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Drittes Kapitel

1.

Der Kardinal äußerte Percy gegenüber nur sehr wenig, als er ihn gegen Abend traf; er beglückwünschte ihn nur wegen der Art, wie er sich dem Papste gegenüber benommen hatte. Es schien, daß der Priester mit seiner rücksichtslosen Offenheit das Richtige getroffen hatte. Dann sprach er ihm von seinen Pflichten.

Percy hatte die paar Räume zu behalten, die zu seiner Verfügung gestellt worden waren; er hatte um sechs Uhr Messe zu lesen, in der Regel in der Privatkapelle des Kardinals, und danach, um neun Uhr, sich bezüglich weiterer Instruktionen zu melden. Das Mittagsmahl nahm er gemeinsam mit dem Kardinal ein; die Zeit bis zum Aveläuten konnte er als zu seiner Verwendung stehend betrachten. Von da an hatte er sich nochmals, und zwar bis zum Abendessen zur Verfügung seines Vorgesetzten zu halten. Seine hauptsächlichste Arbeit sollte im Lesen der englischen Korrespondenzen und in der Abfassung eines Berichtes hierüber bestehen.

Percy fand dies Leben sehr froh und angenehm und fühlte sich von Tag zu Tag heimischer. Er hatte genügend Zeit für sich, die er sofort zu seiner Erholung verwendete. Von acht bis neun pflegte er einen Spaziergang zu machen, indem er gelassen und mit passiven Sinnen durch die Straßen wandelte, ab und zu eine Kirche betrat, die Leute beobachtete, und die so seltsame Natürlichkeit des Lebens, wie es unter den alten Verhältnissen sich abzuspielen pflegte, einatmete. Manchmal erschien es ihm wie ein historischer Traum, dann wieder, als gäbe es sonst keine andere Wirklichkeit, als sei die ganze schweigende Welt moderner Zivilisation ein Phantom, als sei hier die Einfachheit und Natürlichkeit aus der Zeit der Kindheit der Seele wiedergekehrt. Selbst die Lektüre der englischen Korrespondenz berührte ihn nicht viel, denn der Strom seiner Gedanken begann wieder klar und hell in sein altes, gewohntes Bett einzulenken.

Es gab übrigens keinerlei besondere Neuigkeiten. Es war eine Art Windstille nach dem Sturm. Felsenburgh verhielt sich noch zurückgezogen; er hatte die ihm gemachten Angebote Frankreichs und Italiens wie auch das Englands abgelehnt, und, obwohl nichts Bestimmtes darüber bekannt war, schien es doch, als beschränke er sich für den Moment auf eine nicht offizielle Stellung. Inzwischen waren die Parlamente Europas emsig mit den Vorarbeiten der Prüfung ihrer Gesetzbücher beschäftigt. Es galt als ausgemacht, daß bis zu den Herbstsitzungen nichts unternommen werden würde.

Das Leben in Rom war sehr seltsam. Die Stadt war nun nicht allein zum Mittelpunkt des Glaubens geworden, sondern hatte sich in gewissem Sinne zu einem Mikrokosmos herausgebildet. Sie war in vier ausgedehnte Stadtviertel geteilt – das angelsächsische, lateinische, teutonische und orientalische –, außer Trastevere, in welchem fast ausschließlich päpstliche Amtsräume, Seminare und Schulen untergebracht waren.

Außerhalb der Mauern war die Verwirrung unbeschreiblich. Wenn man die Stadt selbst mit einem Miniaturweltmodell vergleichen konnte, so machten die Vorstädte den Eindruck, als habe man dieses selbe Modell in tausend Stücke gebrochen, sie in einen Sack gesteckt und dann blindlings ausgeschüttet. Soweit das Auge sehen konnte, erstreckte sich nach allen Seiten vom Vatikan aus ein unabsehbares Meer von Dächern, unterbrochen von Türmen, Kuppeln und Schornsteinen, und darunter lebten menschliche Wesen aus allen Rassen unter der Sonne. Neue Häuser sah man auf allen Seilen fortwährend entstehen. Ein Riesenzirkel, mit einer Spannweite von fünf Meilen, mit einem Schenkel in Rom befestigt, würde, seinen Kreis beschreibend, ununterbrochen über dichtbewohnten Straßen sich bewegt haben. Auch noch weiter hinaus erstreckten sich Häuser auf unabsehbare Entfernung hin.

Doch Percy ward die ganze Bedeutung alles dessen, was er sah, erst offenbar, als gegen Ende des Monats August das Namensfest des Heiligen Vaters herannahte.

Es war noch früh und kühl am Morgen, als er seinem Vorgesetzten, zu dessen Dienst als Kaplan er befohlen war, durch die breiten Gänge des Vatikans nach dem Raum folgte, der als Sammelpunkt für den Papst und die Kardinäle bestimmt war. Als er durch eines der Fenster auf die Piazza hinausblickte, bemerkte er, daß die Menge womöglich noch dichter war als vor einer Stunde. Der mächtige, ovale Platz war wie mit Köpfen gepflastert, und mittendurch hielten päpstliche Truppen für die Wagen einen breiten Weg frei, der im Morgenlicht einem weißschimmernden Bande glich. Auf diesem rollten monströse Wagen mit blendenden Vergoldungen und in lebhaften und hellen Farben heran; Hochrufe ertönten dann und wann und erstarben wieder. Alles aber durchdrang das Rasseln und Rollen der Räder wie das Rauschen einer Flut auf steinigem Strande.

