Hermann Bahr
Die Hexe Drut
Hermann Bahr

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Sechstes Kapitel

Über Nacht war der Herbst da. Abends noch ein Gewitter, dann schlug der Wind um, früh lagen die Berge verschneit. Die Fremden flohen. Nach ein paar Tagen war der Ort verlassen. Nur der alte Klauer ging noch einsam herum. Es wurde wieder warm. Der Schnee wich. Aber der Herbst war da. Äpfel glühten, Pflaumen blauten, die Bäume bogen sich. Der wilde Wein wurde gelb und rot, die Schwalben waren fort. Jetzt wird eine Nacht sein, da stößt der Sturm ans Fenster, in der Früh liegt das Laub, das Land ist kahl. Noch brannten alle Farben, aber schon stand diese Nacht bereit. Es war Herbst.

Furnian fuhr nach der Lucken. Er stellte sein Rad beim Pfarrer ein. Der hatte sich an ihn gewöhnt, saß auf der Bank und sagte nichts, mit den Lippen betend. Die Köchin nahm das Rad ins Haus. Furnian stieg zum Oberen See. Über der Halde lag der Untere See, da stand ein kaiserliches Jagdhaus. Nun ging er durch den Wald, noch eine halbe Stunde bergan. Der Wald endete, rings schossen die steilen Felsen auf, um ein kleines, grün glitzerndes Auge. Wirklich, immer mußte Furnian wieder denken, wirklich einem grünen Auge glich der kleine See, wie wenn da jemand in den Felsen versteckt läge, leise, nur blinzelnd. Das war sein See, der gehörte ihm ganz allein. Die Fremden wußten wohl gar nicht, daß es noch einen zweiten See gab. Kam einer doch einmal in die Lucken hinauf, so ließ er sich zum ersten führen und kehrte beim Jagdhause wieder um. Und Klemens verriet es keinem. Kindisch eifersüchtig war er, seinen eigenen See zu haben. Er ließ sich von den Jägern ein Boot hinbringen, das war an einen Pfahl im Wasser gebunden; die Ruder und eine Schaufel, um auszuschöpfen, wenn es geregnet hatte, staken im Dickicht verborgen, aber es kam ja so niemand. Das Boot vom Ufer zu stoßen, nur leicht ein paarmal die Ruder zu schlagen, dann aber zu liegen und es treiben zu lassen, eine Hand in seinem grünen See, mit dem Blick in die grauen Felsen, den blauen Himmel über sich, und das eiskalt kitzelnde Wasser und den streichelnden leisen Wind und einen trockenen Geruch von der Halde her zu spüren, war seine Lust, und wenn dann die Sonne grell in die weißen Steine stach, während der Wald regungslos am Ufer stand, wie horchend, fand er sich in eine seltsame Schläfrigkeit gelockt, in der sein grüner See mit dem blauen Himmel zu bunten Träumen verschwamm, und so, wunderlich betäubt und erregt zugleich, fing er dann die kleinen weißen Wölkchen abzuzählen an, bis ihn aus seinem dämmernden Spiel ein Schrei riß, ein großer Vogel war's, der aus den Steinen stieß, schwarz flog der große Vogel auf, bald schlagend, bald schwebend, er dachte, daß es ein Adler war, aber er kannte sich ja mit Tieren und Pflanzen nicht aus, er wußte noch immer die Namen seiner Berge nicht einmal, was ging es ihn an? Dann aber schwand der Adler, und wieder war nichts um ihn, als daß der See lag, der Wald stand, die Sonne schien, und er wunderte sich, wie geheimnisvoll das war. Und wenn er dann am andern Tag auf der Promenade zur Musik unter den geputzten Weibern ging, war er froh, daß die von seinem grünen See nichts wußten. Er hätte es niemandem gegönnt. Der grüne See sollte sein Geheimnis sein. Er wußte schon, daß das recht kindisch von ihm war. Einmal aber wollte er einen Sommer für sich haben, ein einziges Mal doch! Und nun war der Herbst schon da.

