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Fünftes Kapitel

1.

Oliver hatte die Tage seit Mabels Verschwinden in unbeschreiblicher Aufregung verbracht. Er hatte getan, was möglich war; er hatte ihre Spur bis zur Haltestelle und Viktoria-Station verfolgt, wo er den Faden wieder verlor; er hatte sich mit der Polizei ins Benehmen gesetzt, und die amtliche, nichtssagende Antwort lautete dahin, daß nichts Neues vorliege, und erst am Dienstag nach ihrer Entfernung hatte ihn Mr. Francis, der zufällig von seinem Mißgeschick hörte, telephonisch benachrichtigt, daß er Freitag abends mit ihr gesprochen habe, aber die Auskunft, die er von ihm erhielt, konnte ihn keineswegs befriedigen – was er hörte, bedeutete in der Tat eher eine Verschlimmerung als eine Verbesserung, denn der Bericht, den Oliver über die Unterredung empfing, konnte ihn trotz Mr. Francis' Versicherungen, daß Mrs. Brand keinerlei Neigung zur Verteidigung des christlichen Standpunktes gezeigt habe, nur noch mehr herabstimmen.

Zwei Theorien hatten sich nach und nach in ihm festgesetzt; entweder, sie hatte sich unter den Schutz irgendeines unbekannten Katholiken begeben oder – und der Gedanke machte ihn halb krank – sie hatte irgendwo um Euthanasia nachgesucht, wie sie einst gedroht, und stand nun unter dem Schutze des Gesetzes; derartige Fälle waren seit dem Inkrafttreten desselben vom Jahre 1998 nichts Außergewöhnliches mehr. Und was ihm furchtbar war, er konnte ihre Handlungsweise nicht verurteilen.

Dienstag abends, als er niedergeschlagen in seinem Zimmer saß und zum hundertsten Male aus dem Labyrinth seines Gedankenaustausches mit ihr während der letzten Monate eine zusammenhängende Linie zu konstruieren versuchte, läutete plötzlich das Telephon an. Es war der rote Knopf von Whitehall, der hervorgesprungen war, und einen Augenblick schlug sein Herz rascher in der Hoffnung, es möchte Nachricht von ihr sein. Doch bei den ersten Worten schwand sie wieder.

»Brand«, fragte die scharfe, geheimnisvolle Stimme, »sind Sie es?«

»Ja, ich bin es, Snowford.«

»Sie werden sofort gewünscht – sofort, verstehen Sie. Es ist eine außerordentliche Ministerratssitzung um zwanzig Uhr. Der Präsident wird ihr beiwohnen. Sie begreifen die Wichtigkeit. Habe keine Zeit für weiteres. Kommen Sie sofort in mein Bureau.«

Selbst diese Botschaft vermochte ihn kaum abzulenken. Er sowohl wie auch die übrige Welt war nicht mehr überrascht von dem plötzlichen Erscheinen des Präsidenten. Er kam und verschwand ohne Ankündigung, immer unterwegs und immer beschäftigt, mit einer unglaublichen Energie, doch, wie es schien, immer seine persönliche Ruhe bewahrend.

Es war bereits neunzehn Uhr vorüber. Oliver hatte sofort gespeist, und eine Viertelstunde vor der Zeit stellte er sich bei Snowford ein, wo bereits ein halbes Dutzend seiner Kollegen versammelt waren.

Der Minister, dessen Züge eine auffallende Erregung verrieten, kam ihm entgegen, ihn zu begrüßen und zog ihn an einem Knopfe seines Rockes beiseite.

»Hören Sie, Brand, man wünscht, daß Sie zuerst sprechen – unmittelbar nach des Präsidenten Sekretär, der die Sitzung eröffnen wird. Sie kommen von Paris. Es handelt sich um etwas ganz Neues. Er hat Informationen erhalten über den Aufenthalt des Papstes … Es scheint, daß es einen solchen gibt … Oh, Sie werden sofort verstehen … Übrigens«, fuhr er fort, das überraschte Gesicht seines Gegners betrachtend, »es tat mir leid, von Ihrem Unglück zu hören. Pemberton sprach mir soeben davon.«

Oliver erhob abwehrend die Hand.

