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IV.

Der Rest des Tages verlief in einer Stille, die auf der Villa durchaus ungewöhnlich war und deshalb um so mehr wie schwüle Gewitterluft auf dem ganzen Hause lag.

Amalie, zu zart, um so heftigen Erschütterungen wie den heutigen, widerstehen zu können, hatte sich bei ihrer Rückkunft so entkräftet gefühlt, daß man sie aus dem Wagen heben, und in das Haus tragen mußte; die Gräfin aber hatte die Kunde von dem ihrer Tochter zugestoßenen Unfall, so schonend sie ihr auch von dem Gatten mitgetheilt worden war, doch so sehr alterirt, daß sie sich von diesem Augenblick in einer krankhaften, nervösen Aufregung befand, die ihren heftigen Kopfschmerz noch vermehrte, sie indeß nicht abhielt, am Bette ihrer Tochter die genaue Befolgung der Anordnungen zu überwachen, welche der Baron für nöthig erachtete, um, wo möglich, einem heftigen Fieber vorzubeugen. Dieser hatte sich nämlich als Arzt um die Pflege seiner Cousine eifrig angenommen und hielt sich wiederholt und lange im Krankenzimmer auf, um ihren Zustand, der ihm um vieles bedenklicher erscheinen mochte, als gleich nach dem erlittenen Unfall, genau zu beobachten. Auch der Graf fand sich oft hier ein und stand dann sinnend und niedergeschlagen am Lager seiner Tochter. Er war überhaupt nachdenklicher und ernster, als man ihn sonst zu sehen pflegte, und augenblicklich lastete auf seinem Herzen eine bange Besorgniß, die das Kranksein seiner Tochter allein kaum zu rechtfertigen schien.

Selbst die Dienstboten im Hause zeigten sich unruhig und ängstlich. Sie schlichen leise umher, sprachen flüsternd mit einander und schüttelten bedenklich die Köpfe, so oft sie sich in der Küche, dem gewöhnlichen Rendezvousplatze, über das Befinden der Comtesse ausfragten, der sie alle ohne Ausnahme von Herzen ergeben waren.

»Der Sepperl ist schon wieder mit einem Recept nach Sils hinübergeritten,« hieß es dann wohl, oder »Die Gräfin will die Nacht selbst bei der Comtesse wachen.«

»Soll denn nicht der Districtsarzt geholt werden?« fragte wiederholt das Stubenmädchen.

»Ach, was soll der hier?« war die Antwort.

»Ist ja doch der Herr Baron auch Arzt, und gewiß, mir wär' er ein weit lieberer, als der alte Brummbär.«

»Aber er ist doch so gar jung,« warf das Stubenmädchen achselzuckend ein.

»Na, was das betrifft, neue Besen fegen am besten,« entgegnete der Kammerdiener, indem er seinen Schnurrbart drehte, »das müßten Sie doch wissen, Mamsell Kathi.«

Mamsell Kathi kehrte ihm den Rücken und meinte, das wäre ein sehr fader Witz.

Der Haushofmeister consumirte heute eine ungewöhnliche Menge Schnupftaback und legte oft mit sehr geheimnißvoller Miene den Zeigefinger an die Nase, wobei er aussah, wie die Personificirung einer finstern Vorahnung.

»Ja, ja,« murmelte er vor sich hin, »hab' so was schon längst erwartet. Gebt Acht, es wird noch schlimmer kommen.«

»Wie so, Herr Bernhard?« fragte die Haushälterin. Der Haushofmeister trat dicht vor sie hin, heftete unter seinen buschigen Augenbrauen hervor einen starren Blick auf sie und sprach mit dumpfer Grabesstimme:

»Denken Sie an den Abend, Mamsell Babette, da uns der Bootsmann etwas – sehr Merkwürdiges erzählte,« worauf er sich auf dem Absatz umdrehte und feierlichen Schrittes die Küche verließ.

»O Jemine!« kreischte das Stubenmädchen, »die Seeschlange!« Mamsell Babette aber erschrak so heftig, daß sie die Schüssel mit der abgetriebenen Butter, womit sie so eben die Klöße anrühren wollte, aus der Hand fallen ließ.

»Die Verlobung wird nun jedenfalls noch auf sich warten lassen,« flüsterte ihr ganz leise Mamsell Kathi zu.

»An die hab' ich noch nie so recht geglaubt,« war die ebenso leise Antwort.

»O, nach dem Gespräch zwischen dem Grafen und der Gräfin, das ich nicht umhin konnte – – –«

»Zu belauschen; ja, ja.«

»Pst!« sagte das Stubenmädchen und applicirte der Haushälterin einen leisen Klapps auf den Arm.


An der herrschaftlichen Tafel, wo sich nur die drei Herren eingefunden hatten, wurde das düstere Schweigen nur hin und wieder durch einzelne Worte unterbrochen. Jeder sah, in trübe Gedanken verloren, vor sich hin, und die verschiedenen Schüsseln wurden fast unberührt von den Dienern wieder in die Küche getragen. So war denn auch das Mahl sehr schnell beendigt, und, ohne den Kaffee abzuwarten, trennte man sich, indem der Graf mit dem Forstwart Liebold, der sich hatte anmelden lassen, zu sprechen hatte, der Baron seine Patientin besuchen wollte, Hugo sich aber auf sein Zimmer begab.

Wer ihn hier hätte beobachten können, wie er mit verschränkten Armen und gesenkten Hauptes auf- und abschritt, hätte aus dem wechselnden, bald wehmüthigen, bald fest entschlossenen Ausdruck seiner sprechenden Züge leicht errathen, daß ernste Gedanken sein Gemüth beschäftigten. Er setzte seinen Gang lange fort und schien nicht zu beachten, daß Stunde auf Stunde entrann, indem die Strahlen der sinkenden Sonne sich allmählig von Tafel zu Tafel des parquettirten Fußbodens zurückzogen, dann die dem offenen Fenster gegenüberliegende Wand trafen und an dieser langsam hinanglitten, dann nur noch einen röthlichen Schein auf das Gesims unter der Decke warfen und zuletzt gänzlich verschwanden.

Ein lautes Pochen an der Thür unterbrach plötzlich sein Sinnen, und sein treuer Jacob trat ins Zimmer. Der Bootsmann blieb dicht neben der Thür stehen und warf einen forschenden Blick auf die Züge seines Herrn, die ihm einen bedenklichen Grad von Ungeduld und Mißmuth zu verrathen schienen.

»Mit Vergunst, Capitain,« begann er dann, sich verlegen hinter dem Ohre kratzend, »hab' Ihnen da 'ne kuriose Meldung zu machen.«

»Was ist es, Jacob?« fragte Hugo etwas barsch.

