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I.

Der folgende Tag verlief in dem Lüders'schen Hause noch stiller und trauriger als gewöhnlich. Der alte Mann hatte in Louisens Aeußerungen vom vorigen Abend doch nicht so ausschließlich, wie er gesagt, nur boshafte Einflüsterungen der Madame Pietschmann gesehen, die man keiner Aufmerksamkeit würdigen dürfe, denn der Ton, in welchem Louise gesprochen, und ihr ganzes Benehmen hatten eine so große innere Unruhe, ja Seelenangst verrathen, wie er sie noch nie an ihr wahrgenommen hatte; und nun, eben weil er seine Zweifel hatte unterdrücken wollen, stiegen sie nur um so mächtiger in ihm auf und ängstigten sein ohnehin sorgenbeladenes Herz. Sie ängstigten ihn um so mehr, je tiefer das Dunkel, je größer die Ungewißheit war, in welche sie sich bargen; aber wenn auch seine ruhelosen Gedanken im weiten Reiche der Möglichkeiten umherschweiften, einen annehmbaren Grund für den plötzlich gegen den Doctor gefaßten Verdacht Louisens zu suchen, er fand keinen und war mehrmals im Begriff, sie über diesen Punkt auszuforschen. Doch er fürchtete die Antwort noch mehr, als seine eigenen nagenden Zweifel, und schwieg. Manchmal suchte er auch wohl seine peinlichen Gedanken zu verjagen; doch es war vergeblich, der Doctor lag ihm fortwährend im Sinn, und Manches, was ihm in seinen Beziehungen zu diesem Manne bisher geringfügig erschienen war, gewann nun eine viel höhere Bedeutung und legte sich mit Centnerschwere auf sein Herz; auch hatte er noch nie mit so folternder Angst als gerade jetzt an die große Schuldenlast gedacht, die er bei ihm contrahirt hatte.

Er dachte daran, wie des Doctors ganzes Wesen von dem seinigen so durchaus verschieden sei, wie er sich mit demselben nie so recht habe befreunden können, ja, wie er sich oft davon zurückgestoßen fühlte. Er dachte an manche kleine Umstände, die ihm als einem in Geschäftssachen Eingeweihten bei seinen Verhandlungen mit dem Doctor als zu oberflächlich, zu wenig geschäftsmäßig behandelt aufgefallen waren, und wie bei solchen Gelegenheiten, wenn er sein Befremden darüber geäußert hatte, ein gewisser, spöttischer Zug sich des Doctors übergroßer Höflichkeit beigemischt hatte. Diese Betrachtungen aber, sowie noch viele andere waren für ihn eben so viele Quellen eines nicht zu besiegenden, quälenden Unbehagens. Den ganzen Tag saß er in seiner Sophaecke in trüben Grübeleien verloren. Oft schüttelte er wie in heftiger, nervöser Aufregung den Kopf und murmelte unverständliche Worte vor sich hin; mit seiner Frau und seiner Tochter aber sprach er fast keine Silbe.

Auch Madame Lüders war trauriger und wortkarger als sonst, und Louise sah nach der durchwachten Nacht blaß und angegriffen aus. Oft entsank das Nähzeug ihren müden Händen und augenscheinlich kostete es ihr Ueberwindung, der mühsamen Arbeit die gewohnte Aufmerksamkeit zu schenken.

Am Nachmittag kam Madame Pietschmann zum Besuch. Sie wurde von Herrn Lüders in kurzer, barscher Weise empfangen, kaum daß er ihre wortreiche Frage nach seinem Befinden mit einem mürrischen Knurren beantwortete. Madame Lüders aber und Louise waren froh über die Unterbrechung der schwer auf ihnen lastenden Stille und Gleichförmigkeit, und sie begrüßten freudig die so lebensfrische, gesprächige Frau. Und allerdings kam jetzt Leben und Bewegung in die Unterhaltung, denn Madame Pietschmann, die, obwohl sie nie ein beruhigendes Element der bürgerlichen Gesellschaft gewesen war, zeigte sich doch heute noch weit heiterer und geschwätziger denn je und hatte tausend Neuigkeiten zu berichten.

Was aber Louisen heute ganz besonders an ihr auffiel, war eine gewisse, unruhige Geheimthuerei, durch welche ihr jene – es war ganz unverkennbar – zu verstehen geben wollte, daß sie etwas Hochwichtiges auf dem Herzen habe, das sie ihr, Louisen, ganz allein mittheilen könne.

