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Viertes Kapitel

1.

An demselben Nachmittage erhielt Percy den Besuch eines Mannes.

Es war nichts Auffälliges an ihm, und als Percy in seinem Straßenanzug herunterkam und ihn in dem Lichte, das durch das hohe Fenster des Sprechzimmers einströmte, stehen sah, konnte er sich über die Person und deren Anliegen keine weitere Vorstellung machen, als die, daß er es mit einem Nichtkatholiken zu tun hatte.

»Sie wünschten mich zu sprechen«, sagte der Priester, indem er ihm einen Stuhl anwies. »Ich bedauere, Ihnen nicht viel Zeit widmen zu können.«

»Ich werde Sie nicht lange in Anspruch nehmen; meine Angelegenheit ist in fünf Minuten erledigt.«

Percy wartete mit niedergeschlagenen Augen.

»Eine – eine Dame hat mich zu Ihnen gesandt. Sie war früher katholisch und wünscht, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden.«

Percy machte eine leichte Bewegung mit dem Kopf. Derartige Nachrichten war er in diesen Tagen nicht mehr gewohnt.

»Sie werden doch kommen, Sir, nicht wahr? Sie versprechen es mir?«

Der Mann schien sich in großer Aufregung zu befinden; sein fahles Gesicht war erhitzt und aus seinen Augen sprach Mitleid.

»Gewiß werde ich kommen«, versetzte Percy lächelnd.

»Ja, Sir; aber Sie wissen nicht, wer sie ist.« – »Es – es würde viel Aufsehen erregen, Sir, wenn man es erführe. Es darf nicht bekannt werden, Sir, wollen Sie mir auch dafür bürgen?«

»Dergleichen Versprechungen kann ich nicht machen«, sagte der Priester mit sanfter Stimme. »Die näheren Umstände sind mir noch unbekannt.«

Der Fremde biß sich verlegen die Lippen.

»Nun gut, Sir«, sagte er hastig. »Sie werden nicht darüber reden, bis Sie bei ihr gewesen sind? Das können Sie mir wohl versprechen!«

»Ja, gewiß«, sagte der Priester.

»Nun, Sir, es ist besser, daß mein Name Ihnen unbekannt bleibt. Es – es kann Ihre und meine Aufgabe erleichtern. Und – und wenn ich Sie bitten darf, Sir, die Dame ist krank; Sie müssen heute kommen, bitte, aber erst des Abends. Wäre es Ihnen um zwanzig Uhr möglich, Sir?«

»Wo ist es?« fragte Percy kurz.

»Es – es ist in der Nähe der Station Croydon. Sofort werde ich Ihnen die Adresse aufschreiben. Also, Sie werden vor zwanzig Uhr nicht kommen, Sir?«

»Warum nicht sofort?«

»Weil die – die anderen zu Hause sein könnten. Dann werden sie ausgegangen sein, ich bin dessen gewiß.«

Dies klang etwas verdächtig. Percy überlegte: von schimpflichen Intrigen hatte man ja schon gehört. Aber gerade ablehnen konnte er auch nicht.

»Weshalb läßt sie denn nicht ihren Pfarrer rufen?« fragte er.

»Sie – sie kennt ihn nicht, Sir; sie hat Sie einmal in der Kathedrale gesehen, Sir, und bat Sie um Ihren Namen. Erinnern Sie sich, Sir, eine alte Dame?«

Percy konnte sich wohl schwach an etwas Derartiges erinnern, das ihm vor ein oder zwei Monaten begegnet war; aber mit Gewißheit konnte er es nicht behaupten, wie er sagte.

»Nun, Sir, Sie werden kommen, nicht wahr?«

»Ich muß es Father Dolan mitteilen«, sagte der Priester. »Wenn er mir die Erlaubnis erteilt …«

»Aber bitte, Sir, Father – Father Dolan darf ihren Namen nicht erfahren. Sie werden ihm denselben nicht mitteilen?«

»Ich weiß ihn ja selbst noch nicht«, sagte der Priester lächelnd.

Der Fremde richtete sich plötzlich in seinem Stuhle auf und seine Züge verrieten sichtlich Erregung.