»Sagen Sie mir«, fragte er, »was soll ich sagen?«

»Nun, der Präsident wird einen Vorschlag machen, vermuten wir. Sie kennen unsere Ansichten zur Genüge. Sie haben nur unsere Stellungnahme den Katholiken gegenüber darzulegen.«

Olivers Augen leuchteten plötzlich unter den Brauen auf. Er nickte.

Cartwright, eine hochgewachsene, wenn auch etwas gebeugte Erscheinung eines Greises mit einem Gesichte wie aus Pergament, wie es einem Justizminister gut anstand, kam auf ihn zu.

»Sagen Sie einmal, Brand, was wissen Sie von einem Mann, namens Phillips? Er soll Ihren Namen genannt haben.«

»Er war mein Sekretär«, sagte Oliver gelassen. »Was ist es mit ihm?«

»Er muß verrückt sein. Er hat sich der Behörde gestellt mit dem Verlangen, verhört zu werden; diese hat um Instruktionen gebeten. Sie wissen, das Gesetz ist kaum erst in Kraft getreten.«

»Aber was hat er getan?«

»Das ist eben die Schwierigkeit. Er sagt, er könne weder bestreiten, daß es einen Gott gibt, noch könne er es behaupten. – Er war also Ihr Sekretär, nicht?«

»Gewiß. Ich wußte, daß er zum Christentum hinneige, und ich mußte ihn daher entlassen.«

» Well, wir haben ihn auf eine Woche zurückgestellt, vielleicht ist er bis dahin imstande, sich klar zu werden.«

Dann wandte sich das Gespräch anderen Gegenständen zu. Der eine oder andere kam noch heran, und von allen Seiten wurde Oliver mit einem gewissen Interesse betrachtet; es hatte sich herumgesprochen, daß seine Frau ihn verlassen habe, und man war neugierig, zu sehen, wie er dies trug.

Fünf Minuten vor zwanzig Uhr ertönte ein Glockenzeichen, und die Türe nach dem Sitzungssaal wurde geöffnet.

»Kommen Sie, meine Herren!« rief der Ministerpräsident.

Dieser Saal war ein langgestreckter, hoher Raum des ersten Stockes; seine Wände zierten vom Boden bis zur Decke hinauf lange Reihen von Büchern. Ein Kautschukbelag machte jeden Tritt unhörbar. Fenster gab es nicht, der Raum wurde künstlich beleuchtet. Ein langer Tisch mit je acht Lehnsesseln zu beiden Seiten durchlief den Saal in seiner ganzen Länge; am Kopfe desselben erhob sich auf einer erhöhten Estrade der Sitz des Präsidenten.

Ein jeder schritt stillschweigend direkt auf seinen Stuhl zu und blieb erwartungsvoll stehen.

Der Raum war trotz der mangelnden Fenster angenehm kühl und stand in einem wohltuenden Gegensatz zu der Abendhitze, durch welche die meisten der Herren gekommen waren.

Eine Minute vor der vollen Stunde schlug die Glocke nochmals an, in vier Schlägen, dann wurde es wieder stille. Instinktiv wandte sich ein jeder der hohen Schiebetüre hinter dem Präsidentenstuhle zu. Totenstille herrschte im Saale, wie außerhalb, denn die geräumigen Regierungsbureaus waren aufs reichste mit jeden Schall ertötenden Apparaten ausgestattet, und nicht einmal das etwa hundert Meter entfernte Rasseln der gewaltigen Motore war imstande, auch nur den geringsten Ton durch die zwischen den Wänden befindliche Kautschukschicht dringen zu lassen. Ein Laut nur fand Zutritt, die Stimme des Donners. Es war noch nicht gelungen, auch diese auszuschließen.

Tiefer noch schien sich der Schleier des Schweigens zu senken, dann öffnete sich die Türe, und eine Gestalt trat rasch herein, gefolgt von einer anderen in Scharlach und Schwarz.

2.