Unablässig rückte die Collectrice auf dem unter ihrer Last ächzenden Stuhle hin und her, sprang dann plötzlich auf, sah zum Fenster hinaus, lief unruhig im Zimmer umher und machte sich bald in dieser, bald in jener Ecke etwas zu schaffen; kurz, sie geberdete sich, als habe sie einen gelinden Anfall des Veitstanzes bekommen, oder als wolle sie an ihren Gliedmaßen gewisse noch nicht praktisch bewährte Eigenschaften eines neuen Perpetuum mobile erproben.

Höchst merkwürdig war es dabei, daß sie bei ihrem Umherschwirren im Zimmer stets einen und denselben Fleck im Auge zu haben schien, nämlich den hinter dem Stuhle der Madame Lüders. Bald hatte sie auch durch ein geschickt ausgeführtes Manoeuvre diesen strategischen Punkt besetzt und nachdem sie sich mit einem flüchtigen Blick überzeugt, daß Herr Lüders vom Sopha aus ihren Operationen keine Beachtung schenke, gab sie nun der erstaunten Louise allerhand höchst auffallende und mysteriöse Zeichen, indem sie mit den Händen in der Luft herumfocht und, ohne einen hörbaren Laut hervorzubringen, mit schrecklichen Mundverzerrungen ein Wort sichtbar darzustellen suchte. Louise, welcher die sonderbaren Grimassen der Madame Pietschmann unwillkürlich ein Lächeln entlockten, bemühte sich längere Zeit vergeblich, das solchergestalt mimisch-plastisch dargestellte Wort zu errathen, da benutzte Madame Pietschmann mit großer Geistesgegenwart einen günstigen Moment, als nämlich Herr Lüders auf eine Fliege eifrig Jagd machte, die sich die Lebensaufgabe gestellt zu haben schien, seine Nase der Länge und Breite nach geometrisch zu vermessen. In dem Augenblick, als er mit der Fliegenklappe, die er immer neben sich auf dem Sopha liegen hatte, einen wohlgezielten Schlag nach der beharrlichen Fliege führte, schlüpfte die Collectrice wieder behende hinter den Stuhl der Madame Lüders, schwang einen Brief über ihrem Kopf und fuhr, nachdem sie sich überzeugt, daß ihn Louise gesehen, schnell wieder damit in ihre Tasche.

Jetzt begriff zwar Louise, welch' ein Wort ihr die Collectrice hatte mittheilen wollen; aber ihr Erstaunen war dadurch nur umso größer geworden, denn was mochte das wohl für ein Brief sein, den ihr Madame Pietschmann zu überreichen hatte, und zwar so heimlich, daß die Eltern nichts davon wissen durften? Bald bot sich der Collectrice auch die Gelegenheit, ihr die Worte: »Gehen Sie in die Laube« zuzuflüstern. Louisens Unruhe wuchs, doch entschloß sie sich der Aufforderung zu genügen. Besorgt, daß ihr der geheimnißvolle Brief ein neues Unglück ankündigen würde, erhob sie sich und verließ, während ihr Madame Pietschmann beifällig zunickte, das Zimmer.

»Na, Gott sei Dank, lang ist nicht ewig,« sagte Madame Pietschmann, als sie sich kurz darauf keuchend neben sie auf die kleine Bank in die Laube warf und ihr den Brief hinhielt, »da, nehmen Sie, was dich brennt, sollst du löschen.«

»Ein Brief von Ida?« fragte Louise verwundert, als sie schnell einen Blick auf die Aufschrift gerichtet hatte. »Wie kommt der in Ihre Hände?«

»Ganz einfach durch die Post, meine Beste. Er war in einen an mich eingeschlossen, worin Ihre Schwester mich bittet, Ihnen diesen so bald als möglich, jedoch heimlich zuzustecken. Hab' ich nicht meine Sache gut gemacht? Ja, ja, machst du's gut, hast du's gut; machst du's schlecht, geschieht dir recht. Aber so lesen Sie doch, Närrchen, neukommen ist willkommen, sollt' ich doch meinen.«

