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V.

Begeben wir uns nun in die unteren Regionen des weitläufigen Gebäudes, in die Küche und Bedientenstube, woselbst wir uns schon früher erlaubten, den Leser einzuführen, und wir werden finden, daß sich auch hier Dinge zutragen, die unserer Beachtung nicht ganz unwerth sind, da sie nämlich unseren Freund Jacob betreffen, dessen Schicksal dem gefühlvollen Leser nicht durchaus gleichgültig sein wird.

Wir müssen aber, ehe wir ein gerade jetzt zwischen dem würdigen Seemann und Mamsell Babetten Statt findendes Tête-à-Tête mit der gehörigen Verständlichkeit zu schildern vermögen, bis zu dem Augenblick zurückgehen, da am Morgen der Graf und Comtesse Amalie nebst Hugo und Berkheim zu Pferde die Villa verließen, wobei wir unten am großen Hofthore unsern Jacob mit einem sehr merkwürdigen Geberdenspiel beschäftigt sahen, indem er nämlich in glücklicher Vorahnung künftiger großer Ereignisse einige etwas anticipirte Uebungen in der ersten Kindererziehung anstellte. Auf welchem Wege seine Gedanken von diesem reizenden Gegenstande ab- und auf Mamsell Babetten hingelenkt wurden, können wir nicht angeben; genug, daß sich Jacob plötzlich daran erinnerte, wie dies gerade die Stunde sei, wo die Köchin wenig oder nichts zu thun habe und in ihrer Kammer nicht ungern seinen Besuch annehmen würde.

»Topp!« sagte er für sich und schlug mit der geballten rechten Faust in die flache linke, »es bleibt dabei, wozu auch das viele Kreuzen und Laviren, wenn man mit vollen Segeln und gehißter Flagge gerade darauf lossteuern kann? Courage, alter Junge; es ist ja doch zum Teufel nicht viel schlimmer, als Bord an Bord mit einem Dreimaster die vollen Lagen zu wechseln und ihn dann frischweg zu entern. Das hast du probirt, und dabei ist dir das Herz eben nicht in die Hosen gefallen.«

Jacob versetzte seinem blanken Hut einen tüchtigen Puff, so daß er keck auf das linke Ohr zu sitzen kam, steckte beide Fäuste in die tiefen Taschen seiner Schiffsjacke und schritt mit einer Miene, welche eine wagehalsige Kühnheit und unerschütterliche Entschlossenheit ausdrückte, über den Hof der Küche zu. Mamsell Babette war nicht hier, sie mußte also wahrscheinlich in ihrer Kammer sein; diese aber stieß unmittelbar an die Küche. Jacob klopfte an, und auf ihr »Herein« trat er – aber schon mit einer etwas weniger zuversichtlichen Haltung – in das jungfräuliche Gemach. Bald saß er, von Mamsell Babette freundlich dazu eingeladen, in dem mit Leder überzogenen Lehnsessel neben dem schneeweiß gescheuerten Tisch, ihm gegenüber Mamsell Babette mit einer großen Schüssel voll Bohnen auf dem Schooß, die sie mit einem Messer putzte und in dünne Scheiben zerschnitt.

»Labere Kühlte heut,« begannt Jacob verlegen, »südsüdwest – wird sich kaum halten – auch – puh! merkwürdig schwül.«

»Sie glauben doch nicht, Herr Bootsmann, daß es wieder regnen wird,« entgegnete Babette, die sich schon an Jacob's Art und Weise, jedes beliebige Gespräch einzuleiten, gewöhnt hatte, »ach, das wäre Schade, die Comtesse hat sich auf die Reittour doch so sehr gefreut.«

»Fixes kleines Jüngferchen, das Fräulein,« sagte Jacob und blinzelte pfiffig mit dem linken Auge, »und – was das betrifft – meinen Sie nicht auch, Mamsell Babette?«

Mamsell Babette merkte, daß Jacob, seiner Gewohnheit gemäß, einen gewaltigen Gedankensprung gemacht habe.

»O gewiß,« entgegnete sie aufs Gerathewohl, »sie ist so schön, wie sie gut und freundlich ist.«

»Ja, versteht sich, aber – das meinte ich nun gerade nicht«.

»Was denn, Herr Bootsmann?«

»Ja, sehen Sie, Mamsell Babette, darüber hab' ich nun so meine eigenen dummen Gedanken, die ich vielleicht nicht äußern sollte; aber wir, sollt' ich meinen, könnten doch frei von der Leber weg mit einander drüber reden.«

»Gewiß, Herr Bootsmann; Sie wollten also sagen?«

»Na, ich meine nur so – das Fräulein und der Capitain, wissen Sie – ja, was sagen Sie dazu – he? – Nettes Paar, Gott verd – – – –«

»Sie glauben also, daß Ihr Herr – der Herr Capitain, wollt' ich sagen – an so was denkt? –«

»Na, und ob! Sehen Sie, Mamsell Babette« – der gute Jacob begann sehr unruhig auf dem glatten Lederüberzug des Stuhls hin- und herzurutschen – »es ist nicht gut – hol's der Henker – daß der Mensch immer allein ist – puh, verwünscht schwül! – das weiß der Capitain auch, und – Bomben und Granaten! – wir Seeleute wissen's eigentlich besser als Andere.«

Jacob hatte, seiner Meinung nach, einen sehr glücklichen Anfang gemacht; aber er mochte sich doch wohl gestehen, daß das Freien eine Sache sei, mit welcher verglichen ein Seegefecht eine sehr gemüthliche Unterhaltung genannt werden könne. In seiner Angst und Verwirrung ergriff er ein vor ihm auf dem Tisch liegendes Strickzeug und begann es in einer Weise zu zerzausen, die Babette nicht lange ruhig würde ertragen haben, wenn sie Jacob's Absicht nicht schon errathen hätte und in diesem Augenblick gegen so geringfügige Dinge, wie ein Strickzeug, nicht sehr gleichgültig gewesen wäre. Sie seufzte tief und warf dem Seemann als Ermunterung einen vielsagenden Blick zu, fortzufahren.