Begleitet von zwei Sekretären, schritt Felsenburgh seinem Stuhl zu, verbeugte sich leicht nach beiden Seiten hin, setzte sich dann und machte eine kurze Handbewegung. Dann ließen sich auch die anderen, voll Erwartung, auf ihre Stühle nieder. Vielleicht zum hundertsten Male starrte Oliver den Präsidenten an, und immer wieder mußte er dessen Ruhe und erstaunliche Persönlichkeit bewundern. Er trug die Amtstracht, wie sie nun Jahrhunderte hindurch sich erhalten hatte – Schwarz und Scharlach, mit weißem Pelz verbrämte Ärmel und eine rote Schärpe – und sie war durch ihn, der nun an der Spitze der gesetzgebenden Körperschaft stand, als Präsidialtracht angenommen worden. Doch das Wunderbare lag in der Atmosphäre, die von ihm ausströmte, in seiner Persönlichkeit. Sie wirkte wie frische Seeluft auf die physische Natur – erfreuend, stärkend, aufmunternd, berauschend. Ein unaussprechlicher Reiz, wie ihn etwa zur Frühlingszeit die blühenden Bäume hervorrufen, rührend wie die klagenden Töne der Saiten, hinreißend wie ein Sturm, lag darüber. So hatten es die Schriftsteller beschrieben. Sie verglichen sein Wesen mit einem klaren, fließenden Wasser, mit dem Funkeln eines Edelsteines, mit der Liebe des Weibes. Gelegentlich überschritten sie selbst die Grenzen des Vernünftigen und sagten, seine Persönlichkeit passe zu allen Stimmungen, wie das Rauschen des Wassers. Immer und immer wieder nannten sie dieselbe so ausdrücklich wie möglich die endlich in vollkommenster Weise fleischgewordene göttliche Natur …

Dann entriß sich Oliver seinen Gedanken, denn der Präsident, mit gesenkten Augen und zurückgelehntem Kopfe, machte dem rotwangigen Sekretär zu seiner Rechten ein Zeichen, und dieser, bewegungslos und wie ein Schauspieler, der seine Rolle aufsagt, begann mit ruhiger, kräftiger Stimme:

»Meine Herren, der Präsident kommt direkt von Paris. Diesen Nachmittag war Se. Exzellenz in Berlin; heute bei Tagesanbruch in Moskau, gestern in Neuyork. Diesen Abend noch hat er in Turin zu sein und morgen erfolgt die Rückkehr durch Spanien, Nordafrika, Griechenland und die Staaten des südlichen Orients.«

Dies war die gewöhnliche Form der Einleitung derartiger Reden. Der Präsident sprach jetzt wenig mehr selbst, war jedoch bei Anlässen wie heute auf eine sorgfältige Instruierung bedacht. Seine Sekretäre zeigten sich vollkommen geschult, und der Sprecher bildete keine Ausnahme. Nach einer kurzen Pause fuhr dieser fort:

»Es handelt sich um folgendes, meine Herren. Letzten Dienstag unterzeichneten, wie Sie wissen, die Bevollmächtigten in diesem Raume den Testakt, der dann unmittelbar darauf der ganzen Welt bekanntgemacht wurde. Um sechzehn Uhr erhielt Se. Exzellenz Mitteilung von einem Manne namens Dolgorovsky – der, wie verlautete, einer der Kardinäle der katholischen Kirche ist. Wenigstens behauptet er, dies zu sein, und wie die Nachforschungen ergaben, ist es richtig. Seine Mitteilung bestätigte, was Se. Exzellenz bereits vermutet hatte – nämlich, daß es einen Mann gab, der Papst zu sein beanspruchte und kurz nach der Zerstörung Roms, nach der seine Wahl – zu Jerusalem – erfolgte, weitere Kardinäle kreiert hatte. Es scheint, daß dieser Papst in hervorragend staatsmännischer Weise seinen Namen und Aufenthalt selbst seinen eigenen Anhängern, mit Ausnahme der zwölf Kardinäle, geheimzuhalten für gut befunden hat, daß er insbesondere mit Hilfe eines dieser Kardinäle und im allgemeinen durch seinen neuen Orden sehr viel an der Wiederaufrichtung der katholischen Kirche gearbeitet hat und in diesem Augenblick, fern von der übrigen Welt, in vollkommener Sicherheit lebt.