Anders war der Wald heute. So leer kam er ihm vor. Es schien, als wären die Bäume voneinander abgerückt. Heller war er wie sonst. Breiter schien der Weg. Klemens konnte nicht sagen, was denn eigentlich sich verändert hatte. Aber wie eine leise Bangigkeit hing es von allen Zweigen, und ihm war, als hätten sich die Bäume abgewendet, um wegzusehen, vor Angst und arger Erwartung.

Sein Boot war nicht da. Er wunderte sich. Im Versteck fand er die Ruder nicht, nur die Schaufel. Vielleicht war einer von den Jägern mit dem Boot hinüber. Er sah sich um. Ganz still lag sein lieber grüner See, wie leise lächelnd im linden Licht. Drüben aber, wo's zur bösen Wand hieß, stand im Schatten das leere Boot. Dort war ein Steig zur Alm; der Jäger hatte wohl nicht erst um den See gehen wollen. Wollte Klemens zu seinem Boot, so mußte er erst rundherum und dann noch landeinwärts, um von drüben zur Höhe der Wand aufzusteigen und dann durch die Riesen zum See herabzuklettern. Erst verdroß es ihn. Aber er dachte, daß der Lümmel von Jäger imstande war, das Boot zu vergessen. Er nahm vielleicht den andern Weg zurück und ließ es dort, der nächste Sturm zerschlug es am Felsen. Er entschloß sich doch, es zu holen. So schritt er durch das Ried, die kleine Bucht herum. Hier war er noch nie gegangen. Nun sah er dies alles zum erstenmal von der anderen Seite. Die Berge verschoben, der Wald entfernte sich, sein See war nicht mehr grün und lächelte nicht mehr, er war groß und grau und wie plötzlich alt geworden, alles schien vertauscht. Und es ist halt auch der Herbst, dachte Klemens, der Herbst ist überall.

Langsam stieg er den schmalen Pfad hinauf, bis der Kulm über der bösen Wand erreicht war. Er mußte nun kletternd zwischen moosigen Fichten hinab, ohne rechten Weg, der sich erst ganz unten, dicht über dem Wasser, wiederfand und hier plötzlich in einen runden Platz ausging, eine helle kleine Wiese, rings in Fichten, die ihre guten langen Hände über sie hielten, und die liebe Sonne sprang herein. Verwundert blieb Klemens stehen, so seltsam war das Huschen der weißen Strahlen über die grüne Wiese, während unten das Wasser glucksend an den schwarzen Felsen schlug. Und die Strahlen, wie kleine weiße Flammen, flossen um eine Gestalt, die, den Kopf ins Moos zwischen zwei großen Wurzeln gelehnt, unter einer Fichte lag. Verwundert sah Klemens noch immer hin. Er regte sich nicht, sie schien zu schlafen, er wollte sie nicht wecken. So zart und leicht lag sie in den flimmernden Strahlen. Klemens dachte: wenn der Wind atmet, weht er sie weg. Es war eine kleine, sehr zierliche junge Frau in einem kurzen Rock aus grünem Loden, mit einem steirischen Hut, der einen Gamsbart trug. Sie hatte ein feines, sehr weißes Gesicht, noch weißer als die Sonnenstrahlen. Im Schlaf hielt sie die Hände geballt, und auch auf den Mund, der was Bitterliches und Müdes und Armseliges hatte, war ein böser Trotz gepreßt. Indem sie die Nähe Furnians zu spüren schien, zog sie das weiße Gesicht zusammen, und das kurze abgeschnittene Näschen sträubte sich. Behutsam glitt Klemens vorbei, zu seinem Boot hinab. Indem er es abband, schlug die Kette klirrend aufs Brett. Er hängte die Ruder ein, da hörte er rufen. Er wendete sich stehend um und erblickte die kleine Frau. Sie trat aus den Bäumen und rief: »He, he! Was fällt Ihnen denn ein, mein Boot zu nehmen?«