»Denn, Mamsell Babette,« begann Jacob wieder, »wenn man so ganze Monate lang nichts unter sich hat, als nur die Planken des Schiffs und ein paar hundert Klafter Seewasser, und über sich nichts, als den weiten Himmel, und um sich her nichts, als so braune, bärtige Seehundsgesichter wie z. B. meine Füsonnemie – na, Pulvertonnen und Brandröhren! – da kommen Einem doch manchmal ganz verdammt curiose Gedanken – an – an –«

»Nun woran, lieber Herr Bootsmann?« lispelte Babette mit einem bezaubernden Lächeln.

»Na, Mamsell Babette, an die Heimath mein' ich, und 'ne nette kleine Frau und kleine bausbäckige Kinder und dergleichen, und nebenbei auch an 'nen guten Mittagstisch, auf dem was Besseres steht, als altes gepökeltes Schweinefleisch und harte Schiffszwieback; denn, sehen Sie, Mamsell Babette« – hier zog der Bootsmann in seiner Beklemmung eine Stricknadel aus den halb fertigen Strumpf – »man hat doch am Ende auch 'n Herz im Leibe, so gut wie'n Anderer, und kann nicht immer alle menschlichen Gefühle nur so über Bord werfen, wie 'nen alten, unnützen Plunder« – die Stricknadel flog unter den Tisch – »und da wird's denn auch unser Einem manchmal ganz närrisch zu Muth, und – Millionenhimmeldon – – – na, entschuldigen Sie; ich vergeß' immer, daß Sie das gotteslästerliche Fluchen nicht vertragen können.«

»Ach,« erwiederte Babette, indem sie das hold erröthende Gesicht tiefer über die Bohnenschüssel herabbeugte, »ich hab' mir auch oft gedacht, daß das Leben zur See doch entsetzlich traurig sein müsse.«

»Ne, das ist's nun eigentlich nicht,« sagte Jacob, sich zu einem neuen muthvollen Sturm auf das Herz der Köchin rüstend, »aber, was ich eigentlich habe sagen wollen, wenn man nun von einer langen Reise nach Hause kommt und sich da gerade eben so fremd fühlt, wie auf den Molukken oder am Cap Horn, weil einem kein freundlich Gesicht entgegenblickt, Niemand einem zum Willkomm die Hand reicht und zu einem sagt: Na, freut mich, daß du endlich wieder da bist, alter Schlingel, oder sonst ein zärtlich Wort und weil sich einem keine Thür öffnet, kein eigener Heerd einem – einem – na, sehen Sie, Mamsell Babette,« – hier fiel die zweite Stricknadel klirrend zu Boden – »das hol' der Teu – – –«

»Ach, Sie mögen wohl Recht haben, Herr Bootsmann,« sagte Babette mit einem Seufzer, indem sie die Schnittbohne die sie eben zur Hand genommen hatte, wieder in die Schüssel fallen ließ und einen schmachtenden Blick auf Jacob, dann aber einen ängstlichen auf das Strickzeug richtete, das er jetzt eilig aufzuhaspeln begann, »es ist freilich hart, in der weiten Gotteswelt so allein zu stehen, das fühle auch – –« Babette unterbrach sich und fügte dann mit holder Verwirrung hinzu: »Sind Sie denn nie verheirathet gewesen, lieber Herr Bootsmann?«

»Ne, Mamsell Babette,« entgegnete Jacob und wischte sich mit dem Strumpf, der aber jetzt allem Anderen ähnlicher wer, als einem Strumpf, den Angstschweiß von der Stirn, »aber, mit Ihrer freundlichen Erlaubniß, denk' ich, daß es nun mit dem Heirathen wohl an der Zeit sein möchte, wenn's anders nicht schon zu spät ist; denn – wissen Sie, ja, Sie müssen's mir nicht übel nehmen, aber ich bin nun mal so'n alter wunderlicher Kauz und kenne nicht die vielen Reverenzen und Zierlichkeiten, die wohl eigentlich dazu gehören – also, kurz und gut, Sie – Sie – –«

»Sie wollen sagen, lieber Herr Bootsmann – –?«

»Daß Sie mir ganz verdamm... – ganz merkwürdig gut gefallen, Mamsell Babette; denn was die Schönheit anbelangt und in gereiftes Alter und die Tugendhaftigkeit und – – – die Kochkunst und das Alles – nun, mein Seel, Mamsell Babette, das ist Alles bei Ihnen ganz merkwürdig; und wenn Sie die Courage hätten, es mit so 'nem alten Eisbären zu versuchen – – – na, ich denk', das ist deutlich gesprochen und nun werfen Sie mir das Schlepptau Ihres Herzens zu, oder legen Sie Schiff 'rum und lassen mich treiben; darum können wir ja immer noch gute Freunde bleiben – – und –« Jacob fuhr sich wieder mit der Wolle – es wäre thöricht, noch von einem Strumpf zu reden – über die schweißtriefende Stirn »und – jetzt ist es heraus!«

Babette sah verschämt in die Bohnenschüssel.

»Ich weiß nicht, Herr Bootsmann,« lispelte sie, »ob ich Sie auch recht verstanden habe. Sie meinen?«

»Na, ohne Etekette, auf gut Seemännisch, ob Sie meine Frau werden wollen.«

Babette trocknete die rechte Hand in der Schürze ab und reichte sie mit zu Boden gesenktem Blick dem Seemann, der sie ergriff und in seiner gewaltigen Faust so kräftig drückte, daß die Köchin ein leises »Au« nicht zurückhalten konnte.

