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IX.

Einige Tage nach den im vorigen Kapitel erzählten Begebenheiten, und zwar gegen Abend, als es schon zu dämmern begann, finden wir in dem uns wohlbekannten Wohnstübchen im Lüders'schen Hause alle Mitglieder der Familie beisammen und kaum brauchen wir es zu sagen – Frohsinn und Heiterkeit herrschen in dem kleinen Raume, der so lange Zeit nur Sorge und Angst und tiefes Herzeleid umschlossen hat.

Mit jener Miene des innigsten Wohlbehagens, die ihm früher in so hohem Grade eigen war, aber schon längst nicht mehr seine Züge belebte, hört Herr Lüders, bequem in seine Sophaecke gedrückt, Hugo's und Werner's Erzählungen von ihren vielfachen Erlebnissen zu, und nur manchmal, wenn in dem alten Manne der Gedanke an die Härte und Unbill aufsteigt, womit er in früherer Zeit, als er noch reich und, weil reich, hochfahrend und zu vorschneller Verurtheilung geneigt war, die beiden jungen Männer kränkte, zieht ein düsterer Schatten über seine mehr von Gram als von den Jahren gefurchte Stirn. Sein Blick weilt dann mit einem ernsten, wehmüthigen Ausdruck bald auf dem einem, bald auf dem andern, und es liegt in diesem Blicke etwas wie eine stille, rührende Abbitte, was jene wohl verstehen.

Madame Lüders ist überglücklich; aber die Freude macht sie unruhig, es leidet sie nicht auf ihrem gewohnten Platze im Sorgenstuhle am Fenster. Sie watschelt hin und her, als habe sie alle Hände voll zu thun, verläßt oft das Zimmer, um gleich darauf zurückzukehren, wischt mit dem Zipfel ihrer Schürze gar nicht vorhandenen Staub von den Möbeln und zupft an den Blumen im Glase vor dem zerbrochenen Spiegel, patscht bald Louise, bald Ida sanft auf die Wange und küßt sie auf die Stirn, oder klopft im Vorbeigehen Hugo oder Werner freundlich lächelnd auf die Schulter und flüstert ihnen ein Paar Worte zu.

Ida, die wir zum ersten Mal von der drückenden Last eines nagenden Kummers befreit sehen, zeigt uns jetzt, daß der Grundton ihres Charakters keineswegs ein so ernster ist, als wir vermuthet haben; denn mit Lebhaftigkeit, ja, mit einer gewissen drolligen Laune, die ihr ungemein gut steht, nimmt sie an der Unterhaltung Theil und erregt oft durch ihre muntern, treffenden Einfälle ein herzliches Lachen.

Louise aber ist still und in sich gekehrt, und man sieht ihr an, daß die letzten heftigen Gemüthsbewegungen ihre durch den langen Kummer ohnehin angegriffene Gesundheit gewaltsam erschüttert haben; doch die Freude ist ein guter Arzt, und daß in ihrem Herzen die reinste ungetrübteste Freude wohnt, bezeugt der Blick herzinniger Liebe, mit welchem sie an den männlich schönen Zügen Hugo's hängt, während er, die Neugierde seiner Zuhörer zu befriedigen, von den fernen Ländern, die er besucht, und seinen dortigen Erlebnissen erzählt.

Auch Madame Pietschmann hat sich ihrer Gewohnheit gemäß spät am Nachmittage eingefunden; aber sie ist durchaus nicht so redselig wie sonst. Ueber eine Handarbeit tief herabgebeugt, hört sie mit zerstreuter Miene dem lebhaften, oft wechselnden Gespräche zu, und wenn sie Eines oder das Andere in die Unterhaltung zieht, giebt sie zur Belustigung Aller Antworten, die auf die gestellten Fragen passen, wie die Faust auf's Auge.

Madame Lüders hatte, zum wir wissen nicht wie vielten Male, das Zimmer verlassen und kehrte jetzt zurück, in der Hand einen Brief haltend, den sie ihrem Manne übergab.

