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Elftes Kapitel

Katoyas Warnung

Eines Morgens in aller Frühe – etwa ein Monat mochte seit Thunderboys Ankunft verstrichen sein – gerade als die ersten Streifen der Morgenröte den Osten zu färben begannen, stand eine regungslose Gestalt gegen den Stapel von Zaunstempeln gelehnt, die neben einem Ahorn am anderen Ende der Lichtung aufgeschichtet waren. Von diesem Punkte aus konnte man Kennedys Blockhütte voll überblicken. Doch obwohl die wachsamen Augen nie länger als ein, zwei Sekunden das Kennedysche Haus oder dessen unmittelbare Umgebung aus ihrem Blickfeld ließen, blieb das, was sie suchten, unsichtbar. Das Zwielicht bleichte, die Siedelung begann sich zu rühren, da verschwand die Gestalt lautlos im Walde und zerschmolz mit den Schatten der schwindenden Nacht; und wiewohl die aufgehende Sonne die Lichtung so stark erhellte, daß auch die unbedeutendsten Gegenstände sich klar von dem strahlenden Hintergrund abhoben, hinterließ der Besuch keine andere Spur als eine undeutliche Fährte im Morgentau. Aber in dem düsteren Schatten einer großen Schierlingstanne nordwestlich der Siedelung lauerte ein Paar Augen, und obgleich das Dorf es nicht wußte, wurde es scharf beobachtet.

Als Kennedy am Nachmittage des gleichen Tages vom Schlagen weiterer Einfriedungsstempel aus dem Walde heimkehrte, merkte er plötzlich, daß ein Mensch sich in gleicher Richtung mit ihm fortbewegte. So trübe war das Licht hier in dem Waldesdunkel, daß er die Gestalt anfänglich nicht klar zu unterscheiden vermochte, und erst, als ihrer beider Wege sich kreuzten, erkannte er Katoya. Rascher Zorn packte ihn. Sie hatte ihm versprochen, sich der Siedelung nicht wieder zu nahen, und gerade jetzt, da er sich beglückwünschte, sie endgültig abgeschüttelt zu haben, war sie so unerwartet wie das erstemal wieder aufgetaucht. Als daher der Pfad, den sie verfolgte, mit der Holzschleife zusammenstieß, fragte er sie grob, was ihr eigentlich einfiele, so mir nichts dir nichts ihr Wort zu brechen.

»Ein kleiner Grund ist vorhanden,« entgegnete Katoya mit fester Stimme, ihm einen ihrer durchdringenden Blicke zuwerfend, »die ›Schlangen‹ befinden sich auf dem Kriegspfade. Ihre Tomahawks werden bei den Bleichgesichtern sein, noch ehe der Mond zu Ende geht.«

»Du mit deinen ›Schlangen‹ und deinen Tomahawks!« entgegnete Kennedy höhnisch. »Du sagtest auch das vorige Mal, daß sie kommen würden. Noch sind sie nicht erschienen!«

»Nein?« versetzte Katoya mit unerschütterlicher Ruhe. »Warte nur ab. Das letztemal kam mein Volk dran. Wir waren zahlreich. Jetzt sind wir nicht mehr zahlreich. Mein Volk ist vor ihnen nach dem Süden geflohen. Ich kenne seine Fährte nicht.«

»Sehr erfreulich!« erwiderte Kennedy. »Gut, daß wir sie los sind. Viel zu viele Rothäute hier. Zu wenig Weiße, verstanden?«

»Wenn die ›Schlangen‹ kommen, dann noch weniger Bleichgesichter!« widersprach Katoya mit vielsagender Betonung. »Mein Volk ist jetzt nicht hier, um getötet zu werden. Statt dessen werden die Bleichgesichter hier sein. Die ›Schlangen‹ wollen viele Skalpe sammeln.«

»Dann mögen sie sich die Skalpe ihrer Brüder holen. Da sind noch eine Menge guter Skalpe zu haben. Ich rate ihnen, uns mit ihren Tomahawks vom Leibe zu bleiben, sonst werden wir ihnen eine tüchtige Lehre geben.«

»Wenn die ›Schlangen‹ erfahren, daß ich die Bleichgesichter warne, dann sie mich töten,« bemerkte Katoya ernst.