»Nun, Sir, gestatten Sie mir zuerst, Ihnen folgendes zu sagen. Der Sohn der alten Dame ist mein Vorgesetzter und ein sehr hervorragender Kommunist. Sie wohnt bei ihm und seiner Frau. Heute Abend werden diese beiden nicht zu Hause sein. Deshalb richte ich alle diese Bitten an Sie. Und so werden Sie also kommen, Sir?«

Ein paar Augenblicke sah ihn Percy scharf an. Gewiß, wenn dies eine Falle sein sollte, so waren die Beteiligten kaum zu fürchten. Dann erwiderte er:

»Ich werde kommen, mein Herr, ich verspreche es Ihnen. Also, wie ist der Name?«

Der Fremde biß sich wieder verlegen die Lippen und sah sich schüchtern nach allen Seiten um. Dann entschloß er sich, lehnte sich vornüber und flüsterte:

»Die alte Dame heißt Mrs. Brand, Sir, – sie ist die Mutter von Mr. Oliver Brand.«

Im ersten Augenblick war Percy betroffen. Es war fast zu außerordentlich, um wahr zu sein. Mr. Oliver Brands Name war ihm nur zu gut bekannt; er war es, der durch Gottes Zulassung zu dieser Stunde in England mehr als irgendein anderer gegen die Katholiken arbeitete; und er war es, der durch den Zwischenfall vom Trafalgar-Square so große Volkstümlichkeit erlangt hatte, und nun, hier war seine Mutter –

Er wandte sich plötzlich dem Fremden zu: »Ich weiß nicht, was sie sind, mein Herr, ob Sie an Gott glauben oder nicht; aber wollen Sie mir bei Ihrer Religion und Ihrer Ehre schwören, daß alles dieses auf Wahrheit beruht?«

Die scheuen Augen blickten ihn unentschlossen an, doch ihr Ausdruck war der der Schwäche, nicht des Verrates.

»Ich – ich schwöre es, Sir, bei dem allmächtigen Gott.«

»Sind Sie katholisch?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Aber ich glaube an Gott – meiner Meinung nach wenigstens.«

Percy lehnte sich zurück und versuchte, sich zu vergegenwärtigen, was all dies bedeuten mochte. An einen Triumph dachte er nicht – derartige Gefühle waren nicht seine schwache Seite; eine Art Furcht kam über ihn, eine Erregung, Verlegenheit und bei allem ein Gefühl der Genugtuung über die Unermeßlichkeit von Gottes Gnade. Wenn selbst diese Frau von ihr erreicht worden war, wer konnte dann zu weit entfernt sein, um von ihr nicht erreicht werden zu können? Es fiel ihm auf, daß der Fremde ihn besorgt anblickte.

»Fürchten Sie etwas, Sir? Sie werden doch von Ihrem Versprechen nicht abstehen?«

Dies heiterte Percy ein wenig auf, und er lächelte.

»Nein, nein«, sagte er. »Um zweiundzwanzig Uhr werde ich dort sein. Ist sie in Todesgefahr?«

»Nein, Sir, es ist Altersschwäche. Diesen Morgen war sie etwas wohler.«

Der Priester fuhr mit der Hand über seine Augen und erhob sich.

»Gut, ich werde dort sein«, sagte er. »Werde ich Sie dort treffen?«

Der andere schüttelte den Kopf und stand ebenfalls auf.

»Ich muß bei Mr. Brand sein, Sir; heut abend soll eine Versammlung stattfinden, aber ich darf nicht darüber reden … Nein, Sir; fragen Sie nur nach Mrs. Brand und sagen Sie, daß dieselbe Sie erwartet. Man wird Sie sofort hinaufführen.«

»Ich darf wohl nicht erwähnen, daß ich ein Priester bin?«

»Nein, Sir, wenn ich bitten darf.« –

Er zog sein Notizbuch heraus, schrieb schnell etwas hinein, riß das Blatt heraus und reichte es dem Priester.