»Ein Brief an mich?« sagte dieser verwundert, indem er nach der vor ihm auf dem Tische liegenden Brille griff. »Laß sehen!«

Aber noch weit größer war sein Staunen, als er schnell die wenigen Zeilen gelesen hatte.

»Das Gut Buchenthal – gekauft,« stammelte er, »gekauft – und für mich – in meinem Namen? – Aber wie soll ich das verstehen?«

Aller Augen richteten sich bei diesen Worten unwillkürlich auf Hugo.

»Es bedarf hier allerdings einer Erklärung, lieber Vater,« sagte dieser, »die aber in wenigen Worten gegeben ist. Als wir, Ida, Werner und ich, vor einigen Tagen auf unserer Reise von München hierher durch Hannover kamen und dort eine Stunde rasteten, wollte es der Zufall, daß wir im Wartesaal von einigen daselbst versammelten und in eifrigem Gespräche begriffenen Herren öfters den Namen Buchenthal nennen hörten. Wir wurden aufmerksam, mischten uns in die Unterhaltung und erfuhren, daß der Mann, der das Gut vor anderthalb Jahren in der Lotterie gewann, ein bis dahin in sehr dürftigen Umständen lebender Handwerker, weil er damit nichts Rechtes anzufangen wußte, dagegen aber ein Kapital nöthig hatte, um eine große Fabrik anzulegen, dasselbe zur Auction stellen wollte. Diese sollte zwei Tage später abgehalten werden. Ich erkundigte mich nach einem umsichtigen, zuverlässigen Commissionair; ein solcher war sogleich gefunden, und ich trug ihm auf, das Gut Buchenthal zu erstehen.«

»Aber für mich? – Mein lieber guter Sohn –«

»Es ist ja nur ein geringer Ersatz für das Gute, das ich Dir verdanke, Pflegevater.«

»Nein, nein, Hugo, nimmermehr werde ich Dein großmüthiges Geschenk annehmen.«

»O nenne es doch nicht Großmuth, wenn ich einen geringen Theil meines Ueberflusses dazu verwenden möchte, Dir und der guten Mutter in Euren alten Tagen ein sorgenfreieres Leben zu bereiten, gleich jenem, woran Ihr in früherer, glücklicher Zeit gewöhnt waret. Mein Gott, was thäte ich denn mit meinem großen Reichthum, welchen Werth hätte er für mich, sollte mir das nicht gestattet sein. Ich bin der Beschenkte, ich habe zu danken, wenn Ihr mir die Freude gönnt, die größte, die mir noch werden kann.«

»Hugo,« sagte der alte Mann, und seine Stimme zitterte vor innerer Bewegung, »ich bin von Deiner Liebe und Güte tief gerührt; glaub' es mir. Kein falsches Schamgefühl, kein thörichter Stolz hält mich ab, aus Deinem Reichthum Nutzen zu ziehen; nein, im Gegentheil, ich fühlte mich glücklich, aus Deiner Hand zu empfangen, was wir beiden alten Leute brauchen – aber verstehe mich recht – nothwendig brauchen; mehr darf es nicht sein. – – Du darfst Dich durch meine Weigerung nicht gekränkt fühlen, mein guter, theurer Sohn,« fügte er hinzu, als er sah, daß Hugo traurig zu Boden blickte, »denn siehe, die harte Prüfung, die mir Gott auferlegte, ist nicht an mir verloren gegangen, sie hat mich zu einem Anderen, ja, ich darf es sagen, zu einem Besseren gemacht. Ich habe einsehen gelernt, daß der Reichthum in den Herzen gar Vieler nur Eitelkeit, Hochmuth und Gefühllosigkeit erzeugt; ich selbst gehörte zu diesen. Und nun, da ich durch Kummer und vielfache harte Erfahrungen geläutert bin und die harte Schale abgestreift habe, die mein Herz früher so manchem besseren Gefühle verschloß, nun will ich mich nicht mehr einer Versuchung aussetzen, die mich in die alten Irrthümer und Fehler zurückführen könnte. Mit Dir ist es etwas anderes, Hugo; Du weißt den Reichthum in edler Weise zu benutzen, was ich nie verstand. In Deiner Hand ist er ein Segen, in der meinigen war er ein Fluch. Gieb mir, warum ich Dich aus freien Stücken gebeten haben würde, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärest, gieb mir die frühere Unterstützung von jährlich 400 Thalern. Es ist für mich wie für Deine Pflegemutter« – er wandte sich mit einem zärtlichen Blick an diese – »nicht wahr, Annette, es ist für uns Beide mehr als hinreichend. Aber, das ist mein unabänderlicher Entschluß, darüber hinaus nehme ich nichts von Dir an; es wäre ein Mißbrauch Deiner Freigebigkeit, ein Raub an Andere, die auch ein Recht daran haben. Reiche mir die Hand, mein bester Sohn, und sage mir, daß Du meinen wohlerwogenen Entschluß billigst.«

