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Fünftes Kapitel

1.

Percy Franklin, der neuernannte Kardinalprotektor von England, kam mit Hans Steinmann, dem deutschen Kardinalprotektor, zusammen den Gang entlang, der von den Gemächern des Papstes herführte. Sie betraten schweigend den Lift und verließen ihn ebenso wieder, zwei lebensvoll schöne Gestalten, der eine aufrecht und männlich, der andere etwas gebeugt und stark, doch sonst von der Brille bis zu den breiten Schnallenschuhen eine echt deutsche Erscheinung.

An der Türe zu Percys Gemächern machte der Engländer eine leichte Verbeugung und trat, ohne weiter ein Wort zu sagen, ein.

Ein Sekretär, der junge Mr. Brent, erst vor kurzem von England angekommen, erhob sich beim Eintritt seines Herrn.

»Eminenz«, sagte er, »die englischen Zeitungen sind eingetroffen.«

Percy langte nach einer derselben, zog sich in das nächste Zimmer zurück und ließ sich nieder.

Er las die gigantischen Überschriften und die vier Spalten Text, der von auffallenden kurzen Sätzen in großen Buchstaben nach der vor hundert Jahren von Amerika eingeführten Art unterbrochen war. Es war in der Tat noch kein besserer Weg gefunden worden, um die urteilslose Menge irrezuleiten.

Er blickte nach dem Titel. Es war die englische Ausgabe der »Era«. Dann las er die Überschriften; sie lauteten wie folgt:

»Die nationale kirchliche Feier. Verwirrende Pracht. Religiöser Enthusiasmus. Die Abtei und Gott. Ein katholischer Fanatiker. Expriester in Funktion.«

Er ließ seine Augen über die Seiten gleiten, las die kurzen, inhaltschweren Sätze und suchte aus dem Eindruck des Gesamtinhalts sich eine Vorstellung zu machen von den Szenen des gestrigen Tages in der Abtei, über die er bereits telegraphisch informiert war, und deren Besprechung der Zweck seiner eben beendeten Unterredung mit dem Heiligen Vater gewesen war.

Augenscheinlich enthielt das Blatt nichts ihm noch Unbekanntes, und er wollte es eben beiseitelegen, als sein Blick auf einen Namen fiel.

»Wie wir hören, wird Mr. Francis, der Zeremoniar, der sich durch seinen hingebenden Eifer und seine Gewandtheit den Dank aller verdient hat, in kurzem die Städte des Nordens aufsuchen, um seine Vortragsreise über das Rituale zu beginnen. Es ist nicht ohne Interesse, zu vernehmen, daß dieser Herr noch vor wenigen Monaten als Offiziant am katholischen Altare stand. Bei seiner Aufgabe standen ihm noch vierundzwanzig Mitbrüder bei, welche dieselbe Vergangenheit haben.«

»Guter Gott«, entfuhr es Percy laut. Dann legte er die Zeitung weg.

Aber bald wendete sich sein Denken von dem Renegaten ab, und noch einmal erwog er in Gedanken die Bedeutung der ganzen Sache, sowie die Ratschläge, die er eben, wie er es für seine Pflicht hielt, oben gegeben hatte.

Sich über die Tatsache aufzuhalten, daß die Einführung des pantheistischen Kultes sowohl in England wie in Deutschland einen vollen Erfolg bedeutete, hatte keinen Zweck. Frankreich war, nebenbei gesagt, noch zu sehr mit dem Menschenkult beschäftigt, um sich größeren Ideen hinzugeben.

