Sophus Bauditz
Wildmoorprinzeß
Sophus Bauditz

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8

Am nächsten Tage wimmelten alle Wege, die Landstraße und die Nebenwege von Fuhrwerken, und alle fuhren sie nach Norden, auf den Bodholter Krug zu.

Der Hauptmann kam mit Kongsted gefahren. Unterwegs wollten sie Onkel Heinrich noch abholen, und der Hauptmann erzählte und erklärte, stellte vor, summte Melodien vor sich hin und teilte Grüße aus – er hatte wie gewöhnlich viel zu tun. Das da ist der Hovmarksgaard, sagte er, als sie an einem größeren Besitztum vorüberkamen. Beachten Sie die Bäume an der Einfahrt, die sind an den Stämmen weiß gekalkt, das ist sehr praktisch, wenn man zu mitternächtlicher Stunde nach Hause fährt und nicht ganz klar mehr im Kopf ist. Und das ist der gute Michel Svendsen nur selten. Er trinkt und spielt gern – im übrigen aber ist er ein braver Kerl. Da biegt ein Einspänner links ab, wo zum Teufel will denn der hin? – Ach so, das ist der Doktorwagen, dann steht es wohl wieder schlecht mit Matz Honlund.

Was für ein roter Sarg kommt denn da gefahren? fragte Kongsted.

Ach was, Sarg! Das ist ja ein Aalbauer! Der gewölbte Deckel kann aufgeklappt werden, und der ganze Wagen ist voll von geräuchertem Aal – schichtweise liegen sie quer übereinander. Spickaal ist ein köstliches Essen, namentlich mit Blumenkohl und dann einen tüchtigen Schnaps dazu, nicht wahr?

Nun ja, der Geschmack ist ja verschieden! antwortete Kongsted. Aber was für eine Fabrik ist das da hinten?

Eine Fabrik? Ach so, das ist die Molkereigenossenschaft. Wenn Sie heutzutage auf dem Lande ein neues Ziegelsteingebäude sehen, so ist es entweder eine Molkereigenossenschaft oder ein Versammlungshaus. Hat es einen hohen Schornstein, so ist es eine Molkerei, hat es keinen, so ist es ein Versammlungshaus. Aber da haben wir Heinrich!

Onkel Heinrich stand und wartete draußen an der Landstraße – er hatte lange gewartet –, und dann rollten die drei weiter, bis sie schließlich im Bodholter Krug anlangten.

Die goldnen Tage des Krugs, als er noch einer der festen Ausspanne für die Viehtreiber war, die nach Süden, nach Holstein zu zogen, waren längst vorüber: jetzt kehrten nur selten Gäste ein, und zu tun gab es dort in der Regel nur etwas, wenn einer der Lokalvereine in der Umgegend – entweder eine Aktiengesellschaft, die eine Dampfdreschmaschine besaß, oder ein »christlicher Verein« aus einer der »erweckten« Gemeinden – seine Versammlung abhielt.

Heute war es so voll in Bodholt wie wohl kaum zuvor. Die Ställe waren schon längst besetzt; die Pferde und Fuhrwerke mußten draußen auf dem Felde untergebracht werden, und der Knecht war ununterbrochen damit beschäftigt, Wasser aus dem großen, altmodischen Ziehbrunnen zu holen. Ein Hahn, der sich heiser gekräht hatte, stand mitten auf dem Hof auf dem Misthaufen und erinnerte an einen ausgeschrienen Tenor; jedesmal, wenn ein neuer Wagen herangerasselt kam, legte er los – vielleicht machte er nur seinem Grolle Luft, weil man ihm zu dem gemeinsamen Abendessen alle seine Hühner abgeschlachtet hatte.

Da waren Hofbesitzer und Kätner, Pfarrer und Schullehrer, Pächter und Gutsherren, ja sogar ein wirklicher Hofjägermeister, der von Fünen verschrieben worden war. Schon aus weiter Entfernung erkannte man die Fahrenden – nicht an den Personen, sondern an den Pferden –, und jeder war darüber orientiert, wem früher die braune Stute gehört hatte, die Pächter Kielsen jetzt fuhr, und woher Söllested seine ???spatige Kracke hatte.

Die verschiedenen Landstände hielten sich trotz der gemeinsamen Sache, die sie zusammengeführt hatte, ziemlich für sich, und es wurden nur Dreischrittvomleibegrüße zwischen den Gutsherren und den Hofbesitzern gewechselt. Noch war alles in einzelne Kreise, jeder um sein Zentrum, getrennt, und die Kreise schnitten sich nicht und berührten sich auch nicht, nur der Hauptmann bewegte sich gleich einem Kometen in unregelmäßigen Bahnen von der einen Peripherie zur andern. Ernteaussichten, Butter- und Kornpreise waren die Gesprächsstoffe, die in allen Kreisen verhandelt wurden; im übrigen sprachen die Gutsbesitzer und die größten Pächter hauptsächlich von den Schwierigkeiten der Beschaffung genügender Arbeitskräfte, schalten auf die Verfeinerung der Zeit, die es bewirke, daß die Leute weder Margarine noch Eberspeck essen wollten, und klagten bitter über die schwedischen Knechte, die fortwährend davonliefen. – Ja, am Fortlaufen kann man sie ja nicht hindern, sagte ein riesengroßer Pächter, der ebenso wegen seiner Heftigkeit wie wegen seiner Gutmütigkeit bekannt war, aber eine gehörige Tracht Prügel, die kann man ihnen doch gottlob noch mit auf den Weg geben! Ich veranschlage auch immer gleich von vornherein ein paar hundert Kronen jährlich als Strafgelder für durchgeprügelte Schweden – aber von diesem Gelde hat man doch Vergnügen.