»Werden Sie nur nicht böse, Capitain,« sagte Jacob langsam und zögernd, denn er war offenbar nicht mit sich selbst im Reinen, wie er seinen Bericht abstatten solle, »aber – hol' ihn der Henker – es ist Jemand draußen, der Sie zu sprechen wünscht.«

»Nun darin finde ich nichts Curioses, Jacob.«

»Kömmt d'rauf an, wer er ist und wie man's nimmt, Capitain.«

»Wer ist es denn?«

»Ja, sehen Sie, Capitain,« sagte Jacob, indem er ein Paar Schritte auf seinen Herrn zuging und seine rauhe Stimme zu einem leisen Flüstern herabsinken ließ, »wenn Sie ihn nicht sprechen wollen, so könnt' ich ihn ja im Handumdrehen – so – na, Sie verstehen mich.«

Hugo verstand ihn sehr wohl, denn die Pantomime des zur Thür Hinauswerfens, die er mit einem kräftigen Fußtritt begleitete, ließ in der That kein Mißverständniß zu; und er mußte unwillkürlich über die drollige Geberde des Bootsmanns lachen, noch mehr aber über sein Mienenspiel, das die grenzenlose Verachtung kundgab, von welcher er erfüllt war.

»Aber so sage mir doch,« entgegnete Hugo, »wen in aller Welt Du denn eigentlich in dieser liebreichen Weise weiter expediren willst, Alter?«

»Den Doctor Schönfeld,« brummte Jacob unwirsch. Hugo richtete sich hoch auf, als er diesen Namen vernahm, und sein stolzes Auge flammte vor Unwillen. Jacob aber zog sich rückwärts bis zur Thür hin, indem er halb ärgerlich, halb frohlockend in sich hineinbrummte: »Wußt' es, wußt' es.«

»Den Doctor Schönfeld?« wiederholte Hugo im Tone des höchsten Erstaunens und des erwachenden Zornes. »Der hier? Du irrst Dich wohl, Jacob?«

»Ne, ne Capitain,« entgegnete dieser, »er ist leibhaftig hier; aber, wie gesagt, wenn Sie's mir günstigst erlauben wollten – – –« er machte wieder die sehr sprechende Pantomime – »so soll er nicht eben lange hier bleiben.«

»Und er verlangt mich zu sprechen?« fuhr Hugo fort.

»Ja, er hat die Unverschämtheit; aber – wie gesagt – –.«

»Führe ihn zu mir, Jacob.«

»Sie wollen ihn vielleicht selbst – hm, hm.«

»Er muß mir sehr Wichtiges zu sagen haben, Jacob.«

»Aber, nichts für ungut, wär' es doch nicht besser, wenn ich – –«

»Unsinn, Alter; ich muß wissen, was diesen Mann zu mir führt.«

»Sie wollen also bloß mit ihm sprechen, Capitain?«

»Ja, was denn sonst?«

»Na, ich dachte nur,« sagte kopfschüttelnd der Bootsmann, dem es offenbar schmerzlich war, sich von der Idee zu trennen, den Doctor zum Hofthor hinaus zu transportiren, »ich dachte nur, daß alldieweil dieser gottverfluchte Rechtsverdreher mit seinen Lurifaxereien Ihnen einmal die Luv abgewonnen und Ihnen, so zu sagen, die Braut vor der Nase weggekapert hat. – – –«

»Kommst Du nun schon wieder auf Deine alte Geschichte, Jacob?«

»Ja, die Sie nicht glauben wollen, obgleich sie wahr ist, wie das Evangelium; denn die Guste, die für die Collectrice wäscht – wie heißt sie doch gleich – – –«

»Schon gut, Jacob, schon gut.«

»Nun, lege schon bei, Capitain; aber – was ich sagen wollt' – da dacht ich nur, daß es doch besser wäre, wenn wir ihn auf gut Seemännisch – so – und noch einmal so – und dann – oh!« Des Bootsmanns gewaltige Fäuste versetzten dem Doctor imaginäre Püffe, die ihm, wenn sie ihn wirklich getroffen hätten, unfehlbar einige Rippen gekostet haben würden.

»Nicht doch, Jacob,« entgegnete Hugo in einem Tone, der keine weiteren Einwürfe zuließ, »führe den Mann zu mir, und zwar mit aller Höflichkeit.«

Jacob wandte sich seufzend ab und verließ mit seinem gewöhnlichen »Sehr wohl, Capitain!« das Zimmer.

Einen Augenblick später trat der Doctor, dem Jacob die Thür öffnete, mit jenem ruhigen, gemessenen Benehmen ein, das er so wohl anzunehmen wußte, und wodurch er einen günstigen Eindruck zu machen selten oder nie verfehlte.

Wenn es wahr ist, daß das Krokodil die Menschen, die es zu verschlingen Appetit verspürt, durch die täuschende Nachahmung des Hülferufs kleiner Kinder in seine gefährliche Nähe lockt, so hatte der gute Doctor mit diesem schuppigen Ungeheuer wirklich einige Aehnlichkeit; denn er leitete seine Schurkenstreiche immer dadurch ein, daß er bei seinem Opfer sympathisch gestimmte Saiten anschlug und sich so ihres Wohlwollens zu versichern strebte. Augenblicklich hatte er die psychischen Eigenthümlichkeiten des Mannes, mit dem er jetzt zu thun hatte, vollkommen richtig erkannt und er wußte gleich von vorn herein seiner gewöhnlichen Sanftmuth einen gewissen Anstrich der Offenherzigkeit und Biederkeit zu verleihen, die in Hugo's Herzen immer einen starken Widerhall fand. Wenn er seine Absicht nicht gleich und nicht vollkommen erreichte, so müssen wir das dem Doctor zu gute halten; denn wohl selten oder nie war er einem Manne von Hugo's Charakter entgegengetreten.