England jedoch dachte tiefer; jedenfalls wies das ganze Ereignis entgegen allen Voraussagungen auch nicht die mindeste Spur des Lächerlichen oder Grotesken auf. Man hatte gesagt, England sei zu nüchtern und besitze andrerseits zuviel Humor dafür. Und doch hatten sich außerordentliche Szenen an jenem Tage zugetragen. Ein Gemurmel der Begeisterung hatte die Abtei von einem Ende zum anderen durchwogt, als die prächtigen Vorhänge zurückgezogen wurden, und die mächtige, männliche Figur, majestätisch und überwältigend, von fähiger Künstlerhand in den natürlichen Farben dar. gestellt, vom Schein der Kerzen umgeben, sich von dem dunklen, hochragenden Gitter abhob, welches das Grabmal umschloß. Markenheim hatte seine Sache gut gemacht, und Mr. Brands feurige Ansprache hatte die Menge in die richtige Disposition zu versetzen und auf die Enthüllung vorzubereiten gewußt. Er hatte in seiner Rede Satz um Satz den jüdischen Propheten entnommen, und von der Stadt des Friedens gesprochen, deren Mauern sich nun vor ihren Augen erhoben.

Und als die Ketten des Weihrauchfasses in der Stille klirrten, war die unermeßliche Menge wie auf einen Wink, einer gemeinsamen Eingebung folgend, auf die Knie gefallen und hatte in dieser Stellung verharrt, während der Weihrauch emporstieg aus den Händen seines Trägers, der sich da auflehnte gegen Gott. Dann hatten Orgelklänge den weiten Raum durchbraust, und der gewaltige, in dem Seitenschiff untergebrachte Chor hatte den Wechselgesang angestimmt, der nur einmal durch einen leidenschaftlichen Schrei aus dem Munde irgend eines verrückten Katholiken unterbrochen wurde. Doch war dieser sofort zum Schweigen gebracht worden …

Es war unglaublich – einfach unglaublich, sagte sich Percy. Und doch war dieses Unglaubliche eingetroffen, und England hatte noch einmal einen Kult gefunden, den notwendigen Gipfelpunkt ungehindert auswirkender Subjektivität. Aus den Provinzen waren ähnlich lautende Nachrichten gekommen. In Kathedrale um Kathedrale hatten sich die nämlichen Szenen wiederholt. Markenheims Meisterwerk, vier Tage nach Annahme der Vorlage zur Vollendung gebracht, ward auf dem gewöhnlichen mechanischen Wege vervielfältigt und viertausend Kopien davon auf die wichtigsten Zentren verteilt worden. Die Londoner Blätter waren mit telegraphischen Meldungen geradezu überschwemmt, des Inhalts, daß die neue Bewegung allenthalben mit Beifall aufgenommen worden sei und daß die menschlichen Instinkte nun endlich ihren angemessenen Ausdruck gefunden hätten. Und wenn es keinen Gott gab, dachte Percy, so müßte notwendigerweise einer erfunden werden. Auch war er erstaunt über die Raffiniertheit, mit der der neue Kult umgeben worden war. Er bewegte sich nicht um strittige Fragen; die Möglichkeit, daß durch abweichende politische Tendenzen der Erfolg hätte in Frage gestellt werden können, war ausgeschlossen; es gab kein hartnäckiges Festhalten an Menschenrecht, Arbeit und anderem bei denen, die im geheimen individualistisch und müßig waren. Das Leben war die einzige Quelle und der Mittelpunkt von allem, gekleidet in das schimmernde religiöse Gewand von ehedem.

… Wahrlich, wahrlich – dachte Percy, es war so klug erdacht, daß es selbst der Teufel nicht besser gekonnt hätte, und es war so alt wie Kain.

Der Ratschlag, den er soeben dem Heiligen Vater unterbreitet hatte, war der der Verzweiflung oder der Hoffnung, er wußte es selbst nicht. Er hatte dringend gebeten, es möchte ein strenges Dekret erlassen werden, wodurch den Katholiken jeder Akt der Gewalttätigkeit verboten würde. Man sollte die Gläubigen dazu ermutigen, geduldig zu sein, sich von dem neuen Kult vollständig fern zu halten, nur dann ihre Meinung zu äußern, wenn sie gefragt würden, und freudig die Strafen über sich ergehen lassen. Er hatte gemeinsam mit dem deutschen Kardinalprotektor den Vorschlag gemacht, daß sie beide am Ende des Jahres in ihre Länder zurückkehren sollten, um den Wankenden neuen Mut einzuflößen; sie hatten jedoch die Antwort erhalten, daß sie, falls nicht etwas Unvorhergesehenes geschehe, in Rom zu bleiben hätten.

