Sophus Bauditz
Wildmoorprinzeß
Sophus Bauditz

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2

Der Hauptmann ritt den nächsten Weg nach Hjortholm hin, aber es ging nicht allzu schnell, denn wenn der Hauptmann nicht gerade große Eile hatte – und das war nur selten der Fall –, so dauerte es immer lange, bis er ans Ziel kam: da war ja so vielerlei zu sehen, da waren so viele, mit denen er reden mußte; jeden kläffenden Köter kannte er so gut wie jedes flachshaarige Gör, und wohin er kam, mußte er doch mindestens ein paar Worte wechseln.

Hauptmann Riis war kein Jüngling mehr. Im Jahre 1848 war er schon als Freiwilliger mitgegangen, wurde Leutnant und avancierte 1864 zum Hauptmann. Nach dem Kriege bekam er seinen Abschied, und dann folgten einige Jahre, von denen er nicht gern sprach; Wein, Weib und Spiel waren die Gottheiten, denen er huldigte, und er war nahe daran gewesen, zugrunde zu gehen, als sein alter Jugendfreund und Kriegskamerad, der Jägermeister auf Hjortholm, ihn zu sich nahm und ihm das Waldhäuschen als Wohnung anbot. Er besserte sich mit einem Schlage und war nun die populärste Gestalt und der glücklichste Mann der ganzen Gegend.

Daheim im Waldhäuschen war er nie lange auf einmal und in der richtigen Jagdzeit so gut wie gar nicht. Wenn die kam, sattelte er seine Stute, pfiff seinem Hunde und ritt in die weite Welt hinaus. Der Frau des Feldhüters übergab er seinen zahmen Raben zur Pflege, den Schlüssel zu seinem Häuschen legte er auf den Türrahmen – ganz wie in der guten alten Zeit –, und zuweilen schrieb er mit Kreide an die Tür, wohin er geritten sei. So ganz zuverlässig waren diese Adressen übrigens nicht, denn es kam sehr oft vor, daß er die Absicht hatte, nach Skovsgaard zu reiten, und daß er dann in Hjortholm strandete. Oder er ritt mit dem Vorsatze aus, Müller Sörensen in Pindsmühle einen kurzen Besuch abzustatten, und blieb statt dessen acht Tage dort.

Überall war er ein willkommener Gast.

Kam er irgendwo auf den Hof geritten, so pflegte er, wenn sich nicht sofort jemand zeigte, mit Stentorstimme zu rufen: Hallo! Ist denn niemand zu Hause? Und ließ sich trotzdem nichts blicken, so zog er selber sein Pferd in den Stall und suchte dann die Bewohner. Fast überall war seine Ankunft ein förmliches Fest.

Alles, was ihm gut und schön erschien, versetzte ihn leicht in Begeisterung und Rührung; seine abgerissenen Melodien sang er, wenn es paßte und nicht paßte, und jedem mußte es auffallen, daß über seiner ganzen Persönlichkeit eine gewisse Poesie lag. Die Frauen bewunderte er – der Begriff Frau war für ihn gleichbedeutend mit dem Besten im Leben –, und er begnügte sich trotz seiner fünfundsechzig Jahre nicht immer damit, sie aus der Entfernung zu bewundern.

Ich nehme die Küsse noch mit, die man mir bietet, pflegte er zu sagen, und manchmal nehme ich auch einen, der mir, strenge genommen, nicht geboten worden ist!

Gesang und Musik, namentlich den Gesang, liebte er, das war für ihn der natürliche Ausdruck der Freude über das Dasein, und wo es Jugend, Tanz und Lustbarkeit gab, da mußte er mit dabei sein.

So war Hauptmann Riis beschaffen, und nun reitet er auf Hjortholm zu.

Durch das gewölbte Tor voll zwitschernder Schwalbennester, wo die Spinnengewebe wie flatternde Trauerfahnen herabhängen, geht es auf den Wirtschaftshof hinauf. Die Strohdächer der Gebäude sind vielfach geflickt und mit Moos bedeckt, die Stalltür hängt schief in den Angeln, und in der Meierei, vor der die blanken Eimer zum Trocknen liegen, ist der Ziegelsteinfußboden löcherig und abgetreten.