»Se. Exzellenz glaubt, sich selbst tadeln zu müssen, daß er sich mit einer derartigen Vermutung begnügt habe – irregeführt durch die Annahme, daß, wenn es noch einen Papst gab, die Kunde davon jedenfalls auch von anderer Seite gekommen wäre, denn, wie wohl bekannt ist, ruht das ganze Gebäude der christlichen Kirche auf dem Papste wie auf einem Felsen. Se. Exzellenz war außerdem der Meinung, daß an jenem Orte, wo, wie man hört, der Papst leben soll, Nachforschungen anzustellen sind.

»Der Name des Mannes, meine Herren, ist Franklin –«

Oliver fuhr unwillkürlich auf, doch kehrte in seinen Blick sofort wieder jener verständnisinnige Glanz zurück, als der Präsident auf einen Augenblick seine Bewegungslosigkeit unterbrach.

»Franklin«, wiederholte der Sekretär, »und lebt in Nazareth, wo, der Sage zufolge, der Gründer des Christentums seine Jugend zugebracht hat.

»All dieses, meine Herren, gelangte am Donnerstag der vergangenen Woche zur Kenntnis Sr. Exzellenz. Es wurden sogleich Erkundigungen eingezogen, und Freitag morgens lief eine weitere Mitteilung von Dolgorovsky ein, daß der Papst eine Zusammenkunft seiner Kardinäle sowie der anderen kirchlichen Würdenträger aus allen Teilen der Welt nach Nazareth einberufen habe, um zu erwägen, welche Schritte angesichts des neuen Dekrets zu tun seien. Se. Exzellenz nimmt Veranlassung, auf den Mangel an politischem Scharfblick, der in dieser Maßregel zutage tritt, hinzuweisen und der sich schwer mit dem früheren Verhalten in Einklang bringen läßt. Diese Persönlichkeiten finden sich, durch besondere Boten geladen, nächsten Samstag zusammen und werden nach Vornahme einiger christlicher Zeremonien am folgenden Morgen ihre Beratungen beginnen.

»Zweifellos wünschen Sie, meine Herren, die Motive Dolgorovskys zu kennen, die ihn zu diesen Mitteilungen veranlaßt haben. Es gereicht Sr. Exzellenz zur Befriedigung, sagen zu können, daß dieselben durchaus aufrichtig und echt sind. Der Mann hat den Glauben an seine Religion verloren und ist in der Tat dahingekommen, einzusehen, daß diese das bedeutendste Hindernis für die Konsolidierung der Rasse bildet. Er hat es daher für seine Pflicht gehalten, diese Mitteilung Sr. Exzellenz zu unterbreiten. Es ist nicht ohne Interesse, die historische Parallele zu verfolgen, die darin besteht, daß ein ganz gleichgeartetes Vorkommnis das Entstehen des Christentums markierte, wie es voraussichtlich seine Ausrottung kennzeichnen wird, nämlich die Verständigung der Gegenseite durch eines der Häupter über den Ort und die Art, wie der Hauptperson am besten beizukommen ist. Sicher ist es auch nicht weniger bezeichnend, daß der Schauplatz des Endes mit dem des Entstehens zusammenfällt …

»Meine Herren, der Vorschlag Sr. Exzellenz hinsichtlich der Durchführung des Dekretes, dem Sie alle Ihre Zustimmung erteilt, geht nun dahin, daß Samstag nachts eine bewaffnete Macht sich nach Palästina begibt, die am Sonntag morgens, wenn alle diese Männer versammelt sind, so schnell und rücksichtsvoll wie möglich, das Werk vollendet, an das die verbündeten Regierungen bereits Hand gelegt. Die Zustimmung der Staaten, die bisher befragt wurden, war eine einstimmige, und es ist kaum zu bezweifeln, daß auch die übrigen sich anschließen werden.