Als sie, durch das Gedränge auf allen Seiten festgehalten, in einem Vorsaal warteten – ein Gemisch von Scharlach, Weiß und Violett –, blickte er noch einmal hinaus und sah nun das verwirklicht, was er bisher nur verstandesgemäß gewußt hatte, nämlich, die gekrönten Häupter der Alten Welt hier vor seinen Augen versammelt, und die Bedeutung dieser Tatsache dämmerte in ihm auf.

Percy lehnte sich an den inneren Fensterladen und überließ sich seinen Gedanken.

Hier befand sich alles, was von königlicher Würde übriggeblieben war. Schon vorher hatte er in den verschiedenen Stadtvierteln ihre von flatternden Fahnen überragten Paläste gesehen, auf deren Treppen rotgekleidete Diener müßig herumlehnten. Wohl ein dutzendmal hatte er den Hut schon gelüftet, wenn ein Auto hinter ihm den Korso heraufdonnerte; er hatte schon die Lilien Frankreichs und die Leoparden Englands mitsammen bei der feierlichen Auffahrt auf den Pincio bemerkt. Während der letzten fünf Jahre hatten die Zeitungen in Zwischenräumen berichtet, daß eine Familie nach der anderen ihren Weg nach Rom genommen, nachdem die päpstliche Anerkennung zugesichert worden war. Noch am vorhergehenden Abend hatte ihm der Kardinal gesagt, daß Wilhelm von England mit seiner Gemahlin ebenfalls diesen Morgen in Ostia gelandet, und somit die Zahl der Mächte vollständig sei. Nie zuvor hatte er sich die stupende, überwältigende Tatsache des gesamten, versammelten Königtums des Erdkreises im Schatten des Thrones des heiligen Petrus, noch die große Gefahr vergegenwärtigt, die dessen Existenz inmitten einer demokratischen Welt bedeutete. Er wußte, die Welt stellte sich, als verlache sie all dies als Torheit und Kinderei, dieses verzweifelte, theatralische Zurschautragen göttlichen Rechtes von seiten gestürzter und vertriebener Familien, aber er wußte ebensogut, diese selbe Welt hatte noch nicht gänzlich ihr Gefühl verloren. Und wenn es eines Tages dazu kommen sollte, daß dies Gefühl wieder erwachte …

Das Gedränge ließ nach; Percy schlüpfte aus seinem Winkel hervor und schloß sich dem langsam sich fortbewegenden Strome an.

Eine halbe Stunde später befand er sich an seinem Platze unter der Geistlichkeit, als die Papstprozession durch das schimmernde Halbdunkel der Kapelle des heiligsten Sakramentes dem Schiffe der gewaltigen Kirche zuschritt. Als nach etwa fünf Minuten Percy selbst dort eintrat und, seiner Gruppe zuschreitend, den Anblick dieses erwartungsvollen Schweigens genoß, überkam ihn ein plötzliches Herzklopfen bei der Erinnerung jenes anderen Anblickes vor drei Monaten, an einem Sommermorgen in London …

Weit voran, gleich dem Hinterdeck eures altertümlichen Segelschiffes, sich durch die ringsum sich erhebenden Köpfe den Weg bahnend, bewegte sich der Traghimmel, der den Herrn der Welt überschattete, und zwischen diesem und dem Priester wogte die lange Linie des Kielwassers, die Prozession – Apostolische Protonotare, Generäle religiöser Orden und andere –, und zog ihre Bahn, schäumend in Weiß, Gold, Scharlach und Silber, hindurch zwischen den lebenden Ufern zu beiden Seiten. Hoch oben spannten sich die herrlichen Tonnengewölbe und weit in der Front sandte der Hafen des Altares Gottes seine monströsen Pfeiler empor, unter denen die sieben gelben Sterne brannten, die Leuchttürme im Hafen der Heiligkeit. Ein erhebendes Bild war es, aber zu unermeßlich und verwirrend, um bei dem Beschauer anderes hervorzurufen, als das niederdrückende Bewußtsein der eigenen Nichtigkeit. Die Masse zusammengedrängter Luft, die riesigen Statuen, die hohen in Dämmerlicht getauchten Wölbungen der Decke, das unbeschreibliche Zusammenklingen der verschiedensten Laute – der schlürfenden Schritte, des Murmelns Tausender von Stimmen, der dem Summen eines Mückenschwarmes gleichenden Töne der Orgel, der dünnen, scharfen Klänge der Musikinstrumente – der betäubende Duft von Weihrauch – die Menschenmasse, Lorbeer und Myrten – und über allem ausgebreitet die zitternde Atmosphäre menschlicher Erregung, verstärkt durch den Hauch des Übernatürlichen, als die Hoffnung der Welt, der Träger des göttlichen Vizekönigtums, seines Weges zog, als Bindeglied zwischen Gott und Mensch.

Aber der Höhepunkt war noch nicht erreicht.

Als Percy endlich aus dem Schiffe unter der Kuppel heraustrat und sich der Tribüne hinter dem Papstthrone näherte, ward er eines neuen Elements gewahr. Um den Altar und die Confessio war ein großer Raum freigehalten, der sich, soweit er dies wenigstens auf seiner Seite feststellen konnte, bis zu dem Punkte erstreckte, an dem die Seitenschiffe einmündeten; an dieser Stelle kreuzten Barrieren von einer Seite zur anderen, sich in der Richtung des Schiffes fortsetzend. Hinter diesen rotbehangenen Schranken zogen sich, nach rückwärts ansteigend, Reihen von Gesichtern hin, weiß und regungslos. Schimmernder Stahl umschloß dieselben, und darüber, ungefähr in der Entfernung eines Drittels der Länge des Seitenschiffes, erhob sich eine feierliche Reihe von Baldachinen aus Scharlach, ähnlich jenen der Kardinäle, aber von den hochstrebenden Rückwänden derselben stachen mächtige Wappenschilde, gestützt von Tieren und überragt von Kronen, ab. Ein jeder überschattete eine, manchmal zwei – nie mehr – ehrfurchtsvoll isolierte Persönlichkeiten, während die Räume zwischen den Baldachinen wieder ansteigende Reihen geheimnisvoller Gestalten füllten.

