Hermann Bahr
Die Hexe Drut
Hermann Bahr

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Elftes Kapitel.

Sie hatten es noch keinem Menschen gesagt, aber alle wußten es plötzlich. Durch den ganzen Ort lief's: Der Bezirkshauptmann heiratet die fremde Baronin! Eine lustige Karte kam an sie, namenlos, doch offenbar vom Krätzl, am Versmaß des Apothekers kenntlich. Drut ärgerte sich. »Hast du gleich schwatzen müssen? Dann redet man über die Weiber! Und es ist doch noch gar nicht wahr, ich will ja gar nicht!« Klemens sagte, lustig: »Die Leute wissen bei uns die Sachen immer, bevor sie noch wahr sind. Und jetzt hilft dir nichts mehr, du mußt. Du kannst doch den Bezirkshauptmann nicht blamieren.« Er sah den lieben blonden Schopf in ihre Stirne springen, was immer ein Zeichen war, daß sie zornig wurde. »Du hattest jedenfalls noch nicht das Recht, davon zu reden.« Er schwor, kein Wort gesagt zu haben, und schob es auf sie: »Du wirst es der Alten erzählt haben, der kannst du doch nichts verschweigen, und die hat halt geplauscht.« Nun stritten sie sich über die Alte. Klemens sei immer ungerecht gegen sie. Er gab zu, daß er sie nicht leiden konnte; sie war ihm unheimlich wie ein alter schwarzer Rabe. Drut wurde heftig: »Und ich werde mich nicht von ihr trennen, nie! Verstehst du? Nie! War sie mir gut genug, meine Not zu teilen, so kann ich sie schon auch jetzt in meinem Glück ertragen, wenn's dazu kommen sollte!« Und ihre starken Brauen bauschend, um die Runen über der Nase, wiederholte sie: »Wenn es dazu kommen sollte! Sie bleibt bei mir, wir bleiben zusammen. Ich mag ihre Launen auch nicht, aber ein altes Tier schickt man nicht fort. Und dann erinnert sie mich . . . an, an manches. Es ist aber ganz gut, manchmal erinnert zu werden. Das wird ganz gut für mich sein.« Und wie es ihre Art war, oft auf einmal wieder den spöttischen Ton einer tändelnden Dame mit ihm anzuschlagen, sagte sie achselzuckend: »Der Herr Baron wird sich schon entschließen müssen, uns beide zu nehmen. Oder gar keine. Bitte zu wählen!« Plötzlich hatte sie dann etwas wie von Seide Rauschendes in der Stimme, und er war sehr froh, daß er eine so große Dame sein Afferl nennen durfte.

Dann kam ein Brief von Nießner: »Gebenedeites Kind des Glücks! Großmächtiger Herr Bezirkshauptmann! Lieber Freund, Baron und Spießgeselle! Da kann ich nur sagen: Alle Achtung, schau, schau, wer hätte das gedacht? Ich nicht, denn ehrlich gestanden, mir waren Sie immer verdächtig sentimental (gar seit mir das Bengerl neulich gestanden hat, daß Sie – na, Sie wissen schon, damals beim Bachlwirt, o edler Ritter! Aber unbesorgt, ich verrate nichts!) Desto herzlicher sind meine aufrichtigsten Glückwünsche, die ich mir hiermit dem verehrten Freunde ganz submissest zu übermitteln erlaube, ebenso erstaunt als erfreut, daß die guten Lehren und Ratschläge des mit allem schuldigen Respekt Unterzeichneten doch nicht ohne jede Wirkung geblieben zu sein scheinen und Euer Hochwohlgeboren dero werten Mut einmal beim Schlafittchen gepackt und doch endlich daran gedacht haben, sich schön weich zu betten (was natürlich keineswegs wörtlich, sondern durchaus metaphorisch gemeint ist, worüber ja die bekannte, höchst sittenstrenge Denkart des Schreibers dieses wohl keinen Zweifel lassen kann, honny soit!). Und somit nochmals von ganzem Herzen alles Liebe und Gute und Schöne zu Ihrer Verlobung, mein Verehrtester, und vergessen Sie bitte nicht, der bezaubernden Frau Baronin ganz ergebenst zu den Füßchen zu legen als leider noch unbekannten, aber schon schwärmerisch getreuen Verehrer Ihren derzeit vorläufig noch in den Niederungen des bedreckten Daseins schmachtenden, freundschaftlich ergebenen Doktor Leopold Nießner. (P. S. was ich mir von den Weibsleuten angewöhnt habe: Jenes »vorläufig« ist natürlich nur auf die bedreckten Niederungen zu beziehen, nicht etwa auf die freundschaftliche Ergebenheit, die auch eine nachläufige ist, was Ihnen hoffentlich schon noch einmal beweisen wird der herzlichst Obige.)«

Klemens ärgerte sich über den Brief. Der Ton verdroß ihn. Und woher wußte Nießner es auch schon? Drut wollte den Brief sehen, sie schien sich für Nießner zu interessieren. »Sei nicht gar so neugierig!« sagte er. Sie erwiderte: »Es ist immer klug, sich mit der Polizei gut zu stellen. Was verstehst denn du vom Leben?« Er sagte, noch immer ärgerlich: »Die Sorte kenne ich. Der will mich bloß ausnützen.« »Gewiß«, sagte Drut. »Wozu hat man auch sonst Freunde? Und laß dich nur ausnützen, aber zu deinem eigenen Nutzen, das ist das ganze Geheimnis.« Er gab ihr dann den Brief doch, da ging ein Necken mit dem Bengerl los. Er erzählte von der Fahrt und wie leid ihm schließlich das arme verliebte Ding getan; das müsse sie doch verstehen. Sie wurde zärtlich. Dann lachte sie. »Ein Glück für mich! Denn hättest du nicht damals deine Tugend bewahrt, wer weiß? Vielleicht wärst du heute mit ihr verlobt. Wie du schon bist, du mein geliebter Kle! Und gerade darum hab ich dich ja so lieb!« Er wurde bös. Wie konnte sie das vergleichen! Das Bengerl und sie! »Nur nicht gleich brummen!« sagte sie vergnügt. Und arglistig fügte sie hinzu: »Wo du dich doch jetzt so weich gebettet hast!« Er sagte, schlechter Laune: »Ich verstehe nicht, wie du über den albernen Spaß noch lachen kannst. Takt hat der Nießner nie.« »Mir gefällt er«, sagte sie, übermütig. Er wurde ungeduldig. »Das ist ja gar nicht dein Ernst. Ich kenne dich besser.« »Ja«, sagte sie leise. »Denn du kennst nur das Gute in mir.« Ihre klare Stimme klang so lieb, daß er gleich wieder ganz gerührt war. »Siehst du!« sagte er, väterlich mild. Sie kniete feierlich vor ihm nieder und sagte, mit ihren lustig blinzelnden Augen: »Ja, Herr Lehrer!« Aber da fiel ihm ein, gleich an Döltsch zu schreiben. Der durfte das doch nicht zuerst von anderen erfahren! Sie riet ihm, sich lieber zunächst der Mutter des Ministers anzuvertrauen, der er es ja verdankte, daß er zu Döltsch und dann hierher gekommen war; also eigentlich auch seine Bekanntschaft mit ihr. »Und eigentlich ist sie so die Stifterin unserer Ehe«, sagte sie lachend. »Sie hat das angestiftet, nicht? Und das schmeichelt einer Frau doch unendlich! Wart, ich setze dir den Brief auf. Laß mich nur machen! Was versteht denn ihr Männer?« Und sie raschelte lachend durch das Zimmer, nach Papier und Tinte fahrend, knisternd von Geschäftigkeit, und fing gleich mit ihrer herrisch breiten Schrift die großen runden Buchstaben zu malen an. »Nein, nicht!« bat sie, als er ihr über die Schultern zusah. »Das macht mich befangen. Wenn du's dann abschreiben wirst, erfährst du's ja.« Als sie fertig war, rannte sie aus dem Zimmer. An der Türe sagte sie noch, hastig: »Aber daß du mir nichts änderst! Nicht mir meinen schönen Stil verderben! Du Jurist!« Und schon war sie lachend entschwirrt. Er verstand es, als er ihren Brief las: sie schämte sich vor ihm. Seltsam war sie doch! Mit ihm konnte sie nur immer spotten und zanken und lustig sein. Wie sie's aber jetzt, an diese fremde Frau, von der sie nichts wußte, hier aufgeschrieben hatte, da war eine solche Zärtlichkeit und Innigkeit und Seligkeit darin, daß er am liebsten die Hände gefaltet und gebetet hätte, vor Glück. Und ihm konnte sie das nie sagen, gleich schämte sie sich und trieb wieder ihren Spott mit ihm! Jetzt aber saß er still und las es, in ihren feierlichen festen Buchstaben. Und dann begann er langsam sein Glück abzuschreiben und bemühte sich, mit seiner schludrigen Hand ihre tapfere Schrift nachzuahmen. So lieb und lustig war ihm das, während er sie nebenan wie eine muntere kleine Maus in der Küche hörte. Dann aber zankten sie sich wieder, denn sie wollte durchaus den Brief nicht abgehen lassen. »Wir sind ja noch gar nicht verlobt«, sagte sie, kindisch trotzig. »Die Leute behaupten es. Ich weiß nichts davon. Du bist verlobt, ja. Ich aber nicht, nein. Und deine Ministerin-Mutter kann warten, bis wir's beide sind.« Er wurde wütend. Er hatte doch schon den Tag ihrer Hochzeit bestimmt; es sollte sein Christkind! sein. »Da ist noch lange hin«, sagte sie, lässig. »Wir sind erst Ende November, da kann noch manches geschehen. Nur alles schön der Reihe nach! Zuerst habe ich nein gesagt. Und jetzt sage ich nicht mehr nein. Aber jetzt warte fein, bis ich ja sage. Vielleicht! Wer weiß? Vielleicht!« Und dieses singende Vielleicht flatterte flirrend von ihren leise lächelnden Lippen. »Glaube nur nicht, daß du mit mir spielen kannst!« sagte er zornig. »Ich lasse dich nicht mehr. Und ich frage dich auch gar nicht mehr. Alles Notwendige wird vorbereitet, eine Wohnung muß schon auch noch zu finden sein und dann wirst du einfach in den Wagen gesetzt und in die Kirche geführt, ob du willst oder nicht, ich will, ich, Klemens Baron Furnian, dem noch nie bange war, seinen Willen durchzusetzen!«

»Du machst etwas stark in Energie«, sagte sie, den dünnen Mund ein wenig verziehend.

