Sophus Bauditz
Wildmoorprinzeß
Sophus Bauditz

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22

Fanny saß im Gartensaal und las; sie hatte sich in der letzten Zeit auf die alte Literatur geworfen – die war für sie ja neu.

Tante Rosa kam herein, und Fanny blickte von ihrem Buche auf. Ist denn die Welt wirklich so licht und schön wie in den alten Büchern? Und dann entstand eine Pause.

Nach einer Weile sagte Fanny: Ich weiß nicht, was mir ist, Tante Rosa. Oft bin ich so traurig, so traurig, und es ist mir unmöglich, Herr meiner Gedanken zu werden – sie entreißen sich meiner Herrschaft, und ich weiß nicht, wohin sie mich führen. Aber dabei habe ich doch ein Gefühl, als läge hinter all der Sorge etwas, worüber ich froh bin. Ich bin an das Moor gebunden – an den heidnischen Grund! Du ahnst gar nicht, wie eng ich mich mit Hjortholm und mit allem, was zu Hjortholm gehört, verknüpft fühle, mit dem Schloß und den Wäldern und dem See und den Nonnenhügeln – vom Wildmoor gar nicht zu reden! Wir gehören zusammen wie die Dryade und ihr Baum – wenn ich mich von Hjortholm trennen sollte, müßte ich auch sterben!

Tante Rosa seufzte. Ach, mein Gott, liebe Fanny, sagte sie betrübt, bricht mein altes Herz nicht, wenn wir von Hjortholm scheiden müssen, so hält dein junges auch wohl!

Aber ist denn die Möglichkeit wirklich vorhanden?

Ja, leider, liebe Fanny, und zwar ist es keine bloße Möglichkeit – ich sehe keine Rettung. Zum Dezembertermin –

Ach, die dummen Termine, die machen dich immer so traurig! Aber ist denn gar keine –

Nein, jetzt ist es zu spät!

Was?

Ja, liebe Fanny, wäre Graf Christian damals nicht von hier fortgeritten –

Aber Tante Rosa! unterbrach sie Fanny heftig. Wolltest du denn, daß ich einen Mann heiratete, den ich nicht liebe? Wenn ich einmal liebe, so muß es ein Mann sein, der stärker ist als ich, einer, der mich in die Knie zwingt – und das tut der arme Graf Christian nicht. In jener Nacht ist mir ja auch meine Mutter erschienen – oder glaubst du etwa, daß das ein Zufall war? Und war es denn auch ein Zufall, daß ich ihr Bild hinter all dem alten Papier fand? – Nein! – Hätte ich nun ja zu Graf Christian gesagt, und hätte ich dann später den andern, den Stärkern, getroffen, und hätte den lieben gelernt – was dann? Dann hättet ihr auch wohl die Erinnerung an mich in den alten Pavillon eingesperrt und die Tür vernagelt!

Bei den letzten Worten zuckte Tante Rosa zusammen, aber sie antwortete ruhig: Ist man verheiratet und an den Mann gebunden, dessen Namen man trägt, so trifft man den andern überhaupt nicht!

Nein, nicht, wenn man seinen Namen in Schlangenlinien auf dem Arm trägt, entgegnete Fanny mit einem schwachen Lächeln.

Was soll das heißen?

Ach, nichts – das ist nur so etwas, was ich gehört habe. – Sprich nur weiter, Tante Rosa!

Weiter? Ja, da ist eigentlich kein Weiter, liebe Fanny, denn zum Dezembertermin muß Geld geschafft werden, viel, viel Geld – und Bro hat –

Ach, du sollst sehen, das findet sich alles, Tante Rosa – ich kann Hjortholm nicht aufgeben, ich kann mir die Möglichkeit gar nicht einmal vorstellen.

Ach, mein Gott, Kind, du redest wie der arme, alte Onkel Heinrich! – Weißt du wirklich nicht, wie sich damals alles zugetragen hat – dir hat er ja das Geld gegeben!

Ich weiß nicht mehr als du! erwiderte Fanny, die ja ihre Unterredung mit Anne Steffens nicht verraten durfte. Aber auch mich quälte es, daß ich nicht weiß, wer –

Lag das Geld in einem Briefumschlag?