Über Felsenburgh hörte man wenig Neues. Man sagte von ihm, er sei im Osten, doch alle weiteren Einzelheiten wurden geheimgehalten. Percy begriff sehr wohl, weshalb er, entgegen allem Erwarten, nicht an der Feier in Westminster teilgenommen habe. Erstens wäre es schwer gewesen, sich für eines der beiden Länder, welche den neuen Kult eingeführt hatten, zu entscheiden, zweitens war er ein zu kluger Politiker, um sich der Gefahr auszusetzen, seine Persönlichkeit mit einem etwaigen Mißerfolge in Verbindung zu bringen, und drittens schien im Osten irgend etwas vor sich zu gehen.

Letzteres war schwer zu erklären; genaues war noch nicht bekannt geworden, doch schien es, als ob die im letzten Jahre geschaffenen neuen Verhältnisse sich noch nicht eingelebt hätten. Zweifelsohne war es schwierig, die oftmalige Abwesenheit des neuen Präsidenten von dem adoptierten Kontinent anders zu erklären, als daß seine Gegenwart irgendwo nötig war.

In Percy war, wie er selbst wahrnahm, eine leichte Änderung vorgegangen. Er hob sich nicht mehr empor zum höchsten Vertrauen, um dann wieder in die tiefste Verzweiflung zu sinken. Er las seine Messe, durchging seine ungeheuere Korrespondenz, machte gewissenhaft seine Betrachtung, und, obwohl sein Gefühl nicht im mindesten reagierte, entging doch nichts seiner Kenntnis. In seinem Glauben war nicht der Schatten eines Zweifels, andrerseits aber entbehrte er auch der geringsten Regungen. Er kam sich vor wie ein Mann, der in den Tiefen der Erde arbeitete, mit vollständig vernichteter Einbildungskraft, sich aber dennoch bewußt ist, daß es einen Ort gibt, wo die Vögel singen, die Sonne scheint und das Wasser fließt. Er kannte seinen eigenen Zustand zur Genüge und empfand, daß er zu einer Wirklichkeit des Glaubens vorgedrungen war, wie er sie bisher nicht gekannt hatte, denn es war reiner Glaube – reines Erfassen des Geistigen, unbeeinflußt von den Gefahren, wie der Freude imaginärer Visionen.

So lehnte er nun, in Gedanken versunken, eine hohe, stattliche Erscheinung, in Rot gekleidet, in seinem tiefen Fauteuil und starrte durch den trüben Septembernebel hin über das heilige Rom. Wie lange, fragte er sich, würde wohl dieser Friede noch dauern? Seinen Augen erschien jetzt schon die Luft verdüstert von dem heraufziehenden Unheil.

Endlich raffte er sich auf und läutete. »Bringen Sie mir Father Blackmores letzten Bericht«, sagte er, als sein Sekretär eintrat.

2.

Percys intuitive Fähigkeiten waren von Natur aus sehr fein geartet und durch andauernde Pflege noch bedeutend geschärft worden. Nie hatte er Father Blackmores treffende Bemerkungen vom vorigen Jahre vergessen, und eine seiner ersten Handlungen als Kardinalprotektor war es gewesen, diesen Priester auf die Liste der englischen Korrespondenten zu setzen. Seitdem hatte er einige Dutzend Briefe von dem Erhalten, und keiner derselben war ohne sein Körnchen Gold gewesen. Besonders hatte er bemerkt, daß eine Befürchtung sich durch alle Berichte zog, nämlich, daß früher oder später irgend ein offener provozierender Akt von seiten der englischen Katholiken zu erwarten sei, und die Erinnerung daran war ihm heute morgen Veranlassung zu seinen eindringlichen Vorstellungen beim Papste gewesen.