»Hier, die Adresse, Sir. Wollen Sie, bitte, dies vernichten, nachdem Sie es abgeschrieben haben. Ich – ich möchte nicht meine Stellung verlieren, Sir, wenn es irgend möglich wäre.«

Percy hielt das Blatt einen Moment nachdenklich in der Hand.

»Warum sind Sie nicht selbst katholisch?« fragte er.

Der Fremde schüttelte stumm den Kopf. Dann ergriff er seinen Hut und empfahl sich.

Percy verbrachte den Nachmittag in ziemlich erregter Stimmung. Wenig war geschehen im Verlauf der letzten beiden Monate, was ihm hätte Mut einflößen können. Er hatte sich gezwungen gesehen, ein halbes Dutzend weitere Abfälle von erheblicher Bedeutung zu berichten, aber kaum eine einzige Bekehrung. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Flut gewaltig gegen die Kirche anstürmte. Die wahnsinnige Tat vorige Woche in Trafalgar-Square hatte ebenfalls unberechenbares Unheil angestiftet. Die herrschende Entrüstung war durch das schreckliche Ende des Mannes nicht im mindesten besänftigt worden; ja, es fehlte sogar nicht an Andeutungen, daß man eine Stunde vor dem Mordversuch den Mörder habe das erzbischöfliche Palais verlassen sehen.

Und nun war, mit dramatischer Geschwindigkeit, eine Botschaft gekommen, nach welcher des Helden eigene Mutter wünschte, zu der Kirche zurückzukehren, die es auf das Leben ihres Sohnes abgesehen haben sollte.

Immer und immer wieder, als Percy an jenem Nachmittag, um einen Priester in Worcester zu besuchen, nach Norden und dann in der Abenddämmerung wieder heimwärts eilte, fragte er sich, ob dies nicht doch am Ende ein Anschlag sein mochte – ein Art Rache, eine Falle für ihn. Doch er hatte nun einmal versprochen zu schweigen und zu gehen.

2.

Als er eine halbe Stunde später die noch immer nach der großen Königin des neunzehnten Jahrhunderts benannte Viktoria-Station betrat, fand er dieselbe nicht mehr und nicht weniger belebt als sonst. Das ununterbrochene Auf- und Absteigen der Fahrstühle zwischen den Eingängen am oberen Ende der Station beobachtend, stieg er ein und setzte sich nieder.

Jetzt, nachdem er sich wirklich unterwegs wußte, fühlte er sich ruhig. Er hatte gebeichtet, nur um seines eigenen Seelenheiles sicher zu sein, trotzdem er keine absolute Gefahr erwartete, und niemand hätte unter dem grauen Anzug und Strohhut einen Priester vermutet (es war die Erlaubnis erteilt worden, sich dieser Kleidung zu bedienen, sobald ein triftiger Grund vorlag). Da es sich nicht um unmittelbare Todesgefahr handelte, hatte er weder Pyxis noch Ziborium mitgebracht – Father Dolan hatte ihm gedrahtet, er möge sie nötigenfalls der St. Josephskirche in der Nähe der Station entnehmen. Nur die violette Schnur trug er, wie es bei Krankenbesuchen üblich war, bei sich.

Die Fahrt ging ruhig vonstatten; er starrte auf den leeren Platz ihm gegenüber und bemühte sich, seine innere Sammlung zu bewahren, als der Wagen plötzlich anhielt. Verwundert blickte er hinaus und die etwa 20 Fuß entfernten weißen Emailbahnsteige sagten ihm, daß der Zug sich bereits im Tunnel befand.

Da drang von fern her und an den Wänden des Tunnels widerhallend Geschrei, untermischt mit Geheul und Signalen; es wurde lauter und lauter, das Sprechen im Wagen hörte auf. Er vernahm, wie ein Fenster aufgerissen wurde und im nächsten Augenblicke sauste ein Wagen vorüber, der, obwohl auf dem Ausfahrtsgeleise, zur Station zurückfuhr. Dieser Sache muß man doch auf den Grund gehen, dachte Percy, es mußte etwas Außergewöhnliches sein, was vor sich ging; er erhob sich also und schritt durch das leere Abteil nach dem andern Fenster hin. Wieder hörte man ein lautes Durcheinander von Stimmen, wieder ertönten Signale, wieder flog ein Wagen vorüber und fast unmittelbar darauf ein zweiter. Ein plötzlicher Ruck – langsam bewegt der Wagen sich wieder. Percy taumelte und fiel auf einen Sitz nieder, da jener rückwärts zu laufen begann.