Der Hauptmann zieht sein Pferd in den Stall, läßt den Hund sich in den Stand daneben legen und geht nun auf dem Damm, wo einstmals eine Zugbrücke gewesen ist, über den Graben in den Schloßhof hinein. Am Rande des Grabens, der das Schloß von drei Seiten umgibt, steht dichtes Röhricht, und zerstreut wachsen die Rohrhalme ringsherum im Graben, wo sie aus dem ölfetten, hellgrünen Entenflott aufragen, das nur an ein paar Stellen Löcher hat, durch die man das schwarze Wasser sieht, und wo man, wenn man Glück hat, einen der uralten Familienkarpfen erblicken kann, der nach einer leichtsinnigen Mücke schnappt.

Stattlich in seiner schwerfälligen Vornehmheit ragt das alte Schloß empor mit seinen drei treppengiebeligen Flügeln und dem sechseckigen kupfergedeckten Turm in der Mitte; aber der Kalk ist ringsumher zwischen den braunroten Felssteinen aus den Fugen gefallen, die Sandsteingesimse sind verwittert, und der Efeu, der den nördlichen Giebel fast ganz bedeckt, scheint die Mauer mehr zu stützen als Stütze von ihr zu haben. Der Haupteingang im Mittelflügel hat ein großes Portal aus behauenen Steinen im Stile Friedrichs des Zweiten; ein spießtragender Waffenknecht hält zu jeder Seite Wacht, und darüber sieht man das Wappen der Höibros: einen Sparren unter einem wagerechten Balken.

Der Hauptmann geht zuerst nach dem gewundenen Kellerhals im südlichen Flügel, da, wo die Küche ist, liefert seine Enten an die Köchin ab und fragt, ob die Herrschaft zu Hause sei. Ja – ja, das heißt, Kammerjunker Heinrich ist an den See gegangen, und wo Fräulein Fanny ist, das ist nicht gut zu sagen, aber das gnädige Fräulein ist zu Hause – sie ist im Gartensaal.

Das »gnädige Fräulein« ist das alte Fräulein Rosa, und die Nennung ihres Namens allein bewirkt schon, daß der Hauptmann ein fröhliches Gesicht macht. Er schreitet zwischen den Waffenknechten aus Sandstein hindurch, ein paar Stufen hinauf und gelangt in die große Halle. Die Balken, die die Decke tragen, liegen frei; eine große Truhe mit geschnitztem Familienwappen steht in der einen Ecke, ein Paar verrostete Vorladebüchsen und eine mottenzerfressene Jagdtasche hängen an mächtigen Kronhirschgeweihen – sonst ist hier nichts und niemand. Der Hauptmann geht nun durch das Eßzimmer und das Wohnzimmer und öffnet nach einem barschen Herein! die Tür zum Gartensaal, der nur im Sommer benutzt wird.

Hier ist ein Marmorkamin und ein Metallkronleuchter, und an den Wänden hängen Dutzende von Familienporträten, Ritter in Panzer und Schild, Ritter des Elefantenordens, ehrbare Matronen in Schwarz und Weiß, mit Haube und Schneppentaille, und gepuderte schöne Dämlein in tief ausgeschnittenen Kleidern. Sanft sehen die Höibros nicht aus, und sanft sind sie auch wohl kaum gewesen; das Wildmoorblut fließt noch in ihren Adern, es hat nur im Laufe der Zeiten den Charakter verändert. Schön sind sie auch nicht! – die Nasen sind zu mächtig, und die Lippen zu voll –, aber Rasse haben sie alle, wahrscheinlich weil sie in der Regel in Seitenlinien desselben Geschlechts hineingeheiratet haben; und tapfer im Dienste des Königs sind sie immer gewesen – da ist es denn kein Wunder, daß etliche von ihnen nicht in der Familiengruft ruhen, sondern in weiter Ferne auf fremder Walstatt.