Nein, es war kein Umschlag – nur ein altes steifes Stück Papier.

Aber das könnte uns doch auf die Spur bringen! Hast du es noch?

Ja, ich hob es auf, denn es war ein großes, rotes Wachssiegel darunter, übrigens aber war nichts Besondres an dem Papier – ich habe hineingeguckt, es war nur etwas Juristisches.

Hole es einmal her, es interessiert mich doch, es zu sehen.

Als Tante Rosa die Hornbrille auf ihre große Nase gesetzt und das zusammengefaltete Papier sorgfältig studiert hatte, sagte sie ganz andächtig: Großer Gott, daß sich das noch vorfinden muß!

Was ist es denn, Tante Rosa?

Es ist nichts andres als das Testament, laut dessen Preben Parsberg Hjortholm auf Ivar Höibro überträgt.

Ist das möglich! rief Fanny und stürzte sich über das Dokument. Steht da wirklich schwarz auf weiß, daß wir – daß ich mit Fug und Recht Herrin von Hjortholm bin? – Ja, nicht, daß ich jemals daran gezweifelt hätte, aber doch – damals, als Ingenieur Kongsted zum erstenmal hier war und von seinem Recht sprach – und als du sagtest, das Testament sei verschwunden, da wurde ich wirklich ganz bange. – Ich habe Kongsted seither nicht leiden können, aber das ist eigentlich auch der einzige Grund für meine Abneigung.

Du Närrchen! Wie oft soll ich dir denn sagen, daß das Recht der Höibros sich nicht mehr auf einen Fetzen Papier stützt, sondern auf ein gesetzmäßiges Erbrecht! – Nein, die Gefahr, die uns droht, stammt leider nicht von seiten der Kongsteds.

Und doch möchte ich Kongsted dieses Testament wohl zeigen! sagte Fanny mit blitzenden Augen. Ich will doch auch einmal ihm gegenüber die überlegne sein, falls er wieder hierherkommen sollte.

Wie sollte der wohl hierherkommen? sagte Tante Rosa.

Ach nein, wie sollte der wohl hierherkommen! wiederholte Fanny und sah in Gedanken zum Fenster hinaus, nach der Einfahrt hin.

Und da kam Kongsted zusammen mit dem Hauptmann angeritten.

Es gibt ja gewisse Dinge, die ebensowenig in der Wirklichkeit wie auf der Bühne ihre Wirkung verfehlen, und dazu gehört es, wenn die Person, von der man gerade spricht, sich unvermutet zeigt, und so stark war Fanny schon erregt durch die Worte, die sie eben gesprochen, und durch die Gedanken, die sie nicht ausgesprochen hatte, daß Kongsteds Erscheinen fast wie eine Offenbarung auf sie wirkte; es war ihr zumute wie einem Kinde, das allein durch einen dunkeln Wald geht und sich sagt: Es ist niemand hinter mir, es ist nur Einbildung!, das sich aber in demselben Augenblick umwendet und die verleugnete Gestalt hinter sich erblickt.

Gleich darauf traten Kongsted und der Hauptmann in das Zimmer, gefolgt von Onkel Heinrich, dem sie auf der Treppe begegnet waren.

Tante Rosa saß am Tische, Fanny aber hatte sich erhoben, und die Gruppe der beiden schwarzgekleideten Frauen in dem weiten Raume, die Alte und die Junge, die beide den Kommenden gespannt entgegenstarrten, erinnerte an ein Gemälde, auf dem der Künstler die Entwicklung einer stark bewegten Szene hat darstellen wollen, wo man sich aber nicht klar darüber ist, wie sich die Sache entwickeln wird.

Man begrüßte einander, und Fanny sagte mit einem Lächeln und mit leicht bebender Stimme: Die Kongsteds kommen doch wohl nicht, um den Höibros Hjortholm zu nehmen?

Nein, mein gnädiges Fräulein, im Gegenteil! erwiderte Kongsted mit Nachdruck. Mit Gottes Hilfe komme ich, um Ihnen Hjortholm zurückzugeben.

Was man mit vollem Recht besitzt, braucht man sich nicht schenken zu lassen! erwiderte Fanny.