Als der junge Mann die vier engbeschriebenen vom vorhergehenden Tage aus Westminster datierten Blätter brachte, wandte sich Percy sofort dem letzten, den üblichen Empfehlungen vorangehenden Absätze zu.

»Mr. Brands ehemaliger Sekretär, Mr. Phillips, den Ew. Eminenz mir empfohlen hatten, ist einige Male bei mir gewesen. Er befindet sich in einem merkwürdigen Zustande. Er besitzt keinen Glauben; und doch erblickt sein Intellekt nirgend anderswo mehr Hoffnung als in der katholischen Kirche. Er hat sogar um die Aufnahme in den Orden Christi des Gekreuzigten gebeten, die natürlich unmöglich ist. Doch besteht kein Zweifel an seiner Aufrichtigkeit, sonst würde er sich sicher zum Katholizismus bekannt haben. Ich habe ihn bei vielen Katholiken eingeführt, in der Hoffnung, daß diese ihm helfen. Ich wünschte sehr, Ew. Eminenz würden ihn selbst sprechen.«

Percy hatte vor seiner Abreise von England die durch die Wiederversöhnung von Mrs. Brand mit Gott auf so seltsame Weise gemachte Bekanntschaft fortgesetzt, und dieselbe, eigentlich ohne so recht zu wissen weshalb, dem Priester empfohlen. Mr. Phillips hatte keinen besonderen Eindruck auf ihn gemacht. Er hatte ihn für eine furchtsame, unentschlossene Natur gehalten, und doch war er überrascht durch die außerordentliche Selbstlosigkeit, mit der dieser Mann seine Stellung aufgegeben hatte. Es mußte doch etwas mehr hinter ihm stecken.

Und nun war die Anregung gegeben, ihn kommen zu lassen. Vielleicht war die geistige Atmosphäre Roms der Bildung des Glaubens förderlicher. Jedenfalls konnte eine Aussprache mit Mr. Brands Exsekretär nur lehrreich sein.

Der Kardinal läutete nochmals.

»Mr. Brent«, sagte er, »schreiben Sie in Ihrem nächsten Briefe an Father Blackmore, ich wünsche den Mann zu sehen, den er vorgeschlagen hatte – Mr. Phillips.«

»Ja, Eminenz«.

»Es hat keine Eile. Er kann ihn nach seinem Belieben schicken«.

»Ja, Eminenz«.

»Doch soll er nicht vor Januar kommen; das wird Zeit genug sein. Es sei denn, daß ein dringender Grund es anders verlange.«

»Ja, Eminenz«. – – –-

Die Entwicklung des Ordens Christi des Gekreuzigten hatte sich mit nahezu wunderbarem Erfolge vollzogen. Der von dem Heiligen Vater ausgegangene Ruf an die Christenheit hatte wie ein Funke in einem Stoppelfelde gezündet. Es schien, als habe die christliche Welt genau jenen Punkt der Spannung erreicht, an dem eine neue Organisation von eben dieser Natur zur Notwendigkeit war, und die Aufnahme hatte selbst die hochgespanntesten Erwartungen übertroffen. Tatsächlich hatte sich ganz Rom mit seinen Vorstädten – drei Millionen insgesamt – gleich nach einem Bissen Brot oder gleich Verzweifelten beim Erstürmen einer Bresche, nach Sankt Peter, wo die Eintragung vorgenommen wurde, hingedrängt. Tag um Tag brachte der Papst selbst auf seinem Throne zu Füßen des Altares der Kathedra zu, eine erhabene, herrliche Erscheinung, mit dem zunehmenden Tage an Blässe und Erschöpfung zunehmend, und einem jeden einzelnen mit einer stummen Handbewegung seinen Segen erteilend, einem jeden aus der zwischen den Barrieren herandrängenden, unabsehbaren Schar, der nach vorangegangenem Fasten und Empfang der heiligen Kommunion kam, um vor seinem neuen Oberen zu knien und den Fischerring zu küssen.

