Sophus Bauditz
Wildmoorprinzeß
Sophus Bauditz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24

Fannys Genesung schreitet kräftig fort, sie ist bald wieder ganz gesund. Und ringsumher aus der Gegend strömen die Visiten nach Hjortholm – am häufigsten kommt Kongsted. Dahin ist all' seine Sicherheit und Ruhe, verlegen senkt er den Blick und weiß nicht, worüber er reden soll. Und Fanny lauscht den ganzen Tag hindurch auf den Hufschlag eines trabenden Pferdes; sie sehnt sich so danach, ihn zu hören – wenn er aber kommt, so bereut sie ihr Sehnen. – Was ist denn nur geschehen? Alles oder nichts, wie man es nehmen will. Er, der zum Manne herangereift ist, ohne jemals Liebe empfunden oder an die Allmacht der Liebe geglaubt zu haben, beugt jetzt vor ihr das Knie, die Liebe hat alle seine Theorien wie Kartenhäuser umgeblasen, und sie? – Ja, sie hat ja erst jetzt das Leben begonnen, erwartungsvoll bereit, die großen Eindrücke zu empfangen, und die großen Eindrücke sind über sie gekommen wie eine Verheißung, das Evangelium der Liebe, das himmlische und das irdische hat ihr seit dem letzten Weihnachtsfest in den Ohren geklungen. – Wie aber ist das zugegangen?

Ja, frage das Samenkorn, weshalb es keimt, frage die Blume, weshalb sie sich entfaltet – und das Samenkorn und die Blume werden keine andre Antwort haben, als daß es so sein muß, weil die Sonne vom Himmel herabscheint. Der Forscher kann der Sache tiefer auf den Grund gehen – ein Stück tiefer –, er kann nachweisen, wie sich Zelle an Zelle bildet, und wie die Säfte steigen, aber auch er steht schließlich still vor dem Rätsel des Keimens und endet wie Samenkorn und Blume damit, daß er auf die goldige, warme Lebensquelle zeigt, deren Strahlen sich von oben herabsenken.

Und alle beide, Fanny wie auch Kongsted, glauben fest und innig an ihre eigne Liebe, keins von beiden aber glaubt an die Möglichkeit der Liebe des andern.

* * *

Bro ist nach Kopenhagen gereist, um nicht wiederzukommen. Zuvor aber hatten Pastor Jensen und die Heiligen in der erweckten Gemeinde ein Abschiedsfest ihm zu Ehren mit Gebet, kalter Küche und Absingen geistlicher Lieder gefeiert, und Bro hatte der Kirche zu Igum zwei von den allergrößten Altarkerzen geschenkt, die direkt aus der Hauptstadt verschrieben worden waren. Am letzten Abend, als er sich in der Gegend aufhielt, war er in der Nähe des Hjortholmer Schlosses gesehen worden, er wollte wohl noch einmal einen Blick auf seine getäuschten Hoffnungen werfen.

Fanny war wieder ganz gesund, sie hatte schon längst angefangen, kürzere Spazierritte zu machen.

Eines Nachmittags vor Ostern ließ sie Bella früher als sonst satteln, sie wollte einen längern Ausflug machen. Wo die Chaussee den Bodholter Weg schneidet, begegnete sie dem Hauptmann; auch er war zu Pferde, die Büchse hatte er über der Schulter, Diana folgte ihm, und schon von weitem hörte sie ihn singen.

Wohin willst du? fragte er und hielt das Pferd an.

Ach, ich weiß nicht, ich reise aufs Geratewohl, erwiderte Fanny. Und wohin willst denn du?

Ich will auf einen oder zwei Tage nach Skovsgaard und sehen, daß ich ein paar Schnepfen schieße. Kandidat Mathiesen hat mir geschrieben und mich flehentlich gebeten, zu kommen.

Ja, das kann ich mir denken! – Guckst du bald einmal bei uns ein?

Das kann wohl sein! Viele Grüße daheim! Adieu, mein Kind!