Hugo reichte dem alten Manne gerührt die Hand. Er fühlte, wie richtig und wahr er gesprochen hatte, in diesem Augenblick war er stolz auf seinen Pflegevater, in diesem Augenblick gab er ihm, was mehr werth war, als das abgelehnte Geschenk, den Platz in seiner Hochachtung, den er ihm bis jetzt verweigert hatte. Er war nicht der Mann, einen Entschluß zu bekämpfen, der seine Bewunderung erregte; er schwieg.

»Aber,« fuhr Lüders fort, indem er sich eine Thräne aus den Augen wischte, »wenn Buchenthal ein so schöner Aufenthaltsort ist, wie es mir einst gerühmt wurde, so wird es mich freuen, wenn Du mit Louise dorthin ziehst. Meine Frau und ich werden Euch dann alljährlich auf eine kurze Zeit besuchen und uns Eures Glückes herzlich freuen. Nicht wahr, dabei bleibt es?«

Ein Händedruck Hugo's gab ihm die Zusicherung, daß es dabei bleiben solle; Madame Lüders aber konnte nicht länger an sich halten, sie fiel ihrem Pflegesohne um den Hals und vergoß an seiner Brust heiße Thränen der Rührung und des Dankes.

Die vorherige fröhliche Stimmung, durch diesen Zwischenfall in eine ernste, wehmüthige umgewandelt, wollte nicht wieder zurückkehren, so sehr auch Alle bemüht waren, den Druck, der auf ihren Herzen lastete, abzuwälzen und einen ungezwungenen, heiteren Ton anzuschlagen. Es kam ihnen daher sehr erwünscht, als das Dienstmädchen eintrat und den Bootsmann Jacob anmeldete, der sich, wie sie sagte, die Erlaubniß ausbitte, seinen früheren Rheder zu begrüßen. Hätte in diesem Augenblick Jemand Madame Pietschmann beobachtet, so würde er bemerkt haben, daß ein tiefes Roth ihre runden Wangen färbte.

»Ei, der gute, brave Jacob,« rief Herr Lüders, »bitte ihn, herein zu kommen.«

Das Mädchen entfernte sich und einen Augenblick später trat Jacob mit einem Kratzfuß in's Zimmer und wurde von Allen herzlich begrüßt. Man lachte, man scherzte, man war wieder in der muntersten Laune, und Jacob, der heute ganz gut aufgelegt schien, gab in seiner trockenen lakonischen Weise manche kleine Schnurre zum Besten, die mit allgemeiner Heiterkeit aufgenommen wurde. Nur Madame Pietschmann beharrte bei ihrem Schweigen.