An dem fünften Abend der Aufnahme von Novizen hatte sich ein staunenerregender Vorfall ereignet. Der greise König von Spanien, Königin Viktorias zweiter Sohn, bereits am Rande des Grabes, hatte sich erhoben und zitternden Fußes vor seinen Herrn begeben; einen Augenblick schien es, als wollte er fallen, als der Papst selbst mit einer plötzlichen Bewegung sich erhob, ihn in seinen Armen auffing und küßte und dann, noch aufrecht stehend, seine Arme über ihn ausbreitete und aus glühendem Herzen ein Gebet emporsandte, wie die Basilika in ihrer ganzen Vergangenheit es nie vernommen.

Das Gesicht nach oben gewendet und verklärten Auges, rief er aus: » Benedictus Dominus!« – »Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, denn er ist zu seinem Volke gekommen und hat es erlöst. Ich, der Summus Pontifex, Statthalter Christi, Diener der Diener und Sünder unter Sündern, fordere dich auf, guten Mutes zu sein im Namen Gottes. Bei ihm, der am Kreuze gehangen, verspreche ich das ewige Leben allen denen, die in seinem Orden ausharren. Er selbst hat es gesagt: Wer ausharret, dem will ich die Krone des ewigen Lebens geben.«

So war seine Stimme erschollen, der ungeheuren, mit ehrfurchtsvoller Scheu erfüllten Menge von dem Blute erzählend, das bereits an dem Orte, auf dem sie standen, vergossen worden war, und von dem Leichnam des Apostels, der hier in geringer Entfernung ruhe, anfeuernd, aufmunternd und begeisternd. Sie hatten sich selbst dem Tode geweiht, wenn Gottes Wille ihn fordere; und wenn nicht, so würde ihre Bereitwilligkeit für die Tat angenommen werden.

Er hatte geschlossen mit einer feierlichen, stummen Segnung der Stadt und der Welt, und es fehlte nicht an einem halben Dutzend Gläubigen, die eine weiße, einem Vogel ähnliche Erscheinung gesehen zu haben glaubten, die, solange der Papst sprach, in der Luft geschwebt habe, weiß wie ein Nebel und durchsichtig wie Wasser …

Die sich anschließenden Szenen im Innern der Stadt und in den Vorstädten waren beispiellos gewesen, denn Tausende von Familien hatten freiwillig die sie umgebenden menschlichen Bande gelöst. Die Männer hatten ihren Weg nach den für sie bestimmten geräumigen Gebäuden auf dem Quirinal eingeschlagen, Ehefrauen nach dem Aventin, während die Kinder, mit derselben Zuversicht, die ihre Eltern erfüllte, den St. Vinzenzschwestern zugeströmt waren, welche auf Befehl des Papstes zu deren Unterbringung drei Straßen angewiesen bekommen hatten.

Von der Christenheit draußen drangen bereits Nachrichten von Erfolgen herein. Man hatte dieselben strengen Maßregeln wie in Rom eingehalten, denn die ausgegebenen Direktiven waren klar und scharf, und Tag für Tag liefen lange, von den Diözesanoberen aufgestellte Listen neuer Religiosen ein.

Ferner waren während der letzten paar Tage neue Listen angelangt, die ruhmreicher waren als alle vorhergegangenen. Nicht nur, daß die Berichte sich häuften, daß der Orden bereits sein Wirken begonnen habe, daß bereits abgebrochene Verbindungen wiederhergestellt worden seien, daß die Organisierung hingebungsvoller Missionäre voranschreite, und daß in den verzweifelten Herzen nochmals Hoffnung einzuziehen beginne. Doch besser als all dieses waren die Nachrichten von Siegen auf einem anderen Gebiete. In Paris waren an einem einzigen Tage im Quartier Latin vierzig aus dem neugegründeten Orden lebend verbrannt worden, noch ehe die Regierung eingriff. Weitere Namen lieferten Spanien, Holland und Rußland. In Düsseldorf hatte man achtzehn Männer und Knaben in der Laurentiuskirche beim Singen der Prim überrascht und sie, einen nach dem anderen, in den Schwemmkanal geworfen, während ein jeder, bis er verschwand, die Worte sang: » Christe Fili Dei vivi, miserere nobis«, und aus der Finsternis war das gebrochene Singen heraufgeklungen, bis es mit Steinen zum Stillschweigen gebracht ward. Inzwischen füllten sich die deutschen Gefängnisse mit den ersten Trupps der sich Weigernden.