Zweimal hielt der Wagen an; nach ein oder zwei Signalen setzte er sich wieder in Bewegung, bis er endlich wieder an der Abgangsstation anlangte und etwa 100 Meter außerhalb derselben stehenblieb.

Ah! Es unterlag keinem Zweifel, daß etwas vorgefallen war! Kaum hatte er die Türe geöffnet, da tönte lautes Geschrei an sein Ohr, und als er ausstieg und nach dem Ende der Station hinblickte, ward ihm alles klar.

Von der Rechten zur Linken des mächtigen Raumes hin über die Bahnsteige erstreckte sich eine wogende, lärmende Menge, die mit jedem Moment wuchs. Der zwanzig Meter breite und nur in Notfällen geöffnete Treppenaufgang glich einem gigantischen schwarzen Katarakt von nahezu 200 Fuß Höhe. Und jeder heraneilende Wagen entlud immer noch mehr Männer und Frauen, die gleich Ameisen sofort der Ansammlung ihrer Mitbrüder zueilten. Das Getöse war unbeschreiblich, das Schreien der Männer, das Gekreische der Frauen, das Dröhnen und Pfeifen der Maschinen, und das schrille Trompetengeschmetter, sobald oben einer der Notausgänge geöffnet wurde und ein kleiner Strudel von Menschen sich durch denselben auf die Straße drängte. Aber ein einziger Blick genügte Percy, um ihn die ganze Menge vor sich vergessen zu lassen; denn dort, hoch oben unterhalb der Uhr, auf der Tafel, auf welcher die Bekanntmachungen der Regierung erfolgten, flammte in Riesenbuchstaben die Botschaft, die England wieder mit Leben erfüllte. Wohl ein dutzendmal las er sie, ehe er weiterschritt, und er starrte wie auf ein übernatürliches Gesicht, das den Triumph bedeutete, den Triumph des Himmels oder der Hölle.

Ȇbereinkunft des Ostens gebrochen.
Friede, nicht Krieg.
Internationale Brüderlichkeit hergestellt.
Felsenburgh heute nacht in London.«

3.

Es war erst nach zwei Stunden, als Percy vor dem Hause jenseits der Station Croydon stand.

Er hatte gestritten, gedroht, gebeten, aber die Beamten schienen wie besessen. Die Hälfte von ihnen war mit dem Gedränge nach der City verschwunden, denn trotz aller Vorkehrungen der Regierung war es durchgesickert, daß Pauls House, ehemals bekannt als Sankt Pauls Kathedrale, der Schauplatz für Felsenburghs Empfang sein sollte. Fort und fort leerten sich die Bahnsteige, um sich wieder zu füllen, und erst eine halbe Stunde vor Mitternacht begann das Abströmen sich bemerkbar zu machen.

Nun, hier war er endlich, sein Äußeres in Unordnung, ohne Hut und erschöpft, und blickte an den dunklen Fenstern hinauf.

Er wußte kaum, was er selbst von der ganzen Sache dachte. Krieg war ja wohl etwas Schreckliches. Und ein Krieg, wie dieser es gewesen wäre, wäre noch über alle Vorstellung hinaus entsetzlich gewesen, aber für die Einbildungskraft des Priesters gab es Dinge, die noch schlimmer waren. Was sollte er von einem Weltfrieden denken – das heißt, von einem Frieden auf einer anderen Grundlage als der von Christus gegebenen? Oder zielte doch dies alles auf Gott hin? Er wußte sich keine Antwort auf diese Fragen, die auf ihn einstürmten wie sprühende Funken, von denen jeder harmlos sein konnte, aber ebensogut auch imstande war, eine Welt in Flammen zu setzen. Und hier war nun eine alte Frau, die, ehe sie starb, sich mit Gott versöhnen wollte …

Er drückte noch drei- oder viermal auf den Knopf und wartete. Dann erschien ein Licht über ihm, und er wußte, daß er gehört worden war.