Sein Herz schlug rascher bei diesem Anblick, als er seine Augen rund herum und hinüber zur Rechten schweifen ließ und dort, im rechten Schiffe, wie in einem Spiegel die Wiederholung des linken Bildes erblickte. Dort also saßen sie nun, die einsam Überlebenden jener seltsamen Klasse von Menschen, die noch vor einem halben Jahrhundert mit der Zustimmung ihrer Untertanen als Gottes weltliche Vertreter regiert hatten. Nunmehr wurden sie von der Welt nicht mehr anerkannt, nur noch von ihm, von dem ihre Souveränität ausgegangen war, Türme, die sich um eine Kuppel drängen, deren Wände niedergerissen lagen. Es waren Männer und Frauen, die es endlich erkannt hatten, daß die Macht von oben kam und daß sie ihren Herrschertitel nicht von ihren Untertanen, sondern vom höchsten Herrscher, dem Herrscher des Alls empfangen hatten – Hirten ohne Herde. Heerführer ohne Heere, deren Befehlen diese hätten gehorchen können. Es war ergreifend, tief ergreifend, und doch begeisternd; dieser Akt des Glaubens war so erhebend, daß Percys Herz darob laut pochte.

Seine Rührung erreichte ihren Höhepunkt, als er mit dem Voranschreiten der heiligen Handlung die Souveräne herniedersteigen sah um am Altare ihren Dienst zu tun. Da schritten sie einher, zwischen diesem und ihren Thronen, entblößten Hauptes, in stolzer Haltung und ernstem Schweigen. Das Gemurmel der Menge erstarb zu dem tiefen Schweigen eines einzigen, wortlosen Gebetes, als die weiße Hostie, von weißen Händen gehoben, emporstieg, und zarte Engelsklänge den gewaltigen Dom durchzitterten, denn hier war die einzige Hoffnung dieser Tausende, so mächtig und so winzig, wie einst in der Krippe. Es gab niemand mehr, außer Gott, der für sie stritt. Und gewiß, wenn das Blut der Männer und die Tränen der Frauen nicht imstande waren, den Richter, den Allwissenden, aus seinem Schweigen heraustreten zu lassen, so sprach nun wenigstens der unblutige Tod seines einzigen Sohnes hier, welcher einst auf Golgatha den Himmel verdunkeln und die Erde erbeben gemacht hatte, mit so kummervollem Glanze für diese Insel des Glaubens inmitten dieses Meeres von Hohnlachen und Haß – das wenigstens mußte helfen! Wie sollte es nicht?

* * *

Percy hatte sich, ermüdet von den langen Zeremonien, eben niedergesetzt, als die Türe rasch geöffnet wurde, und der Kardinal, noch in seinen Festgewändern, eilig hereinkam, die Türe hinter sich schließend.

»Father Franklin«, sagte er mit eigentümlicher, atemloser Stimme, »die schlimmsten Nachrichten: man hat Felsenburgh zum Präsidenten Europas gemacht …«

Es war spät geworden, ehe Percy an jenem Abend zurückkehrte, vollständig erschöpft von vielem Arbeiten. Stunde um Stunde hatte er mit dem Kardinal beisammen gesessen und Depeschen geöffnet, die aus allen Teilen Europas in den elektrischen Empfänger hereinhagelten, und die, eine nach der anderen, in das stille Gemach gebracht wurden. Dreimal während des Nachmittags war der Kardinal abgerufen worden, einmal vom Papst und zweimal vom Quirinal aus.

Es war nicht der geringste Zweifel an die Wahrheit der Nachricht möglich, und es schien, daß Felsenburgh mit Bestimmtheit auf dieses Angebot gewartet hatte. Alle anderen hatte er abgewiesen. Eine Übereinkunft war zustande gekommen unter den Mächten, deren jede ängstlich bemüht war, ihn für sich zu gewinnen, und deren jede ebenso abgewiesen worden war; diese vereinzelten Versuche waren zurückgezogen und ein gemeinsamer Schritt unternommen worden. Der neue Vorschlag ging dahin, daß Felsenburgh eine unter der Demokratie bisher nie geahnte Stellung einnehmen solle, daß er in jeder Hauptstadt Europas ein Regierungsgebäude erhalten, daß sein Veto in irgendeiner Maßnahme auf drei Jahre hinaus rechtskräftig bleiben, daß jede Maßregel, die er dreimal in drei aufeinanderfolgenden Jahren einzuführen für gut befinde, Gesetz sein, und endlich, daß er den Titel »Präsident von Europa« führen solle. Von seiner Seite wurde eigentlich nichts verlangt, als daß er jede amtliche Stellung, die ihm angeboten würde und die nicht die Genehmigung aller Mächte erhalte, zurückzuweisen habe.