Nehmen die Herren gefälligst Platz, sagte Tante Rosa, und die Angekommenen setzten sich.

Ja, ich habe mir erlaubt, ungerufen zu kommen, begann Kongsted, aber ich komme wegen einer Sache, von der ich hoffe, daß sie die größte Bedeutung für die Familie Höibro – und namentlich für Sie, Fräulein Fanny – haben wird, und da ich Hauptmann Riis zufällig begegnet bin – er weiß übrigens nichts von meinem Vorhaben –, so habe ich ihn als alten Freund der Familie gebeten, mitzukommen. Den ersten Impuls zu meinem Plane hat mir eigentlich Kammerjunker Heinrich gegeben; er hat mehrmals davon geredet, daß das Wildmoor der Sage zufolge einen großen Schatz bergen soll.

Onkel Heinrich nickte und nahm die Anerkennung als etwas ganz Selbstverständliches hin.

Und auch ich glaube, daß dies der Fall ist, fuhr Kongsted fort, und zwar hat mir der Herr Hauptmann, der mich an das Moor und nach Öxneholm hinübergeführt hat, Anhalt zu diesem Glauben gegeben. Schon bei meinem ersten Besuche drüben sah ich, daß das Moor gut ausgenützt werden könnte; es ist kein Hindernis vorhanden, daß man nicht durch Dränage die Oberfläche des Grundwassers bedeutend senken könnte. Dann muß Kies und Sand auf die Torfmasse gestreut werden, darauf muß man eggen und Kainit streuen, und nach den Erfahrungen, die man jetzt auf dem Gebiete der Moorkultur gewonnen hat, werden im Laufe von wenig Jahren wertvolle Wiesen und dann später Acker entstehn, wo jetzt nichts als wertloser Sumpf ist. Hinzu kommt dann noch, daß der Grund zwischen dem Moor und Öxneholm zum größten Teil nicht aus Sand, sondern aus Lehmboden besteht – der Hauptmann blieb beinahe stecken, als ich zum erstenmal da war, und ich habe dann später sorgfältige Untersuchungen angestellt und habe ringsumher Bohrungen vornehmen lassen. Wenn dieses Areal kultiviert wird, so wird man im ganzen ungefähr viertausend Morgen Landes gewinnen, und während also das Wildmoor und Öxneholm jetzt als völlig wertloser Grund und Boden daliegen, so –

Wertlos! unterbrach ihn Fanny. Zum zweitenmal gebrauchen Sie dieses Wort! Glauben Sie etwa, daß das Wildmoor keinen Wert für mich hat? Ist denn Geldeswert das einzige, was –

Und Öxneholm! rief der Hauptmann. Öxneholm, wo die Regenschnepfe flötet und der Braushahn kämpft – ist denn das wertlos? Öxneholm soll kultiviert und alle Poesie vernichtet werden, können Sie das übers Herz bringen, Ingenieur?

Kongsted lächelte. Alles hat wohl seine Poesie, erwiderte er, die alte wie die neue Zeit. In unsern Tagen aber gilt es, vor allen Dingen friedliche Eroberungen zu machen. Denken Sie doch nur daran, wie viele hundert Hände lange Zeiten hindurch da draußen Arbeit haben werden, denken Sie daran, für wie viele Familien einstmals, wenn wir längst nicht mehr sind, auf dem neuen Territorium Platz sein wird! Denken Sie daran, daß unser Vaterland dadurch um etliche Fußbreit Erdboden vermehrt werden wird – ist denn das nicht ein stolzer Gedanke? Und ist es nicht eine schöne Verwirklichung der Sage von dem Schatz im Wildmoor, der Hjortholm erretten soll? Liegt denn nicht auch etwas Erhebendes in dem Bewußtsein, daß nichts, nichts hier auf Erden verlorengeht: die Sonnenstrahlen, die vor Jahrtausenden das Moos hervorriefen, das jetzt das Wildmoor bildet, die schlummern noch, in andrer Form gebunden unter der braunen Decke, die sind das Gold, das man nur aufs neue ans Tageslicht zu ziehen und auszunutzen braucht!