Die Welt zuckte die Achseln und erklärte, sie hätten sich dies nur selbst zuzuschreiben, bat aber doch, Ausschreitungen des Pöbels zu verhindern, und ersuchte die Behörden, sie möchten der Sache ihr Augenmerk zuwenden und diese neue Verschwörung des Aberglaubens entschlossen unterdrücken. Und in Sankt Peter waren die Arbeiter an den langen Reihen neuer Altäre emsig beschäftigt, um auf den Steintafeln in eingegrabenen Goldbuchstaben die Namen jener anzubringen, die bereits ihr Gelübde erfüllt und ihre Krone empfangen hatten.

Es war das erste Wort der Antwort Gottes auf die Herausforderung der Welt …

Als Weihnachten nahte, war bekannt gemacht, daß der päpstliche Souverän am letzten Tage des Jahres an dem Papstaltare in Sankt Peter das Hochamt für den Orden darbringen würde, und man begann unmittelbar mit den Vorbereitungen.

Es sollte eine Art öffentliche Einführung des neuen Unternehmens darstellen, und zum Erstaunen aller war ein spezieller Befehl an alle Mitglieder des Heiligen Kollegiums der ganzen Welt ergangen, dabei zu erscheinen, soweit sie nicht durch Krankheit verhindert wären. Es schien, als sei der Papst entschlossen, der Welt begreiflich zu machen, daß nunmehr der Krieg erklärt sei, denn obwohl dieser Befehl für jeden Kardinal ein höchstens fünftägiges Fernbleiben von seiner Kirchenprovinz bedeutete, so mußte dies dennoch viele Ungelegenheiten zur sicheren Folge haben. Immerhin, der Befehl war da und er mußte befolgt werden.

Es war eine seltsame Weihnacht. Percy war zur Assistenz des Papstes bei dessen zweiter Messe befohlen; er selbst las seine drei Messen um Mitternacht in seiner Privatkapelle. Zum erstenmal in seinem Leben sah er, wovon er so oft erzählen gehört hatte, die wundervolle, althergebrachte, päpstliche Prozession bei Fackelschein, welche die Straßen entlang vom Lateran hin nach Sankt Anastasia zog, ein Brauch, den der Papst nach einer Unterbrechung von nahezu anderthalb Jahrhunderten vor ein paar Jahren wieder eingeführt hatte. Die kleine Basilika war natürlich bis in ihre letzten Winkel für die privilegierten Persönlichkeiten reserviert, aber die Straßen draußen waren in ihrer ganzen Länge von der Kathedrale bis zur Kirche und auch auf den anderen beiden Seiten des ein Dreieck bildenden Rückweges eine einzige, schweigende, dichte Masse von Köpfen und flackernden Fackeln. Wie gewöhnlich dienten dem Heiligen Vater am Altare die Souveräne, und Percy verfolgte von seinem Platze aus das himmlische Drama des Leidens Christi, eingeleitet durch seine mystische Geburt in den Händen seines greisen, engelgleichen Statthalters. Es war schwer, hier etwas von Golgatha zu empfinden; hier war Bethlehem, hier umglänzte himmlisches Licht, nicht übernatürliche Finsternis den einfachen Altar. Es war eher das Knäblein Wunderhold, das dort in den welken Händen ruhte, als der von Schmerzen gepeinigte Mann am Kreuze …