Und all dies, das erkannte Percy sehr wohl, erhöhte die Gefahr eines vereinten Europas um das Zehnfache. Es schloß die gesamten erstaunlichen Kräfte des Sozialismus in sich, geleitet von einer außerordentlich begabten Persönlichkeit. Es war die Verschmelzung der hervorragendsten Charakterzüge der beiden Regierungsmethoden. Das Angebot war von Felsenburgh nach achtstündigem Stillschweigen angenommen worden.

Auch war es sehr bemerkenswert, zu beobachten, wie die Nachricht von den beiden anderen Staatengebilden der Erde aufgenommen wurde. Der Osten war begeistert, Amerika geteilt. Jedenfalls aber war es machtlos, es hatte den größeren Teil der Welt gegen sich.

Percy warf sich so, wie er war, auf sein Bett und lag dort mit pochenden Pulsen, die Augen geschlossen, und überquellende Verzweiflung im Herzen. In der Tat, die Welt hatte sich, einem Giganten gleich, am Horizont Roms erhoben, und die heilige Stadt stand nun nicht fester, als ein Sandhaus gegenüber der Flut. Soviel konnte er noch erfassen. Wie aber der Untergang kommen würde, in welcher Form und von welcher Seite, das wußte er weder, noch kümmerte es ihn. Nur das wußte er jetzt, daß das Ende kommen mußte.

Er hatte nunmehr sein eigenes Temperament einigermaßen erkannt, und so wandte er sein Auge nach innen, um sich einer strengen Prüfung zu unterziehen, wie ein Arzt, der in lebensgefährlichem Zustande mit erschrecklichem Behagen die Diagnose seiner eigenen Symptome stellt. Er fühlte sogar eine Erholung darin, sich von dem ungeheuren Weltgetriebe abzuwenden, um hier im kleinen ein hoffnungsloses Menschenherz zu betrachten. Für seinen eigenen Glauben hegte er weiter keine Befürchtung; er wußte mit so absoluter Sicherheit, wie man sich der Farbe des eigenen Auges bewußt ist, daß derselbe wieder fest und unerschütterlich war. Während dieser Wochen in Rom hatten sich die nebeligen Rückstände von einst verzogen, und die Bahn wieder sichtbar werden lassen. Oder, besser, dieses umfangreiche Gefüge von Dogma, Zeremonie, Sitte und Moral, in dem er aufgewachsen war, das er sein ganzes Leben hindurch behütet hatte, in dem er bald Lichtfunken aufflackern, bald in der Dunkelheit wieder entschwinden sah, hatte nach und nach sich entzündet und sich zu einem wunderbaren Auflodern göttlichen Feuers, das keiner Erklärung mehr bedurfte, entwickelt. Fragen, einst scheinbar unergründlich, die ihn verwirrt und selbst abgeschreckt hatten, zeigten nun hell und klar ihre eigene Lösung; da war der katholische Glaube, für Percy selbst von einer größeren Gewißheit als seine eigene Existenz, er war wahr und lebendig. Und wenn er selbst verdammt würde, Gott regierte. Und wenn er den Verstand dabei verlöre, Jesus Christus war der fleischgewordene Gott, er hatte es durch Tod und Auferstehung bestätigt, und Johannes war sein Stellvertreter. Diese Dinge waren gleichsam das Knochengerüst des Universums – über alle Zweifel erhabene Tatsachen –, wenn sie nicht auf Wahrheit beruhten, so war alles andere nichts weiter als ein Traum.

Schwierigkeiten? Nun, deren gab es zu Tausenden. Er hatte, das begann er jetzt einzusehen, seinen früheren religiösen Standpunkt weit hinter sich gelassen; einst hatte er geglaubt, die göttliche Wahrheit könne mit intellektuellen Gründen bewiesen werden. Es war ihm jetzt klar geworden, er wußte selbst nicht wie, daß das Übernatürliche stets nach dem Übernatürlichen, der äußere Christus nach dem Christus im Innern verlangte, daß rein menschliche Vernunft mit den Geheimnissen des Glaubens nicht im Widerspruch stehe, diese aber auch nicht hinreichend beweisen könne, es sei denn unter Voraussetzungen, wie sie nur dem verständlich sind, der die Offenbarung als eine Tatsache hinnimmt, wissend, daß der Geist Gottes mit größerer Gewißheit sich an den moralischen als an den intellektuellen Gehalt wendet.

Er betrachtete mit einer Art interessierter Abgespanntheit andere Züge seiner Natur. Da war nun zuerst sein Verstand, der in unbeschreiblicher Verwirrung fragte: Warum? Warum wurde es zugelassen? Wie konnte man es begreifen, daß Gott nicht eingriff, daß der Vater der Menschheit es zuließ, daß diese Welt, die er so geliebt, sich gegen ihn auflehnte? Welches waren seine Absichten? Sollte dieses ewige Schweigen nie gebrochen werden? Für die, welche nun noch Glauben hatten, war nichts zu fürchten; was aber sollte aus jenen ungezählten Millionen werden, die sich mit Befriedigung an diesen Zustand der Gotteslästerung gewöhnt hatten? Waren nicht auch diese seine Kinder und Lämmer seiner Herde? War nicht die katholische Kirche dazu gestiftet worden, die ganze Welt zu bekehren, und warum gestattete dann der allmächtige Gott, daß sie einerseits bis auf eine Handvoll Gläubige zusammengeschmolzen und andererseits die Welt fern von ihm ihren Frieden finde?