Er bat, ihm seine Freiheit zu verzeihen, als ein dem Herrn Falkner völlig Unbekannter, dessen Namen er wahrscheinlich nie gehört habe, ihn hier, in einem Hause, wo er als Gast weile, aufgesucht zu haben; er hoffe indeß, daß die Motive, die ihn dazu veranlaßt, ihm als eine hinreichende Entschuldigung dienen würden. Zufälligkeiten, wie sie auf Geschäftsreisen wohl manchmal ganz unerwartet einträfen, hätten ihn nach Innsbruck geführt, wo er – jedoch wieder ganz zufällig – von Jemand, der mit dem Grafen Landeck bekannt sei, vernommen habe, daß ein Herr Falkner schon seit einiger Zeit bei demselben auf Besuch sei. Der Name, den er in Hamburg gar oft in einem ihm lieben Kreise mit großer Achtung aussprechen hörte, habe ihn aufmerksam gemacht, er habe weiter geforscht und sei endlich zu dem Schlusse gekommen, daß der Falkner, von dem hier die Rede gewesen, kein anderer sein könne, als der Neffe des Herrn Lüders, eines Mannes, mit dem befreundet zu sein er sich als eine hohe Ehre anrechne. Er habe nun dem Verlangen nicht widerstehen können, dem Onkel und dessen liebenswürdiger Familie über das Wohlergehen ihres theuren Verwandten Bericht zu erstatten und ihnen dadurch einen Dienst zu erweisen, für den sie Alle ihm gewiß Dank wissen würden; und da ihm nun einmal diese Idee gekommen, habe er sich die kleine, nebenbei sehr interessante Reise nach dem Engadin nicht verdrießen lassen.

Hugo hörte ihm erst mit Ungeduld, ja, mit einem schlecht verhehlten Mißbehagen zu; denn er war kein Freund von vielen Worten, und einige von des Doctors Aeußerungen klangen ihm viel zu gesucht und gekünstelt, als daß sie ihm hätten gefallen können, dennoch lag in des Mannes Wesen und Benehmen eine wohl sanfte aber zugleich feste Ruhe und ein Zug von Freimuth, die ihn nach und nach mehr zu seinem Gunsten stimmte. Er dankte ihm höflich für die Ehre seines Besuchs und die dadurch gebotene Gelegenheit, über seine Verwandte Erkundigungen einzuziehen.

Auf Hugo's Aufforderung legte der Doctor seinen Hut ab und nahm Platz. Dann begann er, sich mit der äußersten Behutsamkeit über die Verhältnisse in der Lüdersschen Familie auszusprechen, wobei es seine erste Sorge war, seinen Zuhörer erst dunkel ahnen und dann immer deutlicher errathen zu lassen, wie gewisse zwischen ihm, dem Doctor nämlich, und Fräulein Louise Statt gehabte Beziehungen sich aufgelöst hätten. Man kann sich leicht denken, daß dies ein Gegenstand war, der Hugo's Interesse im höchsten Grade erregte. Gar zu gern hätte er noch mehr darüber erfahren, und einen Augenblick kämpfte er mit sich selbst, ob er directe Fragen an den Doctor stellen solle oder nicht. Doch sein Stolz hielt ihn davon ab und zugleich auch der Ausdruck von tiefem Seelenleiden, der sich auf des Doctors Zügen lagerte, als er nun auf die Entsagung anspielte, die des Fräuleins Abgeneigtheit, seine innigsten Wünsche zu erfüllen, ihm zur heiligen Pflicht gemacht habe, einer Pflicht, deren als Ehrenmann sich entledigt zu haben jetzt sein einziger Trost sei. Der Seufzer, der des guten Doctors innerstem Herzen entstieg, die Miene der demuthsvollen Resignation und mühsam erkämpfter Fassung, mit welcher er zu Hugo aufsah, dieses Alles wäre gewiß im Stande gewesen, einen geübteren Physiognomen als Hugo zu täuschen. Wie sehr auch der junge Mann allen Ausbrüchen einer weichlichen Gemüthsstimmung feind war, der hier berührte Gegenstand war zu sehr geeignet, sein Mitgefühl zu erregen, als daß er es dem unglücklichen Doctor ganz hätte verschließen können; er beschloß daher, jede weitere Frage über diesen Punkt zu unterdrücken, um eine noch blutende Wunde nicht schmerzhaft zu berühren.

»Ich weiß in der That nicht,« fuhr der Doctor mit leicht bebender Stimme fort, »wie ich eigentlich dazu gekommen bin, über meine persönlichen Beziehungen zu Ihrer Familie zu sprechen; denn, Gott ist mein Zeuge, nichts konnte weniger in meiner Absicht liegen; nur das große Vertrauen, welches Sie mir einflößen, Herr Falkner, hat mich dazu hinreißen können. Brechen wir aber dieses Gespräch ab. Sie würden ja doch den ganzen Umfang meines Schmerzes unmöglich fassen können, da Sie das herrliche Mädchen nur als Verwandter, als Bruder vielleicht geliebt haben, während meine Liebe – eine andere war.« –

»Es giebt übrigens auch« – setzte er nach einer Pause hinzu, während welcher er sichtbar bemüht war, mehr Fassung zu erringen – »es giebt auch sonstige Verhältnisse in Ihrer Familie, die leider Stoff genug zur Besprechung bieten, und über die zu berichten, da sich einmal die Gelegenheit dazu gefunden hat, ich auch für meine Pflicht halte, ich meine,« – seine Stimme sank bis zu einem von Seufzern fast erstickten Flüstern herab – »ich meine die sehr traurige pecuniaire Lage Ihres Herrn Onkels.«

»Die pecuniaire Lage meines Onkels wäre eine traurige, Herr Doctor?« fragte Hugo erstaunt.

»Eine sehr traurige,« wiederholte der Doctor zu Boden blickend, »ja, eine wahrhaft trostlose.«

»Aber wie ist denn das möglich, Herr Doctor?«

Der Doctor sah Hugo fragend an.

»Wie ist das möglich?« wiederholte dieser, »da ja doch mein Onkel im vergangenen Herbst ein so großes und unerwartetes Glück hatte?«

»Ich weiß wirklich nicht, worauf Sie anspielen, Herr Falkner,« sagte der Doctor mit einer Miene, als suche er vergeblich den Sinn zu errathen, der in Hugo's Worten liege.

»Mein Onkel gewann ja doch in der Lotterie ein großes, reiches Rittergut,« fuhr Hugo fort.