So dachte aber Louise nicht. Schon seit langer Zeit zwar sie es gewohnt, daß jede neue Nachricht ihr Unangenehmes und Trauriges brachte, und was ihr auf diesem geheimnißvollen Wege zukam, konnte gewiß nichts Erfreuliches sein. Indeß erbrach sie nach einigem Zögern das Siegel und las, während sich Madame Pietschmann im Stillen vornahm, um den Eindruck zu erforschen, den der Brief auf sie machen werde, kein Auge von ihr abzuwenden. Es ist aber sehr schwer, längere Zeit hindurch auf einen und denselben Punkt zu sehen, das erfuhr denn auch die würdige Collectrice bei dieser Gelegenheit. Unwillkürlich schweiften ihre Blicke von Louisens Zügen ab und fielen – es war gewiß ein purer Zufall – auf den Brief. Doch da wollte es wieder ein anderer Zufall, daß ihr Auge plötzlich den Namen Schönfeld auffing, und als Louise die erste Seite gelesen hatte und das Blatt wandte, begegnete ihr auf der zweiten Seite wieder der Name Schönfeld, einmal ganz oben in der Ecke links und dann noch einmal unten rechts; und – sie irrte sich nicht, aber es war doch höchst merkwürdig – drüben auf der dritten Seite stand wieder Schönfeld.

Der Brief war lang und versetzte Louise sichtbar in eine große Gemüthsbewegung; denn ihre Wangen glühten, während sie las, und eilig flogen ihre funkelnden Augen von Zeile zu Zeile. Ein Paar Mal konnte sie kurze Ausbrüche des Erstaunens und der Entrüstung nicht zurückhalten; ihr selbst unbewußt entfuhren ihr einzelne Worte, wie: »Wär' es möglich!« – »der Bösewicht!« – »Ja, sie haben Recht; so ist's!«

Nun wußte aber Madame Pietschmann auch schon mehr als genug, um zu folgern, daß der Brief nicht nur fast ausschließlich von dem Doctor handelte, sondern auch, daß darin von einem schlechten Streich dieses ihr so verhaßten Mannes die Rede sein müsse. Ihre Neugierde wuchs mit jeder Secunde und versetzte die gute Frau in einen Zustand, mit dem verglichen ein hitziges Fieber ein wonniges Wohlbehagen genannt werden kann.

»Na wart', wenn ich das nicht herausbringe,« sagte sie bei sich selbst, »so will ich nicht Susanne Pietschmann heißen. Nur Geduld – mit Geduld und Spucke, fängt man die Mucke.«

Das Lesen des Briefes war beendigt. Louise ließ ihn in den Schooß sinken, preßte die Hand gegen das Herz und starrte einige Augenblicke in Gedanken verloren vor sich nieder. Madame Pietschmann aber rüstete sich zu einer Entdeckungsreise in das dunkle Gebiet des Briefgeheimnisses.

»Gute Nachrichten von der lieben Ida?« fragte sie in einem sehr unbefangenen Tone.

»Es geht ihr recht gut.«

»Und der vortrefflichen Madame Altmann hoffentlich auch?«

»O ja, auch ihr geht es gut,« antwortete Louise zerstreut.

»Und – was ich sagen wollte – doch entschuldigen Sie, daß ich so viel frage,« fuhr Madame Pietschmann fort, »ich sehe wohl, daß Sie Ihren Gedanken ungestört nachhangen möchten. Ja, ja, ich begreife das; ein Brief, den Ihre Eltern nicht sehen dürfen, muß natürlich viel Wichtiges enthalten; das kann man, wie man zu sagen pflegt, durch ein Brett sehen, wenn ein Loch drin ist. Ich will Sie nicht belästigen; denken Sie nur nach; was sich soll klären, das muß erst gähren. Nur möcht' ich Ihnen das Eine sagen, Louise, wenn Sie vielleicht etwas auf dem Herzen haben, einen Kummer oder Verdruß oder so was, und Ihnen mein Rath und meine Hülfe nützlich sein könnte – du lieber Gott, wir können Anderen rathen, aber uns selbst nicht, und rathen ist ja nicht zwingen – so wissen Sie ja, daß Sie an mir eine treue Freundin haben. Und soll es Ihren Eltern verheimlicht bleiben – ei nun, was wir nicht wissen sollen, das sollen wir nicht wissen wollen, sagt man – und auf meine Indiscretion können Sie bauen, wie auf einen Felsen; denn Verschwiegenheit bringt ihren Lohn, wissen Sie, und vom Verräther frißt kein Rabe, und Schweigen ist der Deckel auf dem Hafen. – Eigentlich geht's mich ja nichts an,« fügte sie hinzu, als sie in Louisens Mienen zu lesen glaubte, daß sie nicht ganz abgeneigt sei, ihre brennende Neugierde zu befriedigen, »und was ich da von Rath und Hülfe geschwatzt habe, sehen Sie, liebe Louise, das hab' ich nur so gesagt, weil Ihre Schwester gerade mir den Brief zur Besorgung an Sie geschickt hat; denn der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mich nur ungern in fremde Angelegenheiten mische. Frage nicht, was Andere machen, acht' auf deine eigenen Sachen, und fege vor deiner eigenen Thür, so brauchst du Besen genug, das ist mein Grundsatz!«

