Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

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Auf Bomberlings Haus saß ein Dachdecker und schaufelte den hohen Schnee in den Hof hinunter.

Da er nach Zeit bezahlt wurde, machte er, trotz der Luftigkeit seines Aufenthaltes, dann und wann eine Pause. Er blies in seine starren Hände, beugte sich ein wenig vor und spähte in die warmen Zimmer der reichen Leute. Der trübe Wintertag hatte manchen die Gardine beiseite schieben lassen.

Am meisten gab es bei Bomberlings zu sehen. Sie hatten schon Licht angezündet.

Deutlich sah er, daß am Fenster ein kleiner Kanarienvogel saß, der sich in den Federn krabbelte. Weiter ins Zimmer, an der Wand, hing ein schönes buntes Bild. Was es vorstellte, konnte er nicht erkennen, aber der dicke Goldrahmen sagte ihm, daß es ein feines Bild sei.

Das hübscheste war der Tisch unter dem Kronleuchter. Da saß eine Familie und aß. Ein dicker Herr, mit der Serviette um den Hals, eine dicke Dame, mit hoher, blonder Frisur, noch ein dicker, aber junger Herr und ein Fräulein, ganz schlank und blond.

Das war wie im Kinematographen. Sie bewegten sich, ihre Münder klappten auf und zu, aber man hörte nichts.

Grinsend griff er wieder zur Schaufel. In schweren Klumpen klatschte der Schnee zu Boden.

Als er sich wieder vorbeugte, ging in dem hellen Zimmer ein hübsches Dienstmädchen mit einer großen Schüssel von einem zum andern. Jeder häufte sich seinen Teller voll.

Sie hatten es gut und waren zufrieden. –

Aber auch vom Dach kann man nicht in das Herz der Menschen sehen.

86 Hermann aß nur, um dem Vater nicht unangenehm aufzufallen. Er war noch ärgerlich über den Ökonomen, und sonst dachte er nur an die großen Gummischuhe in Lianes Vorzimmer.

Frau Anna fragte sich, ob nicht jeder Bissen, den sie aß, ihr Gewicht verstärken würde. Traurig sah sie zu Babette hinüber, die vor ihrem Teller saß, ohne zu ahnen, daß die eigene Mutter ein Hindernis an ihrem Glück war.

Babette merkte nichts davon, obwohl sie von den Speisen nur kostete. Sie sah nicht auf. Dann und wann strich sie mit den schmalen Fingern über die Stirn, wie wenn sie die Gedanken dahinter glätten wollte. Sie mußte noch heute mit Paul reden. Er war der einzige, der sie verstand. Sie wollte von nun an arbeiten. Wie ein Mann. Im Morgengrauen hinaus. Das Frühstück in der Tasche.

Bomberling kaute laut und kräftig. Er dachte an die Jahresinventur, die bevorstand. Er rechnete. Scharfe Striche kreuzten die breite Heiterkeit seines runden Gesichtes.

So zog jeder seine eigenen Bilanzen, während sie schweigend das Essen teilten und dann und wann ein paar Worte wechselten, die nicht in ihre Gedanken gehörten.

Ein Klingeln an der Wohnungstür versprach eine Unterbrechung. Es war aber nur Tante Helene. Sie war etwas beleidigt, daß ihre Verwandten noch bei Tisch saßen, trotzdem sie das nicht anders hätte erwarten können. Sie wollte nicht stören. Nein. Sie wollte sofort wieder gehen. Aber dann saß sie doch zwischen Bomberling und Babette.

Der Mann auf dem Dache hatte alles mit Neugierde beobachtet.

87 »Die versüßt kein Essen,« dachte er und, zufriedener im Gemüt, tastete er sich auf die andere Seite des Daches.

»Danke, ich habe schon gegessen,« sagte Tante Helene.

Aber als das Mädchen mit der Bratenschüssel weitergehen wollte, rief sie es ärgerlich zurück. Während sie ihren Teller reichlich mit allem versah, sagte sie:

»Rostbeaf. Ihr solltet nicht so viel Rindfleisch essen. Ihr könnt euch doch Geflügel leisten.«

»Glaubst du, daß Geflügel weniger stark macht?« fragte Frau Bomberling anteilsvoll.

»Davon verstehe ich nichts,« sagte Helene, schon kauend. »Ich werde von nichts dick.«

Als sie eine Zeitlang gegessen hatte, wendete sie sich zu Bomberling und sagte, daß sie eine kleine Bitte an ihn hätte.

»Nur heraus damit,« antwortete Bomberling, der sich den Schnurrbart an der Serviette trocknete.

»Ich wollte dich um einen Gutschein für einen Sarg bitten. Er kann einfach sein, muß aber doch ein bißchen nett aussehen.«

Eine peinliche Stille entstand. Man sprach bei Bomberlings sonst nicht von Särgen.

»Was willst du denn damit?« fragte Bomberling.