Die Worte: »Was Besseres könnten sie gar nicht tun,« schwebten Kennedy bereits auf der Zunge, aber er sprach sie nicht aus, weshalb wußte er selbst nicht recht. Das eine war klar: ihn hemmte kein Wunsch, höflich zu sein; Höflichkeit gegenüber einer Rothaut ging über Kennedys Horizont. Ebensogut hätte man an eine Klapperschlange oder an einen Grizzlybären gute Manieren verschwenden können. Und doch – irgend etwas an Katoya nötigte ihm, wenn auch gegen seinen Willen, Respekt ab. Die alte Indianerin umgab eine zwingende Atmosphäre der Würde, als ströme in ihren Adern – den Adern dieser Tochter der Einöden und wüsten Gewässer – das wilde Blut einer ununterbrochenen Reihe ehemaliger Waldkönige.

»Jetzt hast du mich gewarnt und kannst wieder nach Hause gehen!« sagte Kennedy und deutete auf den Weg, den sie gekommen war.

Ohne zu antworten, blickte ihm das Weib fest in die Augen. Einerlei, welche Richtung es ihr zu wählen beliebte, sie hatte nicht die Absicht, sich in einen Wortwechsel mit diesem Bleichgesicht einzulassen – mit diesem Eindringling in die Länder ihrer Väter, darin ihr Volk seit hunderttausend Monden seine Wigwams aufgeschlagen hatte.

Ihr Blick reizte Kennedy. Er verriet allzu unverhüllt die grenzenlose, stumme Verachtung, die dieses alte Indianerweib für ihn und seine Befehle hegte.

»Zurück!« wiederholte er mit seiner harten, rauhen Stimme. »Mach', daß du zurückkehrst, wo du hergekommen bist! Und wage beileibe nicht, noch einmal deine Fratze hier zu zeigen!«

Katoyas fester Blick wich nicht eine Sekunde von seinem Antlitz, ohne daß sie auch nur ein Augenlid rührte. Aber auf ihrem Gesicht sammelte sich ein Ausdruck, der an eine Gewitterwolke gemahnte, in deren Schoße die Blitze ruhen. Wider seinen Willen wurde Kennedy unter diesem düster drohenden Blick unruhig. Wie bei ihrer ersten Unterredung erkannte er in diesem uralten Weibe die Gegenwart einer geheimnisvollen Macht, die sich seiner Kenntnis entzog.

Sie befanden sich noch außer Sichtweite der Niederlassung. Das Licht nahm ab, und rings im Kreise dehnten sich auf zahllose Meilen die unabsehbaren Reihen der finsteren nördlichen Wälder. Kennedy war weder ein ängstlicher Mensch, noch mit Phantasie begabt, doch in jenen einsamen Urwäldern werden alle, die bis in ihr Herz hineindringen, zu jeder Zeit und ohne vorherige Warnung oder sichtbare Ursache von Heimsuchungen befallen, welche auch den kühnsten Geist einschüchtern. Kennedy machte im Augenblick eine dieser Erfahrungen durch, und jenes beängstigende Gefühl ging ohne jede Frage von dieser Indianerin aus, die ihn mit ihren zwingenden Augen so fest anstarrte. Sie waren allein. Die Dunkelheit nahm mit jedem Augenblicke zu. Fast schien es, als befände sich die Alte mit unsichtbaren Dingen, die hinter den Bäumen lauerten, in einem Bündnis. Kennedy erkannte klar, daß sie nicht die leiseste Absicht hatte, sich vom Flecke zu rühren, bis es ihr so gefiele. Nur mit schierer Gewalt würde er sie von hier vertreiben können, und Gewalt anzuwenden wagte er doch nicht – trotz seiner angeborenen Roheit. Statt dessen machte er mit einem Fluche kehrt und ließ sie stehen.