»Und nun, Freund Jacob,« sagte Herr Lüders, »mußt Du auch ein Glas auf das Wohl der beiden Brautpaare leeren. Ida, bringe Wein und Gläser, mein Kind.«

»Ja, Herr Lüders,« entgegnete Jacob schmunzelnd, »recht gern will ich auf das Wohl der Verlobten trinken und auf das Ihrige und das der Madame Lüders, und – wenn Sie nichts dagegen haben – auf –«

»Auf das der Madame Pietschmann, willst Du sagen.«

»Und auf mein eigenes.«

»So ist's recht, Niemand soll ausgeschlossen sein.«

»Nein, denn sehen Sie, Herr Lüders, wenn die Verlobten leben sollen – – –«

»Nun, zu diesen wirst Du doch meine Frau, und mich nicht zählen, Jacob.«

»Aber mit Vergunst, mich selbst und die kleine nette Avisjacht da.«

»Wie, was hör ich?«

»Ja, die Geschichte ist zwischen uns in Richtigkeit – nicht wahr, Susanne?« Jacob versetzte dieser einen kleinen zärtlichen Puff mit dem Ellbogen an die Schulter. Die Collectrice senkte den Kopf noch tiefer auf ihre Handarbeit nieder und hielt das Taschentuch vor die Augen.

»Ei, potztausend, da gratulire ich von Herzen!« rief Herr Lüders.

»Und ich! – und ich! – und ich gleichfalls!« erscholl es von allen Seiten.

»Bist Du denn auch sicher, alter Kamerad,« sagte Hugo, »daß Deine Braut keine Betschwester ist? Sie sieht mir allerdings nicht darnach aus.«

»Oho, Capitain, ich hab' den Grund genau sondirt, das mögen Sie mir glauben.«

»Und daß sie nicht so leicht in Ohnmacht fällt, hat sie bewiesen,« fuhr Hugo fort.

»Es war verdammt nahe daran,« lachte Jacob, »aber ich denke doch, wir brauchen nicht übertrieben viel Essig im Hause zu haben, und mit der Verwundung – – –«

»Wenn Du nicht schweigst, Du Schwätzer, so hebe ich unsere Verlobung gleich wieder auf,« sagte halb scherzend, halb zürnend Madame Pietschmann.

»Nu, nu, Susanne, ich wollt' ja nur sagen, daß wenn sich auch zum Glück von 'ner Wunde nichts entdecken ließ, ich doch was anders entdeckt habe, daß Du nämlich auf meinen Capitain und seine Familie was hältst, und der Dienst, den Du ihnen erzeigt hast –«

»Ist es auch zunächst gewesen, was Euch zusammengeführt hat,« ergänzte Hugo. »Nun, ich freue mich von Herzen darüber; aber, liebe Madame Pietschmann, wenn Sie auch meinen Jacob heirathen werden, so dürfen Sie ihn mir darum nicht entführen. Sie müssen sich's schon gefallen lassen, Ihren Mann nach Buchenthal zu begleiten, wo ich Ihnen Beiden gute Tage zu bereiten hoffe.«

»Mich Ihnen entführen, Capitain!« sagte Jacob; »ne, das giebt's nicht. Susanne und ich sind schon einig, die Lotterie lassen wir Lotterie sein, und wenn Sie sich mal wieder einen Albatros anschaffen – –«

»Darauf rechne nicht, Jacob. Ich habe mich selbst oft mit einem Albatros verglichen, so lange ich heimathlos in der Welt umherirrte; jetzt aber ist es anders, meine Braut hat mir die Schwingen beschnitten, und – – –«

»Ja, ja,« lachte Jacob, »da müssen Sie künftig schon ruhig beim Neste bleiben.«

Der Wein wurde jetzt herumgereicht.

»Die drei Brautpaare sollen leben!« rief Herr Lüders, und lustig erklangen die Gläser, als die Glücklichen sie klirrend aneinander stießen.