Adeste fideles sang der Chor von der Tribüne herab – Kommt, lasset uns anbeten und nicht weinen; lasset uns frohlocken und uns freuen und kleinen Kindern gleich sein. Wie er für uns Kind geworden, so laßt uns gleich ihm wieder Kinder werden. Es wird nun Zeit, das Leiden zu beginnen, da der Fürst dieser Welt sich gegen den Fürsten des Himmels erhebt. So tönte es aus Percys Innerem, und er bemühte sich, wieder klein zu werden und einfältig. Sicherlich, für Gott war nichts zu schwer! Konnte nicht seine mystische Geburt nochmals bewirken, was sie schon einmal bewirkt hatte, und durch die Macht ihrer Schwäche jene zur Unterwerfung bringen, die stolz sich über alles, was Gott heißt, erhoben? Sie hatte weise Könige durch die Wüste hindurch und Hirten mitsamt ihren Herden an sich gezogen. Sie hatte auch jetzt Könige um sich, die mit Armen und Einfältigen auf den Knien anbeteten, Könige, die ihre Kronen niedergelegt hatten und nun das Gold aufrichtiger Herzen, die Myrrhe der Sehnsucht nach dem Martyrium und den Weihrauch reinen Glaubens darbrachten. Konnten nicht auch Republiken auf ihren Glanz verzichten, der Pöbel gebändigt werden, Selbstsucht sich verleugnen und Weltklugheit ihre Unwissenheit bekennen? …

Dann dachte er an Felsenburgh, und sein Herz ward wieder schwer.

3.

Es war ungefähr eine Woche später. Percy erhob sich wie gewöhnlich, las seine Messe, frühstückte und setzte sich nieder, um sein Brevier zu beten, bis sein Diener ihn rufen würde, um ihm beim Ankleiden für das Pontifikalamt behilflich zu sein. Er hatte sich so daran gewöhnt, fortwährend schlimme Nachrichten zu erhalten – von Apostasien, Todesfällen, Verlusten –, daß die Ruhe der vergangenen Woche eine außerordentlich erfrischende Wirkung auf ihn ausgeübt hatte. Es kam ihm vor, als entspräche das, was er dort in Sankt Anastasia in Gedanken geschaut, mehr als er geglaubt, der Wirklichkeit, und als habe dieses anmutige, alte Fest doch noch nicht alle Macht selbst über eine Welt eingebüßt, die seinen Inhalt verleugnete. Denn nicht das geringste von Wichtigkeit war vorgefallen. Einige weitere Martyrien hatte man zu verzeichnen gehabt, doch waren es vereinzelte Fälle; und von Felsenburgh fehlte jede Kunde. Europa mußte zugeben, daß es sich über die Tätigkeit seines Präsidenten völlig in Unkenntnis befand.

Andrerseits wußte Percy, daß der morgige Tag auf alle Fälle für England und Deutschland ein Tag von außerordentlicher Bedeutung sein würde, denn in England war für denselben der erste Termin für die verpflichtende Teilnahme am neuen Gottesdienste festgesetzt, während in Deutschland bereits der zweite bevorstand. Männer und Frauen würden sich jetzt zu entscheiden haben.

Letzten Abend hatte er eine Photographie der Figur gesehen, welche am nächsten Tage in der Abtei verehrt werden sollte, und in einer Aufwallung der äußersten Entrüstung hatte er sie in Fetzen gerissen. Sie stellte eine nackte Frau dar, kolossal und majestätisch, von bezaubernder Anmut, Kopf und Schulter nach rückwärts gebeugt, wie jemand, der eine wunderbare, himmlische Vision hat, die Arme nach unten gestreckt, die Hände ein wenig erhoben mit gespreizten Fingern, wie in Staunen versunken – die ganze Haltung mit zusammengepreßten Füßen und Knien verriet Erwartung, Hoffnung und Staunen; in teuflischem Spott war ihr langes Haar von einer Krone mit zwölf Sternen überragt. Dies also war die Gattin des anderen, die Verkörperung idealer Mutterschaft des Menschen, die noch ihres Kindes harrt …

Als die weißen Papierstückchen gleich giftigem Schnee zu seinen Füßen lagen, war er aufgesprungen; sein von Bitterkeit erfülltes, um Verzeihung flehendes Herz zwang ihn, auf den Betschemel auf der anderen Seite des Zimmers niederzusinken.

