Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

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Die Vorfreude an der Reise aber wurde Mutter und Tochter ein wenig geschmälert.

Frau Bomberling hatte noch nie die Grenzen des deutschen Reiches überschritten. Ihr bangte davor.

Tante Helene, die eine solche Reise für ihr Leben gern einmal gemacht hätte, schürte alle Befürchtungen. Sie war der Ansicht, daß man nur im Vaterlande sicher sei. Sie erzählte von Leichen in Koffern. Von abgeschnittenen Händen im Gepäcknetz. Von zugedrückten Gurgeln in langen Tunneln.

122 Frau Bomberling wußte plötzlich nicht mehr, warum sie ihr friedliches Heim, mit den Sicherheitsketten an beiden Türen, verlassen wollte. Bis ihr wieder die internationalen Bekanntschaften einfielen. Russische Fürsten und englische Lords. Tante Helene würde einen schönen Knicks machen müssen, wenn Babette als Braut eines Fürsten zurückkehrte.

Lächelnd unterbrach Frau Bomberling daher die grausigen Schilderungen ihrer Schwägerin und sagte:

»Aber ein herrlicher Frühling ist dort unten. Das wird niemand leugnen können.«

Tante Helene stieß mit ihren spitzen Schultern zwei Löcher in die Luft und antwortete, daß sie dies viele Getu mit dem Frühling lächerlich finde. In fünf Monaten sei doch wieder Winter.

Aber ganz und gar konnte sie Frau Bomberling die Reise doch nicht verleiden. Dazu waren die Reisekleider für Frau Anna und Babette zu wohl und kleidsam geraten.

Babettes Freude auf die Reise aber hemmte Paul.

Er hatte erklärt, daß ein brieflicher Unterricht nicht möglich sei. Außerdem wollte er nicht mehr glauben, daß Babette niemals heiraten würde. Auf der Reise würde sie sich verlieben. In den ersten besten.

Dieses Mißtrauen beleidigte Babette aufs höchste. Sie wandte Paul den Rücken und kam in den letzten Tagen vor der Abreise nicht mehr zum Unterricht.

Paul schien sie nicht zu vermissen.

Aber als man auf dem Bahnhof war und der Zug jeden Augenblick abfahren konnte, stand Paul plötzlich 123 zwischen Bomberling und Hermann vor der noch geöffneten Wagentür.

Er brachte einen Strauß Rosen für Frau Anna und ein kleines Bündel Vergißmeinnicht für Babette.

»Ich wollte nicht unhöflich gegen deine Mutter sein,« sagte Paul, als er Babette die Blumen gab.

»Mama scheint dich gar nicht vermißt zu haben,« antwortete Babette und warf die Blumen zu dem andern Gepäck.

Die Lokomotive pfiff.

Bomberling sagte zu Babette:

»Paß gut auf Mama auf.«

Das war ein Scherz, über den alle rasch lachten.

»Amüsiert euch,« rief Hermann laut.

»Auf Wiedersehen,« sagte Paul leise, aber Babette beugte sich vor, um den Vater anzulächeln.

Die Räder begannen sich zu drehen. Ein starres Lächeln kam auf die Gesichter. Immer rascher rutschte der Bahnhof an dem Zuge vorbei und fort . . .

Als draußen kahle Wiesen vorüberflogen, suchte Babette nach dem Bündelchen Vergißmeinnicht, sie richtete die gebeugten Blüten behutsam auf und steckte sie in den Ausschnitt ihres Kleides.

Frau Anna lehnte sich zurück und musterte ihr Handgepäck. Es sah vornehm aus. Zwischen den neuen Ledertaschen schien der Korb zu schweben, den Babette dem jungen Herrn Kippenbach gegeben hatte. Ihr Stolz verstärkte sich.

Sie horchte, ob die beiden Damen, mit denen sie das Kupee teilten, etwas über Babettes Schönheit bemerkten. Erfreut stellte sie fest, daß sie nichts von ihren Worten 124 verstand. Es waren Ausländerinnen. Man merkte, daß man ins internationale Leben fuhr. Befriedigt lehnte sie sich noch weiter zurück. Lächelnd blickte sie in die Welt hinaus, die draußen vorübertanzte.

Mit den Rädern rollten die Stunden. Es begann zu dunkeln. Man fuhr schon quer durch die schwarze Nacht. Nur selten blitzte ein Bündel Lichter auf. Dann sah man Häuser neben Häusern stehen. Und, wo die Fenster erleuchtet waren, Bett neben Bett. Die Welt war überall gleich.

Frau Anna wurde schläfrig, sie war zufrieden, daß man endlich die Stadt erreichte, wo man den Schlafwagen anhängte. Als sie sich auf dem schmalen, zitternden Bett ausstreckte, erinnerte sie sich, daß Bomberling jetzt allein in dem großen Eßzimmer saß. In dem friedlichen, unbeweglichen Raum. Zugleich sah sie durch einen Spalt der Gardine, daß die Lichter des jagenden Zuges über schroffe Berghänge zuckten. Sie schauerte zusammen. Eigentlich war es nicht zu begreifen, warum Babette den liebenswürdigen Herrn Kippenbach abgewiesen hatte. Wie gemütlich könnte man jetzt beieinander sitzen.

»Schläfst du, Babette?« fragte sie.

In dem oberen Bett rührte sich nichts.

»Kinderschlaf,« murmelte Frau Anna lächelnd.

Die Räder surrten ein Schlaflied. Sie schlummerte ein.