Meine Erzählung ist nun eigentlich zu Ende, verehrter Leser; ja, ich gestehe Dir mit der Offenherzigkeit, die ich mir Dir gegenüber zur Pflicht gemacht habe, daß ich gestern, als ich mit einem herzerleichternden Seufzer den obenstehenden langen Strich machte, fest entschlossen war, kein Wort weiter hinzuzufügen. In der fröhlichsten Laune von der Welt räumte ich heute Morgen meinen Schreibtisch ab, der in der letzten Zeit sehr unordentlich war, legte meine Scripturen in die verschiedenen Fächer, stellte die Bücher in Reihe und Glied auf das Repositorium, und begann alsdann einige nothwendige Artikel in meinen Reisesack zu packen; denn es war meine Absicht, einen kleinen Abstecher nach dem Bodensee zu machen, den ich noch nicht kenne, von dem mir aber sehr viel Empfehlendes gesagt wurde, allerdings – ich will es nicht verschweigen – mit dem Zusatze, daß ich mich vor dem Genuß des dort wachsenden Seeweins sorgfältig hüten müsse.

Bei dieser Beschäftigung traf mich ein Freund, dem ich mein Manuscript zum Durchlesen überlassen hatte, was ich jetzt bitter bereue; denn – im Vertrauen gesagt – mein Freund ist ein schnurriger Kauz und über die Gebühr neugierig und fragelustig. Er ist seines Zeichens ein Polytechniker, und diese Leute besitzen, wie ich bemerkt habe, diese Eigenschaften in besonders hohem Grade, was vielleicht mit ihrer Gewohnheit zusammenhängt, Alles, was ihnen unter die Hände kommt, zu analysiren und zu zerlegen und in seinen einzelnen Bestandtheilen zu untersuchen.

»Sie wollen verreisen?« redete mich mein Freund an.

»Wie Sie sehen, bester Freund.«

»Sind Sie denn mit Ihrem Roman fertig?«

»Habe ich Ihnen nicht gestern den letzten Theil meiner Erzählung übergeben?«

»Freilich, so nannten sie ihn« – mein Freund zog eine sehr beträchtliche Rolle Papier aus der Rocktasche und legte sie auf den Tisch – »und hier bringe ich Ihnen Ihr Eigenthum zurück.«

»Und Sie fragen mich, ob ich fertig bin?«

»Weil ich den Schluß vermisse.«

»Sie sind gewohnt, überhaupt an Allem, was ich schreibe, etwas zu vermissen; jedoch hoffe ich, daß Sie heute nicht wieder Ihre alten Vorwürfe über mangelhafte Charakteristik, Dürftigkeit des Stoffs, Weitschweifigkeit der Darstellung und dergleichen mehr abermals vorbringen werden, und sich allein auf den Schluß beschränken.«

»O, ich kenne Ihre Unverbesserlichkeit, über jene Mängel will ich kein weiteres Wort verlieren.«

»Ich bin Ihnen dafür sehr verbunden. Aber was wollen Sie denn für einen Schluß?«

»Ei nun, ich möchte das fernere Schicksal der verschiedenen Personen kennen, die in die Handlung Ihres Romans – nebenbei bemerkt, ist blutwenig Handlung – – –«

»Sie versprachen mir so eben – – –«

»Pardon! was ich sagen wollte, ich möchte das Schicksal der verschiedenen Personen kennen, die in die Handlung Ihres Romans wirksam eingreifen. Einige derselben verschwinden, verduften, zerfließen in der Luft wie die phantasmagorischen Gebilde in den neuen Gespensterkomödien.«

»Aber, mein lieber Freund, soll man denn dem Leser Alles mit dem Löffel eingeben? Mir scheint es sehr zweckmäßig, über Manches ein gewisses Dunkel schweben zu lassen, ein Clairobscur, ähnlich wie in den Gemälden gewisser Meister aus der holländischen Schule. Es läßt der Phantasie des Lesers freien Spielraum; er kann sich nach Belieben – – –«

»O, o, oh! Sie machen sich in der That Ihre Aufgabe sehr leicht, Verehrtester!«

So stritten wir noch eine geraume Zeit, bis ich mich endlich – denn ich bin die Nachgiebigkeit selbst – den eindringlichen Vorstellungen meines polytechnischen Freundes fügte, indem ich ihm versprach, den heutigen Tag auf den von ihm als unerläßlich nothwendig bezeichneten Schluß zu verwenden, wogegen er mir das Versprechen gab, mich morgen auf meiner Reise nach dem Bodensee zu begleiten. Ich glaube nun, mich dieser Pflicht nicht besser entledigen zu können, als indem ich das weitere Gespräch mit meinem Freunde mit gewissenhafter Genauigkeit wiedergebe.