Vor dem Kamin steht ein mächtiger Eichentisch auf plumpen Kugelbeinen, und daran sitzt eine große, stattliche Frauengestalt. Welliges graues Haar guckt unter der Tollenhaube hervor, die Stirn ist gefurcht, die Züge sind kräftig geschnitten, und auf der großen, gekrümmten Adlernase sitzt eine gewaltige Brille. Neben ihr auf dem Tisch steht eine geöffnete Schnupftabakdose, und vor ihr liegt ein Protokoll; da hinein blickt sie, zählt, rechnet zusammen und schaut immer bekümmerter drein.

Das ist Fräulein Rosa. Als der Hauptmann eintritt, huscht es wie Sonnenschein über ihr altes Gesicht: sie erhebt sich – schnell und männlich – und sagt mit starker, beinahe grober Stimme: Guten Tag, alter Hauptmann! Ja, ich hatte, weiß Gott, eine Ahnung, daß Sie heute kommen würden!

Der Hauptmann küßt ihr die Hand – er küßt nun einmal alle Damen, einige auf die Stirn und die meisten auf den Mund, aber Tante Rosa, wie er sie nennt, küßt er stets nur auf die Hand –, und dann ruft er seelenfroh aus: Nein, wirklich, Gott segne Sie dafür! – Aber es scheint mir, als sähen Sie etwas verstimmt aus. Ihnen fehlt doch nichts?

Nichts weiter, als was uns hier immer fehlt, aber das ist ja auch genug! Ich saß mitten in meinen Gutsrechnungen und –

Die sind wohl nicht amüsant, das kann ich mir denken! fiel ihr der Hauptmann in die Rede.

Nein, darauf können Sie Gift nehmen, sie sind geradezu verzweifelt! Ich kann mich zuweilen nicht von dem Verdacht frei machen, daß Bro während der Zeit, daß er Gutsverwalter war, absichtlich so schlecht administriert hat.

Ja, weshalb behielten Sie denn den Schurken so lange?

Danach brauchen Sie doch nicht zu fragen! Sie wissen doch recht gut, daß wir mit starken Banden gebunden waren, die ich nur mit Überwindung löste, als ich fand, daß es um Fannys willen absolut notwendig war.

Freilich, freilich, Tante Rosa, das weiß ich. Aber jetzt, wo Sie Ihr eigner Gutsverwalter sind – jetzt brauchen Sie ihn doch nicht mehr zu dulden.

Ja, bis zu einem gewissen Grade – leider Gottes! Er hat ja die größte Priorität in Hjortholm!

Au! – Ja, da kann man ihn wohl nicht hinauswerfen.

Nein, aber er kommt, gottlob! nur sehr selten hierher, und Fanny sieht ihn niemals.

Und sie hat wirklich niemals etwas gemerkt?

Niemals! Sie hat einen rein instinktmäßigen Widerwillen gegen ihn – den hatte sie schon als Backfisch –, aber darüber hinaus – nein!

Aber wie ist es nur möglich, daß sie nicht –

Ja, wie ist es möglich! Weil Fanny trotz ihrer vierundzwanzig Jahre und trotz ihrer Anschauungen nicht mehr davon weiß, was Leidenschaft oder überhaupt Liebe ist, als ein Kind von sieben Jahren. Aber lassen Sie uns jetzt nicht über so trübe Dinge reden – wollen Sie etwas zu trinken haben?

Ja, wenn Sie so gütig sein wollen – etwa ein Glas Bier?

Das bekommen Sie nicht! Erstens ist es Ihnen nicht gut, und zweitens haben wir gar kein Bier im Schloß. Wenn Sie aber ein Glas von meinem Johannisbeerwein mit Wasser haben wollen, so –

Brillant! Aber dann will ich meinen Labetrunk unten im Garten, da draußen auf der Bank genießen. Und Sie nehmen Ihr Strickzeug und setzen sich zu mir. Unter den Linden ist herrlicher Schatten, und es tut so gut, da zu sitzen und in die Kronen hinaufzugucken und den Duft der Lindenblüten in vollen Zügen einzuatmen.