»Sehen Sie, Babette,« fuhr er fort, »was ich Ihnen bieten kann, ist freilich kein Reichthum: aber es ist genug für uns beide, und sonst kennen Sie mich ja. Von außen bin ich ein wenig ruppig und zottelig, will's nicht läugnen; aber hier drinnen« – er legte die Hand aufs Herz – »ist, Gott sei Dank, Alles gesund und frisch, und wenn ich auch mitunter ein wenig thranicht werde, da dürfen Sie sich nur gar nicht drum kümmern. Ich poltere 'ne kleine Weile, und dann können Sie mich wieder um 'nen Finger wickeln. Na, schlagen Sie ein?«

»Herr Bootsmann,« entgegnete Babette, ihre thränenfeuchten Augen zu ihm erhebend, »Sie haben mich wirklich mit Ihrem ehrenden Antrage ein wenig überrascht. Daß ich Ihnen nicht abgeneigt bin, müssen Sie schon längst errathen haben; denn – wer vermöchte seine Gefühle gänzlich zu verbergen? Sie sind ja auch ein edler, vortrefflicher Mensch; indeß, wenn ich, ehe ich Ihnen meine Antwort gebe, einige Bedenklichkeiten äußern dürfte – – –«

»Nur immer heraus damit, Mamsell Babette.«

»Sie wissen, daß ich Katholikin bin.«

»Ne, aber was schadet's, ich bin auch kein Heide.«

»Gewiß nicht, lieber Herr Bootsmann, aber wollten Sie mir wohl einige Fragen erlauben?«

»Ei, versteht sich.«

»O, dann sagen Sie mir, ob Sie sich ehe Sie diesen wichtigen Schritt thaten, auch so recht aus ganzer Seele und vollem Herzen mit Ihrem Gott berathen haben.«

Der ehrliche Jacob schien über diese Frage nicht wenig betroffen. Er rutschte unruhig auf dem Lehnsessel hin und her, schielte verlegen nach Babetten hinüber und ließ – mit dem Strickstrumpf war schlechterdings nichts mehr anzustellen – seinen flachen, breitrandigen Hut auf dem Zeigefinger wie einen Kreisel wirbeln, eine Procedur, die er mit großer Geschicklichkeit ausführte aber nur dann, wenn er ungewöhnlich stark in die Enge getrieben wurde.

»Hm,« sagte er endlich, »das ist nun so 'ne Sache, Mamsell Babette – mit meinem Gott? – Hm, müßte lügen, wenn ich geradezu ja sagen wollte.«

»Aber, lieber Herr Bootsmann,« rief Babette und faltete mit frommer Miene die Hände über die Bohnenschüssel, »lieber, guter Herr Bootsmann – – –«

»Nennen Sie mich schlechtweg Jacob, das hör' ich lieber von Ihnen.«

»Nun, lieber Jacob, wir fühlen ja stets im Leben, ja stündlich und bei Allem, was wir unternehmen, das Bedürfniß des göttlichen Beistandes; wie viel mehr müssen wir denn nicht bei einem so ernsten Vorhaben, von dem unsere ganze Zukunft abhängt, in inbrünstigem Gebet den Allbarmherzigen anflehen, daß er uns leite und erleuchte, damit wir die Neigungen unseres Herzens auch recht prüfen, alle unreinen Gelüste darin ertödten und nur das begehren und erstreben mögen, was ihm wohlgefällig ist.«

Jacob sah mit einem komischen Gemisch von guter Laune und Verlegenheit zu Babetten hinüber.

»Nu, nu, Mamsell Babette,« sagte er, »ich sollt' doch meinen, daß der liebe Gott nichts dagegen haben kann, daß Sie meine Frau werden. Wenn Sie nur selbst nichts dagegen haben, können wir's schon drauf wagen; denn – rund heraus – ich denk', der liebe Gott wird sich überhaupt wohl wenig um solche Dinge kümmern.«

»O, lieber, guter Jacob!« rief Babette mit gen Himmel erhabenen Händen, »sprechen Sie doch nicht so, der liebe Gott wird sich nicht darum kümmern, sagen Sie? Ach, was würde aus uns sündhaften Menschen werden, wenn der liebe Gott sich nicht unablässig um uns kümmerte? In den argen Schlingen des Teufels, des Fleisches und der Welt würden wir uns unaufhörlich verstricken, und unsere armen Seelen würden unrettbar der ewigen Verdammniß anheimfallen!«

»Ei, potz Wetter, Mamsell Babette, wenn wir nur immer das Gute thun – – –.«

»Gutes thun?« rief Babette, hingerissen von ihrem frommen Eifer, »ohne den gnadenreichen Beistand Gottes Gutes thun? O, glauben Sie doch nicht, daß wir aus uns selbst das allergeringste Gute zu thun im Stande sind. Seien Sie vielmehr überzeugt, daß wir fort und fort im Argen liegen und die schrecklichsten Sünden begehen, wenn wir nicht stündlich unser banges Herz zu unserm Herrn und Gott, der voll Gnade und Erbarmen ist, im Gebete erheben, ihn anflehend, daß er unsere sündhaften Neigungen zur Tugend lenke. Ach, Jacob, Jacob, bedenken Sie: nur was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt!«

»Hm, hm,« meinte Jacob und sah sich ängstlich nach allen Seiten um, »so 'n eigen Ding das, hab' eigentlich nie so recht drüber nachgedacht.«

»Sagen Sie mir aufrichtig, lieber Jacob,« fuhr Babette fort, »stärken Sie Ihr Gemüth auch recht oft durch das Gebet?«

Dem wahrheitliebenden Jacob mochte diese Frage etwas unbequem sein.

»Hören Sie, Mamsell Babette,« entgegnete er ausweichend, »ich glaub' wohl, daß meine Erziehung, was das anbelangt, ein wenig vernachlässigt ist, und – frei heraus – mit meinem Bischen Christenthum ist's eben auch nicht weit her, wissen Sie. Aber sonst, was das Gewissen betrifft, und die Moralität und die zehn Gebote und das – nu, ohne mich zu rühmen, das ist alles in guter Ordnung, wie sich's gehört.«

»Ach, das ist lauter Eitelkeit und Verblendung, lieber Jacob,« sagte händeringend und unter einem Erguß von frommen Thränen Babette. »O, Jacob, hüten Sie sich vor der Lauheit und geistigen Trägheit, wo man Gott nur so im Aeußerlichen aus Gewohnheit dient. Die Lilie der Unschuld – – –«

»Unschuld?« fragte Jacob erstaunt.