»Man hat nach mir geschickt«, erklärte er dem erstaunten Dienstmädchen. »Ich hätte um zweiundzwanzig Uhr hier sein sollen, doch wurde ich durch den Zudrang zur Stadt gehindert.«

Sie richtete eine Frage an ihn.

»Ja, es ist wahr, glaube ich«, sagte er. »Es ist nicht mehr Krieg, sondern Friede. Führen Sie mich, bitte, hinauf.«

An einer Türe des ersten Stockes wandte sich das Mädchen nach ihm um.

»Sind Sie Arzt, Sir?« fragte es.

»Das ist meine Sache«, antwortete Percy kurz und öffnete die Türe.

Ein schwacher, klagender Ruf kam von einer Ecke her, noch ehe er Zeit hatte, die Tür wieder zu schließen.

»Oh, Gott sei Dank! Ich dachte, er hätte meiner vergessen. Sind Sie ein Priester, Father?«

»Ich bin ein Priester. Erinnern Sie sich nicht, mich in der Kathedrale gesehen zu haben?«

»Ja, ja, Sir, ich sah Sie beten, Father. Oh, dem lieben Gott sei tausendfacher Dank!«

Percy blickte einen Moment auf sie hernieder, auf diese alten, geröteten, von einem Häubchen umrahmten Züge, in ihre eingesunkenen, doch lebhaften Augen und auf die zitternden Hände. Nein, hier lag keine Täuschung vor.

»Nun, mein Kind«, sagte er, »reden Sie.«

»Meine Beichte, Father.«

Percy zog die violette Stola heraus, legte sie um seine Schultern und setzte sich neben dem Bette nieder.

* * *

Nach der Beichte wollte sie ihn noch nicht gleich ziehen lassen: »Sagen Sie, Father, wann werden Sie mir die heilige Kommunion bringen?«

Er zögerte.

»Mr. Brand und seine Frau wissen natürlich von all diesem nichts.«

»Nein, Father.«

»Sagen Sie mir, sind Sie sehr krank?«

»Ich weiß nicht, Father; sie wollen es mir nicht sagen. Vergangene Nacht glaubte ich, es würde meine letzte sein.«

»Wann wünschen Sie, daß ich Ihnen die heilige Kommunion bringe? Ich richte mich ganz nach Ihnen.«

»Soll ich in einem oder zwei Tagen nach Ihnen schicken? Father, muß ich es ihm sagen?«

»Sie sind nicht dazu verpflichtet.«

»Wenn es nötig ist, so will ich es tun.«

»Nun, denken Sie darüber nach und lassen Sie mich wissen … Sie haben gehört, was vorgefallen ist?«

Sie nickte, aber beinahe ohne jedes Interesse, während Percy sein eigenes Herz heftiger schlagen fühlte. Schließlich war die Aussöhnung einer Seele mit Gott etwas Größeres als die Aussöhnung des Ostens mit dem Westen.

»Father, ich darf Sie nicht aufhalten; aber sagen Sie mir nur dies – wer ist dieser Mann?«

»Felsenburgh?«

»Ja.«

»Niemand weiß es. Morgen werden wir mehr darüber wissen. Er befindet sich heute abend in der Stadt.«

Ihr Aussehen war so eigentümlich geworden, daß Percy im ersten Augenblick an einen Krankheitsanfall dachte. Ihre Züge drückten eine innere Bewegung aus, ein Gedanke schien sie zu erfüllen, der ihr Furcht einflößte.

»Nun, mein Kind?«

»Father, mich befällt eine gewisse Angst, wenn ich an diesen Mann denke. Mir kann er doch nicht schaden, nicht wahr? Jetzt bin ich doch gerettet? Ich bin ja katholisch –?«

»Gewiß, mein Kind, sind Sie gerettet. Was gibt es denn? Wie könnte dieser Mann Ihnen Schlimmes tun?«

Doch der Ausdruck des Schreckens lag immer noch auf ihren Zügen, und Percy trat einen Schritt näher.