Er betrachtete sein Gemütsleben, aber da gab es nichts Erfreuliches, nichts Aneiferndes. Gewiß, beten konnte er noch durch einfache, kalte Akte seines Willens, und seine Theologie sagte ihm, daß Gott auch ein solches Gebet annahm. »Dein Reich komme zu uns, dein Wille geschehe«, konnte er fünftausendmal im Tage sagen, wenn Gott es wollte. Aber dabei gab es keinen Drang, keine Rührung mehr, kein Gefühl des Anklingens der inneren Saiten, das seinen Willen emporhob zu dem Throne des Allerhöchsten. Was in aller Welt aber verlangte Gott von ihm, daß er tun sollte? War es genug, immer wieder Formeln herzusagen, auszuruhen, Depeschen zu öffnen, am Telephon zu horchen und zu leiden?

An der Türe pochte es, und Percy sprang auf, als der Kardinal eintrat.

Er sah zum Erschrecken erschöpft aus, und seine Augen leuchteten in einem Glanze, der Fieber verriet. Er lud Percy durch eine kurze Bewegung ein, Platz zu nehmen, und ließ sich selbst in den tiefen Stuhl nieder, ein wenig zitternd, und die Silberschnallen seiner Schuhe mit dem rotbeknöpften Talar bedeckend.

»Sie müssen verzeihen, Father«, sagte er, »ich bin besorgt um des Bischofs Befinden. Er sollte bereits hier sein.«

Percy erinnerte sich, daß der Bischof von Southwark gemeint war, der früh am Morgen von England abgereist war.

»Er kommt geradewegs, Eminenz?«

»Ja, er hätte um 23 Uhr hier sein müssen. Es ist jetzt nach Mitternacht, nicht wahr?«

Noch während er sprach, schlugen die Uhren halb eins.

Es herrschte jetzt so ziemlich Ruhe. Den ganzen Tag über war die Luft mit Lärm erfüllt gewesen; Volkshaufen hatten die Vorstädte durchzogen, die Tore der inneren Stadt waren verbarrikadiert worden, und doch war dies erst ein Vorspiel von dem, was man zu erwarten hatte, wenn die Welt erst einmal zum Bewußtsein zurückgekehrt sein würde.

Der Kardinal schien sich nach einigen Minuten Schweigens zu erholen.

»Sie sehen müde aus, Father«, sagte er freundlich.

Percy lächelte.

»Und Eure Eminenz?«

Der Greis lächelte ebenfalls.

»Nun ja«, erwiderte er. »Ich werde es nicht mehr lange machen. Und dann wird es an Ihnen sein, zu dulden.«

Percy richtete sich rasch auf, wie ins Herz getroffen.

»Hm, ja«, fuhr der Kardinal fort, »der Heilige Vater hat es so angeordnet. Sie werden mein Nachfolger sein, man kann es offen sagen.«

Percy rang zitternd nach Atem.

»Eminenz –« begann er bittend.

Sein Gegenüber erhob leicht die Hand.

»Ich begreife das alles«, sagte er sanft. »Sie wünschen zu sterben, nicht wahr? – und Frieden zu haben? Viele wünschen das. Aber wir müssen zuerst leiden. Leiden und sterben, Father Franklin; da gibt es kein Schwanken.«

Ein langes Schweigen folgte. Die Mitteilung war zu überwältigend, um bei dem Priester anders zu wirken, als ein fürchterlicher Schlag. Niemals war ihm der Gedanke gekommen, daß er, ein Mann unter vierzig, für fähig erachtet werden sollte, der Nachfolger dieses weisen, geduldigen, alten Prälaten zu werden. Was die Ehre betraf, – Percy war darüber hinaus, selbst wenn ihm je der Gedanke gekommen wäre. Es gab nur einen Ausblick für ihn – den auf eine lange und unerträgliche Reise, auf eine Bahn, die steil aufwärts führte, und die er nun mit einer für ihn zu schweren Last beschreiten sollte.

Und doch erkannte er, daß es keinen Ausweg gab. Die Sache ward ihm als unwiderruflich mitgeteilt; es mußte sein, es gab nichts mehr zu sagen. Aber es war ihm, als hätte sich ein Abgrund vor ihm aufgetan, in den er nun wie betäubt, elend vor Schrecken und unfähig eines Ausdruckes, starrte.

Der Kardinal brach zuerst das Schweigen.

»Father Franklin«, sagte er, »ich habe heute ein Bild Felsenburghs gesehen. Wissen Sie, für wen ich ihn zuerst gehalten habe?«

Percy lächelte teilnahmslos.

»Ja, Father, ich habe ihn für Sie gehalten. Nun, was denken Sie davon?«

»Ich verstehe nicht, Eminenz.«

»Nun –.« Er brach ab und wählte rasch ein anderes Thema.

»Es ist heute in der Stadt ein Mord vorgekommen. Ein Katholik erstach einen Gotteslästerer.«

Percy blickte flüchtig auf.