»Jede Regierung soll an dem Schlußakte tätigen Anteil nehmen, denn es handelt sich um eine Art sinnbildlichen Aktes, und zu diesem Zwecke wurde es für gut befunden, daß ein jeder der drei Staatenverbände der Welt im Verhältnis zur Anzahl der darin vertretenen Regierungen Flugschiffe abordne, insgesamt also hundertzweiundzwanzig, die das Werk auszuführen haben. Für diese Flugschiffe soll kein gemeinsamer Treffpunkt bestimmt werden, da zu befürchten ist, daß sonst die Kunde hiervon vorzeitig Nazareth erreiche; wie bekannt, hat dieser neue Orden Christi des Gekreuzigten ein hoch entwickeltes Spionagesystem eingerichtet. Der Sammelpunkt soll daher nirgend anderswo als in Nazareth selbst sein; als Zeitpunkt ist neun Uhr nach der dortigen Zeitrechnung gedacht. Diese Einzelheiten sollen jedoch erst noch entschieden und bekanntgegeben werden, sobald bezüglich des Gesamtplanes ein Beschluß gefaßt sein wird.

»Hinsichtlich der genauen Art der Ausführung desselben neigt Se. Exzellenz zu der Meinung, daß es im beiderseitigen Interesse vorzuziehen sein wird, mit den bezüglichen Personen in keinerlei Verhandlungen einzutreten. Eine Möglichkeit zu fliehen, falls sie sich dazu entschließen wollen, soll den Bewohnern des Dorfes gewährt werden und dann kann mittelst der mitgeführten Explosivstoffe in einem einzigen Augenblicke ein Ende gemacht werden.

»Se. Exzellenz ist geneigt, sich zu beteiligen und will von seinem eigenen Fahrzeuge aus die Hauptentladung vornehmen lassen. Es erscheint nur angemessen, daß die Welt, die Sr. Exzellenz die Ehre ihrer Wahl zum Präsidenten angetan hat, sich dessen eigener Hand bediene, und es würde dies wenigstens einigermaßen einen Zoll der Achtung gegenüber einem Aberglauben darstellen, der, wenn auch noch so verbrecherisch, dennoch die einzige Macht ist, die dem wahren Fortschritte der Menschheit Widerstand zu leisten imstande war.

»Se. Exzellenz gibt Ihnen ihr Wort, meine Herren, daß für den Fall der Ausführung dieses Planes das Christentum uns in Zukunft nicht mehr belästigen wird. Der moralische Erfolg des Testaktes ist bereits ein ungeheurer. Wie man hört, haben in diesen wenigen Tagen Katholiken, darunter sogar Mitglieder dieses neuen fanatischen Ordens, zu Zehntausenden ihrem törichten Glauben entsagt und ein letzter Schlag nach dem eigentlichen Herzen und Haupte der katholischen Kirche, der, wie dies gedacht ist, ein für allemal den Stützpunkt, auf dem die gesamte Organisation sich aufbaut, beseitigt – ein solcher Schlag würde auch ein Wiedererstehen unmöglich machen. Es ist eine feststehende Tatsache, daß nach einem Erlöschen der Linie der Päpste und der Vernichtung jener, die zu deren Fortpflanzung erforderlich sind, selbst für den Allerunwissendsten außer Frage sein wird, daß die Aussprüche Jesu nicht weiter mehr die Forderung erheben können, vernünftig oder ausführbar zu sein. Selbst der Orden, dem der Hauptanteil an dieser neuen Bewegung zuzuschreiben ist, muß dadurch zu bestehen aufhören.

»Eine Schwierigkeit bietet natürlich Dolgorovsky, denn es steht nicht vollkommen fest, ob ein Kardinal zur Fortpflanzung jener Linie für hinreichend erachtet werden würde. Se. Exzellenz sieht sich daher, wenn auch mit Widerstreben, veranlaßt, nahezulegen, daß nach Durchführung dieser Angelegenheit auch Dolgorovsky, der natürlich nicht bei seinen Kollegen in Nazareth sich einfinden wird, so schonungsvoll wie möglich der Gefahr eines Rückfalles entzogen werden soll.

»Se. Exzellenz bittet Sie nun, meine Herren, so kurz wie möglich Ihre Ansichten über die Punkte darzulegen, von denen zu sprechen ich den Vorzug hatte.«

Damit schwieg die ruhige, geschäftsmäßige Stimme. Er hatte von Beginn bis zu Ende in vollkommen gleichmäßig ruhiger Weise gesprochen; seine Augen waren gesenkt, die Stimme zurückhaltend, und sein ganzes Verhalten verdiente Bewunderung.