»Die Lilie der Unschuld,« fuhr Babette, die Unterbrechung überhörend fort, »muß beständig durch das Gebet befeuchtet werden, oder sie verdorrt. Nur durch das Gebet können wir armseligen Sünder neu umgeschaffen werden zu ausgezierten Tempeln des heiligen Geistes und zu würdigen Erben des Himmels. Darum bei Allem, was Sie beginnen, sei es groß oder gering, berathen Sie sich mit Ihrem Gott; denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, an seiner Seele aber Schaden litte?«

Jacob stöhnte; der blanke Hut wirbelte auf seinem Zeigefinger mit nie gesehener Schnelligkeit.

»Aber ich will ja gar nicht die ganze Welt gewinnen?« rief der aufs Aeußerste Gebrachte, »ich will ja nur Sie gewinnen, Mamsell Babette, und dabei kann meine Seele doch in gar keine Gefahr kommen, sollt' ich meinen.«

»Wir sind immer in Gefahr, lieber Jacob,« rief Babette, deren Frömmigkeit jetzt den Siedepunkt erreicht hatte, »wir sind immer in Gefahr, wenn wir nicht stets Gott vor Augen haben, das Andenken an die Leiden unseres Erlösers im Herzen tragen und uns stündlich durch das Gebet stärken!«

»Will Ihnen sagen, Mamsell Babette,« entgegnete Jacob, wie es schien fest entschlossen, mochte es biegen oder brechen, diesem Gespräch ein Ende zu machen, »will Ihnen sagen, wie's mit meiner Religion steht.

Wenn ich nur immer nach bestem Gewissen handle, denk' ich, und nur das thue was recht und gut ist, und nichts Böses in mir aufkommen lasse, damit ich, wenn ich einmal den Anker nach der anderen Welt auswerfe, dem großen Steuermann da oben ein richtig geführtes Logbuch vorzeigen kann, so wird's der liebe Gott auch mit meinen kleinen Schwächen so schrecklich genau nicht nehmen, und nach der Lilie der Unschuld wird er nun erst recht nicht fragen. ›Jacob,‹ wird er sagen, ›hab' eigentlich immer nur Gutes von dir gehört, bist gerade kein Heiliger gewesen, aber die finden sich auch selten unter den Matrosen. Im Ganzen aber bist du doch 'ne ehrliche Haut und deinen Dienst hast du immer ordentlich und pünktlich besorgt, wie's 'nen braven Seemann zusteht. Geh' darum nur getrost in den Himmel, brauchst dich eben nicht ganz oben hinzusetzen zu den Erzengeln, aber da unten herum in der Ecke links, findet sich immer ein Platz für dich, alter Junge, und da triffst du auch manchen deiner alten Kameraden.‹ Sehen Sie, Mamsell Babette, das ist nun so mein einfacher Glaube.

Ich hab', wie gesagt, nie viel drüber nachgedacht; aber andere Leute hab' ich doch hin und wieder drüber reden hören, und da ist mir's denn sonnenklar geworden, daß gar Viele in Gott nicht den guten, milden Vater sehen, den wir lieben möchten, sondern den strengen Herrn und Richter, den wir fürchten sollen. Was nun aber das Beten anbelangt, Mamsell Babette, nu, da mein' ich so: wenn der liebe Gott sich wirklich so sehr, wie Sie denken, um all' unser Thun und Treiben kümmert, ei, da wird er schon selbst am besten wissen, was für uns gut ist, und wir, die wir es nicht wissen, sollten uns nicht herausnehmen, es ihm alle Tage vorzuleiern. Wozu denn das viele Beten? Und nun, Mamsell Babette, wie ich denn glaube, daß Gott zunächst nur auf das Herz sieht und mir, weil ich im Herzen nicht sündige, auch einmal einen bescheidenen Platz droben im Himmel einräumen wird, so möcht' ich Sie bitten, auch nicht so gar genau zu sein, und mir 'nen kleinen Platz in Ihrem Herzen einzuräumen – aber, versteht sich – Sie müssen mich nehmen, wie ich bin, mit meinen guten Seiten und auch mit meinen Mängeln; denn anders werd' ich doch nimmer.«

Das war die längste Rede, die Jacob je gehalten hatte. Er mochte selbst nicht wissen, wo er die vielen Worte hergenommen; denn er sah ganz verdutzt aus, als habe er sich auf etwas ganz Ungeheuerlichem ertappt. Dem Hut gab er einen kräftigen Schwung, aber er flog ihm vom Finger, sauste über den Tisch hin und fiel gerade in die Bohnenschüssel, wobei Babette, die, während Jacob sprach, still vor sich hingeweint hatte, laut aufkreischte.

»Na, entschuldigen Sie, Mamsell Babette,« bat Jacob, »der Schluß gehörte eigentlich nicht dazu.«

In diesem Augenblick ertönte die in der Küche hängende Glocke.

Babette stellte die Schüssel auf den Tisch und erhob sich.

»Die Frau Gräfin klingelt,« sagte sie, »ich muß hinausgehen; aber heute Abend, lieber Jacob, können wir, wenn Sie wollen, weiter mit einander reden. Sie sprachen vorhin von Ihrem Lochbuch,« setzte sie zögernd hinzu, »das Buch kenn' ich nicht, aber ich habe hier einige Bücher, fromme Gebete und Legenden, die ich Ihnen gern zum Durchlesen geben möchte. Werfen Sie, bitte, einen Blick da hinein und sagen Sie mir dann heute Abend, ob nicht der Inhalt derselben Ihr Herz wie ein frommer, seliger Andachtsschauer durchbebt hat, und wie erquickender Himmelsthau auf Ihr Gemüth gefallen ist.«

Sie zog eine Schublade des Tisches heraus, nahm daraus eine beträchtliche Anzahl kleiner Schriften und überreichte sie dem erstaunten Jacob.