»Ja, gewiß; er hat nicht versucht, zu entkommen«, fuhr der Greis fort. »Er befindet sich im Gefängnis.«

»Und –«

»Er wird hingerichtet werden. Die Verhandlung beginnt morgen … Es ist sehr traurig. Es ist seit acht Monaten der erste Mord.«

Die Ironie der Lage war für Percy so klar, als er dem zunehmenden Schweigen der sternenhellen Nacht dort draußen lauschte. Da lag diese arme Stadt, sich stellend, als sei nichts vorgefallen und in aller Ruhe ihre verlachte Gerichtsbarkeit ausübend; und dort draußen sammelten sich die Kräfte, um allem diesem ein Ende zu bereiten. Seine Begeisterung schien erstorben. Der Gedanke an die glänzende Geringschätzung materieller Tatsachen, wovon hier ein kleines Beispiel vorlag, war nicht im mindesten imstande, irgend ein Empfinden, und wäre es, den Mut des Verzweifelten oder die Rücksichtslosigkeit des Trunkenen in ihm wachzurufen. Er kam sich vor wie jemand, der eine Fliege beobachtete, die, auf dem Zylinder einer Lokomotive sitzend, sich ruhig putzte. Der mächtige Stahl gleitet entlang, das winzige Leben einem ungeheuerlichen Tode entgegentragend, – noch ein Augenblick und alles ist vorüber, und der Zuschauer steht dabei, außerstande, einzugreifen. So lag das Übernatürliche vor ihm, vollkommen und lebend, aber unendlich unscheinbar; die gewaltigen Kräfte waren in Bewegung, die Welt holte zum Streiche aus und Percy konnte nichts dabei tun, als zuschauen und die Stirne runzeln. Allerdings, wie schon gesagt, lag kein Schatten auf seinem Glauben; die Fliege stand, in Anbetracht ihrer höheren Lebensordnung, höher als eine Lokomotive; wurde sie vernichtet, so hatte das Leben darunter nichts zu leiden; soviel wußte er. Doch weshalb es so war, das konnte er nicht verstehen.

Während die beiden so saßen, vernahm man Schritte und ein Klopfen an der Türe. Ein Diener blickte herein.

»Seine Bischöfliche Gnaden sind angekommen, Eminenz«, sagte er.

Der Kardinal erhob sich mühsam, sich auf den Tisch stützend. Dann hielt er inne, anscheinend sich an etwas erinnernd, und wühlte in seiner Tasche.

»Sehen Sie, Father«, sagte er, und schob ein kleines, rundes Silberstückchen dem Priester hin. »Nein, wenn ich draußen bin.«

Percy schloß die Türe, kam zurück und nahm den kleinen runden Gegenstand zur Hand.

Es war eine frisch geprägte Münze. Auf der einen Seite befand sich der bekannte Zweig mit dem Worte » Fivepence« in der Mitte und der gleichen Bezeichnung in Esperanto darunter, und auf der anderen das Profil eines Mannes nebst einer Inschrift. Percy wendete sie um und las:

» Julian Felsenbourg, La Prezidante de Uropo.«

2.

Es war gegen zehn Uhr des folgenden Morgens, daß die Kardinäle zum Papst entboten waren, um die Allokution zu vernehmen …

Percy beobachtete von seinem Sitze unter den Konsultoren aus deren Eintritt. Es waren Männer von allen Nationen, Temperamenten und Lebensaltern: die Italiener gestikulierend und die Zähne fletschend, die Angelsachsen mit unbeweglichen und ernsten Mienen, ein alter französischer Kardinal, auf seinen Stock gestützt, ging zur Seite des englischen Benediktiners. Es war in einem der großen, einfachen, vornehmen Räume, aus denen der Vatikan jetzt hauptsächlich bestand, mit Sitzen an den Längsseiten, gleich einer Kapelle.

Percy hatte keine Ahnung von dem Inhalte dessen, was er vernehmen sollte. Es war kaum möglich, daß nur Alltagsphrasen zu hören sein würden, und doch, was anders konnte gesagt werden, angesichts der vollständigen Ungewißheit der Lage? Alles was man bis zu diesem Morgen wußte, war, daß die Präsidentschaft Europas eine Tatsache war – die kleine Silbermünze, die er gesehen hatte, bezeugte es – ferner, daß die Verfolgung ausgebrochen, jedoch von den Lokalbehörden mit fester Hand unterdrückt worden war, und endlich, daß am heutigen Tage Felsenburgh seine Rundfahrt von Hauptstadt zu Hauptstadt beginnen sollte. Er wurde Ende der Woche in Turin erwartet. Von allen katholischen Zentren des gesamten Erdkreises waren Nachrichten mit der dringenden Bitte um Verhaltungsmaßregeln eingelaufen. Man erzählte sich, daß sich die Apostasie wie eine flutartige Woge erhoben hätte, daß ringsum die Verfolgung drohe und alles zu wanken begänne.

Was den Heiligen Vater betraf, so war alles im Zweifel. Die Eingeweihten schwiegen, und das einzige, was man wußte, war, daß er die ganze Nacht betend am Grabe des Apostels zugebracht hatte.

Plötzlich ließ das Summen nach und vollständige Stille trat ein. Wie eine Welle senkten sich die Häupter längs der Sitze, als sich die Türe zur Seite des Baldachins öffnete und einen Augenblick später der Papst seinen Thron eingenommen hatte. Anfangs verstand Percy gar nichts. Er starrte nur wie auf ein Gemälde durch das Halbdunkel des Sonnenlichtes, das durch die beschatteten Fenster hereindrang, hin nach den Purpurreihen zur Linken und zur Rechten, hinauf zum hohen Purpurbaldachin und der weißen Gestalt, die darunter saß. Ja, diese Südländer verstanden die Macht des Effekts. Da war alles so voll Leben und Eindruck, wie der Anblick der Hostie in einer juwelenfunkelnden Monstranz. Jeder Bestandteil an dem Bilde – der hohe Raum, die Farben der Gewänder, die Ketten und Kreuze –, alles war prächtig, und während das Auge hinglitt zum Gipfelpunkte all dieser Herrlichkeit, fand es sich einem Stückchen matten Weiß gegenüber – gleich als hätte die Pracht sich erschöpft und außerstande erklärt, das höchste Geheimnis auszudrücken. Was an Ausdruck notwendig war, fand sich hinreichend in jenem schönen Oval des Antlitzes, dem aufrechten, mächtigen Haupte, dem gütigen Glanze der Augen und den fein geschwungenen Lippen, die so kraftvoll zu sprechen wußten. Kein Ton war in dem Raume zu vernehmen, kein Räuspern, kein Atemzug – selbst die Welt da draußen schien dem Übernatürlichen noch zu gestatten, seine Verteidigung ohne Unterbrechung darzulegen, bevor sie zusammentrat und ihr Urteil verkündete.