Und dann trennten sie sich, und Fanny ritt über die Nonnenhügel nach dem Wildmoor zu – dort war sie seit ihrer Erkrankung nicht gewesen. Wie verändert war dort alles schon: Baracken waren für die Arbeiter errichtet, aus der Kantine stieg der Rauch auf, man hatte mit dem Graben begonnen, und draußen zwischen dem Moor und Öxneyolm konnte man die Anfänge der Dämmungen erblicken. Fanny schaute lange hinaus über das alte Märchenland, ganz in der Ferne gewahrte sie auch eine Gestalt, die Kongsted sein könnte, und war eben im Begriff, heimzureiten, als Anne Steffens aus der Hütte kam und ihren Guten Tag sagte.

Ach, das kleine Fräulein will sich auch mal umsehen! begann die Zigeunerin. Ach ja – so bin ich denn also doch sitzengeblieben und nicht herausgeschmissen, wie dieser Thomas Bro mir drohte. Ja, solange ich lebe, hält das Wildmoor schon aus, aber was aus Leuten meiner Art werden soll, wenn dies alles Wiesen sind, das mag Gott wissen – denn die Heide pflanzen sie zu, und die Moore trocknen sie aus – wir sterben mit dem Heidekraut aus, geradeso wie die Auerhähne! – Na, Sie hat ja den alten Junker doch dazu gebracht, daß er die Unterschrift anerkannt hat.

Nein, erwidert Fanny, ich hab' ihn nicht dazu gebracht; als ich es ihm sagte, antwortete er ganz bestimmt: Nein!

So? Er hat aber doch ja gesagt, als es so weit war, das weiß ich, und Bro hat ja auch seinen Willen nicht bekommen, weder auf die eine noch auf die andre Weise! Aber das kleine Fräulein sollten doch wohl bald sehen, daß Sie einen Mann bekommt!

Ach, damit hat es keine Eile!

Wohl hat es Eile! Sie ist ja reif wie eine braune Nuß, und Sie ist zu schön und auch zu gut, um sich locken zu lassen.

Fanny lächelte und erwiderte: Das hat keine Gefahr!

Ja, so sagen sie alle, aber Jütland ist groß, und es gibt mehr Lusthäuser als das alte im Hjortholmer Park! Seh Sie nur zu, daß Sie sich so bald wie möglich mit einem guten Mann verheiratet, aber will Sie ihm und keinem andern angehören und will Sie sich und ihn binden, dann genügt es nicht, daß der Priester den Segen über Sie spricht, dann soll Sie das blaue Zeichen am Arme tragen – Sie weiß ja!

Bei den Worten der Alten strömte Fanny alles Blut in die Wangen. Wie ein wilder Schößling im Reiche der Gedanken sproßte in ihr die Lust, sich mit vollem Bewußtsein in die Welt der Mystik zu stürzen, der sie sich neulich, halb im Spiel, halb aus Laune, genähert hatte. Es war das heidnische Wildmoorblut, das noch einmal in ihr aufwallte – und zwar obwohl das Wildmoor und sie selber ja auf dem besten Wege waren, christlich zu werden. –

Anne Steffens, sagte sie und dämpfte unwillkürlich die Stimme, obwohl kein menschliches Wesen in der Nähe war, ich muß jetzt nach Hause, sonst werden sie besorgt um mich. Kommt Ihr aber morgen abend nach Hjortholm, sobald die Dämmerung hereinbricht – ich muß mit Euch reden. Erwartet mich unten an der alten Eiche, ich führe Euch ins Schloß, ohne daß Euch jemand gewahrt!

Und als fürchtete sie, daß ihre Worte und ihr Entschluß ihr leid werden könnten, sagte sie hastig Lebewohl und ritt so schnell, wie Bella nur ausholen konnte, dem Schlosse zu.

Am nächsten Abend fand sich Anne Steffens zur Dämmerstunde an dem bezeichneten Orte ein, Fanny führte sie vorsichtig durch eine Hintertür auf ihr Zimmer, und niemand gewahrte sie; als sie aber eine Stunde später Hjortholm verließ, begegnete sie dem Hauptmann, der von der Schnepfenjagd auf Skovsgaard kam und ihr lange nachschaute.

* * *

In der kühlen Frühlingsnacht schimmerte aus dem nördlichen Turmzimmer des Hjortholmer Schlosses – am Ende des Ganges, wo die graue Dame haust – ein schwacher Lichtschimmer, als käme er aus einer geblendeten Hornleuchte, deren Schein durch eine schmale Spalte sickert. Und der Lichtschein nimmt zu an Stärke, es flammt hinter dem Fenster auf, so daß man deutlich jeden Zweig des Lindenbaumes da draußen erkennen kann – niemand aber sieht es. Und der Rauch schlägt plötzlich aus dem Dach auf, springende Fensterscheiben klirren, die Flamme bekommt Luft – Hjortholm brennt!