»Was wünschen Sie denn eigentlich zu wissen, Freund?«

»Zunächst, was aus dem Doctor Schönfeld geworden ist, dessen Charakter Sie, beiläufig bemerkt, etwas schärfer hätten – – –«

»Aber Sie vergessen schon wieder – – –«

»Verzeihen Sie, verzeihen Sie, mein Lieber,« bat der Polytechniker, indem er ein kleines Fernrohr, das ich auf meinen Reisen stets bei mir führe, auseinander zu schrauben begann.

»Ihre Frage kann ich Ihnen nur ungenügend beantworten,« sagte ich. »Der Doctor war nach der im vorletzten Kapitel erzählten Katastrophe spurlos verschwunden, alle Nachforschungen der Polizeibehörde blieben völlig erfolglos. Einige Jahre später wurde indeß in Wien ein Betrüger zur Haft gebracht, der daselbst mehrere eben so schlau ersonnene als kühn und gewandt durchgeführte Spitzbübereien verübt hatte. Unter dem Professor Alldorfer, wie er sich nannte, wollten Manche den verschollenen Doctor Schönfeld vermuthen. Das ist Alles, was ich Ihnen über den Mann sagen kann.«

»Und Martin?« fragte mein Freund, indem er mich mit einer komischen Grimasse durch das Ocular des Fernrohrs betrachtete.

»Martin wurde durch Veranstaltung des herbeigeholten Polizeiofficianten aus dem Hause der Madame Jordan geradewegs nach einem Hospital gebracht; denn sein Zustand hatte sich in der kurzen Zeit, bis jener eintraf, sehr verschlimmert. Auf dem Hospital befiel ihn ein hitziges Wundfieber, und drei Tage später starb er.«

»Ei, ei, ich hatte seine Wunde nicht für tödtlich gehalten.«

»Das war sie eigentlich auch nicht; aber sein durch Trunk und Ausschweifungen aller Art zerrütteter Körper – – –«

»Schon gut, ich verstehe. Aber er legte doch hoffentlich vor seinem Tode ein vollständiges Bekenntniß ab?«

»Allerdings. Wenige Stunden vor seinem Tode verließ ihn das Fieber, und sein Bewußtsein kehrte zurück. Dieser günstige Moment wurde benutzt, ihn zum Bekenntniß zu bringen. Des Doctors Identität mit dem Pseudo-Silferkrona wurde dadurch vollends außer Frage gestellt, und somit auch die völlige Unschuld Werner's.«

»Wie gestaltete sich Werner's Schicksal?«

»Er etablirte später in Hamburg ein großes Handelsgeschäft und lebt jetzt als wohlhabender und angesehener Bürger der alten Hansestadt mit seiner Ida glücklich und zufrieden.«

»Und Comtesse Amalie?« fuhr der unermüdliche Frager fort, indem er mich jetzt zur Abwechslung durch das Objectiv-Glas betrachtete.

»Nun, daß sie und ihr Vetter Berkheim ein glückliches Paar wurden, hätten Sie doch errathen müssen.«

»Ich errathe nie etwas, ich halte mich immer nur an das positive Wissen.«

»Gut, so nehmen Sie es denn als positiv an, daß Comtesse Amalie sich von den Folgen ihres Unfalles, oder vielmehr ihrer heftigen Gemüthserschütterung sehr bald erholte und schon am Tage nach Hugo's Abreise, von welcher man ihr übrigens noch keine Sylbe gesagt hatte, aus freiem Antriebe ihren Eltern über ihre letzte Unterredung mit ihm Aufschlüsse gab, die ihn in deren Augen nicht nur völlig rechtfertigten, sondern ihr früheres Wohlwollen für ihn verdoppelten. Der junge Baron Berkheim wurde nun auch wieder so sehr zu seinen Gunsten gestimmt, daß er ihm, statt der angedrohten Herausforderung einen Brief schickte, in welchem er sein Bedauern über sein voreiliges Benehmen, so wie seinen herzlichsten Dank ausdrückte.«