Percy nahm einen energischen Anlauf, sich zu beherrschen und horchte.

»… Nachdem dies denn so ist, Söhne in Jesus Christus, ist es an uns, zu antworten. Wir wüten nicht, wie der Doctor angelicus uns lehrt, gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten und Mächte, gegen die Herrscher der Welt dieser Finsternis, gegen den Geist der Bosheit, der Hochstehenden. Darum, fährt er fort, ergreifet die Waffen Gottes, und er erklärt uns weiter deren Natur: – den Gürtel der Wahrheit, den Panzer der Gerechtigkeit, die Beinschiene des Friedens, den Schild des Glaubens, den Helm des Heiles und das Schwert des Geistes.

Die Stimme setzte ein wenig ab, und ein merkbares Seufzen zog durch die Reihen hin. Dann fuhr sie in etwas erhobenem Tone fort:

»Zuerst also ist es notwendig, Unsere Meinung zu äußern über die neue Bewegung, wie die Menschen es nennen, die kürzlich von den Herrschern dieser Welt ins Leben gerufen wurde. Wir verkennen nicht die Segnungen des Friedens und der Einheit, noch vergessen Wir, daß das Entstehen dieser Dinge die Frucht von vielem ist, was Wir verurteilt haben. Es ist dieses Zustandekommen des Friedens, das viele irregeführt hat, indem es sie veranlaßte, Zweifel zu erheben an der Verheißung des Friedensfürsten, daß wir nur durch ihn allein zum Vater gelangen können. Jener wahre Friede, der nicht von dieser Welt ist, betrifft nicht nur die Beziehungen der Menschen untereinander, sondern vornehmlich das Verhältnis der Menschen zu ihrem Schöpfer; und gerade in diesem so wesentlichen Punkte sind die Bemühungen der Welt mangelhaft befunden worden. Man darf sich in der Tat nicht wundern, daß in einer Welt, die Gott verleugnet hat, diese so wichtige Frage übersehen wurde.

»Zuerst also verurteilen und verwerfen Wir nochmals die Meinungen jener, welche das Gegenteil glauben und lehren, und Wir erneuern noch einmal alle Verurteilungen, die je von Uns selbst oder von Unseren Vorgängern gegen alle jene Gesellschaften, Organisationen und Genossenschaften ausgesprochen wurden, die zur Förderung einer Einigkeit auf einer anderen als der göttlichen Grundlage gebildet wurden, und Wir erinnern Unsere Kinder in der ganzen Welt aufs neue, daß es ihnen verboten ist, einer derartigen verurteilten Körperschaft beizutreten, dieselbe zu unterstützen oder in irgendwelcher Weise zu billigen.«

Percy rückte mit einer gewissen Ungeduld auf seinem Sitze hin und her … Die Form war superb, ruhig und gelassen dahinfließend, aber der Gegenstand selbst ein wenig banal. Es war die alte Verwerfung des Freimaurertums in nicht einmal origineller Ausdrucksweise.

»Zweitens«, fuhr die kräftige Stimme fort, »wünschen Wir, euch Unsere, die Zukunft betreffenden Wünsche wissen zu lassen, und damit betreten Wir, nach Meinung vieler, schlüpfrigen Boden.«

Wieder ging jene Bewegung durch die Reihen. Percy bemerkte, wie mehr als ein Kardinal die Hand hinter das Ohr hielt, um besser zu hören. Es war klar, daß nun etwas Wichtiges kommen würde.

»Es gibt viele Dinge«, fuhr die nunmehr erhobene Stimme fort, »von welchen zu diesem Zeitpunkte zu sprechen, nicht Unsere Absicht ist, da sie ihrer Natur nach geheim sind und bei anderer Gelegenheit zu behandeln sein werden. Was Wir aber hier aussprechen, sagen Wir der ganzen Welt. Nachdem die Angriffe Unserer Feinde nun sowohl offen als auch geheim sind, so muß auch Unsere Verteidigung angemessen sein. Dies nun ist Unser Vorhaben.«

Der Papst hielt wieder inne, hob anscheinend mechanisch die eine Hand bis zur Brust und erfaßte das dort hängende Kreuz.

