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Erstes Kapitel

Die Welt der Zuckerkiste

Das Holz knisterte und erzeugte gedämpfte Geräusche im Ofen, als hätte es irgend etwas zu erzählen. Und wenn diese Geräusche für die Ohren der erwachsenen Hinterwäldlerleute auch unverständlich waren, das Kind lallte Antwort in einer ebenso unverständlichen Sprache. Es wußte nicht, daß rings in einem Umkreis von tausend Meilen die unabsehbaren Heere der Wälder standen. Es ahnte auch nicht, daß dort draußen, jenseits des magischen Rings des Feuers und der Stimmen, das stumme Grauen der Kälte lauerte, wußte nicht, daß innerhalb eines so engen Raumes die Seele der gigantischen Holzwelt in würzigem Geschwätz und in allen möglichen anheimelnden Geräuschen ihm zischend entgegensprudelte. Alles, was es wußte, war, daß hier in der leeren Zuckerkiste mit ihrem Futter aus Opossumfell eine wohlige Wärme herrschte und daß, während die Wärme in dem Ofen sich in einer Stimme äußerte, die Wärme in der Zuckerkiste sich einen Geruch erschuf.

Die Welt der Zuckerkiste hatte drei hohe und eine niedrige Wand und war ganz aus Fichtenhölzern gebaut. Die Hitze, verbunden mit dem Duft von Harz und dem Duft des Opossumfells, erzeugte einen feinen, stechenden Geruch, welcher Thunderboy Thunderboy – Der Sohn des Donners in der Nase kitzelte. Und seine Nase – wohlgemerkt – spielte bei seiner Wahrnehmung der Außenwelt eine mindestens ebenso große Rolle wie seine Augen und sein Mund, denn seine Sinne waren noch nicht auf jene unbequeme Weise, die das Erwachsensein mit sich bringt, voneinander geschieden. Also lebte er in glücklicher Unwissenheit, ob er die Wärme röche, oder ob der Geruch ihn erwärme. Und was seinen kleinen dicken Körper betraf, so war das ja auch ganz gleichgültig. Wie immer die Dinge liegen mochten, hier unten in der Zuckerkiste führte er ein behagliches, gesichertes Dasein, und abgesehen von den Exkursionen, die er nach der Wärme- und Nahrungsquelle unternahm, in der er seine Mutter erkannte, waren seine Erfahrungen noch sehr begrenzt. Also kuschelte sich der kleine, dunkeläugige Thunderboy in die Geborgenheit seines Fichten- und Opossumdaseins und schuf sich seine Welt.

Draußen in der bitteren Kälte suchte sich jedes einzelne Lebewesen, so gut es konnte und auf seine besondere Art, einen Unterschlupf. Da Ofen und Zuckerkisten dort unbekannte Dinge waren, bedienten sich die tierischen Bewohner aller möglichen Notbehelfe, um warm zu bleiben. Das Schneehuhn, zum Beispiel, ließ so lange sein Kiwitt-Kiwitt ertönen, bis es sich Mut eingeredet hatte, als sage es wieder und wieder zu sich selbst: »Ich muß, ich muß, ich muß!« Dann war es plötzlich von seinem Aste heruntergeflogen und kopfüber im Pulverschnee untergetaucht, hatte sich ein wenig zur Seite durchgearbeitet und sich unter den herabhängenden Zweigen der Balsamtanne eine kleine Schlafstube bereitet, wo es prompt einnickte. Jedes einzelne Geschöpf, ob in Pelz- oder Federkleid, löste das Problem, so gut sein Verstand es ihm eingab, um Leib und Leben beisammenzuhalten, während überall in der Runde, über zahllose Meilen eiserstarrter Wüste, das arktische Grauen gefror.

Aber von jenem eisigen Dunkel der furchtbaren Außenwelt drang nur sehr wenig hinein in das Zauberreich der Zuckerkiste. Wohl wuchs die Kälte und machte sich desto stärker fühlbar, je weiter man sich von dem Ofen entfernte. Aber selbst in den entlegensten Winkeln des Zimmers war diese Kälte milde, verglichen mit der ungeheuren Vereistheit der Welt dort draußen, wo selbst der Elch in seinem zottigen Überrock verlernt hatte, warm zu werden.