»Dennoch, liebe Madame Pietschmann,« sagte Louise zögernd, »möchte ich Ihnen gern den Inhalt dieses Briefes mittheilen; denn es liegt mir in der That eine Last auf dem Herzen, die allein zu tragen mir recht schwer wird; und daß ich auf Sie zählen darf, wie auf eine treue, erprobte Freundin, weiß ich auch. Mein Gott, ich habe ja auch sonst Niemand auf Erden, dem ich meinen Kummer und meine Sorgen anvertrauen könnte, als Sie allein; denn meine Eltern dürfen vorläufig hievon nichts erfahren. Wenn Sie es also erlauben wollen, liebe, gute Madame Pietschmann – – –«

»Na, nur immer zu,« platzte die Collectrice ungeduldig heraus. »Ich bin wohl eher mit solcher Lauge gewaschen worden, und wenn ein Ding sein muß, so hilft nichts dafür; d'rum schießen Sie los!«

»Ehe ich Ihnen aber den Brief vorlese,« fuhr Louise fort, »muß ich Sie an eine Begebenheit erinnern, die sich vor etwa sechs Jahren hier in Hamburg zutrug. Sie machte damals großes Aufsehen, und Sie werden gewiß davon gehört haben.«

»Wahrscheinlich, man muß viel hören, eh' Einem sein Ohr abfällt. Welche Begebenheit meinen Sie denn eigentlich?«

»Den frechen Gaunerstreich, durch welchen der Geldwechsler Schulze, oder richtiger sein Commis, Werner, um mehrere Tausend Thaler betrogen wurde.«

»Ah, der Werner, der mit Ihrer Schwester verlobt war? Nun freilich hab' ich davon gehört; die Geschichte war ja in Aller Mund, und die Leute munkelten gar Vieles.«

»Leider zum Nachtheil des armen, unschuldigen Werner.«

»Ja du meine Güte, liebes Herz, wer mit Pech zu thun hat, besudelt sich; das ist nun mal nicht anders.«

»Sie erinnern sich vielleicht noch an den Namen des Betrügers – seinen angenommenen Namen, wollt' ich sagen?«

»Nein, meine Liebe; ich weiß nur, daß er sich für einen vornehmen Herrn ausgab, einen Grafen oder Prinzen gar.«

»Er nannte sich Baron Silferkrona.«

»Baron – was?« schrie die Collectrice, plötzlich aufschnellend wie eine von ihrem Druck befreite Uhrfeder, »Baron Sil – – Silber – – was sagten Sie da?«

»Baron Silferkrona,« wiederholte Louise, fast erschreckt durch die heftige Geberde der Madame Pietschmann.

»Ha!« rief diese, die Hände zusammenschlagend, »da geht mir auf einmal die ganze Lichtgießerei auf! Na, warte, Schurke, dich wollen wir beim Wickel kriegen! – Ach, ich bin hin!« stöhnte sie dann und warf sich wieder auf die Bank, »o meine Nerven – der Blitz schlug ein!«

»Aber was ist Ihnen denn, Madame Pietschmann?« fragte die erstaunte Louise.

»Nichts,« war die Antwort, »noch sag' ich Ihnen gar nichts, aber machen Sie sich auf Unerhörtes, Entsetzliches gefaßt – ach, du liebe Zeit, was muß der Mensch doch Alles erleben! Ne, das geht mir doch wahrhaftig über die Puppen! Ja, wenn der dem Henker entläuft, dem Teufel entwischt er nimmer! Aber, merken Sie sich's, Louise, noch hab' ich Nichts gesagt – fahren Sie fort.«

Louise kannte die stürmische Art der Collectrice zu gut, um auf ihre unzusammenhängenden Reden weiter zu achten. Sie theilte ihr nun alle einzelnen Umstände mit, die dem Leser bereits bekannt sind, wie sich in einem der Geldbeutel ein Hemdknopf gefunden habe, wie der dazu gehörige bei Madame Altmann zum Vorschein gekommen sei, wie ihr der Doctor Schönfeld denselben geschenkt u. s. w. Endlich las sie der Collectrice auch die Stellen in Ida's Briefe vor, die auf diese ominöse Begebenheit Bezug hatten, sowie auch die Bitte, mit welcher Ida geschlossen hatte, wo möglich über die früheren Verhältnisse des Doctors Erkundigungen einzuziehen.