»Ei, Sie wissen also nicht, Herr Falkner – –?«

»Sprechen Sie aus, Herr Doctor, ich bitte Sie.«

»Nun, mein Gott, daß Ihr Herr Onkel nur durch den unverzeihlichen Mißgriff einer halb irrsinnigen Collectrice auf den Glauben gebracht wurde, er habe das Gut gewonnen?«

»Was hör' ich?« rief Hugo, indem er von seinem Sitze aufsprang. »Er hat es nicht gewonnen?«

»Ach, leider nein.«

»Und hat es mir doch selbst gesagt!«

»Sie müssen alsdann gerade während der wenigen Stunden mit ihm gesprochen haben, da er an dieses große Glück glaubte.«

»Aber das ist ja ganz entsetzlich!« rief Hugo und begann mit hastigen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen. »Der arme Mann, wie bedaure ich ihn – und die gute, liebe Tante – und – – – –«

»Sie haben in der That volle Ursache, Herr Falkner, sie Alle von Herzen zu bedauern; denn ihre Lage ist, wie gesagt, eine höchst traurige.«

»O mein Gott! daß ich das nicht früher erfahren habe!«

»Es wundert mich wirklich; daß Sie nicht schon längst davon gehört haben, da die Sache doch ein so großes Aufsehen erregte.«

»Ich bitte Sie, Herr Doctor,« sagte Hugo, indem er seinen Platz wieder einnahm und seine stürmisch erregten Gefühle zu bewältigen suchte, »ich bitte Sie dringend, mir über die Lage meines Onkels Alles zu sagen, was Sie darüber wissen, mir Nichts zu verschweigen, so schlimm es auch immer sein mag.«

»Das halt' ich für meine Pflicht, Herr Falkner; auch ist Niemand so sehr im Stande, Ihnen Auskunft zu geben, als gerade ich; denn während sich alle Anderen, sowohl Freunde als Verwandte, von Ihrem Herrn Onkel zurückzogen – die Menschen scheuen ja nun einmal in ihrer Herzlosigkeit den vom Glück Verlassenen wie einen Pestbefallenen – stand ich, auch nachdem ich meine schönsten Hoffnungen scheitern sah, Ihrem Onkel zu jeder Zeit als treuer und ergebener Freund zur Seite, ihn mit Rath und That unterstützend, so viel es nur immer in meinen Kräften lag.«

Nichts war Hugo so verhaßt, wie Selbstruhm; das mochte der Doctor wohl in seinen Mienen lesen, denn er suchte es keineswegs zu verbergen.

»Doch das gehört eigentlich nicht zur Sache,« verbesserte sich daher der Doctor, »ich hab' es auch nur angeführt, um Ihnen zu zeigen, daß Niemand, Ihr Herr Onkel selbst nicht ausgenommen, über seine Verhältnisse so genau Bescheid weiß, als ich.«

»Um so mehr muß ich es Ihnen Dank wissen, Herr Doctor, daß Sie die Güte gehabt haben, mich hier aufzusuchen.«

Der Doctor verbeugte sich leicht und fuhr fort:

»Um also näher auf das einzugehen, was Sie zu wissen wünschen, Herr Falkner, muß ich Ihnen vorerst sagen, daß die Lage Ihres Herrn Onkels eine leidlich gute war bis zu dem Augenblick, wo dieses unglückselige Ereigniß eintrat. Von da an aber verschlimmerte sie sich mehr und mehr. Die Kunde von dem großen Glücksfalle hatte sich, wie Sie sich wohl denken können, schnell über die ganze Stadt verbreitet, und einige Gläubiger, die auf ihr Guthaben wohl schon verzichtet haben mochten, stellten sich, als sie dieselbe kaum vernommen hatten, bei Herrn Lüders ein, der, wie sie ja nicht bezweifeln konnten, nun im Stande sein mußte, die längst verfallenen Wechsel zu honoriren, Sie sahen sich auch nicht getäuscht, denn Herr Lüders hatte die große Eile dieser Leute vorausgesehen und war ihnen noch zuvorgekommen. Er hatte sich an einen erprobten Freund gewandt, und dieser hatte ihn bereitwillig mit der nöthigen Summe versehen, womit er sich ohne Zögerung der drückenden Bürde entledigen konnte, die ihm schon so lange schwer auf dem Herzen lag. Daß Ihr Herr Onkel hiebei nicht stehen blieb, sondern an diesem verhängnißvollen Tage im freudigen Bewußtsein seines Reichthums noch manche nicht durchaus nothwendige aber seinen neuen Verhältnissen doch ganz angemessene Ausgaben machte, werden Sie begreiflich finden, und so kam es denn, daß er seine Schuldenlast am Tage nach der schrecklichen Enttäuschung noch beträchtlich vermehrt sah. Uebrigens hatte die Sache wiederum das Gute, daß er nun statt vieler Gläubiger nur einen hatte, der ihn später nie wegen der Zahlung drängte.«

»Sie wissen ohne Zweifel, wer dieser edelmüthige Gläubiger ist?«

»Ich nenne ihn nicht gern, Herr Falkner.«

»Wenn ich Sie nach seinem Namen frage, Herr Doctor, so geschieht es nicht aus bloßer Neugierde; ich muß Sie daher dringend bitten, ihn mir zu nennen.«

»Später, Herr Falkner, wenn Sie darauf bestehen; doch jetzt lassen Sie mich meinen Bericht zu Ende bringen. Ihr Herr Onkel ertrug, das muß ich ihm nachrühmen, mit seltenem Gleichmuth den doppelten Glückswechsel, und anfangs hatte es auch den Anschein, als würde in seinem Hause sehr bald wieder Alles in's alte Gleise kommen. Noch immer hoffte er, sich mit seiner Familie nicht nur leidlich durchzubringen, sondern sogar seinen neuen und größeren Verpflichtungen entledigen zu können, und er rechnete dabei hauptsächlich auf zwei Dinge, den Ertrag eines Holzhandels, den er damals etablirt hatte, und der recht gewinnreich zu werden versprach, und die Fortdauer einer beträchtlichen Unterstützung, die ihm schon seit mehreren Jahren, wahrscheinlich von Seiten früherer Geschäftsfreunde, zugeflossen war.«

Hugo's Züge verdüsterten sich; er biß sich, wie immer, wenn ihm etwas einen heftigen Schmerz oder Unwillen verursachte, auf die Lippen. Der Doctor schien seine Gemüthsbewegung nicht zu bemerken.

»Mit dem Holzhandel,« fuhr er fort, »ging es nur eine kurze Zeit gut, dann aber immer schlechter, und zuletzt lag er völlig darnieder. Ob Mangel an Kenntniß des Detailhandels daran Schuld war, ob ungünstige Conjuncturen, oder eine zu starke Concurrenz – ich kann darüber nichts Gewisses sagen, genug, daß Herr Lüders sich bald genöthigt sah, das kleine Geschäft mit bedeutendem Verlust aufzugeben.«

Ein tiefer Seufzer rang sich aus Hugo's Brust.

»Somit sah sich denn der unglückliche Mann ganz ausschließlich auf die schon erwähnte Unterstützung angewiesen; aber – was auch immer die Ursache sein mochte, vielleicht die falsche Kunde von dem ominösen Lotteriegewinn, die gar zu leicht Glauben gefunden hatte, oder, um mich deutlicher zu erklären, die man als willkommenen Vorwand benutzen mochte, sich einer lästigen Verbindlichkeit zu entziehen – sie wurde ihm genommen; Ihr Onkel war an den Bettelstab gebracht!«

Das war zu viel für den gefolterten Hugo. Nicht länger vermochte er es über sich, ruhig auf seinem Stuhle sitzen zu bleiben. Schnell sprang er auf und schritt mit finster gerunzelter Stirn und fest ineinander geschlungenen Armen, hastig auf und ab. Der Doctor schwieg und senkte den Blick zu Boden.