Für einen Augenblick trat Schweigen ein, und aller Augen wandten sich der bewegungslosen Gestalt in Schwarz und Scharlach mit den Elfenbeinzügen zu.

Dann erhob sich Oliver. Sein Gesicht war weiß wie Kreide, die Augen leuchtend und weit geöffnet.

»Sir«, begann er, »ich hege keinen Zweifel, daß wir alle derselben Meinung sind. Es genügt, wenn ich sage, daß, soweit ich als Vertreter meiner Herren Kollegen spreche, wir dem Vorschlage zustimmen und die Bestimmung der Einzelheiten in die Hände Ew. Exzellenz legen.«

Der Präsident erhob die Augen und ließ sie rasch über die ihm zugewandten strengen Gesichter hingleiten.

Dann ergriff er unter atemloser Stille zum erstenmal das Wort mit jener seltsamen leidenschaftslosen eisigen Stimme:

»Erhebt sich irgendein Gegenvorschlag?«

Es erfolgte nur ein Murmeln des Zustimmens, während die Herren sich erhoben.

»Ich danke Ihnen, meine Herren«, sagte der Sekretär.

3.

Es war Samstag morgens, kurz vor sieben Uhr, als Oliver den Kraftwagen verließ, der ihn nach Wimbledon Common gebracht hatte, und die zu der seit fünf Jahren aufgelassenen, ehemaligen Flugschiffstation emporführenden Treppe hinanstieg. Man hatte es mit Rücksicht auf die absolute Geheimhaltung für gut erachtet, daß Englands Vertreter bei dieser Expedition von einem verhältnismäßig unbekannten Punkte aufbrechen sollten, und so hatte man diese alte Station, die, abgesehen, von gelegentlichen Versuchsfahrten neuer Regierungsflugschiffe, jetzt außer Gebrauch gesetzt war, ausgewählt. Selbst den Fahrstuhl hatte man abgenommen, und man mußte nun die hundertfünfzig Treppen zu Fuß machen.

Nicht ohne gewisse Unlust hatte Oliver diesen Posten unter den vier Delegierten angenommen, denn er hatte noch nicht das mindeste über Mabel erfahren, und es war ihm ein schrecklicher Gedanke, London verlassen zu müssen, während ihr Schicksal noch unaufgeklärt war. Sein Sekretär war zurückgeblieben mit der Weisung, für den Fall, daß während seiner Abwesenheit bezüglich Mabels irgendwelche Kunde käme, keine Kosten zu sparen, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen.

Es war entsetzlich heiß diesen Morgen, und als er die Plattform erreichte, konnte er bemerken, daß das in seinem Netze ruhende Monstrum bereits seine weiße Aluminiumhülle angelegt hatte, und die Ventilatoren im Korridor und Salon in Tätigkeit waren. Er trat ein, um sich einen Platz im Salon zu belegen, stellte seine Handtasche nieder und kehrte nach ein paar Worten mit dem Beamten, der natürlich den Bestimmungsort noch nicht kannte und ihm mitteilte, daß noch niemand hier sei, wieder auf die Plattform zurück, um noch kurz die etwas frischere Luft zu genießen und sich ungestört seinen Gedanken hingeben zu können.

Etwa zehn Minuten waren vergangen, als er den roten Regierungsmotor mit überspanntem Sonnendache in der Richtung von Fulham die Straße heraufkommen sah, und nach weiteren fünf Minuten erschienen seine drei Reisegefährten mit ihren Dienern hinter sich – Maxwell, Snowford und Cartwright, alle, gleich Oliver, von Kopf bis zu Fuß in weiße Leinwand gekleidet.

Sie sprachen kein Wort bezüglich ihres Vorhabens, denn die Bedienungsmannschaft lief noch hin und her, und es war ratsam, auch der geringsten Möglichkeit eines Verrates vorzubeugen. Man hatte nur wissen lassen, daß das Flugboot zu einer dreitägigen Reise benötigt werde, daß für die während eines solchen Zeitraumes erforderlichen Vorräte zu sorgen sei, und daß das erste Ziel, gegen das der Kurs sich zu richten habe, die südliche Küste sei. Während des ersten Tages und der ersten Nacht würde nicht angehalten werden.