Sie sind doch ein großes Kind, erwiderte Tante Rosa lächelnd. Sie haben viel in Ihrem Leben angegriffen, das einzige aber, was Sie niemals so recht in Angriff genommen haben, das ist, groß zu werden – so kommen Sie denn, alter Knabe!

Nach einer kleinen Weile saßen Tante Rosa und der Hauptmann draußen auf der Bank unter der nächsten Linde; sie hielt das Strickzeug mit den großen hölzernen Nadeln weit vor sich hin, er ruhte gemütlich und genoß den verdünnten Johannisbeerwein in kleinen Schlucken.

Was gibt's denn Neues? fragte Tante Rosa. Ja, was gibt's Neues? – Ja, das ist wahr, ich traf den neuen Ingenieur droben am Hünengrab. Was für einen Ingenieur?

Den, der die Arbeiten unten auf der Lysbroer Wiese leiten soll. Er heißt Kongsted, Erich Kongsted.

Ist er einer von den Kongsteds, die sich einbilden –

Ja, zu denen gehört er.

Woher wissen Sie das?

Er hat es mir selber gesagt.

So, also das hat er getan! – Prahlhans! Plebejer!

Er war übrigens ein ganz netter Mensch.

So?

Wenn Tante Rosa »so?« mit der Betonung sagte, war damit alle Diskussion abgeschnitten, deswegen ging denn der Hauptmann auf ein andres, neutrales Gebiet über, indem er fragte:

Ist denn auf Hjortholm Neues passiert?

Was sollte hier wohl passieren? Es kommt ja niemand hierher! – Neulich war freilich so ein Mensch vom Altnordischen Museum hier und bat um Erlaubnis, den Maglehügel auszugraben.

Und er erhielt sie?

Ich sagte ihm, daß der, der einstmals in den Hügel bestattet worden sei, vermutlich darauf gerechnet habe, dort ungestört bis zum Jüngsten Tage zu ruhen, und daß ich für meinen Teil es mir sehr verbitten würde, wenn mich jemand einmal im Laufe der Zeit aus dem Erbbegräbnis in der Krogslever Kirche herausschmeißen wollte. Da reiste er ab, aber ich glaube, er war beleidigt. – Wo haben Sie sich denn sonst in der letzten Zeit herumgetrieben, Hauptmann?

Ach, ich habe die Enten geschossen, die ich erwischen konnte, übrigens aber habe ich mich größtenteils zu Hause gehalten.

Wirklich?

Ja, ich bin viel zu Hause gewesen.

Neulich waren Sie im Bodholter Krug, Hauptmann; das sollten Sie nicht tun!

Ich hatte eine Bestellung von Müller Sörensen an den Krüger auszurichten, und ich blieb übrigens nur ganz kurze Zeit da.

So, jetzt dichten Sie, Hauptmann! Ich kam an dem Nachmittag auf dem Wege nach Skovsgaard dort vorüber, und da lag Ihr Hund draußen vor der Tür.

Ja, das kann gern sein!

Aber er lag auch noch am Abend dort, als ich nach Hause fuhr.

So? Ja, das weiß ich nicht mehr. – Hat Fritz kürzlich geschrieben? Ich sprach heute vormittag mit Christine von ihm.

Ja, Fanny hatte vor ein paar Tagen einen Brief von ihrem Bruder, aber es steht ja niemals etwas in seinen Briefen.

Nicht?

Nein, es steht schlecht mit ihm. Soldat konnte er ja nicht werden, er war zu schmächtig, der Schwächling.

Aber weshalb ließen Sie ihn auch nach Kopenhagen gehen, Tante Rosa! Die Luft dort ist nicht gesund!