»Herr Doctor,« sagte Hugo, indem er plötzlich vor diesem stehen blieb, »Sie bohren mir, ohne es zu ahnen, einen Dolch in's Herz. Diese Unterstützung – ich habe keinen Grund, es Ihnen zu verhehlen – kam von mir.«

Um den Ausdruck des höchsten Erstaunens, der in des Doctors Zügen lag, als er zu Hugo aufsah, hätte ihn ein Schauspieler beneiden mögen.

»Von Ihnen, Herr Falkner?« stammelte er mit leiser Stimme.

»Versteh' ich Sie auch recht? Die Unterstützung kam von Ihnen?«

»Ihr Erstaunen kann mich nicht befremden,« entgegnete Hugo, »denn was Sie von meinen Angehörigen über meine Verhältnisse gehört haben werden, rechtfertigt es vollkommen.«

»Ich gesteh' Ihnen offen, Herr Falkner,« sagte der Doctor mit einem leichten Anflug von Ironie, »daß mir Ihre Verhältnisse als nicht so glänzend geschildert wurden.«

»Ich hatte gewisse Gründe, meinen Onkel darüber nicht aufzuklären.«

»Ah!« sagte der Doctor mit einem kaum bemerkbaren Achselzucken.

»Aber zu meinen Gründen gehörte wahrlich nicht der,« fuhr Hugo, dem der etwas spöttische Zug in des Doctors Mienen nicht entgangen war, fort, »mich einer heiligen Pflicht gegen meinen Pflegevater entziehen zu wollen; das kann ich Ihnen versichern. Als ich im vorigen Herbst nach Hamburg kam, war es meine Absicht, meinen Onkel in seiner bedrängten Lage in weit wirksamerer Weise Hülfe zu leisten, als es mir bis dahin möglich gewesen war. Nur war ich im Zweifel, ob ich ihn nicht wie früher in Unwissenheit darüber lassen solle, von wem ihm die Unterstützung zufließe; denn vor Allem wünschte ich, ihm die Annahme derselben leicht zu machen. Als mir aber nun mein Onkel von dem großen Reichthum erzählte, der ihm so unerwarteter Weise zugefallen war, da mußte ich mir denken, daß ihm eine weitere Hülfeleistung meinerseits nicht nur entbehrlich, sondern, geradezu unerwünscht und sogar lästig erscheinen würde. Daß ich also unter diesen Umständen die kleine Unterstützung aufhören ließ, werden Sie gewiß sehr begreiflich finden.«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Falkner,« entgegnete der Doctor, »so offenherzig mit mir über diese Angelegenheit zu sprechen und mir dadurch gewissermaßen ein Recht einzuräumen, über Ihre Handlungsweise ein Urtheil auszusprechen. Als vieljähriger Freund Ihres Herrn Pflegevaters darf ich mich wohl dieses Rechtes bedienen und thue es gern und mit allem Freimuth. Ihr Verhalten, wenn es auch nur durch einen unglücklichen Irrthum bestimmt worden ist, und so traurige Folgen es auch gehabt hat, kann ich natürlich nur billigen. Ein jeder Andere, ich selbst, hätte gerade ebenso gehandelt. Wollen Sie mir aber nun auch erlauben, einen Schritt weiter zu gehen und Ihnen ganz offen eine Frage vorzulegen?«

»Ich werde Ihnen jede Frage gern beantworten.«

»Ohne Umschweife also – ich rede ja nur im Interesse Ihres unglücklichen Pflegevaters – sind Ihre Verhältnisse – Ihren guten Willen setze ich als über jeden Zweifel erhaben voraus« – Hugo machte hier eine ungeduldige Bewegung – »sind Ihre Verhältnisse noch jetzt der Art, daß Sie für Ihre in Elend schmachtenden Angehörigen etwas Erkleckliches thun könnten?«

»Ich bin reich, Herr Doctor Schönfeld,« sagte Hugo kurz, »und was ich besitze, steht unbeschränkt zur Verfügung meines Pflegevaters.«

»Mit diesen Worten,« sagte der Doctor, indem er mit dem Ausdruck der tiefsten Rührung die Hand Hugo's erfaßte, die ihm dieser ungern überließ, »mit diesen Worten haben Sie einen Stein von meinem Herzen gewälzt. Wahrlich, Sie wissen nicht, welch' innigen Antheil ich an dem Wohlergehen Ihrer Familie nehme; nun, Dank Ihrer edlen Gesinnung, kann ja noch Alles gut werden!«

»Was geschehen kann, um ihre Zukunft sicher zu stellen, soll gethan werden,« sagte Hugo ernst.

»Ach, es ist auch weit mit ihnen gekommen,« fuhr der Doctor fort, indem er sich abwandte, um seine Rührung zu verbergen, »sehr, sehr weit. Wäre nicht die kleine Beihülfe von Seiten der Töchter gewesen – – –«

»Der Töchter?«

»Fräulein Ida, die sich bei ihrer Tante, der Madame Altmann aufhält, schickte alle Monate eine Kleinigkeit, und Fräulein Louise,« – des Doctors Stimme zitterte vor innerer Bewegung – »Fräulein Louise nähte bei einer Putzmacherin, wo das zartfühlende Mädchen viel, sehr viel zu erdulden hatte.«

Der gefühlvolle Doctor bedeckte sein Gesicht mit den Händen; Hugo aber biß sich die Lippen blutig, während er von bitterem Schmerz überwältigt, lange sprachlos vor sich hinstarrte.

»Diese unbedeutende Beihülfe,« fuhr der Doctor fort, »war aber leider für die täglichen Bedürfnisse der Unglücklichen nicht ausreichend. Die Schuldenlast Ihres armen Onkels mußte unter diesen traurigen Umständen natürlich immer vermehrt werden.«

»Indeß hört endlich der Credit und somit auch das Schuldenmachen auf!«

Der Doctor wand sich hin und her mit einer Miene, als sträube sich sein Zartgefühl dagegen, auf weitere Erörterungen einzugehen.