»Ja!« rief er, hell. »Ja, verehrteste Baronin! Ja, mein Afferl! Ja, ja, ja! Es läßt sich nicht mehr leugnen: der fesche Kle hat Energie! Schaut's nur! Denn das habt ihr mir ja alle nicht zugetraut! Der fesche Kle, der schöne Kle, der freche Kle, der gute Kle, der liebe Kle, aber Energie? Nicht einen Schuß! Habt ihr doch alle gemeint! Weil ich sie nicht im Kleinen verzettelt und verwurstelt, sondern sie mir schön aufgespart und warm gehalten hab, bis es sich einmal lohnen wird! Ja, da machst Augen, gelt? Du hast ja doch auch noch keine Ahnung, wie ich bin, mein liebes Kind! Ja, schau mich nur an, mit deinen wackligen Guckerln! Ihr glaubt's, Energie ist, wenn man einen auf Schritt und Tritt damit rasseln hört! Wie der Öhacker, immer mit der Faust auf den Tisch und Stoantoifl, Kreuzsakra und Malefiz übereinand, ja, das ist natürlich ein energischer Mann! Oder der Domherr, der alle Augenblick geheimnisvoll verschwindet, damit nur ja jeder gleich merkt, daß er sich keine Ruhe gönnt, und davon laßt's ihr euch bluffen: Ha, welch ein rastlos energischer Mann! Der fesche Kle aber ist schön still dabei gesessen und hat euch alle ausgelacht und hat sich gedacht: Warten wir's ab, bis einmal was kommt, das dafür steht, dann ist noch immer Zeit, dann fangen wir in Gottes Namen auch zu zappeln an! Und ihr habt's gemeint: Gott, der Kle, so ein netter Mensch, ein begabter Mensch, ein hübscher Mensch, aber an der Energie fehlt's halt, kann man nix machen, schad! Glaubst, ich weiß das nicht? Glaubst, ich hab das nicht gespürt? O ihr ganz G'scheiten! Denn, mein liebes Afferl, sei'n wir nur ehrlich, du g'hörst auch dazu, ich kann dir nicht helfen, nicht um ein Haar warst du gescheiter als die anderen, wie oft hast du mir den gewissen schiefen Mund gemacht, er ist ja sehr lieb, der gewisse schiefe Mund, aber halt wenig vertrauensvoll, und manchmal hätt ich dich dann schon am liebsten an den Ohren gepackt, an diesen lieben dummen mißlungenen Ohren, mein Afferl! Aber nein, Kle, sie muß von selbst d'rauf kommen, nur Geduld! No und jetzt, meine Gnädigste, sind wir soweit! Jetzt hat der Kle auf einmal Energie, jetzt läßt sich's nicht mehr leugnen, sogar die kleine dumme Drut sieht's jetzt ein! Ja, mein Kind, weil's nämlich jetzt dafür steht, weil sich's lohnt, energisch zu sein, weil ich jetzt weiß, wofür! Wirtschaft, Horatio! sagt der Hamlet. Und die Moral von der Geschichte ist: ›Mit Kanonen schießt man nicht auf Spatzen!‹«

»Sagt das auch der Hamlet?« fragte sie.

Er sah mißtrauisch auf. Ihr Gesicht war aber ganz ernst, eifrig zuhörend. Er erwiderte, durchs Zimmer gehend: »Nein, das sagt der Hamlet nicht, Schaf! Frag nicht so dumm, sondern nimm dich lieber ein bißl an deinem dummen kleinen Naserl! Denn hoffentlich siehst du's jetzt ein!« Sie sah ihm zu, wie er langsam, die Schultern ein wenig vor sich wiegend, sehr vergnügt durch das Zimmer ging. Nach einer Weile bat sie: »Red noch ein bißl! Ich hör dich so gern reden.« Er sagte: »No, so bloß zu deinem Vergnügen ist das nicht, du mußt auch darüber nachdenken.«

»Auch, wenn du willst!« sagte sie, gehorsam. Und er fing wieder an und erklärte noch einmal den Unterschied zwischen der falschen Energie, die sich nur zeigen will, ob's einen Sinn und Zweck hat oder nicht, und seiner wahren, die geduldig wartet, bis ihre Stunde kommt, dann aber, gut aufgespart und ausgeruht, alles bezwingt. Endlich stand sie auf, nahm den Brief an die Mutter Döltsch und sagte: »Komm! Du hast recht. Wir wollen den Brief gleich zur Post tragen.« Und während sie die Pelzhaube nahm, sagte sie noch nachdenklich: »Du bist eben der Stärkere! Ich fühl's immer wieder. Und weiß nie recht, ob es mich freut oder kränkt, denn ich möchte mich wehren und bin eigentlich doch so froh.«

Er half ihr die Nadel durch die Haube stecken und sagte zärtlich: »Ich hab dich so lieb, kleine Drut!« Es rührte ihn, wie gelehrig sie war. Sie sagte: »Du mußt nur ein bißchen Geduld mit mir haben und mich dir schön langsam erziehen. Ich bin ein wildes Ding. Aber es wird schon gehen.«

Er sagte: »Das hab ich mir ja immer so gewünscht! Einen Menschen zu haben, ganz für mich allein, und alles aus ihm zu machen, was ich brauche!«

»Ach du!« sagte sie lachend, indem sie sich seinen Armen entzog. »Das wäre dir recht, der liebe Gott zu sein!«

Langsam ließ er sie los. Er hätte sich gewünscht, immer so seine starke Hand um sie zu halten und sie zu schützen und sie mit sanfter Macht durch das Leben zu geleiten. Nun hat doch alles erst einen Sinn, dachte er sich immer wieder. Und als sie in den Ort hinabkamen, mußte sie seinen Arm nehmen. Zum ersten Male gingen sie Arm in Arm. Er streckte sich; sie hing an ihm, ganz klein und ein bißchen furchtsam, und es gelang ihr nicht gleich, sich in seinen großen Schritt zu finden, da lachten sie.