Vom Präsidenten waren am vorhergehenden Morgen, um welche Zeit er seine Rundfahrt beendigt und die Zustimmung der zu diesem Zwecke einberufenen außerordentlichen Ministerräte der gesamten Welt erhalten hatte, weitere Verhaltungsmaßregeln eingelaufen. So berichtete in halblautem Tone Snowford und fügte, während die vier beisammenstanden und über die Stadt hinblickten, noch einige weitere Worte bezüglich der Details bei.

Der Plan war, wenigstens soweit er England betraf, kurz folgender: das Flugschiff hatte sich Palästina vom Mittelländischen Meere her zu nähern und darauf zu achten, daß es in einer Entfernung von zehn Meilen vom Ostende Kretas zur Linken mit Frankreich und zur Rechten mit Spanien die Verbindung herstellte. Als ungefährer Zeitpunkt war dreiundzwanzig Uhr nach orientalischer Zeit festgesetzt. Dort angelangt, hatte es ein Nachtsignal zu führen, eine rote Linie auf weißem Felde. Im Falle es ihm nicht gelingen würde, seine Nachbarn zu bemerken, sollte es an jener Stelle in einer Höhe von dreihundert Meter so lange kreuzen, bis entweder die beiden gesichtet oder anderweitige Befehle einlaufen würden. Um für unvorhergesehene Fälle gerüstet zu sein, begleitete des Präsidenten Fahrzeug, welches als letztes vom Süden her einlaufen würde, ein aide-de-camp, ein Hilfsboot, das eine sehr hohe Schnelligkeit zu entwickeln imstande sein würde und dessen Signale als Felsenburghs eigene anzusehen wären. Sobald der Kreis mit einem Radius von fünfhundertvierzig Meilen um Jezrael als Mittelpunkt geschlossen wäre, hatten die Schiffe voranzugehen und dabei langsam bis auf eine Höhe von zweihundert Meter über den Meeresspiegel zu fallen und die Entfernung untereinander von fünfundzwanzig Meilen, oder soweit sie eben zuerst voneinander entfernt sein würden, auf das zur Manöveriersicherheit nötige Minimum zu verringern. Auf diese Weise würde ein Vorrücken von fünfzig Meilen in der Stunde, angefangen von dem Momente, da der Kreis sich schloß, sie Sonntag morgens gegen neun Uhr in Sicht von Nazareth bringen.

Während die vier, in Stillschweigen versunken, beisammenstanden, kam einer der Wärter herzu.

»Wir sind fertig, meine Herren«, sagte er.

»Was halten Sie vom Wetter?« fragte Snowford.

Der Mann warf die Lippen etwas auf. »Ein wenig Donner, glaube ich, Sir«, erwiderte er.

Oliver blickte ihn etwas eigentümlich an.

»Und weiter nichts?«

»Sagen wir, ein kleines Gewitter«, versetzte der Mann kurz.

Snowford wandte sich dem Mittelgange zu.

» Well, wir werden am besten gleich abfahren«, meinte er; »wir können dann, wenn wir wollen, später etwas mehr Zeit verlieren.«

Noch zirka fünf Minuten, und alles war zur Abfahrt bereit. Vom Sterne des Bootes drang schwacher Küchenduft her, denn das Frühstück sollte sogleich serviert werden, und ein Koch mit weißer Mütze streckte auf einen Augenblick den Kopf durch die Türspalte, um an den Wärter eine Frage zu richten. Die vier Herren ließen sich in dem prachtvoll ausgestatteten, im Buge untergebrachten Salon nieder, Oliver schweigend und getrennt von den anderen, während diese leise mitsammen sprachen. Nochmals kam der Beamte, der sich nach seiner Abteilung im Vorderteil des Buges begab, durch und überzeugte sich, ob alles sitze. Im nächsten Augenblicke erklang das Signal. Wenige Sekunden darauf machte ein Zittern – es war das schnellste Boot, das England besaß – sich durch dessen ganze Länge fühlbar, denn der Propeller begann zu arbeiten.

Snowford, ein wenig taumelnd, erhob sich.

»Ich kann ebensogut jetzt schon den Führer in alles einweihen«, sagte er. »Wir brauchen dann später nicht mehr gestört werden.«


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