»Ihr Herr Onkel,« sagte er endlich zögernd mit leiser, kaum hörbarer Stimme, »hatte, wie schon gesagt, einen Freund, der ihm, so weit seine geringen Mittel reichten – nun, Sie verstehen mich.«

»Und diesen Freund werden Sie mir nennen, Doctor Schönfeld; meine erste Sorge wird es sein, die Schulden meines Pflegevaters zu tilgen.«

»Das ist sehr lobenswerth, sehr edelmüthig von Ihnen, Herr Falkner; indeß – – –«

Die wiederholte Anspielung des Doctors auf seinen Edelmuth begann Hugo geradezu anzuekeln. Ueberhaupt war das Wohlwollen, welches er anfänglich dem Doctor zuzuwenden im Begriff war – er wußte selbst nicht wie – gänzlich geschwunden.

»Ich erfülle damit nur eine Pflicht, Herr Doctor,« sagte er trocken.

»Der Freund, von dem zu reden ich, wiewohl sehr gegen meine Neigung, genöthigt war, um Ihnen nämlich die Sachlage genügend auseinander zu setzen, würde doch sicherlich Bedenken tragen – – –«

»Und wenn,« fiel Hugo dem Doctor in's Wort, »so würde ich so lange gegen seine Bedenklichkeiten ankämpfen, bis ich sie völlig besiegt hätte, da ich es nicht nur als einen Ehrenpunkt, sondern auch als ein unbestreitbares Vorrecht betrachte, meine Pflegeeltern ihrer Noth zu entreißen.«

»Was Sie sagen, Herr Falkner, kann ich nicht bestreiten; denn ich fühle, daß ich an Ihrer Stelle gerade so sprechen und handeln würde.«

»So bitte ich Sie denn noch einmal sehr dringend, Herr Doctor, mir den Gläubiger meines Pflegevaters, oder vielmehr seinen Wohlthäter zu nennen, damit ich ihm so bald wie möglich die vorgestreckten Summen zurückerstatten kann.«

»Herr Falkner,« sagte der Doctor nach einem kurzen inneren Kampfe, »Ihr so edles Benehmen überwindet meine Bedenklichkeiten. Sie haben Recht, nur Ihnen steht es zu, es ist Ihr Vorrecht – ein Vorrecht, um das ich Sie beneide – dem treuen Hüter Ihrer Kindheit in seiner jetzigen hülfsbedürftigen Lage beizustehen. Auch kann er ohne das herbe Gefühl der Demüthigung nur von Ihnen eine Wohlthat empfangen; am wenigsten aber unter allen Menschen gerade von demjenigen, dessen Hülfe er in der letzten Zeit zu wiederholten Malen in Anspruch zu nehmen gezwungen war. Dies Letztere hab' ich mir oft gesagt, und es hat mich um so mehr beunruhigt, als der moralische Druck meiner Aufmerksamkeit nicht entgehen konnte, unter welchem Ihr Pflegevater schon seit langer Zeit sichtbar litt. Also – frei heraus – der Gläubiger des Herrn Lüders bin ich.«

Das inhaltsschwere Wort war gesprochen; aber zugleich auch vor Hugo's Augen der ganze Nimbus entschwunden, in der seine wahren Absichten einzuhüllen der Doctor so sehr bestrebt gewesen war. In Hugo hatte sich dieser gänzlich getäuscht, wenn er gehofft hatte, seine Komödie in der begonnenen Weise ganz zu Ende zu spielen; denn er besaß einen zu scharfen natürlichen Blick und zu viel Welterfahrung, um sich über eine gewisse Grenze hinaus beirren zu lassen. Daß der Doctor von seinen Vermögensumständen unterrichtet war und sich einzig und allein bei ihm eingefunden habe, um sich von ihm die dem Herrn Lüders geborgten Summen zahlen zu lassen, darüber war Hugo von dem Augenblick an mit sich im Reinen, wo der Doctor gesagt hatte: der Gläubiger des Herrn Lüders bin ich. Nur in einem Punkte hatte der Doctor sich nicht verrechnet, insofern es nämlich seine Absicht gewesen war, bei Hugo den lebhaften Wunsch zu erwecken, die Schuld zu tilgen, die sein Pflegevater bei ihm contrahirt hatte.

Die Bitterkeit der Gefühle, welche die Erklärung des Doctors in Hugo hervorrief, läßt sich in der That schwer beschreiben. »Also so weit ist es mit meinem unglücklichen Pflegevater gekommen,« sagte er für sich, »daß er sich die Demüthigung auferlegen mußte, von diesem Heuchler, noch dazu dem verschmähten Bewerber um Louisens Hand, dem er sein gegebenes Wort nicht hat halten können oder wollen, ein Almosen zu nehmen. Und das mußte geschehen, während ich, seine natürliche Stütze, nichts ahnend von dem Elend, welches er erduldete, im Ueberfluß schwelgte, ja, durch die thörichte Geheimhaltung meines Reichthums ihm selbst das Mittel raubte, in würdigerer Weise seinem Unglück zu begegnen!«

»Also Sie?« sagte Hugo barsch und höhnisch, indem er den Doctor scharf fixirte. »So darf ich Sie also um die Gefälligkeit bitten, mir die Größe der geborgten Summe anzugeben.«

»Sie nöthigen mich dazu, Herr Falkner,« entgegnete der Doctor, indem er, um dem fest auf ihn gerichteten Blicke Hugo's auszuweichen, die Augen senkte, »Sie nöthigen mich dazu durch Ihre so entschieden ausgesprochene und, wie ich nicht läugnen kann, durchaus richtige Auffassung dieser Verhältnisse. Indeß muß ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß ich keine Rückzahlung beanspruche, am wenigsten von Ihnen. Die Summe ist dazu nicht unbeträchtlich, viel größer, als Sie vielleicht vermuthen dürften, und es wäre mir peinlich, wenn Sie sich durch Ihr Anerbieten für gebunden halten sollten.«

»Ich bin, wie ich Ihnen schon gesagt habe, reich genug, um selbst den größten Ansprüchen an meinen Pflegevater zu genügen.«

»Jedenfalls müßte die Sache als eine rein geschäftliche erledigt werden, wie auch zwischen Herrn Lüders und mir Alles in geschäftlicher Weise arrangirt worden ist, da unsere gegenseitigen Beziehungen nicht der Art waren, daß ich ihm eine Gabe anbieten, oder er – – –«

»Zur Sache, wenn ich bitten darf.«

»Weil Herr Lüders also darauf bestand, und ich mich dessen nicht weigern konnte, wurden jedesmal über die einzelnen Summen Empfangsscheine ausgestellt. Noch vor wenigen Tagen empfing Herr Lüders eine kleine Summe von mir, und bei dieser Gelegenheit wurde eine neue Schuldverschreibung ausgefertigt, die älteren aber vernichtet. Was mir Ihr Herr Pflegevater schuldig ist, baar empfangene Summen, rückständige Hausmiethe – denn er wohnt in meinem Hause – das Alles weis't dieser Schein aus, der einzige, den ich von ihm in Händen habe.«