Aber nicht ohne viele Störungen von Seiten der Madame Pietschmann kam sie damit zu Ende, denn alle Augenblicke wurde sie von tausend Exclamationen und Kreuz- und Querfragen der gar zu lebhaften Frau unterbrochen. Bald fuhr diese von ihrem Sitze auf, stemmte die Arme in ihre Seiten und bedachte den Doctor mit reichlichen Schimpfreden, bald warf sie sich wieder, wie völlig erschöpft, auf die Bank, jammerte über ihre schwachen Nerven, die solche Erschütterungen nicht vertragen könnten, keuchte und schnaubte; gelegentlich packte sie auch Louisen am Arm, indem sie schwor, die Geschichte sei göttlich, sie gehe noch über des Bohnenlied, oder sie sei haarsträubend, gräßlich, und der schändliche Doctor werde noch an den Galgen kommen. »Mohren und Türken!« rief sie, als Louise schwieg, »das sind mir niedliche Histörchen! Könnt' es einem ehrlichen Christenmenschen da nicht blitzblümerant und donnerblau vor den Augen flimmern? Ja, wenn's kommt, kommt's in Haufen, wie man zu sagen pflegt. O, über diesen traurigen Tintenkleckser, diesen Zierrath von Erbärmlichkeit, diesen Hemdknopfnarr und Flintsteinwechsler! na, den wollen wir in seinen eigenen Schlingen fangen; warte nur, warte! Pochen und prahlen, das kann er, und anständigen Frauenzimmern Spinnen in den Kopf setzen, das kann er auch, und alle seine schwärmerischen Empfindungen auskramen und in einen honigsüßen Brei zusammenrühren, wie der Sudelkoch die verschiedenen Brühen, das kann er gleichfalls; aber wenn es gilt, ehrlich und honnet handeln, sein Wort zu halten und seine Versprechungen zu erfüllen, wie sich's gehört – ja, Schnecken! da ist mein guter Doctor nicht zu Hause. Denn voller Ränke und Falschheit steckt er, und in seinem gottlosen Herzen sind Tugend und Ehre so wenig zu finden, wie Forellen auf einer Haselstaude. Denkt wohl, mit Lügen und Listen füllt man Sack und Kisten. Ja, ja, wär' der an der ersten Lüge erstickt, dann wär' er schon längst todt; aber der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, und es kommt Alles zum Vorschein, was man unter dem Schnee vergräbt, und am jüngsten Tage wird's geschaut, was Mancher hier für Bier gebraut!«

Wieder warf sich die Collectrice auf die Bank und zwar mit einer solchen Vehemenz, daß diese merklich krachte. Auf ihrem runden Gesichte machten sich auffallende, Besorgniß erregende Vorzeichen eines apoplektischen Anfalls bemerkbar; denn es war purpurroth, und die Augen traten fast aus ihren Höhlen. Die gute Frau sah aus, als habe sie so eben den Kopf aus einem Kübel mit Bickbeerensaft gezogen. Es war aber kein Wunder; denn die letzte, wortreiche Rede hatte sie in einem Athemzuge hergerappelt und schnappte jetzt ängstlich nach Luft.

Louise wußte nicht was sie von dem auffallenden Benehmen der Collectrice halten sollte; es wurde ihr ganz unheimlich in ihrer Nähe, und fast wäre sie, wie schon früher einmal, auf den Gedanken gekommen, daß der Verstand der Madame Pietschmann eine Störung erlitten habe. Ein wenig kleinlaut bat sie die noch immer ängstlich Keuchende, ihr doch zu erklären, was sie denn eigentlich so gewaltig aufgeregt habe.

»Nichts,« sagte Madame Pietschmann, »gar nichts, mein Täubchen, holen Sie nur schnell Ihren Hut und Ihre Mantille, denn Sie müssen gleich mit mir gehen.«

»Wie? Mit Ihnen gehen?« fragte Louise.