Nein, das weiß Gott! Aber irgend etwas muß man hier auf dieser Welt doch sein, und da meinten sie alle, daß es das beste wäre, wenn er studierte – heutzutage kann man ja leider nicht allein auf seinen Namen vorwärtskommen. Aber er studiert, hol' mich der Henker, nicht! Er braucht eine gottlose Menge Geld, und Schulden hat er natürlich auch. Es ist ihm ergangen wie dem Mann im Evangelio, der von Jerusalem nach Jerichow auszog und unter die Räuber fiel: er ist in schlechte Gesellschaft geraten.

Nun, das ist wohl zuviel gesagt, aber es gefiel mir auch nicht sehr, daß er im vergangnen Jahre nicht einmal zur Rebhühnerzeit nach Hause kam und lieber nach Paris reiste, bemerkte der Hauptmann.

In den ersten Jahren verkehrte er in Kopenhagen doch noch mit Standesgenossen! fuhr Tante Rosa fort. Nun, zwischen denen mögen auch schlimme Gesellen sein – aber es waren doch guter Leute Kinder, die einen Namen hatten, den man kannte. Jetzt aber – was ist das für eine Bande, mit der er verkehrt! Federfuchser niedrigsten Ranges, verunglückte Genies und Verfasser von Schmähschriften – pfui Kuckuck! Die ganze Gesellschaft, die diese infame Wochenschrift »Faublas« herausgibt, Sie wissen es ja!

Nein, das weiß ich nicht!

Ja, ich kenne das Blatt nur, weil Fanny es hält!

Hält Fanny es?

Ja natürlich! Sie liest ja alles, was nur radikal ist und modern und abscheulich!

Hm, ja! – Versteht sie denn aber, was sie liest?

Nein, das kann man wohl nicht sagen – aber sie glaubt es, und das ist ja schon schlimm genug. Was weiß denn ein junges Mädchen überhaupt? Nichts! Den einen Augenblick redet sie in den höchsten Tönen über alles mögliche, so daß es Gott erbarmen kann, und im nächsten sitzt sie mit drei jungen Hunden auf dem Schoße da und spielt mit ihnen, als wäre sie noch ein Mädchen in kurzen Kleidern. – Aber das ist grundverkehrt! Ein ausgewachsenes, gesundes Wesen von vierundzwanzig Jahren sollte Zwillinge auf dem Schoße halten und keine jungen Hunde! So war es in der guten alten Zeit, und in der guten alten Zeit hatten die Familien die Mittel und die Kräfte, sich mindestens ein Dutzend Kinder zu leisten – freilich, die meisten starben klein, aber auf diese Weise blieben nur die kräftigsten am Leben, und dadurch regulierte sich die Volksmenge auf so vernünftige Weise, ebenso wie durch Krieg und Pest. – Fritz hätte gar nicht da sein sollen!

Jetzt sind Sie zu strenge, Tante Rosa!

Nein, das bin ich, weiß Gott, nicht!

Aber Fanny?

Ja, Fanny ist schön – zum Verrücktwerden schön! Und ich habe nun einmal eine Schwäche für alles, was schön ist – wohl weil ich selber so häßlich bin! Aber –

Tante Rosa, unterbrach sie der Hauptmann hier, so dürfen Sie nicht reden! Das ewig Weibliche –

Ja, Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß ich etwas Weibliches an mir habe! Und wagen Sie es zu leugnen, daß ich Ihnen zu häßlich war, als wir beide jung waren?

Ich war Ihnen nicht vornehm genug, wandte der Hauptmann ein.

Kann sein – kann auch nicht sein! Aber wir wollen doch nicht über uns beide reden. Wir sprechen ja von Fanny! Ja, was soll man eigentlich von ihr sagen, Hauptmann? Erstens gehört sie zu den Höibros – und die sind ja nicht allemal leicht zu nehmen gewesen –, und was ihre Mutter betrifft, so –

Wie war die schön! rief der Hauptmann aus.

Ja – nur zu schön! Aber obwohl sie nicht zur Familie gehörte, floß doch Wildmoorblut in ihren Adern, und so hat denn Fanny keine gute Erbschaft angetreten. Und ihre Erziehung ist ja auch verbruddelt. Von Religion hat sie keine Spur.

