Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vor den Fenstern arbeitete die Dämmerung. Sie glich die harten Gegensätze gütig aus, sie verschleierte schwerfällige Umrisse, beschattete scharfe Linien.

74 Aber im Schlafzimmer, wo sich Frau Bomberling für den Theaterbesuch vorbereitete, strahlte rücksichtslose Helle. Frau Anna stand vor dem klaren Spiegel. Er war geschliffen und doch so aufrichtig, wie es wohlerzogene Menschen nicht sein würden.

Frau Anna seufzte. Sie dachte, daß sie in diesem Jahre vielleicht doch mehr für ihr Aussehen hätte tun müssen, als es geschehen war.

Mit besorgtem Gesichtsausdruck holte sie ihre Schmucksachen hervor und begann sie blank zu putzen. Sie wenigstens sollten neu und glänzend scheinen.

Seit ihrem Hochzeitstage hatte sie sich nicht mit solcher Sorgfalt geschmückt.

Ob sie wagen sollte, ein wenig Schminke aufzulegen? Vielleicht war der Betreffende kurzsichtig?

Es klopfte an die Tür, und der Schreck färbte Frau Annas Wangen auf natürliche Weise.

Es war nur Babette, die sich jetzt mit ihren Rosen auf den Weg machen wollte. Sie murmelte etwas von einer Notenbesorgung und gab der Mutter einen zärtlichen Kuß. Frau Anna erwiderte ihn, streichelte sanft über Babettes Haar und beschloß dabei, sich noch ein wenig enger zu schnüren. Das Glück ihrer einzigen Tochter war dieses kleine Opfer wohl wert. Mutig wendete sie sich wieder dem Spiegel zu . . .

Babette aber durchquerte ein großes Stück der abendlichen Stadt. Jetzt stieg sie eine Holztreppe hinauf, die bei jedem Schritte knarrte. Alle Wohnungstüren, an denen Babette vorüberkam, waren mit Visitenkarten besetzt. Ganz oben fand sie endlich Fritz Wegners Namen.

75 Unschlüssig war Babette stehen geblieben. Neben ihr hing eine altmodische Klingel. Aber sie fand nicht gleich den Mut, sie zu ziehen.

Da fuhr sie erschreckt zusammen. Hinter der Tür schrie jemand.

Sie lauschte angstvoll. Starb ihr Fritz? Nein, es war Gesang.

Gesang, der lauter und deutlicher wurde. Bald konnte sie auch die Worte verstehen. Die Stimme eines Mannes schrie:

»Auf dem Balkon von Colombinchen, da aßen zwei ein Philippinchen. Pinchen, Pinchen.«

Bei Pinchen, Pinchen fielen verschiedene andere Stimmen ein.

Babette war empört. Wie konnte in einer Wohnung, wo ein kranker, ein verwundeter Soldat lag, ein solcher Lärm verübt werden?

Heftig zog sie die Klingel. Niemand öffnete.

»Pinchen, Pinchen,« brüllte es in steter Wiederkehr.

Babette mußte noch mehrere Male klingeln, ehe endlich langsame Schritte näherschlürften.

Die Tür öffnete sich ein wenig. Eine runde Frau hatte sie mit dem Ellbogen aufgeklinkt. Ihre Hände waren von einer großen Tasse voll Kaffee und einem nicht kleinen Stück Kuchen vollständig in Anspruch genommen. Babette fragte verwirrt, ob Herr Leutnant Wegner hier wohne. Die Frau grinste, horchte auf den Lärm da drinnen und sagte:

»Das will ich wohl meinen.«

»Wie geht es ihm denn?« flüsterte Babette. »Liegt er? Schlummert er?«

76 Die Frau grinste noch breiter bei diesem Spaß und sagte, wenn es so weiter ginge mit diesem Gesuff, würde er wohl bald soweit sein.

Aber nun solle das Fräulein endlich hereinkommen, man heizte doch nicht fürs Treppenhaus. Sie war doch wohl auch eine Kusine vom Herrn Leutnant? Zwei wären schon da. Aber man feiert auch nur einmal im Jahr Geburtstag.

»Pinchen, Pinchen,« brüllte es hinter der Tür.

Babette begriff nicht gleich, daß es Fritz sein sollte, der heute Geburtstag feierte. Sie wußte genau, daß er im Mai geboren war. Denn sie hatte gerade dies so herrlich an ihm gefunden.

Da wurde die Tür aufgerissen. Ein Chor heiserer Stimmen tobte:

»Schampus, Schampus, rasch, alte Dame, eine neue Flasche.«

Die runde Frau drehte sich langsam mit Kuchen und Kaffee herum.

»Immer langsam und gemütlich,« sagte sie.

Aber als sie sich wieder zurückdrehte, war das fremde Fräulein fort. Sie schlug mit dem Fuß die Tür zu, die noch offenstand. Gedanken machte sie sich nicht.

Voll Angst und Ekel war Babette entflohen. Als sie nach Haus kam, waren die Eltern im Theater.

Auch Hermann war nicht da. Ganz allein war sie.

Sie verschloß ihr Zimmer und nahm die roten Rosen aus dem verknüllten Papier. Ein paar Blätter waren schwarz geworden von der unbarmherzigen Kälte. Babette entfernte sie behutsam, beschnitt die Stiele und setzte sie 77 in laues Salzwasser. Und laues Salzwasser tropfte auch in die Kelche der Blumen.

Es wurde ganz still im Zimmer. Nur die Uhr tickte weiter.

Wenn es das Schicksal am besten mit uns meint, dann sind wir ihm am bösesten.

 


 << zurück weiter >>