Als sie dann den Brief besorgt hatten, fiel ihm ein, in der Post zu jausnen. Er gab nicht nach. »Du hast mich einmal kompromittiert, jetzt geht's schon in einem! Machen wir den Leuten die Freud! Ich muß doch als Obrigkeit manchmal für die Bevölkerung was tun!« Es half ihr nichts, er ließ es sich nicht nehmen, ausgelassen wie ein kleiner Bub. Die Wirtin kam. Er stellte vor: »Das ist die Frau Riederer, die schau dir gut an, die hat noch den Stelzhamer gekannt!« Drut nahm die schwere Hand der alten Frau und sagte, gnädig: »Nein wirklich? Das ist aber interessant! Erzählen Sie doch, davon müssen Sie mir erzählen, setzen Sie sich zu uns und erzählen Sie, das interessiert mich sehr!« Das große stille breite Gesicht der alten Frau wurde jung und froh. »Aber z'erscht,« sagte sie, verlegen vor Vergnügen, »z'erscht muß i, mit Verlaub, in die Kuchl schaun, um 'n Gugelhupf.« Indessen fragte Drut, gleichgültig: »Wer ist denn das, dieser Stelzhamer, auf den sie so stolz ist?« Klemens lachte. »Du bist so eine liebe Gauklerin! Mit dir bin ich sicher in drei Jahren Exzellenz!« Er wollte sie küssen, sie wehrte sich, er sagte frech: »Das möchte ich sehen, wer mir das verbieten will! Wir sind doch Bräutigam und Braut!« Und zur Kellnerin, die mit dem Kaffee kam: »Kathl, haben's in der Küch auch g'sagt, daß es ein Verlobungskaffee ist?« Die Kellnerin grinste. Als sie fort war, sagte Drut, ärgerlich: »Du bist unerträglich mit deinen täppischen Späßen!« Er lachte sie aus. »Ländlich, sittlich! Daran wirst du dich gewöhnen müssen! Populär sei der Mensch! Der Stelzhamer aber, meine Gnädige, war ein großer Dichter, wirklich, wenn ihr auch von ihm nichts wißt, ihr verfluchten Preußen!« »So ein früherer Jautz wahrscheinlich, was?« sagte Drut, gereizt ihr schmales Naschen blähend. Da kam die Wirtin mit dem Gugelhupf, und Drut ließ ihre Stimme glitzern, indem sie sagte: »Nun setzen Sie sich aber her und erzählen Sie! Ich bin schon so furchtbar gespannt. Denn wissen Sie, der Stelzhamer –« Sie hielt ein und schlug die Augen auf, ihr weißes Gesicht schimmerte, sie legte die festen kleinen Hände an das Herz, dann sagte sie: »Ach ja, der Stelzhamer! Wer will das mit Worten aussprechen, nicht wahr? Man muß es halt fühlen!« Sie sah Klemens an, sehr stolz, daß sie »halt« gesagt hatte; das mußte doch die Wirtin erobern. Er trat ihr auf den Fuß und sagte: »Und jetzt wirst erst hören, wie die Frau Riederer erzählt! Die kann's! Das macht ihr so leicht keiner nach.« »Jessas, Herr Bezirkshauptmann«, sagte die alte Frau. »Hören's auf! Wann's mi so lob'n, verschlagt's mir frei die Red!« Dann aber begann sie, mit ihrer alten, schweren, langsam tropfenden Stimme und erzählte wieder alles, von ihrer Flucht nach Vöcklabruck, und wie der Stelzhamer aber das dumme Mädel heimgeschickt, weil, hat er g'sagt, das was in den Bücheln so schön ist, doch nie nirgends auf der Welt zu finden ist; das alles erzählte sie wieder ganz genau, mit ihrer tiefen, breiten, ruhig fließenden Stimme, die beiden aber unterhielten sich unter dem Tisch. Zum Schlusse sagte die Wirtin: »Ja, der hat's scho verstand'n, wias zuageht auf der Welt! Ja mein!« Plötzlich sagte Drut, so scharf, daß Klemens erschrak: »Es gibt aber eben auch Menschen, die nicht so leicht nachgeben.« Die alte Frau sah verwundert auf und fragte: »Wia denn, Frau Baronin? Wi mainans denn jetzt dös?« Ungeduldig sagte Drut: »Das ist leicht, alles Schöne nur in die Bücheln zu stopfen! Und da kann man's dann manchmal nachlesen, abends, am Ofen. Aber nicht jeder ist so genügsam. Man will es doch auch haben, wirklich haben, im Leben selbst. Verstehen Sie nicht, was ich meine, Frau Wirtin?«

»Sunst war i ja nöt von z'Haus furt«, sagte die alte Frau, nickend. »Sunst war i ja nöt zum Stelzhamer hin. Awer es wird hald nöt gehn!« Und wie entschuldigend fügte sie noch hinzu: »Mi zimmt, ünserains werd scho besser tain, es folgt iehm und strabelt nöt erst lang und gibt nach. Hald a jed's nach sein'm Stand, glaubens nöt, Frau Baronin? I woaß ja nöt.«

»Da sollten Sie die Bücheln aber lieber gleich verbrennen«, sagte Drut.

»Nutzat a nix,« sagte die alte Frau, »so lang ma nöt dö Köpf vobrennt! Denn dort is's drinat, in die Köpf! Und dort soll's halt drinat bleib'n, werd er wohl g'maint ham, der Stelzhamer. Was kann's denn dort schad'n? Und froah is ma dert, daß ma's hat.«

Klemens hatte anspannen lassen. »Wir kommen sonst in die Nacht hinein,« sagte er, drängend, »Frau Wirtin, eine schöne Empfehlung an das verehrte Krätzl insgesamt! Ich laß alle schön grüßen, wir kommen schon nächstens einmal, so bald als möglich! Mein Gott, Brautleut, das wissen's ja, Frau Wirtin, da wird einem immer der Tag zu kurz.«

»Und bald ma nachat verheirat is,« sagte die Wirtin, mit ihrem schweren, ernsten Gesicht, »wird eim wida d' Nacht z'kurz. Wenigstens dö erste Zeit, bis ma's a wida g'wönt. Ja mein!«

Schon im Schlitten, sagte Drut, während sie von Klemens und der Wirtin und dem Knecht in Tücher und Decken und Kotzen verpackt wurde: »Sie müssen mir nächstens noch viel mehr vom Stelzhamer erzählen! Darum beneide ich Sie sehr, daß Sie ihn noch gekannt haben. Und der Gugelhupf war ausgezeichnet!«

Hell glickerten die Schellen an den Pferden. Im Ort war ausgeschaufelt, der Schlitten stieß hart auf. Sie waren ganz eingemummt und lachten sich aus. »Und famos haben wir das gemacht«, sagte Klemens vergnügt. »Das nächstemal wird im Krätzl überhaupt nur von uns geredet werden, dafür sorgt die Frau Wirtin schon. Wirklich eine sehr eine biedere Person, wird sie sagen, was wahr ist, ist wahr, eine rechtschaffene Person, eine rare Person, die Frau Baronin, da gibt's schon nix!« Und er äffte die breite, schwere Stimme der Wirtin nach und spottete ihr vor, was die Frau Bergrätin sagen wird und was der Herr Apotheker sagen wird und was die Fräul'n Theres sagen wird und der besoffene Bezirksrichter und der Verwalter mit seiner Galle und der Doktor Lackner, der Windhund, und alles wird ein Lobgesang auf unsere kleine Baronin sein, die für den Stelzhamer schwärmt und sich zur Frau Bergrätin und zur Frau Verwalterin und zur Frau Apothekerin gemütlich ins Krätzl setzt, wirklich eine sehr eine biedere, eine rechtschaffene, eine rare Person! »Wie wir das aber auch gespielt haben, was, Afferl? Fein! Wir sind schon zwei große Gaukler! Und ich sag's dir, wir werden hier in der kürzesten Zeit so populär sein, daß ich eines Tages dem Kaiser einen Brief schreiben werd: Majestät müssen schon entschuldigen, aber unsere Bezirkshauptmannschaft hat sich für unabhängig erklärt und mich zum König ausgerufen, es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bei meiner Krönung die Ehre geben würden!« Sie lachte nicht, sie sagte nichts. Er zog ihr die Haube noch tiefer und fragte: »Hast du kalt?« Sie schwieg. Sie fuhren jetzt durch tiefen Schnee. Vom Berg sprang ein Wind herab und warf ihnen Eisnadeln ins Gesicht. Leise klirrten die Schellen, wie wenn der Winter mit seinem Klingelbeutel durch die weiße Stille ging. Die Pferde dampften. Plötzlich sagte sie hart: »Ich mag das gar nicht, nein!« Er fragte, verwundert: »Was denn?« Sie schüttelte sich, daß die nassen Flocken von ihrer Haube flogen. »Solche Menschen wie diese Wirtin, mit ihrer dumpfen Ergebenheit in alles, mit ihrem willenlosen, hündischen Gehorsam! Zum Ersticken! Nein, nein! Solche Menschen könnten mich schlecht und ganz tückisch machen!« Er sagte: »Kind, was willst du denn von der armen alten Frau? Sie hat sieben oder acht Kinder, einen vertrottelten Mann und nichts als die Erinnerung an ihren Jugendstreich. Laß ihr die Freud! Und macht's dir denn nicht Spaß, mir ein bißchen intrigieren zu helfen? Ist das nicht lustig? Und es gehört einmal dazu.« Sie sagte: »Nun, dann wollen wir in Gottes Namen intrigieren! Wenn du glaubst, daß es dazu gehört! Obwohl mir das eigentlich mit den guten Lehren deines Herrn Stelzhamer gar nicht zu stimmen scheint!« Er mußte lachen, weil ihre liebe kleine Stimme so gereizt klang, aus den Decken und unter der dicken Haube heraus. »Du darfst auch die Menschen nicht immer gleich so tragisch nehmen, Kind! Und du sagst doch selbst auch immer, daß es das allerschönste ist, irgendwo ganz still im Verborgenen zu sitzen, wo man von der Welt gar nichts mehr hört.«

»Ja«, sagte sie, nickend. »Weil ich die Schläge fürchte! Und damit mich das Schicksal nicht mehr erwischt.«

»No, so wird's der Stelzhamer halt auch gemeint haben, ungefähr.«

Nach einiger Zeit sagte sie nachdenklich: »Der Unterschied ist nur, er hat das ganz in der Ordnung gefunden und war darüber gar nicht empört.«

Er fragte, lachend: »Du aber bist empört?«

»Ganz stillsitzen, im Verborgenen irgendwo, ja! Aber mit geballter Faust! Das ist der Unterschied.«

»Darfst du ja!« sagte er, lustig. »Ich helfe dir sogar. Wir wollen zusammen die Fäuste ballen, dann gehört uns die Welt.« Er war so vergnügt, weil er sich ihr überlegen fühlte. Er dachte, wie sich das mit der Zeit jetzt doch ganz umgedreht hatte. Er hatte doch anfangs oft sehr unter ihren spöttischen Launen gelitten, jetzt aber ließ sie sich gern von ihm belehren und hörte willig auf ihn, jetzt war's er, der sie spöttisch neckte, weil er eben der Stärkere war.