Sie ist aber doch, soviel ich weiß, getauft und konfirmiert.

Ja, das ist sie wohl, aber das ist spurlos an ihr vorübergegangen wie so vieles andre; sie ist ein reines Heidenkind. Mein seliger Bruder, der Ärmste, lehrte sie nichts als Reiten – nun, viel mehr konnte er ja selber nicht, daher darf man es ihm nicht anrechnen –, und als sie dann später eine Gouvernante bekam, wollte sie nichts tun und lernte folglich nichts.

Aber sie tut doch eigentlich nichts als lesen!

Ja, in den letzten Jahren. Aber was liest sie, und wie liest sie! Romane und Komödien, Naturgeschichte und Politik und den Teufel und seine Großmutter, alles bunt durcheinander, und obgleich ich mich nicht auf diese Dinge verstehe, so weiß ich doch so viel, daß, wenn man im Laufe von zwei Jahren alle diese Bücher und Gelehrsamkeit in sich hineinpfropft, die unter normalen Verhältnissen auf ein Dutzend Jahre verteilt werden sollten, so kann man das wahrhaftig nicht verdauen, und das ist ungesund. Es ist akkurat dasselbe, als wenn ich hingehen wollte und eine Schachtel Brandreths Schweizerpillen auf einmal nehmen! Nun, und was lernt sie denn aus ihren neumodischen Romanen? In meiner Jugend glaubte ein junges Mädchen, daß die Welt mit Rittern und edeln Räubern und überhaupt mit guten Menschen bevölkert sei; dann mußte man ja freilich hinterher im Leben lernen, daß die Welt in Wirklichkeit nicht so rosenrot ist, wie sie in den Büchern geschildert wird. Fanny aber glaubt, weiß Gott, daß die ganze Erdoberfläche von lauter Don Juans und verführten Frauen wimmelt, und daß alle Kinder unehelich sind, denn davon handeln ihre Bücher, und wenn das Leben sie einmal etwas lehren soll, so muß es wohl das sein, daß das Leben doch auch seine rosigen Seiten hat. Die Männer sind eine erbärmliche Rasse, das mag der Himmel wissen, und was der liebe Gott eigentlich beabsichtigt hat, als er sie erschuf, das weiß ich nicht, aber so jammervoll, wie sie jetzt in den Büchern geschildert werden, sind sie denn doch nicht! Ja, das ist nun meine Ansicht von der Sache.

Der Hauptmann hatte dagesessen und sich auf der Bank gedreht und gewendet und hatte die Finger durch den Bart laufen lassen, wie er es zu tun pflegte, wenn ihm die Unterhaltung zu ernst wurde, oder wenn Kritik über jemand geübt wurde, dem er im Herzen gut war. Als Tante Rosa endlich ihre lange Rede beendet hatte, beeilte er sich denn auch, das Gespräch wieder in eine leichtere Bahn zu lenken, indem er sagte: Nun ja, man kann natürlich allerlei gegen Fanny einwenden, wie gegen die meisten Menschen, aber sie ist und bleibt doch ein liebes Mädchen, und sie ist mein Patenkind! Und geradezu bezaubernd kann sie aussehen. Neulich ritt ich auf der andern Seite des Sees – über die Nonnenhügel, dem Badehause gerade gegenüber, und von dort aus sah ich sie – im Badeanzug natürlich – um die Wasserrosen herumschwimmen: entzückend, sag' ich Ihnen! Und der Hauptmann begann begeistert zu singen:

När hon plaska, när hon plaska,
Skymta, lilfor fram!

Wollen Sie mich gefälligst mit Ihren unanständigen schwedischen Liedern verschonen! Rief Blühen Lilien aus.

Tante Rosa. Ich verstehe die Worte nicht, aber daß es unanständig war, hab' ich im Gefühl. Und ich möchte es mir sehr verbeten haben, daß Sie Fanny im Bade belauschen – Sie alter, grauhaariger Mädchenjäger!