Fanny lauschte, ganz hingerissen von Kongsteds Rede, die, wie sie meinte, ein gut Teil von dem Klang des Wildmoormärchens in sich barg, und sie war bereits halb entwaffnet.

Das mag alles ganz gut sein, aber es wird sehr viel Geld kosten – woher soll das aber kommen?

An diese Seite der Sache habe ich natürlich gleich gedacht, antwortete Kongsted. Ich bin wiederholt in Kopenhagen gewesen, ich habe Sachverständigen – sowohl Technikern wie Kapitalisten – meine Pläne und Berechnungen vorgelegt, und das nötige Kapital wird in ganz kurzer Frist gesichert sein. Eine bedeutende Hilfe ist das Interesse für die Sache und die große bedeutende pekuniäre Unterstützung gewesen, die ich vom ersten Augenblick an bei Graf Porse gefunden habe, und auch heute bin ich auf seine Veranlassung hierhergekommen. An und für sich würde es am natürlichsten gewesen sein, mit der ganzen Sache bis zum Frühling zu warten, wenn erst alle Einzelheiten vollständig klar da liegen; aber so wie die Verhältnisse sind – ja, ich bitte um Verzeihung, wenn ich indiskret erscheine, aber es kann ja kein Geheimnis sein: es müssen bis zum Dezembertermin bedeutende Kapitalien geschafft werden, falls es gelingen soll, Hjortholm der Familie zu bewahren und deswegen –

Ja, aber wie soll denn das Geld beschafft werden? fragte Fanny.

Ganz einfach dadurch, mein gnädiges Fräulein, daß Hjortholm das Wildmoor und Öxneholm gegen eine reichliche Abstandssumme einer Aktiengesellschaft überträgt, die –

Ich sollte das Wildmoor abtreten? rief Fanny und erhob sich dunkelrot. Nie und nimmer! Bin ich die Wildmoorprinzeß oder bin ich's nicht? Glauben Sie, daß man sein Königreich freiwillig abtritt – nein! Mit Gewalt kann man es mir nehmen, aber es aufgeben – pfui!

Mein gnädiges Fräulein, erwiderte Kongsted, bedenken Sie doch nur, um was es sich handelt: Sie sollen einen in Wirklichkeit wertlosen Besitz aufgeben und dadurch den Besitz Ihrer Väter retten!

Hjortholm ist aber nicht Hjortholm ohne das Wildmoor!

Aber Sie behalten ja nichts, wenn Sie alles behalten wollen! Sie müssen sich bescheiden!

Das tu' ich nicht!

Sie müssen es aber tun! So seien Sie doch vernünftig! rief Kongsted aus, der sich ganz warm geredet hatte. Können Sie es sich vorstellen, daß das alte Schloß in fremde Hände gerät – ja lassen Sie es mich gerade heraussagen, in die Hände dieses abscheulichen Bro? Ich kann mir das nicht vorstellen, und ich habe vielleicht, wenn es darauf ankommt, ebensoviel Interesse und Liebe für Hjortholm wie Sie, ja, verzeihen Sie, wenn es Sie verletzt, aber ich muß es sagen, damit Sie mich verstehen: meine Familie hat einstmals Hjortholm besessen, jetzt ist es das Eigentum der Höibros – aber daß es seinerzeit durch Unrecht an Sie gekommen ist, das ist meine feste Überzeugung. Das Testament, auf das man sich beruft, hat niemals existiert, und deswegen –

Es hat niemals existiert! rief Fanny aus. So lesen Sie, lesen Sie hier! Und triumphierend reichte sie ihm das alte Pergament.

Kongsted las es langsam durch und erbleichte.

Sie haben vollkommen recht, mein gnädiges Fräulein, sagte er ruhig. Das Eigentumsrecht Ihrer Familie ist also stets gesetzmäßig gewesen, und ich habe keinen Schatten von einem Recht, über Hjortholm mitzureden – das gebe ich zu. Aber trotzdem frage ich Sie jetzt noch einmal – ja, ich bitte Sie um Ihrer selbst willen –

Nun und nimmermehr! entgegnete Fanny und warf den Kopf in den Nacken.