»Der Vater meines Dienstmädchens ist schon lange krank. Ich will ihr daher außer einigen anderen kleinen Nützlichkeiten diesen Gutschein zu Weihnachten schenken.«

»Bargeld kann ich ihr nicht geben,« fügte sie scharf hinzu. »Dazu bin ich nicht in der Lage.«

»Ein schönes Surrogat für bares Geld,« sagte Hermann und lachte vergnügt.

88 »Das ist doch aber ein schreckliches Geschenk,« sagte Frau Bomberling, die heute noch mehr zur Rührung neigte als sonst. – »Der alte Mann kann doch wieder gesund werden.«

»Dann hebt er sich den Schein eben auf. Wir sind alle nur sterbliche Menschen. Eines schönen Tages wird er ihn schon brauchen können.«

Ihr Mund konnte nur lächeln, aber ihre Stimme war jetzt recht scharf geworden.

Bomberling, der vor allem Ruhe und Frieden liebte, hatte rasch sein Taschenbuch hervorgeholt, um den gewünschten Gutschein auszuschreiben.

Tante Helene dankte und schob das Papier hastig in ihren schwarzen Seidengürtel.

»Man stirbt noch nicht davon, weil man einen Sarg geschenkt bekommt,« sagte sie. »Aber wenn man Pech hat, kann man sich den Finger in der Nase abbrechen – – –«

Bomberling war aufgestanden und sagte, daß er trotz des lieben Besuchs in die Fabrik müsse.

»Laß dich nicht stören,« sagte Tante Helene. »Ich bleibe gern mit Anna allein.«

Frau Anna sah müde aus. Der Vormittag hatte sie angegriffen, und ein Mittagsschläfchen war ihre Gewohnheit.

Sie sagte, daß sie bald fort müsse, um Weihnachtseinkäufe zu machen.

»Da begleite ich dich,« antwortete Tante Helene und hatte sich schon wieder gesetzt.

Hermann sagte:

»Falls ich abends nicht da sein sollte, lieber Papa – wundere dich nicht – das Studium –«

89 Babette bat, den Vater begleiten zu dürfen, sie wollte die neue Schreibmaschine probieren.

»Taut es denn?« fragte Bomberling erstaunt.

Aber Babette war schon hinaus, um sich Hut und Mantel zu nehmen.

Türen öffneten sich eigenen Wegen und schlossen sich wieder mit hartem Klapp.

»Du mußt wissen,« sagte Tante Helene, sobald es still geworden war, »daß ich Babettes wegen gekommen bin. Du hast dir gewiß schon manchmal gesagt, daß sie nun heiratsfähig ist?«

Frau Bomberling war über alle Maßen erstaunt. Auch im Traum hatte sie noch nicht daran gedacht.

Tante Helene sagte, wie gut es sei, daß der Mensch nicht allein sei, sondern Familie habe. Mütter sind leider allzu oft blind gegenüber ihren Kindern.

Sie hatte einen jungen Mann kennen gelernt. Vermögend, jung und heiter. Zum erstenmal hatte sie bedauert, keine Kinder, keine Tochter zu haben.

Frau Bomberling schwieg. Aus dem Kreis der Familie erwartet man keine Wunder.

Tante Helene sprach weiter.

»Ein hochgebildeter Mann. Versteht jedes Fremdwort, und alles treibt er mit Dampf.«

Frau Anna gähnte, fragte aber doch, was er mit Dampf treibe.

»Seine Wurstfabrik natürlich,« sagte Tante Helene triumphierend. »Vom Vater gegründet. Goldgrube.«

»Niemals,« sagte Frau Bomberling und stand auf.

Es war Zeit für die Weihnachtsbesorgungen.

90 Schweigend machten sie sich fertig. Sie fuhren Straßenbahn.

»Eine Wurstfabrik ist keine Schande,« sagte Tante Helene, als sie in dem sehr besetzten Wagen Platz gefunden hatten.

Frau Bomberling dachte an den Adligen und nahm sich vor, sich in dem Warenhaus wiegen zu lassen.

»Man soll nicht haben wollen, was man nicht bekommen kann,« sagte Tante Helene wieder. »Du möchtest natürlich einen Titel für sie. Frau Geheimrat. Wie deine vornehme Freundin.«

Sie lachte laut auf.

Die Bahn hatte sich nun in Bewegung gesetzt, und ihr Gerassel auf dem gefrorenen Pflaster machte diese verwandtschaftlichen Betrachtungen vollkommen unverständlich.

Anna sah nur, daß Helene lachte, und so lächelte sie höflich zurück.

Auf diese Weise plauderten sie, bis sie am Ziel waren.

Im Warenhaus war ein ungeheures Gedränge. Wie in einem Wurstkessel mit Dampfbetrieb. Frau Bomberling fiel es auf, wie erstaunlich viel junge und auch hübsche Mädchen es gab. Lachend trieben sie mit. Alle sollten wohl über kurz oder lang einen Mann bekommen.

Sie wandte sich zu Helene, die ihnen mit ihren spitzen und scharfen Ellenbogen eine Gasse bahnte. Sie räusperte sich und sagte:

»Wenn du es wünschst, kannst du euren neuen Bekannten natürlich zu uns bringen. Die Freunde unserer Verwandten sind auch unsere Freunde.« 91

 


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