»Nun, Sie hören's ja, gleich auf der Stelle müssen Sie mit mir gehen.«

»Aber ich begreife nicht – – –«

»Werden Alles begreifen, Herzchen, denn es ist klar wie Butter. Lassen Sie uns keinen Augenblick verlieren; die Sohlen brennen mir unter den Füßen.«

»Wollen Sie mir denn nicht erst sagen, weshalb – – – –«

»Unterwegs, Louise, damit wir keine Zeit vergeuden.«

»Aber was sag' ich denn nur der Mutter? Sie muß ja doch wissen, warum ich fortgehe.«

»Richtig, daran hatte ich nicht gedacht. Das überlassen Sie übrigens mir. Ich gehe zu Ihrer Mutter, während Sie Ihren Hut aufsetzen.«

Mit diesen Worten erhob sich Madame Pietschmann, ergriff Louisens Hand und zog sie mit sich fort. Auf der Schwelle des Hauses aber blieb sie plötzlich stehen, wandte sich an ihre Begleiterin und sagte, indem sie dieselbe fest ansah, mit großer Selbstgefälligkeit:

»Louise, Sie haben einen guten Griff in das Glücksrad gethan, als Sie in dieser wichtigen Angelegenheit mir Ihr Vertrauen schenkten. Diesmal werden Sie keine Niete ziehen, denn das Schicksal dieses Ungethüms von Doctor, sowie das Ihres zukünftigen Schwagers ruht in meiner Hand.«

Ein Vorwand, Louise auf einige Stunden mitzunehmen, war bald gefunden, und das Versprechen, sie wieder nach Hause zu begleiten, gern gegeben; und so befanden sich denn schon nach wenigen Minuten die beiden Frauen auf dem Wege nach Ottensen. Louise begann nun von Neuem nach der Ursache zu forschen, weshalb die Collectrice sie zu diesem abendlichen Spaziergange aufgefordert habe.

»Ja, ja, mein Hühnchen,« sagte Madame Pietschmann, »nun kommt's, wie dem Bauer das Aderlassen. Sehen Sie, es war vergangenen Montag – nein, Dienstag – ach, was schwatz' ich doch – na, Anfang und Ende reichen sich die Hände, aber ich muß doch die Geschichte in der Ordnung hererzählen, denn sonst werden Sie ja nicht klug daraus. Also, erst von dem Papierkorb zu reden, – Sie wissen doch, daß ich 'nen Papierkorb habe – nein, Sie wissen's nicht – na, einerlei – er hat nämlich dem verstorbenen Pietschmann gehört – Gott hab' ihn selig – und als nun der bei mir einzog – der Doctor nämlich – da dacht' ich, der ist ja auch so'n Federfuchser und kann das alte Ding vielleicht gebrauchen; und da stellte ich denn den Papierkorb neben seinen Schreibtisch. Und da warf er auch alle Tage ganze Haufen von seinen alten nichtsnutzigen Schreibereien hinein. Na? Merken Sie schon, wo der Hund begraben liegt? – Nicht? – Ja, nur Geduld, beim Auskehren wird sich's finden, wer in der Stube hofirt hat, pflegt man zu sagen, und das paßt hier, wie der Kork in der Flasche; denn als er nun wieder auszog, da hatte er gewaltig viel mit seinen Papieren herumzurumoren. Potzblitz und kein Ende, was war das für ein Ordnen, Zusammenbinden, Versiegeln, Zerreißen und Verbrennen! Die halbe Nacht hörte ich ihn in seiner Stube wirthschaften, und alle Augenblicke wurden ganze Haufen Papiere in den Ofen geworfen, und das brannte und knisterte und knasterte – ach, du mein Jemine – ich dachte, er wolle mir das Haus über dem Kopfe abbrennen, der schlechte Mensch. Da zog er endlich aus mit seinen Siebensachen – Gott weiß, es war nicht viel, was er hatte – ein Trödeljude hätte keine zehn Thaler für die ganze Bescherung gegeben – und nun ging's an ein Auslüften, Scheuern, Putzen und Reiben, wie Sie sich wohl denken können. Die alte Dorthe Grönsöker hatte einen ganzen Tag vollauf damit zu thun. Aber, was ich eigentlich sagen wollte – bitte, Kind, laufen Sie nicht so schnell, ich bin ganz außer Athem – puh! Also – wo war ich denn nur? Ja, richtig, als nun an seiner Stelle die Frau Majorin bei mir einzog, da nahm ich den Papierkorb wieder fort – denn, du lieber Himmel, dachte ich, was macht eine Majorin mit einem Papierkorb – und trug ihn auf die Rumpelkammer. Und da mir in der vorigen Woche gerade das Papillotenpapier ausgegangen war, fiel mir ein, es könnte in dem Korbe sich noch einiges finden – und nun entsinne ich mich auch, es war doch am Montag, wie ich zuerst sagte; aber das ist nun ganz einerlei. Und wie ich nun so im Korbe herumkrame, was war das für ein Durcheinander von Briefcouverten, Rechnungen, Quittungen und was weiß ich, nur – dem Himmel sei's geklagt – kein einziges vernünftiges Stückchen Papillotenpapier; denn Alles war kurz und klein zerrissen und zusammengeknittert. Na, denk ich, zum Anzünden wird's immer noch gut sein, und will schon den Korb wieder bei Seite stellen, da fällt mir plötzlich eine Rechnung in die Hände, eine Rechnung über Schmucksachen. Eine goldene Uhrkette, lese ich, 120 Mark. Alle Wetter, denk' ich mir, wann hat denn der Doctor einmal die Spendirhosen angezogen? Und ich lese weiter: ein Siegelring 80 Mark und – nun geben Sie aber Acht – zwei Hemdknöpfe von Mosaik! Ja, wie ich Ihnen sage, zwei Hemdknöpfe von Mosaik. Nun gehen Ihnen doch wohl endlich die Augen auf – he? Und unterschrieben war die Rechnung: Johannes Schröder, Juwelier. Und an wen war sie ausgestellt? Können Sie's errathen?«