Kaum, daß ihr regelmäßiger Atem dies verriet, regte es sich über ihr. Babette setzte sich auf, zog leise die Gardine fort und starrte in die Nacht hinaus.

Eine matte Mondhelle zeigte den Weg. Gießbäche tobten schäumend nieder. Schwarze Tannen ächzten. Das Dach einer Hütte, im Fluge wieder verschwunden, verriet, 125 daß sich auch hier Menschen vor der Nacht verkrochen. Auf hellen Bergzacken glitzerten Eiskronen. Weite Wiesen schliefen furchtlos mit ihren Blumen unter den Sternen.

Aus Babettes Augen tropften Tränen.

Weiter rannte der Zug durch die Nacht. Dem südlichen Morgen zu. Aber als die Sonne heraufzog, war auch Babette eingeschlafen.

Weder Mutter noch Tochter spürten, daß die fleißigen Räder stillstanden. Daß man vor den verhangenen Türen nicht mehr die Sprache sprach, mit der sich Bomberlings verständlich machten.

Sie hörten nicht einmal, daß es klopfte.

Langsam drehte sich ein Schlüssel im Schloß.

Die Tür wurde geöffnet.

Frau Anna erwachte und schrie gellend:

»Hilfe, Mörder, Hilfe!«

Tante Helene fiel ihr ein und alle Leichen im Koffer.

Der Mann, der mit dem Schaffner hereinkam, lächelte, sagte einige freundliche Worte und zeichnete auf jede Handtasche ein Kreuz aus Kreide. So wie es der Hirt in Frau Bomberlings Heimatsdorf mit den Schafen tat, die geschlachtet werden sollten. Dann war der Mann verschwunden. Der Zug begann weiterzurollen. Frau Bomberling war über der Grenze.

Babette hatte ruhig weitergeschlafen.

»Es war ganz einfach,« erzählte ihr Frau Bomberling, als sie im Speisewagen eine Tasse kräftigenden Kaffee getrunken hatte. »Aber es ist gut, daß es vorbei ist.«

Vor den breiten Fenstern lagen sanfte Wiesen. Frühlingsblumen saugten Sonnenschein.

126 »Der Himmel ist viel blauer als Pauls Vergißmeinnicht,« sagte Babette und warf die welken Blumen zum Fenster hinaus . . .

Auf einem der lebhaften Bahnhöfe stieg ein Herr ins Kupee, gerade als die Räder wieder an die Arbeit gingen. Er stolperte, trat auf Frau Annas neue Stiefel und fiel über ihre Knie hinweg auf den Nebensitz. Hier zog er den Hut und murmelte Conte Spina-Spontelli.

Aber Bekanntschaften, die uns zu leicht gemacht werden, schätzt man nicht. Frau Anna würdigte den Fremden keines Blickes, sah streng auf ihren Stiefel, der quer über der Nase eine Schramme erhalten hatte, um die ihn Hermann und jeder andere Student beneidet hätte.

Erst kurz vor Rom erinnerte sie sich, daß der Fremde das Wort Conte gemurmelt hatte. Im Flüsterton fragte sie Babette, ob nicht Conte auf deutsch Graf bedeute. Diese nickte.

Nun sah Frau Anna vorsichtig zu dem Fremden hinüber.

Er lächelte sofort. Liebenswürdig fragte er etwas in französischer Sprache.

Da Babette nichts zu hören schien, sagte Frau Bomberling, mit dem Finger auf ihre Brust deutend:

»Nur Deutsch.«

Der Herr fragte nun in deutscher Sprache, ob die blonden Damen Schwestern wären.

Frau Anna fühlte, daß dies ein Mann von echtem Adel war. Errötend erklärte sie ihm, daß Babette ihre Tochter sei.

127 Diese las Mommsens Römische Geschichte. Sie sah nicht auf. Sie wollte Paul von Anfang an beweisen, daß die Frauen von heute Wort hielten.

Als Frau Anna erzählt hatte, wo sie Wohnung nehmen werde, zeigte es sich, daß der Conte dieselbe Pension als Ziel hatte.

Frau Bomberling lächelte erfreut. Wie leicht man auf einer Fernfahrt in feine Kreise kam. Hier gab es keine Unterschiede des Standes. Hier galten Billette. Erster, zweiter oder dritter Klasse.

Bomberlings aber reisten erster.

So kam es, daß Frau Bomberling, einen echten Conte mit Doppelnamen an der Seite, in Rom einfuhr.

Babette fühlte nur das schwere, heiße Gold der Sonnenstrahlen. Blütenduft und Brunnenrauschen, Glockengeläut und die erregende Melodie der fremden Sprache drangen auf sie ein. Ihre blanken Augen hingen an dem tiefblauen Himmelsstreifen, der die Dächer zusammenband.

Frau Bomberling blickte sich neugierig um.

»Da haben sie gleich am Bahnhof eine Ruine aufgebaut,« sagte sie und zeigte mit dem Schirm auf die gewaltigen Thermenmauern, hinter denen sich der Kaiser Diokletian vor siebzehn Jahrhunderten dem Wohlgefühl des Bades hingegeben hatte.

Conte Spina-Spontelli lächelte und sagte, daß diese Ruinen nicht von gestern wären.

Frau Bomberling warf den Kopf zurück und erwiderte, daß sie das niemals angenommen hätte. Sie wisse sehr wohl, daß Rom die ewige Fremdenstadt sei . . . 128


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