»Sie müssen sich nicht solchen Phantasien hingeben«, sagte er. »Vertrauen Sie nur auf unseren lieben Heiland. Der Mann kann Ihnen keinen Schaden zufügen.«

Seine Worte klangen, als spräche er zu einem Kinde, doch es war nutzlos. Ihre welken Lippen waren eingezogen und ihr Blick wanderte an ihm vorbei durch das düstere Schlafgemach.

»Sagen Sie mir, mein Kind, was gibt es? Was wissen Sie über Felsenburgh? Haben Sie geträumt?«

Sie richtete sich ein wenig im Bette auf, nochmals ängstlich im Zimmer umherspähend; dann streckte sie ihm ihre dürre, mit Ringen besteckte Hand entgegen, und er legte die seine verwundert hinein.

»Die Türe ist geschlossen, Father? Horcht niemand?«

»Nein, nein, mein Kind, weshalb zittern Sie? Sie müssen nicht abergläubisch sein.«

»Ich will es Ihnen erzählen, Father. Träume sind Unsinn, nicht wahr? Nun, wie dem auch sei, dies ist, was ich geträumt habe:

Ich war irgendwo in einem großen Hause; wo es war, weiß ich nicht. Es war ein Haus, das ich nie gesehen hatte. Es war eines von den alten Häusern und es war sehr düster. Ich glaubte, ich sei noch ein Kind, und ich … ich fürchtete mich vor etwas. Alle die Korridore waren ganz finster, und ich lief weinend umher in dieser Dunkelheit, suchte nach dem Lichte, fand es aber nicht. Dann hörte ich eine Stimme in weiter Entfernung. Father –«

Sie umklammerte seine Hand noch fester, und wieder streiften ihre Augen durch das Zimmer. Er dachte nach, wie spät es wohl sein mochte.

»Wollen Sie es mir lieber jetzt sagen?« fragte er noch immer in geduldigem, einfachem Tone. »Um wieviel Uhr werden sie zurück sein?«

»Noch nicht«, flüsterte sie. »Mabel sagte, nicht vor zwei Uhr. Wie spät ist es jetzt, Father?«

Er griff mit der freien Hand nach der Uhr.

»Es ist noch nicht eins«, sagte er.

»Also gut, hören Sie, Father … Ich war in dem Haus und ich hörte sprechen; und ich lief durch die Korridore, bis ich unter einer Türe einen Lichtschimmer sah, und dann hielt ich an … Näher, Father …«

Unwillkürlich fühlte sich Percy von einer gewissen Scheu ergriffen. Ihre Stimme war nur mehr ein leises Flüstern, und ihre matten Augen schienen ihn in sonderbarer Weise gefesselt zu haben.

»Ich hielt an, Father, ich wagte es nicht, einzutreten. Ich hörte sprechen, und ich sah das Licht, und ich wagte nicht hineinzugehen. Father, es war Felsenburgh, der in jenem Zimmer war.«

Plötzlich hörte man, wie unten eine Türe geschlossen wurde, dann Fußtritte. Percy wandte sich hastig um und hörte, wie im selben Augenblick die Greisin heftig aufatmete.

»Still«, rief er, »wer ist das?«

Unten in der Halle konnte man zwei Stimmen unterscheiden, und als die alte Frau dieselben wahrnahm, ließ sie seine Hand los.

»Ich – ich dachte es mir, daß er es sein würde«, murmelte sie.

Percy erhob sich; er konnte sehen, daß sie die Situation nicht begriff.

»Ja, mein Kind«, sagte er ruhig, »aber wer ist es?«

»Mein Sohn und seine Frau«, erwiderte sie; dann nahm ihr Gesicht abermals einen anderen Ausdruck an. »Ach – ach, Father –«

Ihre Stimme versagte, als draußen ein Schritt hörbar wurde. Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, dann ein deutlich vernehmbares Flüstern einer Frauenstimme.

»Wie! Ihr Zimmer ist erleuchtet. Komm hinein, Oliver, aber behutsam.«

Dann wurde die Türe geöffnet.


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