Sie kamen an der Meierei vorbei, ganz verschneit lag der Hof, die Läden waren zu. Da sagte sie: »Denen werden wir's ja schließlich auch nicht mehr verheimlichen können.« Er fragte, leichthin: »Kannst du das gar nicht erwarten?« Sie lachte. »Du bist wirklich komisch, Kle! Bin ich's, die so treibt und hetzt? Aber dein Nießner weiß es, an den Döltsch hast du geschrieben, dem alten Pfandl hast du's auch schon erzählt, und jetzt der Wirtin, die's doch morgen im Krätzl erzählt, wo man's übrigens ja sicher schon längst weiß, während ich –! Ja, mein lieber Kle, vergiß nur nicht, daß ich ja doch noch immer gar nicht will! Aber mich fragst du ja gar nicht mehr!«

»Das ist eben das Schöne«, sagte er vergnügt, unter den zottigen dicken Decken ihre kleine Hand suchend.

»Dann wird's aber doch Zeit, es auch der Hofrätin zu sagen. Wir haben gar keinen Anlaß, sie zu brüskieren. Es wäre sehr töricht.«

»Weil du noch immer in den Domherrn verliebt bist«, sagte er. »Das ist es.« Sie lachte leise.

Langsam zogen die schweren Pferde schnaubend den Schlitten durch den Schnee hinauf. Nach einer Weile sagte er: »Was war das damals für eine Höllenidee von dir, katholisch zu werden? Du weichst mir immer aus.«

Leise sagte sie: »Ich war doch damals so verlassen. Ich hatte nur den einzigen Wunsch, mich irgendwo zu verbergen, irgendwohin zu flüchten.« Sie drückte seine Hand. »Aber jetzt habe ich ja dich.«

»So nah ist dir der Tod deines Mannes gegangen?«

»Meines Vaters!« Aber gleich grub sie sich noch tiefer in die Decken ein und sagte rasch: »Brr! Jetzt wird's aber schon ungemütlich kalt.«

Wie mit Ruten schlug ihnen der stoßende Wind an die Wangen. Das Bimmeln der kleinen Schellen, das Schnauben der einsinkenden Pferde, manchmal ein Schnalzen des Knechts, ein Ächzen im alten Holz des Schlittens, in der Ferne dann das dumpfe Krachen brechenden Schnees, ein Sausen und leises Singen in den Drähten an den schiefen Stangen, die den kaiserlichen Park mit dem Ort telegraphisch verbanden: sonst hörten sie nichts, keine Stimme war, kein Vogel flog, nur der weiße Schnee schien durch die Nacht. Klemens sagte, mit dem rauhen Fäustling spielend, in dem ihre kleine Hand stak: »Wir sind ja jetzt gleich da!« Er hätte sie so gern noch gefragt, aber er hatte nicht den Mut. Immer wurde sie so seltsam, wenn sie sich an den Tod ihres Vaters erinnerte. Sonst konnte sie gar nicht genug vom Vater erzählen, stundenlang in einem fort, so stolz auf den wunderschönen Mann, von dem sie gern sagte, er sei ja gar kein Mensch, sondern ein Stern gewesen, ein wild durch den Weltraum flammender und prasselnder Stern. Aber einmal hatte Klemens im Gespräch gefragt: »Wann ist er denn gestorben?« Das erschreckte sie so, daß sie, die Hand auf dem Herzen, mit einem Schrei hinschlug; und lange war sie starr gelegen. Am nächsten Tag sagte sie dann: »Mein Vater ist einen entsetzlichen Tod gestorben. Ich darf gar nicht daran denken. Es macht mich gleich für Wochen wieder krank.« Damit erklärte er es sich auch, daß sie so schreckhaft war, in aller ihrer Tapferkeit. Sie stieg verwegen ganz allein im Wald herum, aber vor einer schwirrenden Hummel, oder wenn nachts auf dem Dach die Windfahne schrie, konnte sie sich so fürchten, daß er sich oft mit ihr schon gar nicht mehr zu helfen wußte. Und er dachte, wie gut es doch für sie war, daß sie jetzt ihn hatte, der sie mit seinen starken Armen halten und hegen wird, bis alle Furcht von ihr weicht und alles Böse vergessen ist. Und er freute sich, so ein verzagtes armes kleines Ding an seinem Herzen recht zu hätscheln, bis es warm würde und wieder Mut hätte. Nun war doch eigentlich alles gekommen, was er sich nur je gewünscht hatte. Und seit er sie kannte, war's jeden Tag nur immer noch schöner geworden, und wenn sie jetzt erst in einem lieben stillen Häusel sitzen werden, ganz brav als Mann und Frau, dann gibt's doch wirklich auf der Welt nichts mehr, was so schön sein könnte! Und er fühlt, wie stark er dann sein wird. Dann sollen die Herren was erleben, die Nießners und die anderen alle, die doch glauben, daß man den feschen Kle nicht zu fürchten braucht! Dann wird er es ihnen schon zeigen! Ihn kennt ja niemand, er hat sich ja selbst bisher noch gar nicht gekannt! Aber jetzt weiß er es! Jetzt sollen sie ihn erst kennenlernen! Jetzt hat er eine kluge kleine Frau zu Haus, und mit der lacht er die ganze Welt aus!

»Wir können übrigens ja wirklich dieser Tage zur Hofrätin gehen«, sagte er. »Ich habe gar nichts gegen den Domherrn. Mich ärgert's nur, daß ihr alle so wichtig mit ihm tut, als wär's weiß Gott was für ein unheimliches Tier! Bloß, weil er so eine feierliche Nase hat und immer ein rätselhaftes Gesicht macht, das hat er beim Rampolla gelernt, und da seid ihr Frauenzimmer halt verloren! Es steckt ja aber nichts dahinter! Nicht einmal so viel, als nötig gewesen wäre, mein kleines Afferl einzufangen! Ist ihm auch nicht gelungen, dem hochwürdigen Herrn! Und dazu gehört doch wirklich nicht so viel, was? Unsereins macht das mit dem kleinen Finger, gelt?«

Sie sagte, heftig: »Ich mag nicht, Kle, daß du so über den Domherrn sprichst, ich mag es nicht!«

Um in ihr Gesicht zu sehen, bog er sich herab, daß der Schnee von seinen Schultern fiel. »Was hast du denn? Man könnte wirklich fast im Ernst meinen, daß du ihn, daß er dir –«

Rasch sagte sie: »Laß das doch! Du weißt ganz gut, daß er mir gleichgültig ist. Er langweilt mich eher. Aber ich mag nicht, daß du dich lustig über ihn machst. Das ist mir peinlich.«

»Warum?« fragte er spöttisch. »Ich mache mich über alle Menschen lustig. Es ist noch das gescheiteste. Und warum nicht? Vorderhand ist er ja noch nicht heilig gesprochen. Du bist schon wie die Vikerl, auf den ›bedeutenden Mann‹ laßt ihr nichts kommen.«

»Er ist mir eher langweilig«, wiederholte sie. »Aber ich mag nicht, daß du so von ihm sprichst. Du hast gar keinen Grund dazu. Denn lächerlich ist der Mann gewiß nicht. Und ich mag's nun einmal nicht, ich mag's nicht! Vielleicht aus Aberglauben nicht.«

»Aus Aberglauben?« fragte er.

Langsam sagte sie: »Vielleicht bin ich abergläubisch. Ich habe nun einmal das Gefühl, daß man über solche Menschen nicht spotten soll, weil –«

Da sie verstummte, wiederholte er das Wort, drängend: »Weil?«

»Auch deswegen nicht, weil solche Menschen sich rächen können.«

»Aber Afferl!« sagte er lachend. »Du wirst mich ihm doch nicht verraten?«

Leise sagte sie: »Aber solche Menschen spüren alles. Und solche Menschen haben eine vernichtende Macht gegen ihre Feinde. Selbst wenn sie's gar nicht wollen, ja vielleicht davon gar nichts wissen.«

»Das ist nun wieder eine deiner Ideen!« sagte er verlegen lachend. Sie hatte manchmal so wunderliche Gedanken; es hing sicher irgendwie mit ihrer Furcht vor Gewittern, mit ihren Vorgefühlen tellurischer Wirkungen zusammen und er wußte nie recht, ob er es ihr wehren sollte, denn im Grunde war's ihm unheimlich, oder dem geheimnisvollen Reiz nachgeben, den es doch auch wieder für ihn hatte. Er glaubte nicht daran, aber er hätte gern damit gespielt. Er hörte gern zu, ließ sich von ihr erzählen, hatte fast selbst ein eigentlich angenehmes Grauen, aber er wußte ja, daß es nur Einbildungen einer nervösen Frau waren. Einmal bekam er plötzlich Lust zu versuchen, ob er sie hypnotisieren könnte. Aber sie wollte durchaus nicht. »Ich bin schon genug in deiner Macht«, sagte sie lachend. Ja, es kam ihm vor, daß sie, je vertrauter sie wurden, dies alles immer mehr vermied. Und wenn er sie manchmal neckend fragte: »Nun, was ist, gibt's nichts Neues in den unsichtbaren Fäden?« lächelte sie nur und sagte: »Ach du! Sei froh, daß du nichts davon weißt!« Und so sagte sie auch jetzt, kurz: »Du kannst mir doch den Gefallen tun, den Domherrn zu lassen. Wenn ich dich schon darum bitte! Es mag ein dummer Aberglaube sein, gut, aber ich habe ihn nun einmal!« Und wider ihren Willen sprach es noch aus ihr: »Solche Menschen stehen in einem unsichtbaren Kreis, der gleichsam geladen ist, wie mit geheimen elektrischen Kräften. Wer unvorbereitet eintritt, den trifft der Blitz. Sie haben keinen bösen Willen, aber eine böse Kraft haben sie; man darf ihnen nicht in die Nähe.«

»Du meinst halt,« sagte er belehrend, »daß die Pfaffen eine gefährliche Bande sind. Da kannst du schon recht haben. Zauberer aber, Afferl, gibt's nicht mehr.«

»Wer weiß?« sagte sie leise, unter ihrer verschneiten Haube hervor.