»O Mutter, Mutter«! rief er empor zur hehren Himmelskönigin, in deren Armen einst ihr wahrhaftiger Sohn geruht und die auf ihn herniederblickte von ihrem Sockel – und damit schwieg er.

Doch er hatte sich im Laufe des Morgens wieder beruhigt und feierte Sankt Silvester, Papst und Bekenner, den letzten Heiligen in der langen Reihe des christlichen Jahres mit erträglichem Gleichmut. Die Bilder der vergangenen Nacht, die große Zahl der geistlichen Würdenträger, die hohen, purpurgekleideten, fremden Gestalten der Kardinäle, die von Nord, Süd, Ost und West herbeigeeilt waren, all dies wirkte zusammen, ihm seine Sicherheit wiederzugeben – zwar kein vernünftiger Grund, die Wirkung war jedoch vorhanden.

Percy beendete die Terz, klappte das Buch zu und lehnte sich zurück; sein Diener mußte sich jeden Augenblick melden.

Er ließ die ganze Funktion nochmals vor seinem Geiste vorüberziehen und bedachte, daß das gesamte Kardinalskollegium (mit Ausnahme des Kardinalprotektors von Jerusalem, den Krankheit zurückhielt), vierundsechzig Mitglieder an der Zahl, teilnehmen werde. Dies versprach einen einzigartigen Anblick. Vor acht Jahren – er erinnerte sich noch gut daran – nachdem Rom seine Freiheit zurückerhalten hatte, fand eine ähnliche Versammlung statt, doch die Kardinäle zählten damals insgesamt nur dreiundfünfzig, von denen vier abwesend waren.

Stimmen wurden in seinem Vorzimmer laut, man vernahm rasche Schritte und einige laute Ausrufe in englischer Sprache. Das war etwas Ungewohntes hier, und er setzte sich aufrecht. Dann hörte er:

»Seine Eminenz muß sich jetzt zum Ankleiden begeben; es ist umsonst«.

Es folgte eine scharfe Antwort, ein Gepolter und ein Zerren an der Türklinke. Das war denn doch unschicklich, und so erhob sich Percy, schritt der Türe zu und öffnete.

Ein Mann stand draußen, den er im ersten Augenblick nicht erkannte, bleich und unordentlich in seinem Äußeren.

»Was –« begann Percy und prallte zurück. »Mr. Phillips!« sagte er.

Dieser streckte die Hände aus.

»Ich bin es, Sir – Eminenz –, diesen Moment angekommen. Es handelt sich um Leben und Tod. Ihr Diener sagt mir –«

»Wer hat sie hergeschickt?«

»Father Blackmore.«

»Gute Nachrichten oder schlimme?«

Der Mann wandte seine Augen nach dem Diener, der trotzig und erregt ein paar Schritte entfernt stehengeblieben war; Percy begriff.

Er legte seine Hand auf des anderen Arm und zog ihn in das Zimmer hinein.

»Klopfen Sie in zwei Minuten hier an der Türe, James«, sagte er.

Sie durchschritten zusammen den Raum, und Percy nahm den gewohnten Platz am Fenster, gegen den inneren Fensterladen gelehnt, ein.

»Sprechen Sie so kurz als möglich, Sir«, sagte er zu dem Atemlosen.

»Es besteht ein Komplott unter den Katholiken; sie wollen morgen die Abtei mit Explosivstoffen zerstören. Ich wußte, – daß der Papst –«

Percy schnitt ihm mit einer kurzen Bewegung das Wort ab.


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