»O, Jacob!« schluchzte sie und drückte die Schürze vor die Augen, »lieber, guter Jacob, möchten Sie daraus Ihren Heiland doch besser erkennen und lieben lernen, damit Sie – – –«

Sie konnte nicht weiter reden, warf sich ungestüm an die Brust des Seemanns und drückte, ehe er sich's versah, einen brennenden Kuß auf seinen Mund; dann stürzte sie eiligst aus der Kammer.

Jacob stand noch eine gute Weile wie träumend an den Fleck gebannt und sah bald nach der Thür, aus welcher Babette entschwunden war, bald auf das mächtige Paquet Bücher in seiner Hand.

»Hm, hm,« murmelte er in den Bart, »sollt' ich wirklich ein so großer Missethäter sein? Merkwürdig, daß ich das gar nicht gewußt habe. – Bin doch übrigens neugierig, was wohl Alles in den vielen Büchern stehen kann. – Wenn ich nur wüßte, was sie mit der Lilie der Unschuld gemeint hat.«

Er hob seinen Hut auf und schritt seufzend und kopfschüttelnd aus der Kammer der Köchin, um sich in seine eigene zu begeben. Hier angekommen, legte er die Bücher auf den Tisch und hängte seinen Hut an den Nagel. Dann holte er seine kleine, kurze Pfeife und einen enorm großen ledernen Tabacksbeutel herbei, stopfte die Pfeife sehr bedächtig, zündete sie an und setzte sich an den Tisch. Lange blies er die blauen Wolken vor sich hin und betrachtete mit großem Ernst und einer gewissen Scheu die Schriften, bis er sich endlich mit einem tiefen Seufzer entschloß, das ungewohnte Geschäft des Lesens zu beginnen. Er schob das ganze Paquet ein wenig nach links und nahm die zu oberst liegenden zur Hand.

»Die sieben Himmelsriegel,« las er, und dieser Titel schien ihm gewaltig viel zu denken zu geben, denn er kratzte sich hinter dem Ohr und wiegte den Kopf hin und her.

»Die sieben Himmelsriegel,« wiederholte er, »merkwürdig – hab' nie von solchen Riegeln was gehört – müssen ganz curiose Riegel sein – jedenfalls ist's etwas sehr Gelehrtes – will es darum lieber nachher lesen.« Er legte die Himmelsriegel rechts neben sich hin.

»Was ist denn das?« fuhr er fort, »laß sehen: Gebet bei herannahender Krankheitsgefahr und Noth, täglich zu wiederholen. – Hm, mag gut sein, wenn ein Mensch krank ist – kann auch vorläufig bei Seite gelegt werden. Aber dieses: Eine gewisse und wahrhafte Geschichte, die sich in diesem 1798ten Jahr, den 2. März am Sanct Gregori Tag zu Ollmüz in Mähren zugetragen, wo ein klein eingewickeltes Kindlein in der Kirche auf dem Taufstein gefunden worden, und als man es hatte taufen wollen, zu Jedermanns größtem Entsetzen zu reden angefangen.«

Jacob wurde noch nachdenklicher als zuvor, blies einige ungeheure Wolken aus seiner Pfeife und griff nach einem anderen Blatte.

»Lobgesang zu Ehren des glorwürdigen Blutzeugen des heiligen Nepomuk. – Müßt' lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich von dem braven Mann je was gehört hab! Das muß ich doch lesen:

Himmlischer Ehrenschmuck, Johann von Nepomuk,
O schönste Zierde der christlichen Welt,
Neige Dein Vaterohr zu Deiner Kinder Chor,
Nimm unsre Herzen als Opferkerzen – – –

Na, ich denk', das ist schon genug – der liebe, heilige Nepomuk muß schon andere Herzen als das meinige nehmen, wenn er Opferkerzen braucht. Also weiter: Gebetbüchlein zur Verehrung des heiligen Sebastian – kenn' ihn eben so wenig, wie den heiligen Nepomuk.

Schütze gegen alle Feinde
Augsburgs große Stadtgemeinde,
Heiliger Sebastian,
Nimm bei Gott Dich unser an.

Ach, vertreibe böse Seuchen,
Bitte, daß sie von uns weichen;
Fern sei ungesunde Luft
Und des Todes frühe Gruft.

Na, versteh' schon. Da stellen sich wohl die Augsburger vor, daß der heilige Sebastian so 'ne Art Sanitätsrath droben im Himmel ist, ja, ja – aber ich bin kein Augsburger, also weiter:

Die Beschreibung der Erscheinung der heiligsten Mutter Gottes, welche am 12. Mai 1848 nach der Aussage des dreizehnjährigen Hirtenknaben Johann Stichelmaier zu Obermauerbach im Walde zweimal erschienen ist. – Na, was so'n dreizehnjähriger Bengel sagt, soll man doch auch nicht gleich glauben – weg damit. Der Pack wird schon kleiner; wenn ich nicht bald was Anderes finde – aber was haben wir denn hier:

Ursprung, Wirkung und Gebrauch des sogenannten heiligen Quirinöls, welches bei Kloster Tegernsee in Ober-Baiern aus der Erde fließt. – Ja, was nützt mir das? Wenn doch wenigstens eine kleine Flasche davon mit dabei wäre, daß ich sehen könnte, wie das heilige Oel aussieht – heiliges Oel – kommt mir doch recht wunderbar vor – heiliges Oel!« Jacob legte das heilige Oel zu den Himmelsriegeln, dem heiligen Nepomuk und Sebastian und schritt in seiner Untersuchung weiter.