»Ich weiß«, sagte er lustig. »Ich würde jeden ausweisen lassen. Sie zahlen doch auch keine Erwerbsteuer, folglich gibt es keine, denn daran erkennt man ganz allein, wen es gibt.«

Der Wind wuchs. Staubend schoß, in zerstiebenden Wirbeln, der stürzende Schnee von den Hängen auf. Es war finster. Vom niedrigen grauen Himmel begann es zu schneien. Wie in einem grauen Trichter saßen sie. Vor ihnen, um sie, über ihnen nichts als das Fliegen und Fließen der Flocken im Dunkel der schleichenden Nacht, im Rauch der keuchenden Pferde. Dort aber quoll ein qualmendes gelbes Licht in der Ferne jetzt auf, und aus seinem trüben Schein stieg eine lange schwarze Gestalt, einer ungeheueren, aus dem Schnee schwebenden Fichte gleich. Das war der Turm der Kirche von der Lucken.

Dann sagte Klemens: »Übrigens können wir ja dieser Tage hingehen, ich habe nichts dagegen. Neugierig bin ich nur auf die Vikerl. Weißt du, was ich zuerst manchmal für einen Verdacht gehabt habe?« Sie sagte nichts. Er fuhr fort: »Ich hab eigentlich gemeint, er will mich mit der Vikerl verkuppeln. Obwohl er ja immer beteuert, daß sie ins Kloster soll. Und gerade, weil er mir das bei jeder Gelegenheit wieder beteuert. Ich trau ihm nicht. Er hat mit allem seinen geheimen Plan.«

Nach einiger Zeit sagte sie: »Nein. Ich glaube das nicht. Er hat gar keinen Plan. Überhaupt nicht. Nie. Sondern alles, was ist, nimmt er hin, wie's ist, und nützt es für sich aus. Das sind die gefährlichsten Menschen.«

Er lachte. »Fürchten könnt man sich vor ihm, wenn man dich hört! Und das kommt doch alles nur von seiner feierlichen Nase, Die imponiert euch halt, O Weiberleut, Weiberleut! Da braucht man schon eine Engelsgeduld.«

Als er sie, beim Schmied, aus den Decken hob und ihr vom Schlitten half, sagte sie plötzlich: »Du hast ja ganz recht. Ich sehe wirklich nicht ein, was wir eigentlich beim Domherrn sollen. Wir sind doch noch gar nicht verlobt, das glaubst ja nur du!« Und lachend sprang sie nach ihrem Zimmer.

Er mußte warten, in der Küche nebenan, bis sie sich umgekleidet hatte. Als sie ihn dann rief, mit zwei kurzen Pfiffen, wie es ihre Gewohnheit war, fand er sie schreibend. Er fragte: »Was dichtest du denn da wieder?« Sie lachte vergnügt. »Du wirst es schon sehen! Wenn ich auch bloß ein Weiberleut bin.«

Er ließ sie gewähren und streckte sich auf dem Diwan aus, rauchend und allmählich erst in dem stillen Zimmer wieder erwärmend, während er das Holz im Ofen roch und in ihrer lieben Hand die Feder knistern hörte. Und so, behaglich eingewiegt, in einer wohligen Ermattung, ein bißchen schläfrig von der kalten Fahrt, begann er nachzudenken. Das hilft ihr alles nichts, in drei Wochen wird geheiratet, er will auch einmal sein Christkindl haben. Das mit den Papieren wird sich schon ordnen lassen. Er muß lachen, wie er an ihren Paß denkt. Tinte war darüber gegossen, ein Blatt ausgerissen. Sie gestand ihm, daß sie, um sich jünger zu machen, weil doch wirklich nicht jeder Beamte zu wissen braucht, wie alt man schon ist, die Jahreszahl ausradiert, dann aber wieder Angst bekommen und es absichtlich mit Tinte verwischt, bis sie schließlich lieber die ganze Seite vernichtet hatte, wodurch denn nun freilich der Paß unbrauchbar geworden war. Aber der Taufschein fand sich, und sein alter Freund, der verrückte Pfarrer da drüben, der anfangs damals immer so bös wurde, wenn er ihn nur von weitem kommen sah, wird's ja nicht so genau nehmen. Oder der Domherr muß halt dem Pfarrer ein Wort sagen. Schließlich handelt es sich um den Bezirkshauptmann, das genügt wohl, da nimmt man's nicht so genau. Eigentlich ist das sogar ganz lustig, es hat was Romantisches, es paßt gut zu ihnen beiden. Für alle Fälle wird er übrigens wirklich mit dem Domherrn sprechen. Sie hat doch auch ganz recht, es ist immer gescheiter, man stellt sich mit den Pfaffen gut. Nur erfährt's dann der Vater. Er kann ja die Hofrätin doch nicht bitten, es dem Vater nicht zu schreiben. Aus welchem Grunde denn? Und das ist doch überhaupt ein Unsinn! Einmal muß es ja der Vater endlich erfahren. Wie will er es ihm denn verbergen? Und warum denn auch eigentlich? Kann der Vater es ihm verbieten? Hat es der Vater nicht schon immer gewünscht? Und so gut wie die Tochter des Wucherers wird ja wohl eine preußische Baronin auch noch sein! Freilich läßt der Vater immer nur gelten, was er selbst arrangiert hat. Das wird ihn kränken. Aber er fürchtet ja den Vater jetzt nicht mehr, er weiß sich jetzt stark, nein, jetzt hat der Vater keine Gewalt mehr über ihn! Wenn er nur nicht etwa zur Hochzeit kommt! Nein, er fürchtet den Vater jetzt nicht mehr, aber er denkt sich das so lieb, ganz still zu heiraten, in der verschneiten kleinen Kirche da drüben! Ohne militärisches Gepränge, und ohne dann die lange Geschichte sämtlicher Furnians und den ganzen bosnischen Krieg anhören zu müssen. Und sie soll ihn auch lieber nicht vor seinem Vater sehen! Das ist ihm ein unangenehmes Gefühl, er weiß selbst eigentlich nicht warum. Er fürchtet ja den Vater jetzt nicht mehr, aber er wird ungeschickt vor ihm sein, sicherlich, aus dummer alter Gewohnheit, er kennt sich doch! Und so soll sie ihn nicht sehen, nein, das will er nicht, es wäre ihm unerträglich! Aber der Vater muß ja nicht kommen, man wird es ihm ausreden. Mitten im Winter die weite Reise durch Sturm und Schnee! Man wird ihm versprechen, daß dafür, im Frühling, auf der Hochzeitsreise, lieber sie zu ihm kommen wollen. Nur ist es jetzt doch wirklich die höchste Zeit, dem Vater zu schreiben, bevor er es am Ende von anderen erfährt! Und er nimmt sich das ja auch schon täglich vor! Aber dann verschiebt er's täglich wieder. Denn er findet den Ton nicht, es wird ihm so schwer, der bloße Gedanke schon macht ihn müd. Es ist ihm, als käme dann plötzlich das alles wieder herauf, wovon er jetzt doch endlich erlöst ist; er will die Gespenster seiner Jugend nicht noch einmal wecken. Aber es wird ja doch nicht anders gehn, er muß dem Vater schreiben, es muß sein!

»Rate, was das ist!« sagte sie, mit ihrer hellen Stimme. Sie hob die beschriebenen Blätter und schwang den Pack.

Er fragte: »Hast du deine Memoiren begonnen? Wir könnten ein ganz hübsches Stück Geld damit verdienen, was gar nicht schlecht wär.«

Die böse Falte zeigte sich, er hatte das so gern, sie glich dann einem schlimmen Kind, das gleich schreien und strampeln wird, vor Zorn. »Es ist unnötig,« sagte sie, »mir stets vorzuhalten, daß ich reicher sein könnte. Du weißt, daß ich meinem Anwalt aufgetragen habe, mir Rechnung zu legen. Ich bin eben in den letzten Jahren ein wenig aus der Ordnung geraten.«

»Ich wette, daß dein Anwalt dich betrügt. Was ich ihm eigentlich gar nicht verdenken kann, du fährst in der Welt herum und kümmerst dich ja nicht. Und mir willst du doch nicht einmal seinen Namen sagen!«

Sie schlug den Pack der beschriebenen Blätter heftig auf den Tisch. »Weil es nicht wieder heißen soll, daß wir unselbständig sind und nicht einmal unsere eigenen Sachen besorgen können und zu allem einen Mann brauchen! Das möchtest du doch nur wieder. Darum will ich's nicht. Und wenn's wahr wäre, wenn mich der Anwalt wirklich bestiehlt, nun? Wem bin ich verantwortlich? Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich einen Gatten kaufen wollen. Und wenn du mich meines Geldes wegen nimmst, ich fürchte, da verrechnest du dich. Wird dir aber ganz recht geschehen!«

»Kannst du denn wirklich keinen Spaß verstehen?« Er stand vom Diwan auf. »Oder glaubst du, daß ich im Ernst –?« Seine Frage flog zu ihr, sie sagte noch immer nichts, trotzig stehend. »Drut! Kleine Drut! Du bist doch dumm!« Er ging auf sie zu. »Dumm und abscheulich, gesteh's nur ein, nicht?«

»Rate lieber, was das ist!« sagte sie, die Blätter zeigend.

