite schob, um die Eisumschläge zu erneuern, sah sie ihren 146 August vor sich, wie er sie jung, mit blondem Haarschopf und mit lachenden Augen, zur Ehe holen kam. Was wußten die Kinder davon?

Während sie still neben dem mühsam Atmenden saß, sprangen ihre Gedanken weit zurück. Ein Peitschenknall draußen auf der Straße erinnerte sie so deutlich an den jungen Sommermorgen, wo sie auf dem Wagen saßen, hinter sich die bunten Kisten voll neuer Wäsche, vor sich die unbekannte Riesenstadt.

Das Weinen eines Kindes mahnte sie an die Nächte, wo Bomberling, leise pfeifend, den schreienden Hermann herumtrug, damit seine Anna schlummern konnte. Auch der große Tag fiel ihr ein, wo ihr August sie lachend in die Backen gekniffen hatte und sagte:

»Nun gehören wir ins Vorderhaus. Vor unseren Kindern sollen sich einmal die feinsten Leute verbeugen!«

Sie hatte erst gedacht, daß er Spaß mache. Aber dann hatte sie vor Freude geweint.

Dumme, eitle Gans, hatte er sie gescholten. Aber breit gelacht dabei und sie, so schwer sie war, auf den Arm gehoben und durchs Zimmer geschwenkt.

Und ein Lächeln um den Mund, erhob sie sich leise, um einen neuen Umschlag auf die glühende Stirn des alten Mannes zu legen.

Dann träumte sie weiter in dem schweigenden, verdunkelten Zimmer.

Sie erinnerte sich noch genau, wie sie viele ihrer alten Möbel unter die erfreuten Nachbarn verteilte, als man fortzog in eine vornehmere Straße. Aber von da an klaffte eine Kluft vor den Erinnerungen. Es war, als wäre von 147 nun an August nicht mehr dabei gewesen. Nur die Kinder waren da. Die Kinder.

Darum kehrten hier die Erinnerungen jedesmal wieder um. Man pflasterte die Straße vor der Haustür. Die schweren Schläge brachten sie zurück bis in die Schmiede.

So gingen die Stunden.

Eines Morgens, draußen vor den Fenstern lag Sonnenschein, schlug Bomberling die Augen auf und sagte mit schwerer Zunge:

»Mäuschen?«

Dann war er wieder eingeschlafen. Aber sein Atem ging ruhiger.

Nicht lange darauf pochte Paul leise an die Tür des stillen Zimmers. Er bat Frau Bomberling um eine kurze Unterredung.

Es wäre da einiges zu unterschreiben.

Um den großen Eßtisch zwischen Babette und Hermann nahm sie Platz. Paul ging erregt auf und ab. Die ganze übrige Wohnung schien erstorben zu sein.

Frau Bomberling lächelte.

»Er hat die Augen aufgemacht und mich erkannt,« sagte sie. Ihr Lächeln vertiefte sich, die Kinder weinten.

»Die Sache ist nämlich die,« begann Paul. – »Die Fabrik ist geschlossen. Es kann möglich sein, daß – daß – sehr viel Geld verloren wird. – Daß eure Verhältnisse eine – einschneidende Veränderung erfahren, liebste Tante.«

»Wie lange ich seine Augen nicht gesehen hatte. Sie waren eigentlich gar nicht verändert,« sagte Frau Anna, immer das gleiche Lächeln um den Mund.

148 Dann sah sie auf. Sie fühlte, daß man hier eine Antwort von ihr erwarte. Sie sagte:

»Macht nur alles, wie ihr es für richtig haltet. Ihr seid ja klug und gebildet. Wenn Papa erst gesund ist, wird er schon wieder alles in Ordnung bringen . . .«

Sie erhob sich.

»Vielleicht wacht er bald wieder auf. Da muß ich da sein.«

Auf Zehenspitzen ging sie hinaus. Lächelnd.

»Sie sieht uns gar nicht mehr an,« schluchzte Babette und warf sich über den Tisch.

»Wir verstehen wohl nicht, was es bedeutet, Mann und Frau zu sein,« sagte Paul langsam und sah fest auf Babette.

Da schlich sich Hermann leise hinaus und ließ die beiden allein.

 


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