Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

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Der Weihnachtsabend war da. Das große Familienfest. Aber Feierlichkeit im engen Familienkreis ist kein Vergnügen. Es sieht nur so aus.

98 Dieselben Menschen, die sich immer zu sehen gewohnt sind, müssen, festtäglich geschmückt, einander anlächeln, als wüßten sie sich kaum bei Namen zu nennen. Das ist unbequem.

Bomberling stand im schwarzen Rock vor dem Gabentisch im Salon und bewunderte das Petschaft der ägyptischen Mumie.

»Du hältst es verkehrt,« sagte Anna. »Der Verkäufer hat mir gezeigt, von welcher Seite man es ansehen muß.«

Gehorsam betrachtete Bomberling die Hieroglyphen von der anderen Seite.

Babette und Hermann spielten ein Weihnachtslied für Klavier und Geige.

Auf dem Flügel lag ein Herz aus Marzipan. Das hatte Hilde Wegner geschickt. Es brachte Babettens Gedanken auf andre Herzenssachen.

Hermann dachte, daß er morgen mit dieser selben Geige Lianes Gesang begleiten würde. Er spielte mit großer Innigkeit.

Die Eltern saßen in den großen Lehnstühlen.

Frau Anna tupfte sich gerührt die Augen. Wie schön die Kinder spielten. Wie vornehm. Den adligsten Mann würde dies Spiel erbaut haben.

Ein wenig ärgerlich sah sie zu Bomberling herüber, der auf den Tannenbaum starrte und es nicht verbarg, daß ihm Musik ein gleichgültiges Geräusch war.

Bomberling dachte an früher, an die Zeit, wo das Konzertieren der Kinder darin bestand, daß sie in Blechtrompeten bliesen. Jung war man damals gewesen und hatte reden können, wie einem der Schnabel gewachsen.

99 Die Musik brach ab. Man ging zu Tisch.

Langsam wie die Kerzen am Baum schwelte der Abend herunter. Bis man sich Gute Nacht sagen konnte . . .

Frau Bomberling hatte sich selbst etwas zu Weihnachten geschenkt. Eine kleine Waage, die ihr täglich zeigte, daß sie schlanker wurde.

Mit der ganzen Rechtschaffenheit, die ihr angeboren war, befolgte sie die Befehle des Arztes. Sie kroch wie eine Schildkröte und turnte wie ein Rekrut. Dreimal am Tage. Das machte müde. Aber sie ertrug es mit einem geheimnisvollen Lächeln. Sie wußte, daß sie etwas für Babettes Glück tat.

Voll Vertrauen wartete sie auf das neue Jahr, das mit dem Hausbesitzer beginnen sollte.

Aber vorher kam der Silvesterabend.

Der Weihnachtsbaum brannte ein zweites Mal. Doch heute hüpften und flackerten die Flammen der Lichter. Lachen und Geschwätz bewegte die Luft. Nicht nur Hilde Wegner und Paul waren da. Zwischen Onkel Albert und Tante Helene saß ein neuer Bekannter, saß der Wurstfabrikant Christian Sebold.

Als Christian Sebold Frau Bomberling vorgestellt wurde, mußte sie sich beherrschen, ihm nicht beide Hände entgegenzustrecken. Erschreckt sah sie zu Babette hinüber, die mit Paul plauderte. Das war ein Mann, der jedem gefallen mußte. Groß und breitschultrig mit einem dicken blonden Schnurrbart und einer bunten Samtweste mit entzückenden Knöpfen. Distingiert und doch gemütlich.

Man war gleich miteinander bekannt geworden. Er 100 saß zwischen ihnen, wie wenn er da immer gesessen hätte. Und wovon auch die Rede war, er wußte Bescheid.

Hilde Wegner erwähnte Italien. Ihre Tante wollte dort hinreisen.

»Tüchtiges, forsches Land,« sagte Christian Sebold und strich den Schnurrbart.

Man fragte begierig, ob er schon dortgewesen sei.

»Nein,« sagte er, »noch nicht. Aber ich stehe in steter Verbindung damit. Alle Mortadella aus Bologna, alle Salami aus Napoli. Am Golf von Neapel, Italia.«

»Wie wohlklingend,« bemerkte Frau Bomberling.

Und so unterhielt man sich weiter; gut, angeregt und belehrsam.

Nur Onkel Albert saß müde dabei.

»Kein Wunder,« sagte Tante Helene. – »Er kommt doch nie unter Menschen. Jeden Abend sind wir allein zu Haus.«

Man ist oft offenherziger, als man weiß.

Christian Sebold holte eine dicke Brieftasche hervor.

»Dem kann abgeholfen werden,« sagte er und überreichte Tante Helene eine Dauerkarte für den Verein »Sorgenbrecher«, dessen Präsident er war.

»Jeden Abend gemütliche Unterhaltung für jeden, der kommt.«

»Unterhaltung,« wiederholte Onkel Albert mürrisch. »Der eine wartet, bis der andere ausgeredet hat, damit er wieder selbst anfangen kann. Das ist alles.«

Er war ein wenig gallenleidend und hatte sich den ganzen Tag mit Tante Helene herumgestritten. Sie hatte die Hausschuhe Nachtschuhe genannt. Er hatte ihr erklärt, 101 daß man Morgenschuhe sage, worauf sie behauptet hatte, das eine wäre so richtig wie das andere. Das beruhte nicht auf Wahrheit. Er wartete nur darauf, daß sie wieder allein waren.

»Laßt uns das alte Jahr fidel beschließen,« sang Christian Sebold und klopfte Onkel Albert gemütlich auf die Schulter.

»Seine Frau wird es einmal gut haben,« dachte Frau Bomberling.

Zu ihrer Freude scherzte und lachte Babette sehr viel mit Christian Sebold. Sie war ganz anders als in den letzten Tagen.

Babette dachte, daß Fritz Wegner seine Schwester fragen könnte, wie Babette am Silvesterabend gewesen sei. Lustig, sehr lustig, sollte Hilde antworten können.

Darum spielte sie Klavier und sang und löste lachend die Rätsel, die Christian Sebold aufgab.

Als es zwölf schlug, ließ man die Gläser aneinanderklingen.

»Auf Glück und Wohlstand, prost!« sagte Christian Sebold und ging mit festem Schritt von einem zum andern.

Bomberling stieß mit niemandem an. Er ging nur zu Babette und strich leise über ihr Haar.

Frau Bomberling sagte, das Tränentuch in der Hand:

»Daß unser Hermann heute nicht bei uns ist.«

Eine dringende Unterredung mit einem Freund hielt Hermann vom Elternhause fern.

»Wir müssen zusammen über die Schwelle des neuen Jahres stolpern, mein Kleiner,« hatte Liane gesagt . . .

102 »Hast du denn auch mit Herrn Sebold angestoßen, mein Kind?« fragte Frau Bomberling, als sie ihrer Babette den Neujahrskuß gab.

»Ich glaube,« sagte Babette.

»Gefällt dir dieser dicke Wurstfabrikant?« fragte Paul.

»Ich glaube,« sagte Babette und gähnte ein wenig.

Es war spät als man sich trennte.

Heute kroch Frau Bomberling nicht um ihr Schlafzimmer. Obwohl Bomberling sofort eingeschlafen war und nichts gemerkt hätte.

Sie sagte sich, daß Christian Sebold ein Mensch sei, dem es nicht darauf ankommen würde, ob die Mutter seiner Braut ein Gramm mehr oder weniger wog.

Mit dem Gefühl, daß es doch noch gute Menschen gab, schlief sie rasch und lächelnd ein.

 


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