Ringsumher ertönt Rufen, verwirrtes Rufen, und dunkle Gestalten, die bleichschwarze Schatten auf den erleuchteten Hofplatz werfen, bewegen sich eilig, planlos durcheinander.

Rote Feuerzungen lecken an dem Dachfrist entlang, prasselnd wie ein Sturmwind knattern die Flammen im mittlern Flügel, und Rauchmassen wirbeln auf wie ein Meeresstrudel von Wolken.

In weitem Umkreis erblickt man Rauch und Feuer, die Leute schrecken aus ihrem Schlafe auf, und endlich kommen die ersten Spritzen, die ersten Wagen mit Wassertonnen und Löschmannschaft. Wasser gibt's ja genug – die Gräben sind ja da –, aber die Schläuche sind undicht, und niemand ist da, das Kommando zu übernehmen. Von Zeit zu Zeit sendet der Führer einer Spritze einen Strahl, der wie eine Rakete knistert, in das Feuermeer, bald darauf aber gibt er den ungleichen Kampf auf und läßt brennen, was da brennen will.

Tante Rosa übernimmt das Kommando, und ihr gehorcht man doch einigermaßen. Sie läßt alle Spritzen auf den Wirtschaftshof zusammenfahren, und nun werden die Strohdächer der Wirtschaftsgebäude mit Wasser überschwemmt, der überflüssigen Mannschaft erteilt sie den Befehl, auf einen gegebnen Wink Pferde und Kühe zu retten. Aber so weit kommt es nicht: der Wind weht von der entgegengesetzten Seite, und nur das Hauptgebäude wird in Asche gelegt. Blaue und grüne Flammen schlagen zum Himmel auf, als das Feuer durch das Kupferdach des Turmes bricht – jetzt schwankt der ganze Turm, er fällt und bildet einen neuen Damm über den östlichen Burggraben.

Gegen Morgen, als es tagt, ist Hjortholm nur noch ein rauchender Schutthaufen mit kahlen, rauchgeschwärzten Mauern, zwischen denen glimmende Riesenscheiterhaufen liegen, die von Zeit zu Zeit aufflammen. Glühende, halb verkohlte Balken ragen

zwischen den Steinen auf – alle die umstehenden Bäume sind am Stamme verkohlt, die Kronen sind versengt, und um das verbrannte Nest in der Linde fliegen die schreienden Elstern.

Im Laufe des Tages kommt der Amtsrichter. Jetzt soll Brandgericht abgehalten werden. Aber die Untersuchung ist resultatlos. Die einstimmige Aussage lautet, daß das Feuer im obersten Turmgang entstanden ist, wohin seit langen Zeiten niemand mehr gekommen ist, und der Amtsrichter will die Untersuchung schon schließen und fragt nur der Form halber, ob noch jemand was vorzubringen habe, als sich Onkel Heinrich zur allgemeinen Verwunderung räuspert und sagt:

Ich möchte mir nur die Bemerkung erlauben, daß ich schon mehrmals Licht auf dem Gang der grauen Dame gesehen habe.

So? Wann ist denn das gewesen, Herr Kammerjunker?

Ach, es mag wohl zehn Tage her sein, als ich es zum erstenmal sah.

Nun, so lange glaube ich doch nicht, daß das Feuer gebrannt haben kann, entgegnete der Amtsrichter lächelnd.

Nein, das meine ich auch nicht, wendet Onkel Heinrich ein, aber wenn die graue Dame uns hat warnen wollen –

Ach so – ja, das mag sein, unterbricht ihn der Amtsrichter überlegen abweisend. Auf Indizien hin können wir wohl ein Urteil abgeben – gottlob –, aber mit Ahnungen und Warnungen können wir uns nicht befassen – zum Kuckuck auch, das geht nicht an!

Die Goldbetreßte verschwindet gleich darauf in der Richtung nach Bodholt zu, und nur für einen einzigen ist Onkel Heinrichs Aussage von Interesse gewesen, und das ist nicht der Amtsrichter.


 << zurück weiter >>