Ja, dann ist mein Anliegen hier erledigt, sagte Kongsted, und ich gehe also unverrichteter Sache. Ich empfehle mich Ihnen, meine Damen! Adieu, Herr Kammerjunker! Und damit nahm er den Hut und ging.

* * *

Das ist ja doch auch des Teufels, daß ich das alte Pergament finden mußte, sagte der Hauptmann zu Kongsted, als er ihn hinausbegleitete.

Sie?

Ja, dahinein hatte ich ja das Geld gepackt. Sie wissen ja, ich fand es oben auf der Rumpelkammer, aber ich habe nicht erst nachgesehen, was darauf stand!

Das waren zwei meiner Illusionen, die dahingeschwunden sind, sagte Kongsted und blickte nieder.

Ach, das kommt noch alles in die Reihe, glauben Sie mir! tröstete der Hauptmann. Fanny sah übrigens großartig aus, als das Wildmoorblut in ihr aufwallte und sie den Kopf in den Nacken warf und »Nun und nimmer!« sagte. Sie glich einem Burgfräulein aus dem Mittelalter – aus dem alten Hjortholm draußen auf der Landzunge –, das auf den letzten Resten des niedergeschossenen Turmes steht und die Aufforderung der Belagerer, sich zu ergeben, beantwortet.

Ja, aber der Turm wird unter ihr weggeschossen, und der Boden schwankt. Adieu, Hauptmann!

* * *

Am Abend saßen Tante Rosa und Fanny allein im Wohnzimmer. Tante Rosa strickte, Fanny versuchte zu lesen, aber es wurde nichts Rechtes damit; die Gedanken waren stärker als das Buch.

Du sagst nichts, Tante Rosa, begann Fanny fieberhaft erregt. Schilt mich – sag', daß ich den Verstand verloren habe, daß ich nicht ganz bei Sinnen bin – vielleicht hast du recht –, aber sage nur irgend etwas, ich kann das Schweigen nicht ertragen!

Was soll ich sagen? – Ich habe ja nichts zu sagen! erwiderte Tante Rosa.

Hättest du an meiner Stelle nicht so gehandelt, wie ich es tat?

Nein! Ich bin auch nicht dafür, uns auf Aktien setzen zu lassen – das weiß Gott! – Aber doch lieber das als alles verlieren!

Alles oder nichts, Tante Rosa! Darf ich es auseinanderreißen? Es gehört zusammen und hat zusammengehört!

Du hältst es nur für Bro zusammen – er nimmt das Ganze.

Mein Eigentum! – Aber gibt es denn kein Recht und Gesetz mehr im Lande?

Ja, das ist gerade das Unglück, hätte ich beinahe gesagt! Denn sein Recht ist besser als das deine: er hat das Recht des Geldes, und er läßt dich durch die Handhaber des Rechts hinauswerfen!

Ich widersetze mich!

Ja, das wird dir viel helfen!

Aber es ist doch eine Ungerechtigkeit, Tante Rosa, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Der Blitz muß ihn ja treffen, wenn –

Ach, der liebe Gott pflegt im Dezember nicht so mit Blitzen um sich zu schleudern!

Aber dieses Testament, Tante Rosa, ist es denn etwa ein Zufall, daß das plötzlich zutage gekommen ist?

Ja, der Hauptmann hat natürlich genommen, was ihm zuerst in die Hände fiel, also ist das nur ein reiner Zufall.

Der Hauptmann?

Ja, daß er der Mittler bei Heinrichs Wechselgeschichte gewesen ist – wie ich gleich vermutete –, das hat er zugeben müssen; er will nur nicht sagen, in wessen Auftrag er gehandelt hat, und wie –

Aber woher hat er denn das Testament?

Oben aus der Rumpelkammer. Es lag zwischen einem umgestürzten Stapel von Dokumenten.

Aber die hab' ich umgestoßen, Tante Rosa, an jenem Morgen, als ich – als meine Mutter mir erschien! Ach nein, nein, das ist kein Zufall, es kann nicht ohne Bedeutung sein! Und wenn nun das Testament vorgelegt wird, und –

Aber Kind! Das Dokument hat ja gar nichts zu sagen!