»Mein Gott, Madame Pietschmann, reden Sie aus,« bat Louise, »diese Rechnung – – – –«

»Sie war ausgestellt an den Herrn Baron – na, zum Kuckuck – wie nannten Sie ihn doch – Silber, Silbersporn – –?«

»Silferkrona.«

»Richtig, Silberkron, das war es.«

»Wär' es möglich?«

»Möglich? O, Alles ist möglich, und damit Sie sich mit eigenen Augen überzeugen können, hab' ich Sie ja gerade gebeten, mit mir zu gehen. Aber was sagen Sie denn nun eigentlich zu der Geschichte? Ist Susanne Pietschmann eine Frau, die Rath und Hülfe schaffen kann, oder ist sie es nicht?«

»Wir Alle würden Ihnen zu großem Dank verpflichtet und des Doctors Schuld auch außer Frage gestellt sein, wenn nur – – – –«

»Na, was den Dank betrifft, lassen Sie das gut sein; aber was wollen Sie mit Ihrem Wenn?«

»Wenn nur auch die Rechnung sich wirklich noch bei Ihnen finden wird.«

»Ei freilich, wird sie sich finden, denn da ich sie nicht zu Papilloten gebrauchen konnte, warf ich sie wieder in den Papierkorb und der steht in der wohlverschlossenen Rumpelkammer. Aber was haben Sie denn noch, Närrchen? Sie scheinen die Geschichte noch immer nicht recht zu begreifen.«

»Ich begreife in der That nicht, wie der sonst so schlaue Doctor so unvorsichtig sein konnte, dieses für ihn so verhängnißvolle Papier in Ihren Korb zu werfen, statt es mit den vielen übrigen zu verbrennen.«

»Das ist natürlich auch nur durch ein Versehen so gekommen. Sehen Sie, Louise, so was ist immer Schicksal, reines, pures Schicksal. Wenn der Fuchs zeitig ist, trägt er selber den Balg zum Kürschner, wissen Sie, und es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen.«

Louisens Herz pochte hörbar, als sie bald darauf neben Madame Pietschmann in der ihr wohlbekannten Polterkammer auf einem alten Koffer vor dem Papierkorbe saß. Lange Zeit fanden sie unter den zerrissenen Papieren die Rechnung nicht, und schon begann Louise zu fürchten, daß dieselbe, wiewohl Madame Pietschmann noch steif und fest das Gegentheil behauptete, zu Papilloten verwendet worden sei. Was das Suchen mühsam und lange resultatlos machte, war vor Allem die Unruhe der Collectrice. Immer wieder warf diese Alles kunterbunt durcheinander, Untersuchtes und Nichtuntersuchtes, so daß die Arbeit oft von Neuem angefangen werden mußte, wenn sie fast beendigt schien. Da sprang Madame Pietschmann plötzlich mit solchem Ungestüm in die Höhe, daß auf ein Haar der Koffer sammt der darauf sitzenden Louise umgefallen wäre, der Papierkorb aber mit seinem ganzen Inhalte in eine Ecke der Kammer geschleudert wurde und dort ein altes Papageienbauer umstieß, wobei einige lebensmüde Hutschachteln ihr jahrelang mühsam behauptetes Gleichgewicht verloren, eine mißvergnügt dreinschauende Theekanne in bedenklicher Weise zu wackeln begann und zwei henkellose Terrinen von sehr sauertöpfischem Aussehen die Deckel einbüßten.