»Es ist selbstverständlich,« entgegnete Hugo, »daß die Sache in streng geschäftlicher Weise erledigt wird, und ich wiederhole es Ihnen, je eher dies geschehen kann, desto lieber ist es mir.«

»Da Ihnen die Ordnung dieser Angelegenheit so pressant erscheint, Herr Falkner,« sagte der Doctor in einem etwas piquirten Tone, »so muß ich fast bedauern, den Schein nicht bei mir zu haben.«

»Das ist wirklich recht Schade; denn ich stehe im Begriff, eine weite Reise zu unternehmen, über deren Ziel und Dauer ich noch ungewiß bin; Sie werden also begreifen, daß es mir darum zu thun ist, diese Angelegenheit in kürzester Frist zu ordnen.«

»Ach, Sie gedenken eine Reise anzutreten; nun, da begreife ich allerdings – – aber, da fällt mir ein, – möglich wär' es – ja, in der That, es ist nicht unwahrscheinlich – –«

»Was?«

»Ich pflege auf meinen Reisen die wenigen Werthpapiere, die ich besitze bei mir zu führen. Es ist dies eine Eigenheit von mir – – –«

»O, es ist eine sehr löbliche Vorsicht.«

»Ja, denn gegen Feuersbrünste, Einbruch und Diebstahl – –«

»Weiter, mein Herr, weiter.«

»Sollte sich nun der fragliche Schuldschein unter den Papieren befinden, die ich in meiner Mappe mit mir führe – –«

»Das wird er ohne allem Zweifel.«

»So könnte ich Ihnen denselben – das heißt, wenn Sie durchaus darauf bestehen – schon Morgen früh vorlegen.«

»Gut, also Morgen früh.«

Hugo begleitete diese Worte mit einer Handbewegung, die deutlich sagte: wenn Sie jetzt gehen wollen, so will ich Sie nicht zurückhalten. Aber der Doctor verstand den Wink nicht und blieb ruhig sitzen.

»Da Sie noch kein bestimmtes Reiseziel im Auge haben,« sagte er, »so würden Sie sich in Anbetracht der Umstände, die ich Ihnen mitgetheilt, vielleicht für Hamburg entscheiden. Gewiß, es würde Ihrer Familie eine große Freude sein, Sie dort zu sehen.«

»Ich werde nach Italien gehen.«

»Ei, nach Italien?«

»Oder nach Marokko, vielleicht auch Madagaskar.«

»Sollten Sie Aufträge an Ihre Familie haben, die ich mündlich ausrichten könnte, oder mir vielleicht Briefe mitgeben wollen, so bitte ich, ganz über mich zu verfügen.«

»Sie sind sehr gütig.«

»Ich darf Ihnen nicht verhehlen, Herr Falkner, daß man sich in dem Hause Ihrer Pflegeeltern über Ihr Schicksal Sorgen macht, die, wie ich jetzt zu meiner großen Freude – –«

»Ich glaube nicht, daß dies zu unserem Geschäfte gehört. Ich erwarte Sie also Morgen früh.«

Hugo erhob sich. Der Doctor folgte seinem Beispiel, griff nach seinem Hut und empfahl sich unter vielen höflichen Redensarten, die von Hugo nicht weiter beantwortet wurden.

Als sich die Thür hinter dem Doctor geschlossen hatte, begann Hugo über das eben Vorgefallene reiflich nachzudenken; denn jetzt, das fühlte er, war für ihn die Zeit der Unschlüssigkeit vorbei, und er mußte sich für ein rasches Handeln entscheiden. Schnell recapitulirte er das Gespräch mit dem Doctor, und immer klarer wurde es ihm, daß dieses Mannes Auftreten und ganzes Benehmen eine vorher einstudirte Rolle gewesen sei. Was er ihm über die traurige Lage seiner Pflegeeltern mitgetheilt, hatte ihn tief erschüttert; es war vielleicht nicht übertrieben, aber jedenfalls unzuverlässig, möglicherweise noch weit hinter der Wahrheit zurück. War es da nicht durchaus unerläßlich, die Sachlage selbst zu untersuchen, um wirksame Hülfe zu leisten? Wie also, wenn er so bald es irgend geschehen könnte, ohne die seinem Wirthe und dessen Familie schuldige Rücksicht zu verletzen, von hier fortginge, in München sich mit Werner beriethe und dann ohne Zögerung nach Hamburg reis'te? Gewiß, es war nothwendig, wollte er sich seiner Pflicht gegen die Pflegeeltern in vollem Maße erledigen. Und was hinderte ihn an der Erfüllung dieser Pflicht? Was hielt ihn noch hier zurück? Amalien hatte er in seiner heutigen Unterredung mit ihr die Augen geöffnet, und jeder Zweifel mußte ihr nun benommen sein. In dieser Hinsicht war er sich bewußt, Alles gethan zu haben, was er ihr und sich selbst schuldig war; das Uebrige mußte der Zeit überlassen bleiben. Also fort von hier, je eher, desto besser!

Während Hugo zu diesem festen Entschlusse kam, und zwar durch eine Reihe von Folgerungen, die wir hier in aller Kürze angedeutet haben, ohne die leidenschaftliche Erregtheit zu schildern, die sein Monolog kund gab, fiel in anderen Räumen der Villa gar Manches vor, worüber wir gleichfalls dem Leser berichten müssen. Wir lassen also Hugo mit seinen trüben Gedanken und bitteren Gefühlen allein und begeben uns erst in das Arbeitscabinet des Grafen.

Daß sich der Graf seit dem, seine Tochter betroffenen Unfalle in einer peinlichen Spannung befand, die gegen sein sonstiges heiteres Wesen auffallend abstach, wissen wir bereits. Oft schlich er von seinem Zimmer leise in das nicht entfernte der Tochter, sprach flüsternd mit seiner neben dem Bette der Kranken sitzenden Frau, betrachtete mit bekümmerter Miene das bleiche, auf dem Kissen ruhende Antlitz des geliebten Kindes und richtete wohl auch, wenn sie die Augen aufschlug und ihn zu erkennen schien, einige liebevolle Worte an sie. Dann ging er so geräuschlos, wie er gekommen, wieder fort, begab sich in sein Arbeitscabinet und ergriff dort ein Buch, um es gleich darauf, wenn er unter sichtbarer Zerstreuung einige Zeilen gelesen hatte, wieder bei Seite zu legen und eine Feder zur Hand zu nehmen. Aber mit dem Schreiben ging es nicht besser, als mit dem Lesen, und der begonnene Brief blieb unvollendet, weil es ihm nicht möglich war, seine Gedanken klar genug zu ordnen, um sie aufs Papier zu bringen.