Tante Rosa, Sie beleidigen mich! Ich habe nichts weiter gesehen als ein paar weiße Arme, die die Wasserfläche kräuselten, und zwischen den Wasserrosen –

Vorhin war es außerhalb der Wasserrosen.

Nun ja, außerhalb oder innerhalb, das weiß ich nicht mehr so genau, eins aber weiß ich, als sie auftauchte, da war es, als ob die herrliche Tochter der See selber sich aus der Tiefe emporhöbe, gleich einer lebenden Lotusblüte, die –

Haben Sie jemals eine Lotusblüte gesehen? fragte Tante Rosa trocken, indem sie aufblickte.

Nein, ich glaube nicht, aber –

Dann sollten Sie auch lieber nicht davon sprechen! Fanny kann nicht davon leben, eine Lotusblume zu sein, sie muß sich verheiraten, und sie muß eine gute und standesgemäße Partie machen.

Es wird auch wohl was mit Graf Christian. Ich sprach neulich, als ich auf Skovsgaard war, lange mit ihm, und er war –

So verliebt in Fanny, wie nur ein Mann sein kann; das weiß ich, aber –

Ach, Sie glauben, daß der alte Graf Schwierigkeiten machen wird?

Gott bewahre! Der freut sich nur zu sehr, daß ein Porse wieder gutmachen kann, was die Familie uns Höibros zugefügt hat. Von der Seite ist nichts im Wege, aber Fanny selber –

Ja, sie ist nun einmal keine verliebte Natur.

Nein, Hauptmann, darin haben Sie recht. In dem Punkte ist sie, als wäre sie gar nicht aus Fleisch und Blut. Ist sie überhaupt verliebt, so ist sie es nur in ihre eigne Schönheit.

Ja, aber glauben Sie nicht, daß Graf Christian –

Ich will ihn aber nicht haben! rief eine klare, frische Stimme von oben herunter. Dann folgte ein fröhliches Lachen. Graf Christian riecht immer nach schweißigen Pferden, man muß ihn überhaupt nur im Sattel sehen.

Fanny, wo steckst du denn, mein Kind? fragte der Hauptmann und blickte hinauf, ohne jemand entdecken zu können.

Kannst du mich denn wirklich nicht sehen? ertönte es abermals von oben her. Ich sitze seit einer halben Stunde hier oben auf der Linde und habe deinem erbaulichen Zwiegespräch mit Tante Rosa gelauscht.

Aber wie in aller Welt bist du denn da hinaufgekommen?

Ich habe mir von meinem Fenster aus ein Brett zu dem Baum hinüberlegen lassen – warte einen Augenblick, ich komme gleich!

Drinnen im Turm auf der Wendeltreppe erklangen leichte, schnelle Schritte, eine helle Gestalt huschte an den kleinen Fenstern vorüber, und der Hauptmann summte vergnügt vor sich hin.

Und dann erschien in der offnen Tür, auf dem dunkeln Hintergrunde, den der Schatten des Gartensaals bildete, ein weißgekleidetes junges Mädchen – Fanny von Höibro. Schlank und voll war sie, das schwarze Haar hatte einen eignen feuchten Glanz: lange Wimpern beschatteten die leuchtenden Augen, der Mund war scharf und sicher geschnitten – sie war schön.

Guten Tag, mein Herzenskind! rief der Hauptmann aus, dann erhob er sich und streckte ihr die Arme entgegen.

Nein, laß das! sagte sie und machte eine abwehrende Bewegung. Du weißt ja, ich kann es nicht ausstehen, von Männern berührt zu werden. Diesen Widerwillen hat mir wohl ursprünglich Bro eingeflößt. Er wollte mich immer, als ich so halb erwachsen war, auf den Schoß nehmen und mein Kleid zerknittern und mich küssen – aber dazu bekam er keine Erlaubnis. Willst du ganz stillsitzen, Onkel Hauptmann, und mir versprechen, dich nicht zu rühren, dann will ich dir einen Kuß auf die Stirn geben, das ist ein großes Zugeständnis!