»Wofür hatte er ihm denn zu danken?«

»Sie fragen mich eigentlich viel zu viel, mein Bester; indeß es scheint, daß Amaliens Bereitwilligkeit, dem Vetter ihre Hand zu reichen, in nicht geringem Maße jenem Gespräche mit Hugo zuzuschreiben ist.«

»Was sie also während ihres Fiebers so oft wiederholte, daß ihr Hugo seine Liebe geoffenbart, bezog sich nicht auf sie, sondern auf Louise?«

»Nun freilich. Ich kann Ihnen noch mittheilen, daß an Hugo's Hochzeitstage von dem Grafen und seiner Gemahlin ein sehr schönes Brautgeschenk für Louise eintraf, dem die Comtesse eine gestickte Arbeit von ihrer eigenen Hand beifügte. Später besuchte Hugo auf des Grafen dringende Einladung mit seiner jungen Frau noch einmal die Villa am Silsersee, bei welcher Gelegenheit ihn aber Jacob aus gewissen Gründen nicht begleitete. Und jetzt, bester Freund, wird Ihre Neugierde hoffentlich befriedigt sein?«

»Noch nicht, ich möchte wissen, ob der brave Jacob mit der Collectrice glücklich lebt. Es scheint mir ein großer Fehler, daß Sie diese Beiden zusammen in das Ehejoch geschmiedet haben; denn sie passen eigentlich gar nicht für einander.«

»Warum denn nicht? Die Collectrice ist eine noch hübsche Frau und dazu eine ganz respectable Person; ein wenig rappelköpfig zwar, ich will es nicht läugnen; aber es ist dennoch zu hoffen, daß Jacob mit ihr fertig zu werden versteht.«

»Die gute Collectrice hatte aber früher weit höhere Ansprüche gemacht.«

»O, seit sie sich so bitter in dem Doctor getäuscht hatte, war sie in ihren Ansprüchen sehr bescheiden geworden, und Jacob war in der That nicht zu verachten, zumal da ihn, wie die Collectrice richtig geahnt hat, Hugo mit großer Freigebigkeit ausstattete. Die Stufe der Bildung endlich, auf welcher die Collectrice stand –«

»Nun, darüber sind wir allerdings einig; aber, um was ich Sie noch fragen wollte, Madame Altmann –«

»Ach, nun lassen Sie mich in Ruhe. Ihre Wißbegierde ist wie das Faß der Danaiden, unersättlich, gar nicht zu füllen.«

»Das Gleichniß hinkt, mein Verehrter.«

»Nun, wenn Sie lieber wollen, sie ist wie die Schraube des Archimedes; ihre Wirkung ist endlos.«

»Taugt nichts, taugt nichts!«

»Wie ein Schröpfkopf denn; sie zapft einem die Geduld ab.«

»O, o, genug der schlechten Vergleiche, Sie entschlüpfen mir nicht. Es findet sich noch genug in Ihrem Romane, was ich gründlicher erörtert wünschte.«

»Wäre es nicht besser, eine gründliche Erörterung darüber anzustellen, was Sie für die Reise mitnehmen werden, auf der Sie mich zu begleiten versprachen?«

»Gut denn, ich werde nach Hause gehen und meine Sachen zusammensuchen. Adieu!«

»Adieu!«

Mein Freund kehrte noch in der Thür um und sagte:

»Wissen Sie was? Ich nehme sechs Flaschen guten Wein mit – Forster Traminer Auslese – Sie kennen ihn.« Hier schnalzte er mit der Zunge.

»Das ist ein herrlicher Gedanke.«

»Adieu denn!«

»Adieu!«



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