»Ich hab' sie, ich hab' sie!« rief die Collectrice, unbekümmert um die angerichtete Zerstörung, »o ich wußt' es ja – jetzt bist Du geliefert, mein guter Doctor!«

Und die würdige Frau vergaß in dem Maße die Enge des Raumes und ihren eigenen beträchtlichen Umfang, daß sie wie toll umherzutanzen begann. Dabei schwang sie triumphirend die Rechnung über den Kopf, indem sie fortwährend rief: »ich hab' sie, ich hab' sie!« bis sie endlich mit der erhobenen Hand einen altersschwachen Bindfaden zerriß, an welchem unter einer Latte mehrere Hundert Wäschkluppen hingen, die ihr dann raschelnd über den Kopf fielen.

»Ach, ich glaube, die Freude hat mich ganz närrisch gemacht,« lachte Madame Pietschmann, indem sie sich von den Kluppen befreite, die ihr in den Haaren hängen geblieben waren, »na, es wäre kein Wunder, wenn ein Mensch da ein Bischen über den Schwengel schlüge. Aber, du lieber Himmel, da sitzen Sie ja so mäuschenstill und traurig, als hätte sich das größte Unglück zugetragen. Freuen Sie sich doch, Louise, freuen Sie sich, Herzchen!«

»Lassen Sie mich doch die Rechnung sehen, liebe Madame Pietschmann,« bat Louise.

»O, die ist richtig nach Adam Riese,« betheuerte diese, »da nehmen Sie.«

Ob die Rechnung nach Adam Riese richtig war, mochte für Louisen eine Frage von untergeordneter Bedeutung sein; umso genauer prüfte sie dieselbe in anderer Beziehung, und fand sie ganz so, wie Madame Pietschmann gesagt hatte. Sie war in der That von dem Juwelier Johann Schröder für den Baron Silferkrona ausgestellt und enthielt das Verzeichniß mehrerer Schmucksachen, unter welchen sich auch zwei Mosaik-Hemdknöpfe befanden. Das Papier war an zwei Stellen zur Hälfte durchgerissen und ganz zerknittert, aber sonst unversehrt.

»Gott sei Dank,« sagte Louise halblaut, »das stellt die Ehre des armen, verdächtigen Werner wieder her. Wie wird sich auch Ida freuen.«

Es wurde ihr schwer, die Collectrice zu bewegen, ihr das wichtige Actenstück zu überlassen; denn diese behauptete hartnäckig, an dem schändlichen Doctor Rache zu üben sei eine Arbeit für ihre Hände, und darin wolle sie ihre eigenen Gänge machen, die Rechnung gehöre ihr, und sie wolle sie behalten. Aber Louise blieb fest und unerschütterlich, und nach vielem Hin- und Herreden, und als schon die letzten Strahlen der Abendsonne durch das kleine, schräge Dachfenster der Rumpelkammer fielen und auf die von der Collectrice angerichtete Verwüstung einen bedauernden Scheideblick warfen, war sie endlich dahin gelangt, der guten Frau begreiflich zu machen, daß der Hauptzweck, den man jetzt in's Auge fassen müsse, die Ehrenrettung Werners und nicht die an dem Doctor zu übende Rache sei; daß man aber, um Beides zu erzielen, Werner in die Lage versetzen müsse, durch Darlegung aller gesammelten Beweisstücke ein regelrechtes gerichtliches Verfahren gegen den Betrüger einzuleiten.

Widerstrebend gab endlich die Collectrice nach, und noch in derselben Nacht schrieb Louise einen zweiten Brief an Ida, in welchen sie die verhängnißvolle Rechnung einschloß. Sie versiegelte ihn, als gegen Morgen die Collectrice gerade zum zwanzigsten Mal erwachte und endlich entdeckte, was ihr denn eigentlich während der ganzen Nacht einen unleidlichen Druck im Nacken verursacht hatte, indem sie nämlich mit vieler Mühe aus ihren Haarzöpfen eine gewaltig große und widerspenstige Wäschkluppe zog.



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