»Heldenmüthiger Liebesakt zu größtem Troste der armen Seelen im Fegfeuer,« las er. »Nützt mir auch nichts,« sagte er kopfschüttelnd, »sind nur die Katholiken, die in's Fegfeuer kommen, so viel ich weiß, müssen selbst zusehen, wie sie wieder herauskommen. Aber hier; das ist etwas, was viel gelesen zu sein scheint:

Die geistliche Hausmagd, oder Betrachtungen der bitteren Leiden Jesu Christi bei den täglichen Hausgeschäften.

Richtig, das wird's sein, was ich lesen soll und was wie himmlischer Thau – nu, wie sagte Mamsell Babette doch gleich – mein Gemüth anfeuchten – ne, so war's wohl nicht. – Na, laß sehen:

Wenn ich oft das Haus auskehr'
Denke ich, ich seh' und hör',
Wie mein Heiland rauh und hart
Hin- und hergezogen ward.

Ja, wie kann man denn das denken – hm, sonderbar:

Wenn ich bei dem Feuer bin,
Kommt mir die Begierd' im Sinn:
O daß doch mein Sinn und Herz
Brennete in Liebesschmerz.

Wenn ich Holz zur Küche trag'
Denke ich zugleich und sag':
Jesus Christus sei mit mir,
Daß ich trag' das Kreuz mit Dir.«

Jacob schüttelte gar bedenklich den Kopf und legte die Pfeife, die ihm beim Lesen ausgegangen war, bei Seite; dann fuhr er fort:

Wenn ich aber Wasser trag',
Denke ich bei mir und sag':
Jesus von der Judenschaar
Durch den Bach gezogen war.

Setz' ich auf den Tisch die Speis',
Denke ich auf gleiche Weis':
Mit den Jüngern hat zuletzt
Jesus sich zu Tisch gesetzt.

Wenn ich wasche das Geschirr,
Bitt' ich Gott, daß er in mir
Alle Sünden wasche ab,
Welche ich begangen hab'.

Ja, das geht noch lange so fort,« sagte Jacob stöhnend, »aber ich denk', ich hab' genug von der Sorte. O weh! o weh! Das würd' 'nen traurigen Ehstand geben, wenn das so alle sieben Tage in der Woche und des Sonntags noch ein wenig extra, von Morgen bis Abend, in der Manier beibliebe. Wenn ich da sagte: Babette, lange mir mal den Tabacksbeutel her, oder: Babette, möcht' wohl ein Glas Grog trinken, oder: Babette, näh' mir doch den Knopf fest, und die Babette käm' nicht von der Stelle, und ich fragte dann: Babette warum wird's denn gar nicht? Und sie sagte: O du sündhafter Mensch, ich denk' an die Leiden Jesu und was sich daraus auf den Tabacksbeutel, auf das Glas Grog und auf den Hosenknopf beziehen ließe, damit ich in Andacht und Gottergebenheit verrichten möge, was Du begehrst – ei, Himmelschockschwere – – – na, ruhig, Jacob, noch ist's ja nicht zu spät, kannst dich wieder aus der Schlinge ziehen, Dummkopf, der du gewesen bist! – Ne, ne, da nehm' ich lieber eine, die'n wenig minder fromm thut und fröhlich und munter ihr Tagwerk besorgt und dabei ein lustiges Lied trällert.

Muß auch dem lieben Gott besser gefallen, glaub ich immer, mag Mamsell Babette sagen, was sie will. – Hu!« Jacob schüttelte sich und machte eine Grimasse, als habe er einen Löffel bittere Mixtur verschluckt – »da wär' ich nett angekommen! Mich mit so 'ner alten duckmäuserigen Betschwester zusammenzuspließen, die mir alle Tage meine schrecklichen Sünden vorhält, mag ich welche begangen haben oder nicht, und die keinen Besen anrühren und dem Canarienvogel kein Futter geben kann, ohne erst – – – na, prosit die Mahlzeit! – Und was die übrigen Bücher anbelangt – was ist denn das? Kurze und leichtfaßliche Lehre von dem heiligen Sacramente der Ehe! – Oho, Mamsell Babette, merk schon warum du das mit dazu gelegt hast, aber so weit sind wir noch nicht – deine Lilie der Unschuld – behalt' sie!«

Jacob legte schnell alle Bücher, Hefte und losen Blätter auf einen Haufen, stopfte seine Pfeife von Neuem und griff nach seinem blanken Hut; denn es war ihm zu enge geworden in dem kleinen Zimmer, und er fühlte das Bedürfniß, unten am See, wie er sich in seinem Selbstgespräche ausdrückte, ein Maul voll frische Luft einzuathmen und seine in Unordnung gerathenen Gefühle wieder zurecht zu stauen.

Wir wollen nicht versuchen, die von der gewöhnlichen etwas abweichende Art und Weise zu schildern, in welcher sich der ehrliche Bootsmann bestrebte, sein inneres Gleichgewicht wieder herzustellen. Wir begnügen uns, dem Leser die tröstliche Versicherung zu geben, daß es ihm endlich gelang, nachdem er, auf dem Kiele eines der Boote reitend, einige Stunden hindurch sein aufgeregtes Gemüth durch eine beträchtliche Anzahl von kräftigen Kernflüchen erleichtert hatte, zwischen welchen sich, wie wir leider gestehen müssen – manche Anzüglichkeiten gegen den heiligen Sebastian und den heiligen Nepomuk mischten, sowie auch einige Ausfälle gegen das heilige Quirinöl und den Hirtenknaben Johann Stichelmaier und – was das schlimmste ist – arge Schmähreden gegen die geistliche Hausmagd – lauter Extravaganzen, die wir aufrichtig bedauern, bezüglich deren wir jedoch zu hoffen wagen, daß sie ihm dereinst den Platz im Himmel in der Matrosenecke links nicht kosten werden, auf den er so sicher rechnet.

Gegen Abend, zu einer Stunde, da er sicher war, die Köchin allein in ihrem Zimmer zu treffen, schritt Jacob, mit einer nicht weniger entschlossenen Miene als am Morgen und mit sämmtlichen Büchern unter dem Arm, abermals über den Hofplatz der Küche zu.