»Eine Schenkung an deinen Anwalt, womit du ihm lieber gleich dein sämtliches Hab und Gut übermachst?«

Sie zog sich aus seinen Armen und sagte lustig: »Ein Sendschreiben an deinen Herrn Papa, womit ich ihm den richtigen Empfang seines Sohnes bestätige. Nun mach nur nicht gleich so ein entsetzlich dummes Gesicht! Es fiel mir ein zu versuchen, ob ich den Ton für deinen Vater treffen könnte, um Eindruck auf ihn zu machen, so wie ich ihn mir vorstelle, nach deinen Erzählungen von ihm und nach seinen Briefen an dich. Aber du scheinst auch keinen Spaß zu verstehen. Auf der Fahrt fiel es mir ein.« Sie knüllte die Blätter ein, er riß ihr den Pack weg und begann zu lesen. Sie ging zum Ofen und sagte: »Nein, jetzt hast du mir den ganzen Spaß verdorben.«

Als er ausgelesen hatte, sagte er: »Ausgezeichnet! Ich werde jetzt noch ein paar herzliche Worte dazu schreiben, und so bin ich es los. Mir fällt ein Stein vom Herzen.«

»Kle, bist du verrückt? Du willst doch nicht im Ernst –?«

»Aber, Kind, der Brief ist ausgezeichnet! Du weißt ja gar nicht, wie geschickt jedes Wort in diesem Brief ist! Da muß man meinen Vater nur kennen.« Er ging vergnügt zu ihr. »Jedes Wort sitzt! Das hätte die Hofrätin nicht feiner gemacht. Du liebe Schwindlerin du.«

»Nein, Kle, das darfst du nicht sagen! Es ist doch alles wahr.«

Er nahm den Brief wieder und lachte. »Das ist ja das Großartige! Alles ist wahr, aber genau so, wie's mein Vater braucht. Die preußische Baronin, der alte Glanz der Scharrns auf ihrem Gut in der Mark, die vornehme Witwe mit ihrem Schmerz, deine Freundschaft mit dem Domherrn, deine Bedenken gegen meine Jugend und meinen Leichtsinn, ausgezeichnet, der Vater erstirbt in Ehrfurcht, ausgezeichnet! Und dann, aber da muß man dir zunächst ein Bußl geben, anders geht's nicht, juchhu!« Er nahm sie, tanzte mit ihr und küßte sie, die Blätter schwingend.

Sie wehrte sich. »Es tut mir weh, daß du mich auslachst!«

Er hörte sie gar nicht an. »Es ist einfach herrlich! Wie du dann auf einmal gerührt wirst und nun die große Beichte beginnt, von deiner armen Mutter und deiner verlorenen Kindheit, und du dich unwürdig fühlst, den Namen Furnian zu tragen, doch aber glaubst, durch deine reine Liebe zu mir und unter seinem Beistand – wie heißt's da?« Er suchte die Stelle, fand sie nicht gleich und sagte, lachend: »Du bist eine zu herrliche Schwindlerin, Drut!«

»Gib mir den Brief!« sagte sie, heftig.

Er sah verwundert auf. »Was hast du denn?«

Zornig sagte sie: »Ich mag nicht, daß du glaubst, ich hätte deinen Vater verhöhnt! Fühlst du denn nicht, daß es mir Ernst ist?«

Er sagte, kleinlaut: »Du darfst mich doch nicht mißverstehen. Das weiß ich schon! Aber ein bißchen schwindeln gehört einmal dazu, anders geht's nicht, mit so wunderlichen alten Leuten. Hast du nicht selbst gesagt, daß es dich gereizt hat, seinen Ton zu treffen?«

»So war das nicht gemeint!« Und dann dachte sie ein wenig nach, kam auf ihn zu und sagte: »Höre, Kle! Du mußt mir gut zuhören! Es wäre mir schrecklich, wenn du –«

»Aber Kind!« sagte er lachend. »Du nimmst gleich immer alles tragisch.«

»Ja, ihr Östreicher! Ihr seid unverbesserlich, nichts ist euch heilig! Aber ganz im Ernst! Da kann ich nicht mit. Es wäre mir schrecklich, wenn du mich so mißverstehen könntest. Also höre! Anfangs ja, anfangs war's vielleicht nur im Spaß. Es machte mir Spaß, mich einmal im Tone deines Vaters zu versuchen. Aber wie ich dann so saß und schrieb, und du lagst rauchend auf dem Diwan da, schwer und faul, und im Zimmer war's so still, in unserem lieben kleinen Zimmer, und nur du und ich und draußen der Schnee, da hab ich doch gar nicht mehr an deinen Vater gedacht, sondern nur an uns und wie schön es ist, und ich weiß ja gar nicht mehr, was ich schrieb, aber jedes Wort ist wahr, wie's mir mein Herz diktiert hat. Das mußt du mir glauben, Kle!«

»Du bist so lieb!« sagte er, leise. Dann aber, wieder übermütig: »Und wenn du's triffst, wie du's grad brauchst, ohne schwindeln zu müssen, um so besser, das ist gar famos!«

»Gib mir den Brief!« bat sie. »Ich will ihn aufheben. Er soll später einmal erinnern.«

»Keine Spur!« sagte er lustig. »Der Brief geht heute noch ab.«

»Kle!« sagte sie flehentlich. »Ich habe doch nicht denken können, daß du im Ernst –! Sei vernünftig, das will doch noch alles erst reiflich überlegt sein!«

»Nix!« sagte er, ganz im Ton des feschen Kle. »Die Alte muß noch heute hinab. Sie soll direkt auf die Bahn, da kann der Brief noch in der Nacht weg. Also wer ist der Herr im Haus? Ich bitt mir's aus!« Er setzte sich und begann zu schreiben. »Sei so gut und stör mich jetzt nicht! Ich will mir an deinem Stil ein Beispiel nehmen. Übrigens macht's gar nichts, wenn dem Vater deine Dichtung lieber ist als meine. Und jedenfalls bin ich die Geschichte endlich los. Es war schon die höchste Zeit.«

Er schrieb, ging zur Alten, schickte sie zum Schmied, ließ einspannen und gab nicht nach. »Ja, ja, mein liebes Afferl!« sagte er, als er wieder in das Zimmer kam. »Es ist ganz gut, wenn von Anfang an feststeht, wer im Hause zu befehlen hat.« Und da sie schweigend blieb, sagte er lustig: »Das bißl Trotzen macht mir gar nichts, mein Kind! Daran muß man sich beizeiten gewöhnen. Du wirst schon wieder gut, es ist mir nicht bang.«

»Ich trotze doch nicht. Ich kann nur nicht begreifen, warum das alles mit solcher Hast überstürzt und überhetzt werden muß.«

Er ging im Zimmer auf und ab, die Schultern ein wenig vor, schlenkernd, seinen kurzen Schnurrbart streichend.

»Weil ich will.«

»Warte doch ab, bis mein Anwalt antwortet, bis die Papiere kommen, bis wir mit dem Nötigsten in Ordnung sind! Warum denn so Hals über Kopf?«

»Weil ich will«, wiederholte er.

»Ach, Kle, du bist ein großes Kind.«

»Das sagt ihr immer, wenn man ein Mann ist. Ich habe mich entschlossen, noch in diesem Jahre zu heiraten. Und so geschieht's.« Er freute sich, ihr anzusehen, wie sie wütend wurde.

Sie sagte gereizt: »Und was wäre denn, wenn's nicht ging?«

»Es geht aber. Warum soll's nicht gehen?«

»Ich nehme nur an! Bloß weil du ja so tust, als wäre dir die ganze Welt untertan. Das kann einen wirklich rasend machen.«

Er freute sich über ihren lieben kleinen Schopf, der ihr in die Stirne sprang, und fragte: »Also was nimmst du an? Nimm es nur an!«

»Also, wenn mein Mann noch lebte, zum Beispiel! Angenommen, mein Mann wäre nicht tot, sondern in irgendeinem Irrenhaus, und ich wäre fortgereist und hätte dich kennengelernt und alles wäre sonst ganz genau so zwischen uns beiden wie jetzt, nur daß, wie gesagt, mein Mann noch lebte, was dann?«

»Scheiden lassen.«

»Er hätte nie zugestimmt.«

»Braucht er gar nicht. Wahnsinn ist, glaub ich, ein Scheidungsgrund. Oder man hätte was anderes gefunden, man findet immer was. Ist er nicht damals verurteilt worden, bei der besoffenen Geschichte mit dem alten Mann in der Friedrichstraße? Verurteilung wegen eines Verbrechens ist sicher ein Scheidungsgrund, das weiß ich noch genau. Aber, Kind, was sind das für dumme Fragen? Der gute Baron ist doch so lieb, tot zu sein! Na also!«

»Ja, der Baron ist tot«, sagte sie leise. Dann schüttelte sie sich und lachte: »Du hast recht, es ist dumm. Aber du kannst einen wirklich ganz nervös machen, mit dieser unsinnigen Hast! Warum denn nur? Ist's denn so nicht auch ganz schön?« Und sie sah zärtlich durch das Zimmer hin.