Pfui, du böse, böse Tante Rosa, wie hast du über mich geredet! Ich konnte freilich nur die Hälfte verstehen. Aber trotzdem sollst du einen Kuß haben, wenn du es auch nicht verdient hast – bist du nun zufrieden? – Was gibt es denn Neues, Onkelchen? – Nichts? – Danke, das kenne ich! – Ach, wie ich mich langweile! Und ich kann die Langeweile gar nicht vertragen, denn sie macht mich melancholisch und schlecht – hauptsächlich melancholisch, geradezu schwermütig!

Wie kannst du nur so trübsinnig sein, mein Kind! sagte der Hauptmann. Sieh, die Sonne scheint auf die Guten und auf die Bösen, die Linde blüht, und du hast einen gnädigen Gott im Himmel – ist dir das denn nicht genug?

Nein, das ist mir, weiß Gott, nicht genug, so genügsam bin ich nicht. Leben und Wirksamkeit verlange ich – Licht übers Land! Erinnere mich, bitte, nachher daran, daß ich dir Foxens junge Hunde zeige, rein zum Aufessen sind sie – so süß! – Aber, was ich sagen wollte, hier versumpft man ja in dieser schrecklichen Gegend: nichts als Bauern und Spießbürger: die Männer sind Schlafmützen und die Frauen Sklavinnen. Es geschieht hier ja nichts! Ich glaube wirklich, es gibt hier im ganzen Kreise nicht eine einzige geschiedene Frau, und nicht eine, die eine Vergangenheit hat. – Hat etwa Tante Rosa eine Vergangenheit, oder hast du eine? – Ja, du vielleicht, dir könnte ich es allenfalls zutrauen, aber was verschlägt das? Ach, es ist nicht zum Aushalten. Fritz, der liebe Bruder, der ist glücklich: der steht mitten im Leben der Hauptstadt und verkehrt mit der Jugend, die die Zukunft verkörpert – ich will zu ihm hinüber und ihm das Haus führen!

Das Haus, das er führt, eignet sich nicht für eine junge Dame! sagte Tante Rosa.

Ach Dame und immer Dame! höhnte Fanny. Bist denn du eine Dame, Tante Rosa?

Nein, ich nicht – dazu bin ich zu häßlich –, aber du bist schön genug, um es zu sein!

Bin ich wirklich so schön? Ach, du bist doch eine prächtige alte Tante Rosa! Und es mag auch wohl sein, daß es nicht so ganz in der Ordnung wäre, wenn ich Fritz den Hausstand führte – er muß seine Freiheit haben. Aber nach Kopenhagen will ich – hier gehe ich zugrunde! Ich möchte die freie Bühne sehen und das Café Bernina und das Krematorium, wo die Freigeister verbrannt werden, und Fritzens Freunde.

Fritzens Freunde – sind die nicht so ein klein wenig radikal? fragte der Hauptmann.

Ja, natürlich – was sollten sie sonst wohl sein! Alle begabten Menschen sind radikal! Das versteht ihr nun nicht, aber deswegen könnt ihr alle beide ebenso prächtig sein – namentlich du, Onkelchen, denn ich hörte vorhin sehr wohl, wie du sagtest, ich gliche einer Lotusblume da draußen zwischen den Wasserrosen. Das war eigentlich hübsch gesagt, und ich glaube, es paßt, obwohl auch ich niemals eine Lotusblume gesehen habe; aber daraus machen wir uns nichts, denn das ist einerlei. Und du kannst gern zusehen, wenn ich schwimme, soviel du willst– oben von den Nonnenhügeln herab natürlich –, das kann mir wirklich nicht schaden! – Wir beide müssen gegen Tante Rosa zusammenhalten, sonst können wir sie nicht bezwingen.

Ein Mädchen kam und meldete dem gnädigen Fräulein, daß die schwarzbunte Kuh nun endlich gekalbt habe.

Gib ihr einen salzenen Hering und einen Schnaps! sagte Tante Rosa. Ich komme gleich selber.

Ja, du mußt dem Hauptmann so lange Gesellschaft leisten, Fanny! Und damit ging das alte Fräulein.


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