Die Hofbesitzer und Häusler musterten gegenseitig ihre Pferde und machten wohl auch einen kleinen gelegentlichen Handel; dann kam die blankgescheuerte Lederbörse aus der Hosentasche hervor, oder das solide lederne Taschenbuch aus der Rocktasche, falls nicht auf Kredit gehandelt oder auf irgendeine wunderliche Weise getauscht wurde, so daß z. B. eine Kuh mit Kartoffeln oder ein Schafbock mit Rapskuchen bezahlt wurde. Der eine klagte über Grasmangel und erhielt die spitze Antwort, er solle seine Kühe nur auf sein Brachfeld treiben, »denn das ist doch, weiß Gott, grün genug!« Ein anderer sprach von künstlichem Dünger, was dem kleinen Söllested sogleich Anlaß gab, sich dem großen Pächter Kielsen gegenüber lang und breit über die Vortrefflichkeit des Fischguanos auszulassen, worauf dieser ärgerlich erklärte, er verwende keinen Humbug.

Endlich wurde die Versammlung eröffnet, und der aus Fünen verschriebene Hofjägermeister hielt seinen schon ein paar dutzendmal gehaltenen Vortrag über die Agrarierbewegung, worauf gefragt wurde, ob sonst noch jemand das Wort wünsche. Natürlich wünschte niemand das Wort, nur Pächter Kielsen sagte mitten in der entstandenen Pause mit lauter Stimme zu den zunächst Sitzenden: Eins steht fest, in Kopenhagen und allen den andern Städten haben sie weder Felder noch Kühe, und trotzdem leben sie, die Schweinehunde, da ist es doch ganz klar, daß wir sie füttern müssen! – eine Äußerung, die allgemeinen Beifall erregte und seitdem wie eine Art indirektes Programm für die Agrarier in der ganzen Gegend betrachtet wird. Nur Söllested war bedenklich. Er sagte nichts, aber er trippelte unruhig hin und her, denn er war wohl Agrarier – selbstverständlich! –, aber man ist doch nicht umsonst dreißig Jahre Krämer gewesen, und deswegen wollte ihm diese völlige Vernichtung der Städter doch nicht so glatt hinunter – um so weniger, als er ein paar Tausend in seinem Geschäft hatte stehen lassen müssen.

Damit war der erste Teil des Festes beendet, und man ging zu dem gemeinsamen Abendessen über. Der Hofjägermeister setzte sich sogleich an das obere Ende des mittlern Tisches, sonst aber nahm die Placierung eine geraume Zeit in Anspruch: man spielte den Bescheidnen und weigerte sich, an die Haupttafel zu kommen, dabei aber gab jeder doch genau acht, daß er nicht degradiert werde. Der Hauptmann hatte Onkel Heinrich zur Rechten und Kongsted zur Linken, ihnen gegenüber saß Müller Sörensen aus der Pindsmühle.

Die aus kalter Küche bestehende Bewirtung war nicht gerade lukullisch; aufgeschnittenes Salzfleisch krümmte sich wie welke Blätter auf flachen und tiefen Tellern, harte Eier glotzten wie starre Augen, und nur eine Schüssel mit roten Beeren brachte eine lebhafte Farbe in das Ganze.

Der Hofjägermeister hielt eine Rede auf Gott, König und Vaterland der Agrarier, und Onkel Heinrich war gerührt. Dann kam der zweite Redner, ein alter Schulze, der seit vielen Jahren der Reichstagsabgeordnete des Kreises gewesen war. Er sprach auf den landwirtschaftlichen Stand, vergaß aber, daß er unpolitischer Agrarier war, wurde plötzlich politisch und berührte die Zeiten, da man »unter dem Absalontismus lebte, gleichwie im jüdischen Lande«, er sprach von dem hölzernen Pferde der adligen Herren, von dem Hundeloch usw., doch nahm ihm das niemand übel. Der Hofjägermeister stieß mit ihm an, und das hölzerne Pferd und das Hundeloch klang in den Ohren der Versammlung wie eine alte bekannte Melodie ohne Variationen, eine Melodie, die man von Kindesbeinen an bei allen Grundgesetzgebungsfesten und allen Wählerversammlungen gehört hatte.

Dann kam der kalte Punsch. Die Reden rissen gar nicht ab und wurden immer länger, die Stimmung wurde immer lebhafter. Gegen elf Uhr brach der Hauptmann mit Onkel Heinrich auf – es war die höchste Zeit; vorher aber hatte er Müller Sörensens Zusage erhalten, daß dieser Kongsted in sein Haus aufnehmen wolle.

Daheim auf Hjortholm saß Tante Rosa noch wach, und der Empfang war nicht allzu sanft. – Ja, ich gebe es zu, sagte der Hauptmann, Sie haben recht, Tante Rosa – recht wie immer: Heinrich kann auch keinen kalten Punsch vertragen; aber nun wissen wir das ja für künftige Fälle. Gute Nacht!


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