»Es wird aber dann noch viel schöner sein«, sagte er. »Aber du bist ein Hasenfuß! Anders läßt's sich's ja wirklich nicht erklären, ich kenn' dich doch jetzt ganz genau, du wünschst dir das gerade so stark wie ich, aber Angst hast du, denn du gehörst zu den Menschen, die vor jeder Änderung Angst haben. Wie mein Vater immer sagt: Es kommt nichts Besseres nach! Schimpfst immer über uns Östreicher und bist selbst so! No ich kann das schon auch verstehen, aber man muß sich halt ein bißl zusammennehmen, Kind.«

Mit schwerer Stimme sagte sie: »Mir kommt das Leben manchmal wie eine riesige sausende Maschine mit ungeheueren Rädern vor. Man darf nicht zu nahe kommen, sonst reißt's einem den Kopf weg. Und ich habe nur immer das Gefühl, mich ganz dünn und klein zu machen und ja nicht zu rühren.«

»Aber Afferl, da nimmt man eine sichere starke Hand und hält sich an, dann geht's. Wirst schon sehen, daß es gehen wird. Und wie schön! Denn ich, schau, da bin ich ganz anders, ich hab gar keine Furcht vor den sausenden Rädern. Ich kann's nur nicht vertragen, wenn die Maschine steht. Weißt du, was ich mein? Wie's in meiner Kindheit war: diese drohende Stille der großen Maschine, und man weiß doch, jetzt werden die Räder sausen, aber wo denn, wann denn endlich? Da wird einem angst und bang! Wie's in meiner Kindheit war und später noch und doch eigentlich immer noch, bis ich dich gefunden hab! Aber jetzt sausen die Räder und jetzt ist mir auf einmal gar nicht mehr bang!«

»Wo sausen sie denn?« fragte sie, lächelnd.

»Sie werden schon sausen, paß nur auf!« Er ging wieder durch das Zimmer hin und her, behaglich seinen Leib schwenkend, den Zeigefinger belehrend ausgestreckt. »Denn jetzt geht's los, ja lach nur, ich weiß es! Ich weiß es halt, ich hab auch Ahnungen. Wie du ein Gewitter vorher spürst, so kribbelt's und krabbelt's halt jetzt auch in mir, aber von lauter wunderschönen Dingen, sagen kann man's ja nicht, aber ich fühl's, ich fühl's überall, es juckt mich vor Glück! Und daher auch alles, was dir jetzt so merkwürdig an mir vorkommt, armes Afferl, dieses Hetzen und Hasten, wie du's nennst, es ist weiter nichts: ich kratz mich nur halt, verstehst? Ich kratz mich vor Glück. Denn ich weiß, jetzt geht's los, jetzt wird's sausen! Und das brauch ich! Das war's, was mir immer gefehlt hat! Das brauch ich! Ich hab mich ja früher schon oft selbst mit mir gar nicht mehr ausgekannt, aber jetzt bin ich mir ganz klar.«

»Ein rechter Phantast bist du«, sagte sie. »Man muß sehr acht auf dich geben. Aber es hört sich ganz lustig an.«

Er hatte was knabenhaft Ernstes, als er antwortete: »Ob es nun gerade lustig oder eher langweilig ist, darum handelt's sich dabei wirklich nicht, Kind! Der Mensch muß zur Klarheit über sich selbst kommen. Ich verstehe mich jetzt ganz genau. Wenn ich Angst vor dem Leben hatte, früher nämlich, und auch oft eher den Wunsch, mich in irgendeinen Winkel zu setzen, wo's einen vergißt, so war das nur, weil mich mein Vater durch seine Methode der Erziehung in ein für mich ganz falsches Leben drücken wollte, in ein Leben für die Schwachen, Ängstlichen und Dienenden, wie er einer ist. Ich aber nicht. Ich bin viel weniger der Sohn meines Vaters als der Neffe meines Onkels. Von dem muß ein Tropfen in mein Blut gesprungen sein, der große Hofrat spukt in mir, das ist's. Und seit ich dich kenne, weiß ich das, jetzt bin ich mir erst klar. Worauf du dir übrigens gar nichts einzubilden brauchst! Dem Menschen geht eben einmal der Knopf auf, dem einen im Dampfbad, dem anderen beim Rodeln, irgendwie muß einem halt einmal die Seele gut durchgebeutelt werden, bis das Eigentliche herauskommt! Dann hat man sich erst und da hat man dann sein Schicksal an der Longe. Und seitdem weiß ich, daß ich nicht dazu geboren bin, ein braver Bezirkshauptmann zu sein, der es schön langsam zuletzt bis zum Leiter der Statthalterei bringt. Nein, Frau Baronin, da kennen Sie den Klemens Furnian schlecht! Der ist nicht umsonst beim Döltsch im Vorzimmer gesessen, da lernt man's! Was war denn der Döltsch vor zwanzig Jahren? Ein kleiner Beamter bei der Liburnia! Aber seine großen Katzenaugen hat er halt aufgemacht und er hat's halt verstanden! Nur heraus muß ich endlich! Hier kann ich nicht zeigen, was ich bin. Soll ich gegen den Domherrn intrigieren oder den böhmischen Grafen auf den kleinen Bierbaron hetzen? Ich hätt ja manchmal solche Lust, irgendwas zu wagen, etwas Unerlaubtes, etwas recht Perfides, so irgendeinen verwegenen Schachzug halt, wo die Leut dann wissen, daß sie mit einem rechnen müssen! Glaubst du, daß ich das nicht g'rad so gut kann? Aber heraus muß ich zuerst! Heraus, fort von hier und hinauf! Laß mich nur erst in Wien sein und du sollst schaun! Du sollst schaun, wie's sausen wird! Und erst die lieben Herrn Kollegen! Ihr glaubts, der Klemens Furnian ist kaltgestellt? Nein, der steht in Eis und wird schön eingekühlt, plötzlich aber wird euch schon der Pfropfen an die Nasen springen, bum! Das Afferl aber kann ganz ruhig sein, es wird ihm nichts geschehen, dafür ist der Kle da! Laß die Räder sausen, du hast ja den Kle! Kannst dich verlassen, der weiß schon, was einer Prinzessin von Mexiko zukommt! Mir ist manchmal so leid, daß dein Vater nicht mehr lebt. Ich glaube, wir hätten uns sehr gut verstanden. Der war doch auch von dem Holz, aus dem der liebe Gott die großen Glücksjäger schnitzt. Keine Furcht vor Tod und Teufel, immer drauflos, glückt's heute nicht, so glückt's morgen, und am Ende hat man doch wenigstens gelebt und es ist was gewesen und man hat was gehabt! Du aber bist ganz aus der Art geschlagen, Afferl, schäm dich!«