Der Graf saß an seinem Schreibtische, den Kopf gedankenvoll auf die Hand gestützt, als er plötzlich aufhorchte. Er hörte draußen Schritte, die sich seiner Thür näherten; gleich darauf trat der junge Baron Berkheim ein. Der Graf mochte einen Anderen erwartet haben; man sah die Enttäuschung in seinen Mienen. Er erhob sich und ging seinem Neffen rasch entgegen.

»Wie geht es Amalien jetzt, Alfred?« fragte er lebhaft.

»Leider kann ich Dir noch keine gute Nachricht bringen, lieber Onkel,« entgegnete der junge Mann, auf dessen Zügen ein ungewöhnlich ernster Ausdruck lag.

»Phantasirt sie noch immer?«

»Ja.«

»Sage mir, Alfred, was hältst Du eigentlich von ihrem Zustande?«

»Er giebt keineswegs zu ernstlicher Besorgniß Anlaß.«

»Ich hege auch eigentlich keine Befürchtung, nur möchte ich von Dir hören, ob Du ihr Kranksein für die bloße Folge des ihr heute zugestoßenen Unfalls hältst. Mein Gott, das Kind ist ja doch kerngesund und hat auch keine schwachen Nerven; wie kann ihr denn der bloße Schrecken ein hitziges Fieber zuziehen?«

»Der bloße Schrecken hat es auch nicht gethan, bester Onkel. Amalie war ja gleich nach dem gefahrvollen Sprunge über die Kluft, und als wir zu ihr kamen, ganz ruhig und gefaßt, und wäre es auch geblieben, wenn nicht – – –«

»Wenn nicht was? Sprich aus, lieber Alfred.«

»Wenn nicht später etwas hinzugekommen wäre, was sie in dem schon überreizten, nervösen Zustande, in welchem sie sich befinden mußte, überaus gewaltsam erschüttert hat.«

»Du vermuthest natürlich, was das hat sein können?«

»Gewiß, Onkel; ich habe während der wenigen Tage meines Hierseins Amalie genau beobachtet, und es gehörte wahrlich keine große Divinationsgabe dazu, das zwischen ihr und Herrn Falkner bestehende Verhältniß zu durchschauen.«

»Und Du glaubst wirklich, daß dieses Verhältniß ein gegenseitiges war?«

»Falkner müßte nicht der Mann sein, für den ich ihn halte, wenn er in Betreff ihrer Gefühle für ihn den mindesten Zweifel gehegt hätte. War er sich aber bewußt, diese Gefühle nicht erwiedern zu können, so durfte er auch hier nicht so lange verweilen. Daß er es that, beweist mir die Gegenseitigkeit ihrer Liebe.«

»Du kannst Dir wohl denken, Alfred, daß wir, Deine Tante und ich, diesen Gegenstand oft besprochen und ernstlich berathen haben.«

»Das habe ich natürlich vorausgesetzt, Onkel; auch hatte ich um so weniger Ursache, mich über diese Sache zu beunruhigen, da ich einräumen mußte, daß Amaliens Wahl auf einen durchaus Würdigen gefallen sei.«

»Es freut mich, Dich so reden zu hören. Falkner ist in der That ein Mann von Bildung und Talenten. Er besitzt viele vortreffliche, echt männliche Eigenschaften, vor Allem ein hohes Ehrgefühl. Dazu sind seine Verhältnisse überaus glänzend, und was den Punkt des Standesunterschiedes betrifft, so weißt Du, daß ich schon längst alle Vorurtheile abgelegt habe. Unter diesen Umständen glaubten wir, der Neigung unserer Tochter kein Hinderniß in den Weg legen zu dürfen, zumal wir von der Ueberzeugung ausgingen, lieber Alfred, daß nur eine gleich innige gegenseitige Liebe das Glück der Ehe sichert.«

»Was Du zu Falkners Gunsten sagst, hab' ich mir Alles selbst gesagt, Onkel; und es wird Dir nicht unbemerkt geblieben sein, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Nur sein heutiges Benehmen ist mir unerklärlich. Wie kann ein besonnener verständiger Mann wie Falkner, seine Bewerbung in einem Augenblick anbringen, wo jede Aufregung so traurige Folgen haben muß

»Bist Du denn auch sicher, daß er das gethan hat?«

»Wenn man aus den Phantasien einer Fieberkranken Schlüsse ziehen darf, so bleibt darüber kein Zweifel. Wie oft hat sie nicht wiederholt, daß er seine Liebe geoffenbart habe.«

»Bedenke dann aber auch, daß Falkner selbst in dem Zustande der höchsten Aufregung war. Es ist doch leicht verzeihlich, daß Einen in dem Augenblick, wo er das Mädchen, das er liebt, in den Armen hält, nachdem er es so eben vom Tode errettet hat, seine sonstige Besonnenheit verläßt, und daß er ihr seine Liebe gesteht, ohne erst den Arzt zu fragen, ob es auch der geeignete Moment ist.«

»Aber dann, Onkel, hatte er noch Eines zu thun.«

»Du meinst?«

»Sich ohne Säumniß, ja, ohne eine Minute zu verlieren, bei Dir und der Tante um ihre Hand zu bewerben.«

»Darin muß ich Dir beistimmen.«

»Er hat es indeß, so viel ich weiß, noch nicht gethan.«

»Dennoch, lieber Alfred, zweifle nicht an Falkner. Ich kenne ihn länger als Du und möchte mich ganz für ihn verbürgen.«

»Hoffen wir, Onkel, daß diese Ungewißheit nicht lange mehr dauern wird. Bewährt sich bei dieser Gelegenheit die edle Denkweise, die wir ihm zutrauen, so will ich mich bestreben, zu vergessen – – –«

Der junge Mann vollendete seinen Satz nicht; er ging an's Fenster und starrte lange halb unbewußt in die Dämmerung hinaus. Und mancher schmerzhafte Gedanke stieg in ihm auf, während er so da stand, die heiße Stirn gegen die feuchtkalte Scheibe gedrückt; er mochte tief im Herzen empfinden, daß er wohl nie vergessen würde, was er einst so sehnlich gewünscht, so sicher gehofft.

Der Graf war zu sehr mit seinen eigenen unruhigen Gedanken beschäftigt, um die auffallende Gemüthsbewegung seines Neffen zu bemerken.



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