Die Glut strömte als rotgoldenes Licht aus dem Ofen in die Zuckerkiste. So weit Thunderboy das ergründen konnte, gehorchte der Schein irgendeinem geheimen Gesetz in Verbindung mit seiner Mutter. Sobald diese die Tür an der Seitenwand des Ofens öffnete, verstärkte sich die Glut. Wenn seine Mutter aber dicke Scheite Holz in den Ofen steckte und die Tür wieder schloß, dann verblaßte das rote Licht zu einem matten Dämmer. Dafür wurde alsbald das Gespräch im Innern des Ofens lebendig; kleine hitzige Stimmen, die viele Winter lang in dem Holze geschlafen hatten, knisterten und zischten und stießen Bemerkungen hervor, ohne je eine Antwort abzuwarten; Thunderboy fand diese Unterhaltung einfach prachtvoll. Er packte die Vorderwand der Zuckerkiste mit seinen dicken braunen Händchen und wackelte mit seinem ebenfalls recht dicken kleinen Hinterteil in einer Art Indianertanz auf und ab. Und während dieses Auf- und Niedertanzens krähte und gluckste er voller Entzücken als Antwort auf die harzigen Stimmen, die so lustig in der duftigen Sprache der Wälder, welche die Erwachsenen längst verlernt hatten, mit ihm schwatzten. Dämpften sich die Stimmen endlich zu einer leiseren, klagenderen Tonart, während die Glut sich verstärkte, so war es ein großartiger Zeitvertreib, der Dämmerung bei ihrem Spaziergang über die Kiefernwände der Hütte zuzuschauen.

Dieses Schauspiel, sollte man meinen, würde bis in alle Ewigkeit währen, vorausgesetzt, daß der Holzvorrat sich nicht erschöpfte, obwohl noch ein halbes Klafter hinter der Türe aufgestapelt lag. Doch die ganze Zeit über, während das indianische Weib das Feuer versorgte, ging irgend etwas in ihrem Kopfe vor. Solange sie nur seine Ernährung nicht vernachlässigte und das Feuer nicht niederbrennen ließ, hatte Thunderboy gegen das, was in seiner Mutter Kopfe vorging, nichts einzuwenden. Also gluckste er nur wohlwollend Beifall, etwa auf die gleiche Art, wie er dem Ofen seine Anerkennung zollte. Hätte er auch nur im entferntesten den Wahnsinnsgedanken vermutet, der sich langsam in dem Weibe bildete, er würde sich mit der ganzen Kraft seiner Lunge dagegen aufgelehnt haben; da er sich Derartiges aber nicht träumen ließ, machte er es sich in seiner Zuckerkiste bequem und schlief rasch ein.

So tief war er in die Schlafwelt versunken, daß er nur im Traume merkte, wie seiner Mutter geübte Hände ihn zu einem Bündelchen zusammenschnürten. Zwar protestierte er ein wenig durch ein schläfriges, winziges Weinen, aber die Schlafwelt lastete so schwer auf ihm, daß er schon wieder im tiefsten Schlummer lag, als das Bündel endlich fertig war.

Nach Beendigung all dieser Vorbereitungen hüllte das Weib das Bündel in eine Decke, die sie sich über den Rücken schlang und nach echter Indianerart sicher befestigte, und stand marschbereit. Es begann kalt zu werden in der Hütte, denn das Feuer war am Niederbrennen. Doch diese Kälte war nichts, verglichen mit der Kälte, die dem Weib von draußen entgegenschlug, als sie die Türe öffnete und sorgsam hinausspähte. Sich aus dem Schutz der Hütte in jene monderhellte Eiswüste wagen, war ein tollkühnes Unterfangen, falls nicht dringende Notwendigkeit dazu trieb. Die Indianerin umfaßte mit einem raschen Blick die gesamte Siedlung. Der Morgen würde erst in zwei Stunden grauen und bis dahin sicherlich keine Menschenseele erwachen. Die Hütten lagen in tiefem Schweigen, als laste der Schlaf so schwer auf den Lidern der Bleichgesichter, wie die Schneewehen auf der festgefrorenen Erde. Behutsam schloß die Frau die Tür hinter sich, dann glitt sie, so rasch die Schneeschuhe es gestatteten, über die offene Lichtung und verschwand unter den schneebedeckten Bäumen.

In der leeren Hütte fuhr der Ofen fort, leise zu knistern und weiter seine gedämpften Geräusche zu erzeugen, als wäre nichts geschehen. In der langsam ersterbenden Glut entströmte der Zuckerkiste ein matter Duft von entschwundenem Opossumfell und von allerlei namenlosen kindlichen Dingen.


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