Am nächsten Tag besuchten sie die Hofrätin und den Domherrn. Die Hofrätin, mit ihrem undurchdringlich frommen Gesicht, neckte sie gütig. »Nein, so eine Überraschung! Nein, die jungen Leute, heutzutage!« Der Domherr sagte: »Und das habt ihr da sozusagen unter unseren Augen angesponnen, ohne daß wir was merkten! Es freut mich aber, daß euch unser Haus so wohl immer in guter Erinnerung bleiben wird! Und hoffentlich bringt's euch Segen! Das wünschen wir euch vom ganzen Herzen!« Die Vikerl kam, ein wenig verlegen. »Oh!« sagte Drut, ganz überrascht. »Laß dich ansehen! Das ist wirklich sonderbar. Du bist ja gewachsen! Nein, wirklich! Du siehst viel größer aus!« Sie lachten. Der Domherr sagte: »Ja, wir werden alle älter mit jedem Tag! Und in der heutigen Zeit geht's gar schnell, liebe Baronin! Es kommt aber wohl nur daher, weil sie sich jetzt ernster trägt. Ich finde, daß das besser zu ihrem Wesen paßt. Allerdings mag es sie etwas älter machen, was mir ja übrigens kein Unglück scheint. Nicht wahr, Viki?« Sie sagte rasch: »Gewiß, Onkel!« Und dann fing sie laut zu lachen an, mit ihrem merkwürdigen heiseren Lachen, das nur jetzt auch größer und gröber geworden schien. Und sie nahm die Hand der Baronin und sagte, mit diesem flatternden und stoßenden Lachen: »Nun bist du wieder da! Nun bist du doch wieder da!« Drut entschuldigte sich gegen den Vorwurf, den sie zu hören glaubte: »Es gibt eben Dinge, die man einem kleinen Mädchen nicht sagen kann, wenn man's auch noch so lieb hat. Das wirst du erst später verstehen. Es kommt schon auch für dich die Zeit!« Geschreckt fuhr das Mädchen auf, mit einem kleinen Schrei, wie böse Katzen schreien, und stieß auf die Freundin los: »Was hat man dir erzählt? Wie kannst du das glauben? Die schlechten Menschen!« Die Hofrätin gab der Baronin heimlich ein Zeichen. Der Domherr sagte, in seinem sanft drohenden Ton: »Viki! Hast du mir nicht versprochen? Du weißt doch!« Ihr zerfahrenes Gesicht wurde leer und starr, als sie gehorsam antwortete: »Ja, Onkel! Ich werd nicht vergessen.« Sie hielt sich ganz still; nur ihre lauernden Augen, wie Kohlen in dem weiten fahlen Gesicht, irrten herum. Die Hofrätin sagte: »Zu Weihnachten schon? Es tut mir leid, daß ich da g'rad weg sein werde. Aber der Doktor Mozl will durchaus, daß ich nach dem Süden soll. Drum hab ich ja so fleißig Italienisch gelernt. Übrigens geht der Antonio mit, für alle Fälle. Schad, ich wär gern bei eurer Hochzeit gewesen. Habts Ihr's denn gar so eilig? Na, ich kann mir's ja denken.« Drut lachte, die alte Frau gefiel ihr so gut, wenn in dem feierlichen, stillen Gesicht plötzlich der ungebärdige dreiste Spott erschien, ein unverschämt vergnügter Spott, der mit allem fertig war, unter dem Spiegel der glatten Ergebenheit und Entsagung. Plötzlich fragte Drut, die Kette des Mädchens fassend: »Was hast du denn da? Die kenne ich ja noch gar nicht. Laß sehen! Wie merkwürdig!« Sie beugte sich kurzsichtig vor. Die Vikerl sagte, mit ihrem wirren knisternden Lachen: »O nichts! O nein!« Der Domherr verkündigte: »Es sind Denkmünzen, in allen berühmten Wallfahrtsorten unseres Vaterlandes gesammelt. Maria Plain, Maria Taferl, Maria Zell, und wie sie alle heißen, die lieben alten Stätten unserer Andacht. Sehen Sie sich besonders die von Maria im See an, von Veldes. Merkt man an der rührenden Figur nicht die ganze slawische Wehmut und Weichheit? Es ist ein sehr sinniges Geschenk. Der Doktor Nießner hat es ihr verehrt, ein junger Mann, der heuer im Sommer ein paar Tage hier war, noch vor Ihrer Ankunft, und uns rasch ein werter Gast geworden ist.« Klemens fragte, lustig: »Seit wann ist mein Freund Nießner unter die Wallfahrer gegangen?« Der Domherr erwiderte: »Lassen Sie sich durch die Masken nicht täuschen, die heute mancher aus äußeren Rücksichten trägt! Man kann auch sozusagen inkognito fromm sein. Der liebe Gott sieht's doch.« Klemens sagte, spöttisch: »Und seine Statthalter auch, scheint's. Was meinem Freund Nießner wohl die Hauptsache sein dürfte.« Drut fiel ins Gespräch ein: »Aber du wolltest doch den Domherrn noch fragen, Kle! Wegen unseres Pfarrers!« Klemens sagte: »Gott, ich kann doch auch selbst mit dem Pfarrer reden. Es ist nur, weil ich höre, daß der Alte so wunderlich ist und manchmal ohne jeden Grund Geschichten macht. Also vielleicht sagen Sie ihm, daß er's hier mit dem Bezirkshauptmann zu tun hat, da geht das nicht so!« Der Domherr entgegnete, lächelnd: »Das möchte ich doch wohl eigentlich lieber nicht! Erstens ist das nicht so, wie Sie sich's zu denken scheinen, Verehrtester. Ein Pfarrer läßt sich nicht einfach kommandieren. Wir haben doch eine viel größere Freiheit als die Herren in den liberalen Berufen. Und zweitens ist der gute Pfarrer in der Lucken ja wirklich noch ein ganz besonderer und etwas schwieriger Fall. Sein Schicksal hat ihn mißtrauisch gemacht und schließlich ist seine Schuld längst abgebüßt und man hat ihm versprochen, ihn in Ruhe zu lassen. Ich weiß auch gar nicht, ob es Ihnen viel nützen würde. Er hat ein recht störrisches Gemüt, und wenn er sich ärgert, legt er sich einfach drei Wochen ins Bett und redet mit keinem Menschen mehr ein Wort. Das haben wir schon erlebt.« Klemens sagte, hochmütig: »Ich lege auch gar kein Gewicht darauf. Ich brauche ja nichts von ihm. Es ist nur gemütlicher, wenn man eine Empfehlung hat, es wickeln sich dann alle Formalitäten rascher ab.« Der Domherr sagte, lächelnd: »Ja, ihr wollt halt immer ganz besonders behandelt werden, ihr Herren von der Behörde! Das seid ihr so gewohnt!« »Aber Kinder!« sagte die Hofrätin, vergnügt. »Wendet euch doch einfach an seine Köchin, wenn ihr was von ihm braucht! Die macht doch alles, was sie will, mit ihm. Bei der Köchin hört der Eigensinn der Männer auf.«

Als sie fortgingen, schoß ihnen die Vikerl auf die Treppe nach, zog Drut an sich und sagte leise, mit fliegender Stimme: »Behalt mich lieb! Du darfst nicht schlecht von mir denken! Das ertrag ich nicht!« Drut streichelte das aufgeregt stöhnende Kind und fragte: »Was ist dir denn? Was geht denn mit dir vor?« Das breite Gesicht des häßlichen Mädchens wurde starr, ihre schwarzen Augen standen still. »Aber nein!« sagte sie dann, alles gleichsam abwerfend. »Ich weiß ja nicht! Ich weiß schon gar nichts mehr!« Und wieder klammerte sie sich an und bat: »Aber behalt mich lieb! Sie zerren so an mir herum! Du mußt mich lieb behalten!« »Erdrück mich nur nicht, Kind!« sagte Drut und löste sich von ihr. »Nächstens kommst du einmal zu uns, dann sprechen wir über alles. Es wird ja nicht so schrecklich sein, wie du dir's gleich denkst.« Traurig sagte das Mädchen, das verblasene Gesicht senkend: »Nein, das darf ich nicht! Zu dir darf ich nicht mehr!« Und den zuckenden Finger auf dem Mund, bat sie: »Aber nichts sagen! Nichts sagen! Du darfst nichts wissen!« Dann lachte sie bös auf, hinter Klemens die Faust ballend, der zum Schlitten trat. »Ich hasse den Klemens. Von euch hätt ich das nie gedacht! Und alle Menschen haben diese gräßlichen Sachen, alle!« Sie riß sich los und entlief.

Im Schlitten sagte Drut: »Was nur mit dem Mädl vorgehn mag? Sie ist ganz verändert.« Klemens sagte: »Der Pfaffe quält sie. So machen die sich die Menschen gefügig, das gibt dann den verprügelten Gehorsam, den sie brauchen. Und es scheint auch der Nießner dahinter zu stecken. Dem Burschen ist jedes Mittel recht. Was geht's uns an?«

Und er drückte zärtlich ihre kleine feste Hand. Lachend sagte Drut: »Und die Hofrätin ist doch aber zu nett! In ihrer plötzlichen Sehnsucht nach dem Süden, mit dem Antonio zusammen! Deshalb soll wohl auch die Vikerl aus dem Hause. Ungestört will die gute Großmama sein.« Klemens sagte: »Und der Hochwürdige Herr gibt den Segen dazu.« Sie fuhren noch in den Ort hinein, manches zu besorgen. Klemens trat in einen Laden, Drut blieb wartend im Schlitten. Da sah sie den Doktor Tewes um die Ecke kommen. Sie winkte ihm zu und rief ihn an. »Wissen Sie's schon, lieber Doktor?« Er kam zögernd heran. Sie hielt ihm die Hand hin und sagte: »In drei Wochen heiraten wir. Und nun hören Sie, was ich mir ausgedacht habe! Sie müssen mein Trauzeuge sein. Nein, da hilft Ihnen nichts! Sie sind doch schuld, Sie ganz allein! Jetzt tragen Sie nur auch die Folgen!« Sie lachte vergnügt. Der Doktor wollte stotternd antworten, da kam Klemens aus dem Laden zurück, erblickte ihn und sagte, in seinem feschen Ton: »Ha! Der Stifter unseres Glücks! Heil!« Aber indem er dies sagte, fiel ihm ein, daß er doch lieber mit dem roten Doktor nicht zu vertraulich werden wollte; diese Leute nützen das dann gleich aus. Und er sagte dem Kutscher, leichthin: »Vorwärts, wir erfrieren sonst hier! Ich bin Ihnen noch immer einen Besuch schuldig, lieber Doktor, aber ich komm schon nächstens einmal!« Und er winkte grüßend mit der Hand, setzte sich und zog die Decken an.

»Wieso denn? Wozu denn?« schrie der zappelnde Doktor durch die kalte Luft. »Ich habe nur meine Pflicht getan! Nur was mir meine Pflicht schien, bitte!« Und schon war er zappelnd davon, den Kopf himmelan, durch die Gasse schnellend, während der Kutscher langsam den Schlitten wendete.

Klemens sah dem Doktor nach und sagte spöttisch: »Schön ist er nicht, der Stifter unseres Glücks!«

»Der Stifter unseres Glücks!« wiederholte Drut. Sie schloß ihre kleinen unruhigen Augen und hüllte sich ein, an Klemens gelehnt.

»Vorwärts, vorwärts!« rief Klemens ungeduldig dem Kutscher zu.

Schweigend fuhren sie durch den grauen kalten Tag ins Dunkel hinein.


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