Von Babetten wurde er in einer Weise empfangen, die seinen Entschluß hätte wanken machen müssen, wenn er nicht felsenfest gewesen wäre. Kaum war er nämlich über ihre Schwelle getreten, als sie sich erhob und hold erröthend mit dem Ausruf: »mein geliebter Jacob!« an seine Brust sank:

Der Bootsmann suchte sich der schönen Bürde mit möglichst guter Manier zu entledigen und nahm seinen gewöhnlichen Platz im Lehnsessel wieder ein, indem er zugleich auf den Stuhl auf der andern Seite des Tisches zeigte, auf welchem sich denn auch Babette niederließ.

Er fühlte seinen Muth mächtig gehoben; als er ein solides Bollwerk zwischen sich und der Dame sah, und begann; nachdem er die Bücher auf den Tisch gelegt hatte, mit ziemlich fester Stimme:

»Hier, Mamsell Babette, bring' ich Ihnen Ihre Bücher wieder, und ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich sie nicht brauchen kann.«

»Sie können sie nicht brauchen; lieber Jacob?« stammelte Babette, sichtlich beunruhigt durch den nichts weniger als zärtlichen Ton, in welchem er gesprochen hatte:

»Ne, Mamsell Babette, nicht brauchen: Und was den himmlischen Thau anbelangt, der daraus tröpfeln sollte – muß Ihnen ehrlich bekennen; daß ich davon nichts gespürt habe. Aber nun gar die geistliche Hausmagd – –« Jacob hielt inne, es war ihm zu Muthe, als stecke ihm irgend etwas von der Größe einer Wallnuß im Halse, was ihm das Sprechen merklich erschwerte.

»Nun, mein theurer Jacob,« lispelte Babette, in deren Seele finstere Ahnungen auftauchen mochten, »die geistliche Hausmagd – – –?«

»Die kann ich erst recht nicht brauchen!« platzte Jacob heraus.

»Lieber Jacob,« sagte Babette in dem weichsten nachgiebigsten Tone, der ihr zu Gebote stand, denn es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, ihrem Glaubenseifer die gehofften Süßigkeiten des Ehestandes zum Opfer zu bringen; »sprechen wir nicht mehr von diesen Dingen. Mein Gott, jeder hat ja seine Ueberzeugung und über religiöse Anschauungen soll man nicht streiten.«

»Ja, das meinte ich heute Morgen auch; aber Sie waren anderer Ansicht.«

»O gewiß nicht, Herr Bootsmann.«

»Ja doch, Mamsell Babette. Und, rund heraus, Sie haben Zeit zur Ueberlegung gewünscht und mir Zeit zur Ueberlegung gegeben – und dafür danke ich Ihnen – denn – – –«

»Wie? Verstehe ich recht?« rief Babette, blaß vor Entsetzen. »Sie heben unsere Verlobung auf?«

»O nein das nicht; denn so weit waren wir noch nicht, Mamsell Babette.«

»Nicht?« schrie Babette, indem sie von ihrem Stuhl in die Höhe fuhr, beide Hände auf den Tisch stemmte, und über diesen weit vorgebeugt dem Bootsmann zornfunkelnde Blicke zuwarf. »Also so weit waren wir noch nicht, nachdem Sie mir, so lange Sie hier sind, in der auffallendsten Weise den Hof gemacht haben, so daß Aller Augen sich auf mich richteten, in allen Ecken und Winkeln über mich gezischelt und getischelt und mein guter Ruf compromittirt wurde? Also so weit waren wir nicht, nachdem Sie längst Ihre Absichten und Wünsche offen dargelegt und ich leichtgläubige Thörin Ihnen mit vollem, liebenden Herzen entgegenkam und der Stimme in meinem Innern nur zu willig Gehör gab, während ich die Rücksicht vergaß, die ich meiner weiblichen Würde schuldig war?« Babette brach in ein convulsivisches Schluchzen aus. »So weit waren wir noch nicht,« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »so weit waren wir noch nicht, nachdem Sie mir endlich heute Morgen einen förmlichen Heirathsantrag machten? – Und das sagen Sie mir nur – – – weil ich, Gott und meinen Heiland vor Augen habend, Ihnen – o Sie, Sie – – – ach – mein Herz! ich kann nicht mehr!«

Babette sank auf ihren Stuhl zurück, schloß die Augen und ließ die Arme schlaff herunterfallen. Sie war in Ohnmacht gesunken. Das begriff auch unser Jacob, nachdem er sie eine kleine Weile, regungslos vor Erstaunen und Schrecken, betrachtet hatte. Zwar hatte er oft gehört, daß die Ohnmacht bei den Weibsleuten eben nicht selten ist, und daß die Männer gerade keine Ursache haben, sich deshalb übermäßig zu ängstigen; aber seine Begriffe von diesem seltsamen Symptome waren doch höchst verworren, und er empfand eine Beklemmung, eine Todesangst, die kaum größer hätte sein können, wenn er an der Köchin einen Mord begangen hätte. Daß hier schnelle Hülfe geleistet werden müsse, war ihm unzweifelhaft, aber wie? Die Leute aus der Küche herbeirufen, ging doch nicht; denn das wäre ja so viel gewesen, als sie in das eben zwischen Babetten und ihm Vorgefallene einzuweihen. Also er selbst mußte den Helfer machen; o wie inbrünstig wünschte er sich nicht etliche tausend Meilen von hier weg, irgend wohin. Auf dem offenen Meere, nur möglichst weit von dem festen Lande, in noch nie beschiffte Gegenden des atlantischen oder stillen Oceans! Etwas wie das Besprengen mit Wasser, Reiben der Schläfe mit Essig, Aufschnüren des Mieders schwebte undeutlich seiner geängstigten Seele vor, und er entschloß sich heldenmüthig, ohne weiteres Zaudern Hand an das Werk zu legen.