Im Gehen dachte er nach. Wenn das, was das Weib gesagt hatte, nun wirklich auf Wahrheit beruhte? Befanden sich die ›Schlangen‹ allen Ernstes auf dem Kriegspfad, so konnte das den Anfang einer allgemeinen indianischen Revolte bedeuten. In jenen Tagen waren die Grenzen zwischen den Siedelungen der Weißen und dem Gebiet der Rothäute nur undeutlich und in schwankenden Umrissen längs einer urzeitlichen Wüstenei gezogen, wo die Geographie als angewandte Wissenschaft zum großen Teil eine Frage schwach ausgetretener Wanderwege war. Die Wolfsflußniederlassung, die Thunderboys Vater vor fünfzehn Jahren mitbegründet hatte, galt immer noch als ein vorgeschobener Posten und war von den Siedelungen im Osten durch einen breiten Urwaldgürtel getrennt. Ihre Lage im Verhältnis zu den östlichen Niederlassungen der Weißen glich der einer entlegenen Insel an der Küste irgendeines Festlandes. Rings umspülten sie die Fluten der Wildnis in fürchterlichem Schweigen, das die leise murmelnden Gerüchte über den Lagerfeuern mitunter zu ersticken drohte. All diese Tatsachen waren Kennedy genau bekannt, aber ein fünfzehnjähriges Grenzerleben hatte seinen Willen gestrafft und seine Menschlichkeit getötet. Nur wenn die Kunde umging, daß die Woge sich zu einer Hochflut zusammenballte, welche die kleine Handvoll weißer Ansiedler auf immer unter sich zu begraben drohte, regte sich die unheimliche Furcht in Kennedy und trieb ihn dazu, jede einzelne Rothaut zwischen Alaska und Panama zu verfluchen.

Wußte die Indianerin wirklich Bescheid? Das war die Frage, die er auf dem Heimwege in seinem Hirne wälzte. Anfänglich hatte er den Eindruck gehabt, die Warnung habe ihr lediglich als Vorwand gedient, um Nachrichten über ihren Enkel einzuholen. Allerdings war es dann merkwürdig, daß sie sich nicht nach ihm erkundigt hatte. Je länger er nachdachte, um so unerklärlicher schien ihm das Ganze, es sei denn, daß die Indianerin damit auf ihre schlaue Weise einen tiefgründigen Plan verfolgte, um den Knaben wieder in ihre Hände zu bekommen. Zwar hatte er Thunderboy zuerst nicht aufnehmen wollen, als sie ihn brachte; jetzt aber, da er ihn in seiner Macht hatte und ihn ausnutzen konnte, würde er ihn nur ungern wieder ziehen lassen. Seinen Neffen in seiner Gewalt zu haben, behagte ihm durchaus, denn er erhielt dadurch Gelegenheit, seiner Eifersucht auf seinen Bruder und seinem Haß gegen die Indianer im allgemeinen die Zügel schießen zu lassen, indem er diesen Mischling unterdrückte und ihn des weißen Mannes Joch schwer fühlen ließ. Das Ergebnis seiner Grübeleien war der Entschluß, den Jungen und dessen Tun scharf im Auge zu behalten und seine Freiheit nach Möglichkeit einzuschränken.

Katoya ihrerseits blickte Kennedy verächtlich nach, bis er ihren Blicken entschwand und blieb auch dann noch geraume Zeit, tief in Gedanken versunken, auf dem Platze stehen, an dem sie sich getrennt hatten. Sie hatte ihre Botschaft getreulich ausgerichtet und ihr Leben dabei aufs Spiel gesetzt, falls ihre Handlung ihren Feinden wirklich zu Ohren käme, und ihr einziger Dank war eine Beleidigung gewesen. Wenn jetzt die Bleichgesichter ihre Warnungen in den Wind schlugen und sich überrumpeln ließen, so kam ihr Blut auf ihr eigenes Haupt. Dennoch wußte sie: nie würde sie es ihnen verzeihen, falls ihr Enkel infolge ihrer Torheit Schaden nähme. Doch vielleicht würden die ›Schlangen‹ wirklich nicht angreifen? In jedem Falle war der Junge dort, wo er jetzt war, besser aufgehoben als anderswo. Sie aber wollte ihre Augen offen halten und jedes Anzeichen drohender Gefahr, das ihr aus geheimen Quellen zufloß, beherzigen; ob nun der weiße Mann sich rüstete oder der rote Mann Unheil schmiedete, sie würde wachen.


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