Sahest du nicht, wie Kongsted erbleichte, Tante Rosa, als ich es ihm zeigte? Heute morgen war ich die Stärkere – ach, wie gut das tat!

Aber Fanny! Was machst du denn da?

Fanny glättete, während sie redete, die Falten des alten Testaments immer eifriger, und plötzlich, infolge einer etwas hastigen Bewegung, löste sich das große Wachssiegel los. Darunter kam ein ganz schmaler, mehrmals zusammengefalteter Pergamentstreifen zum Vorschein.

Was ist das, Tante Rosa?

Ja, woher soll ich das wissen! Du kannst ja nachsehen!

Vorsichtig faltete Fanny den Streifen auseinander. Mit feiner, aber deutlicher gotischer Schrift stand da zu lesen:

Anno Domini 1634, den 11. Februaris habe ich, Christen Andersen Nielsen, unwürdiger Schreiber im Bodholter Birk, für Gunst und Gaben dies falsche Testament in selig Preben Parsbergs Namen ausgefertigt, welches Bekenntnis ich als vor des Allmächtigen Antlitz hier in dieser absconsel ablege zur Erlösung meiner beängstigten Seele. Gott sei mir Sünder gnädig!

* * *

Es ist am Morgen und noch ganz früh. Der Hauptmann sitzt an seinem Fenster und schaut hinaus über seinen fuchsroten Wald; da vernimmt er den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes, jetzt saust es vorüber: es ist Fanny, die nach Westen, nach der Pindsmühle zu reitet.

Ein paar Stunden später langt sie wieder in Hjortholm an. Ach nein, Tante Rosa, sagt sie, sobald sie vom Pferde gestiegen ist, es ging, wie du sagtest, Kongsted wollte es nicht annehmen.

Nein, das fehlte auch noch! erwiderte Tante Rosa.

Aber Hjortholm gehört ihm doch, es ist ja nicht mehr mein Eigentum, ist es niemals gewesen!

Unsinn! Weil im Jahre 1634 ein Unrecht begangen ist, so kann man sich in den zweihundert Jahren doch wohl ein gesetzmäßiges Anrecht erworben haben!

Das sagte er auch, aber wie kann man auf Grund eines Unrechts ein Anrecht gewinnen, das ist ja ganz entsetzlich! Ach, wenn er doch nur höhnisch oder auch nur triumphierend auf mich herabgesehen hätte, so wie ich es gestern tat, aber das hat er nicht getan, im Gegenteil! Als ich ihm den Zettel zeigte und ihm erklärte, daß ich ihn unter dem Siegel gefunden habe, und daß Hjortholm nun sein Eigentum sei, da sagte er nur: Armes, kleines Fräulein, es muß Ihnen schwer geworden sein, mit dieser Nachricht durch den Tviser Wald zu reiten! – Ach, wäre er nur als Herr aufgetreten, hochmütig und selbstbewußt, das wäre mir ein Trost gewesen! Aber er war bewegt, er war die personifizierte Rücksicht und Ehrerbietung, ach, wie demütigend mir es war, daß er doch der Stärkste blieb – alles, alles schlägt mir fehl – alles, woran ich geglaubt habe, läßt mich im Stich!

Aber worüber habt ihr denn gesprochen? fragte Tante Rosa. Du bist ja zwei Stunden fort gewesen!

Ach, über das Wildmoor und Öxneholm – ich habe ihm Vollmacht gegeben!

Du gehst also darauf ein –

Ja, natürlich – jetzt muß er schalten und walten. Will er Hjortholm nicht haben, obgleich es ihm gehört, so muß er doch wenigstens darüber bestimmen.

Na, Gott sei Dank, Kind, daß du zur Vernunft gekommen bist – dann bleiben wir ja wohl in unserm alten Heim!

In unserm Heim! Es ist nicht mehr das unsre. Das Wildmoor ist verloren, und auf dem Stück, das uns geblieben ist, leben wir von seiner Gnade.

Du bist krank, Fanny! Es ist kein Menschenverstand in dem, was du sagst.

Ja, ich bin krank – mich friert, es ist so kalt hier.

So geh zu Bett und trink eine große Tasse Fliedertee.

Aber der Fliedertee half nicht – Fanny wurde wirklich krank.


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