Mittelst seines Taschenmessers waren gewisse Bänder, Schnüre und Häkchen schnell beseitigt und der eingeengten Brust Babettens mehr Luft gemacht, als gerade nöthig gewesen wäre; denn ihre Toilette gerieth wirklich in eine Unordnung, welche die Verwirrung des ehrlichen Jacob nicht wenig vermehrte. Er sah sich nun nach Wasser um, und glücklicherweise fand er eine damit gefüllte Caraffe und ein Glas auf einem Nebentisch. Das Besprengen begann, es blieb aber ohne alle Wirkung, Jacob's Verzweiflung wuchs.

»Es gehört wohl ein Bischen mehr dazu,« murmelte er in seiner Herzensangst und spritzte mit einem Eifer, der bei Löschung einer Feuersbrunst sehr lobenswerth gewesen wäre – Alles umsonst.

»Das Wasser thut's nicht,« jammerte der unglückliche Jacob, »muß es mit dem Essig versuchen; weiß schon, wo ich solchen finde,« Und er lief zu einem großen Schrank in der Ecke, aus welchem er die Köchin oft Gewürze und Eingemachtes hatte nehmen sehen. Der Schlüssel steckte im Schloß, im Nu war der Schrank geöffnet. Aber es war schon ziemlich dunkel geworden, die Aufschriften der verschiedenen Töpfe, Kruken und Flaschen konnte er nicht mehr lesen und mußte sich somit auf seinen Geruchssinn verlassen. Bald hatte er auch eine große Kruke gefunden, deren Inhalt hinlänglich sauer roch, um für Essig zu gelten. Er riß die Blase ab, die sie schloß, und begann nun erst mit großer Behutsamkeit die Stirn und die Schläfe der Ohnmächtigen mit dem in den Essig getauchten Finger zu reiben, dann als auch dies nicht half, ließ er einige Tropfen auf den Kopf und den Busen Babettens fallen; jedoch vergeblich, sie war und blieb ohnmächtig. Dem guten Jacob schwindelte es, Alles begann vor seinen Augen zu tanzen und sich im Kreise zu drehen, er selbst fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

»Jesus!« jammerte er, »sollte sie todt sein?«

Dieser schreckliche Gedanke flößte ihm plötzlich eine Entschlossenheit ein, die zum Aeußersten fähig war.

»Hier gilt's kräftige Mittel anwenden,« stöhnte er, »mehr Essig!«

Und er hob die Kruke über den Kopf der Ohnmächtigen, um reichlichere Tropfen auf ihren Scheitel fallen zu lassen – doch – mochte seine Hand zu sehr zittern, so daß er die rechte Neigung der Kruke nicht innehielt, oder mochte es an dem eigenthümlich zusammengesetzten Inhalt derselben liegen, der sich jetzt Bahn brach – genug, dieser entlud sich plötzlich und – o Entsetzen! – nicht Essig allein war es, was wie eine Sündfluth über Babettens Kopf, Hals und ihre ganze Person in ihren halbgeöffneten Mund und ihren noch mehr geöffneten Busen herabströmte, nein, eine ungeheure Masse von Mixpickles war es, kleine Gurken, Zwiebeln, Bohnen Blumenkohl, Pfefferkörner und wie sie alle heißen, die mannigfaltigen Ingredienzien dieser angenehmen Zuspeise.

Die Wirkung war eine eben so erstaunliche als schnelle, Babette fuhr mit der Heftigkeit und dem überraschenden Effect einer Brandrakete in die Höhe.

»Unmensch!« schrie sie, schnaubend vor Wuth und Entrüstung, und sprang im Zimmer umher wie eine Besessene. Sie hustete, keuchte, spuckte aus, rieb sich die Augen, die Nase, nieste und schüttelte ab, was nur immer von dem eingemachten Gemüse und Gewürz sich abschütteln ließ. »Ungeheuer!« fuhr sie fort, sobald sie einigermaßen zu Athem gekommen war, »also morden wollen Sie mich? Ja, ich glaube wohl, daß es Sie wenig kümmern würde, mich todt zu Ihren Füßen zu sehen! O Sie grundschlechter Mensch, der Sie von Gott und der Religion nichts wissen und leichtgläubige Frauenzimmer bethören mit Ihren glatten Reden und falschen Vorspiegelungen! O ich sehe nun wohl, was die Herren Seeleute für Heuchler und Verführer sind, der eine so gut wie der andere. Ja, ja, mein Herr Bootsmann, Sie machen große Augen; aber ich sag' es Ihnen frei heraus, Sie und Ihr Herr Capitain sind zwei Ellen von einem Stück – ein nettes Paar wahrhaftig! Denn daß Sie's nur wissen, da oben gehen auch saubere Geschichten vor, und ich bin nicht die Einzige, die bethört und hintergangen worden ist. Aus meinen Augen Sie – Sie – – –«

Babette hatte sich während dieser Exclamation dem betroffenen Jacob mehr und mehr genähert. Sie stand jetzt dicht vor ihm und focht mit ihren Händen so wüthend vor seinem Gesichte herum, daß er um seine Augen ernstlich besorgt wurde. Instinctmäßig hielt er ihr die Mixpickleskruke entgegen und da sie fürchten mochte, daß diese noch nicht völlig leer sei, und sich der Gefahr einer zweiten Bescherung nicht aussetzen wollte, wich sie einige Schritte zurück. Jacob wußte nun wie er sich den Rückzug decken könne, und mit weit vorgehaltener Kruke gewann er glücklich die Thür. Mit einem Satze war er aus dem Zimmer, schlug die Thür heftig hinter sich in's Schloß und drehte zur größeren Sicherheit noch den Schlüssel zweimal um. So endete die Brautwerbung des braven Bootsmanns. Er war um einige Erfahrungen und eine leere Mixpickleskruke reicher, aber um eine schöne Hoffnung ärmer geworden.



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