»Wenn auch die Armee Christi eine ist, so besteht sie doch aus vielen Abteilungen, deren jede ihre eigenen Funktionen und Zwecke hat. In früheren Zeiten hat Gott Genossenschaften seiner Diener zu diesem oder jenem besonderen Werke berufen – die Söhne des heiligen Franziskus, um die Armut zu predigen, die des heiligen Bernhard, um zu arbeiten im Gebete mit all jenen frommen Frauen, die sich demselben Zweck gewidmet, die Gesellschaft Jesu zur Erziehung der Jugend und Bekehrung der Heiden – und all die anderen religiösen Orden, deren Namen durch die ganze Welt hin bekannt sind. Eine jede von diesen Genossenschaften ist zu der Zeit, die ihrer besonders bedurfte, entstanden, und alle haben in edelster Weise dem göttlichen Rufe entsprochen. In dieser gegenwärtigen Zeit will es Unserer Demut scheinen, daß alle diese Orden, welche Wir nochmals gutheißen und segnen, infolge eben der Beschaffenheit ihrer Regeln nicht vollkommen geeignet seien, das große Werk zu vollbringen, welches die Zeit fordert. Es scheint vielmehr, als ob endlich die Zeit gekommen sei, von welcher der Apostel spricht, wenn er sagt: Jener Tag aber wird nicht kommen, bis daß viele abgefallen sind und der Mann der Sünde, der Sohn der Verdammnis, sich offenbart habe, der sich widersetzet und über alles erhebet, was Gottes ist. Wir haben es nicht mit der einen oder der anderen dieser Kräfte zu tun, sondern vielmehr mit der unverschleierten Fülle jener Macht, deren Zeit vorhergesagt und deren Zerstörung vorbereitet ist.«

Die Stimme schwieg wieder, und Percy klammerte sich an das Geländer vor ihm, um das Zittern seiner Hände zu verbergen. Keine Bewegung ward mehr vernommen, nur Schweigen herrschte, ein Schweigen, das zittern und beben machte. Der Papst, tief aufatmend, wandte das Haupt langsam nach rechts und nach links und fuhr in noch bedachtsamerer Weise fort:

»Es will daher Unserer Demut gut scheinen, daß der Stellvertreter Christi selbst die Kinder Gottes zu diesem neuen Kampfe einlade; es ist Unser Entschluß, unter dem Namen des Ordens Christi, des Gekreuzigten, die Namen aller aufzunehmen, die sich selbst zu diesem erhabenen Dienste anbieten wollen. Indem Wir dieses tun, sind Wir Uns der Neuheit Unseres Vorgehens wohlbewußt wie auch des Außerachtlassens aller jener Vorsichtsmaßregeln, deren die Vergangenheit bedurfte. Wir beraten Uns in dieser Angelegenheit nur mit ihm, von dem Uns, wie Wir glauben, diese Eingebung gekommen.

»Laßt Uns daher vorausschicken, daß, obwohl von allen, die in den Orden aufgenommen werden, ein Dienen im Gehorsam verlangt werden wird, Uns bei dessen Gründung in erster Linie vielmehr die Rücksicht auf Gott, und nicht so sehr jene auf die Menschen leitet, indem Wir an ihn appellieren, der Unsere Großmut verlangt, anstatt an jene, die sie verschmähen.

»Um es kurz zu fasten, schreiben Wir nur die folgenden Bedingungen vor:

»Niemand darf in den Orden aufgenommen werden, der nicht das siebzehnte Lebensjahr vollendet hat. Weder Tonsur noch Habit noch Abzeichen sollen damit verbunden sein. Den Grundstein der Regel sollen die drei evangelischen Räte bilden, zu denen Wir noch eine vierte Intention hinzufügen, nämlich das Verlangen nach der Krone des Martyriums und nach einer Gelegenheit, sie zu empfangen.

»Der Bischof einer jeden Diözese soll, insofern er selbst dem Orden angehört, innerhalb der Grenzen seiner Jurisdiktion der Obere sein, und er allein soll von der wörtlichen Beobachtung des Gelübdes der freiwilligen Armut, solange er sein Amt bekleidet, ausgenommen sein. Bischöfe, welche sich nicht zu diesem Orden berufen fühlen, sollen unter den gewöhnlichen Bedingungen ihre Sitze beibehalten, sollen aber keinerlei geistliche Gewalt über die Mitglieder dieses Ordens ausüben dürfen.

»Ferner geben Wir hiemit Unsere Absicht kund, selbst als oberster Prälat in den Orden einzutreten und innerhalb weniger Tage Unsere Profeß abzulegen.

»Auch geben Wir bekannt, daß während Unseres Pontifikats Wir nur solche in das heilige Kollegium berufen werden, die im Orden Profeß abgelegt haben, und binnen kurzem werden Wir die Basilika der heiligen Petrus und Paulus zur Ordenskirche machen, in welcher Wir dann ohne Zögern jene glücklichen Seelen auf den Altar erheben wollen, die ihr Leben in der Ausübung ihres Berufes hingegeben haben.

»Es ist unnötig, über diesen Beruf mehr zu sagen, als darauf hinzuweisen, daß derselbe unter den von den Oberen festgesetzten Bedingungen ausgeübt werden soll. Was das Noviziat, seine Voraussetzungen und Erfordernisse betrifft, so werden Wir binnen kurzem die nötigen Direktiven bekanntgeben. Jeder Diözesanobere – Wir hegen die Hoffnung, daß keine Diözese zurückbleiben wird – soll alle jene Rechte besitzen, die gewöhnlich den geistlichen Oberen zustehen, und ermächtigt sein, seine Untergebenen zu jedem Werke zu verwenden, das, seiner Meinung zufolge, zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen dient. Wir selbst beabsichtigen, zu Unserem Dienste nur solche zu wählen, die in diesem Orden Profeß abgelegt haben.«

Abermals hob er die Augen, scheinbar ohne innere Bewegung, und fuhr fort:

»Soviel also haben Wir bei Uns beschlossen. Weitere Fragen werden Wir sofort zur Beratung stellen. Wir wünschen jedoch, daß diese Worte in der ganzen Welt bekanntgemacht werden, daß ohne Zögern zu wissen gegeben werde, was Christus durch seinen Stellvertreter von allen jenen verlangt, die seinen göttlichen Namen bekennen.«


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