Er fragte vergnügt: »Ihr Boot ist das?«

»Ja«, sagte sie ungeduldig. »Machen Sie keine dummen Witze.«

Er griff nach einem Ast, um das Boot zu halten, und sagte: »Ich nehme Sie mit. Wohin wollen Sie?«

»Nein«, sagte sie. »Ich brauche niemand. Steigen Sie nur gefälligst wieder aus!«

Klemens lachte. Ärgerlich sagte sie: »Rasch, bitte! Ja? Es wird Abend, ich will heim.« Und da Klemens mit Behagen ihre funkelnde Gestalt betrachtete, wurde sie noch zorniger. »Wird's? Man ist hierzulande recht unverschämt.«

Gelassen sagte Klemens: »Das Boot gehört nämlich mir.« Und indem er ans Ufer sprang, die Kette haltend, fügte er lustig hinzu: »Wenn Sie nichts dagegen haben.«

Jetzt sah sie ihn erst an, mit dem zwinkernden Blick der Kurzsichtigen. Dann mußte sie lachen und wiederholte fragend: »Ihnen gehört das Boot?«

»Ja«, sagte er und hielt ihr die Hand hin, um ihr zu helfen. Sie zögerte. Dann sagte sie, zum anderen Ufer zeigend: »Ich fand es dort. Ich wollte fahren. Es war aber niemand da, den ich hätte fragen können.« Sie sah Klemens trotzig an, dann sagte sie noch kurz: »Entschuldigen Sie also gefälligst.«

»Bitte«, sagte Klemens, ihr die Hand reichend. »Steigen Sie nur ein.«

Sie sprang hinein, nur mit den Fingern leicht seine Hand streifend. Er wunderte sich, wie behend und geschickt die zierliche kleine Frau war. Gleich saß sie und hatte schon die Ruder ergriffen. Am Ufer bleibend stieß er das Boot ab.

Sie fragte: »Kommen Sie denn nicht mit?«

Er fragte: »Nehmen Sie mich denn mit?«

Sie sagte: »Das Boot gehört Ihnen.«

Er sagte: »Aber wenn Sie lieber allein sind!«

Sie dachte nach, dann sagte sie: »Sie müssen mich aber rudern lassen.«

Er setzte sich vorn ins Schiff und sagte: »Wenn Sie wollen.«

Sie fing zu rudern an und sagte: »Ich will.« Es fiel ihm auf, wie hart ihr weißes Gesicht wurde, wenn sie das Kinn vorstieß. Er fragte: »Macht Ihnen das Rudern Spaß?«

Sie sagte nichts, sondern schlug im Takt die Ruder ein, jedesmal abwartend, bis der Stoß ausgelaufen war. Die Tropfen glänzten an den Rudern. Klemens sah ihr zu, wie sie mit gesenkten Augen, den Hals gespannt, ausgriff und anzog. Er sagte als Kenner: »Sie rudern recht nach der Kunst.« Sie erwiderte: »Halten Sie sich bitte nicht für verpflichtet, Konversation zu machen.«

Er sagte fragend: »Nein?«

»Nein«, wiederholte sie, abweisend.

»Das ist mir sehr angenehm«, sagte er. Er legte sich auf den Boden des Boots und streckte sich aus, zum Himmel sehend.

»Dann werden wir uns ja ganz gut vertragen«, sagte sie. Nun sprachen sie kein Wort mehr, die Ruder schlugen, das Schiff glitt, die Tropfen klangen, und den Abendwind hörten sie, der über das Wasser flog. Einmal zog sie die Ruder ein. Ihr Haar hatte sich gelöst, sie steckte die zause blonde Locke wieder auf. Dann waren wieder nur die starken, gleichmäßigen, schnellenden Stöße der Ruder, und manchmal pfiffen ganz leise die Riemen.

Sie sprang ans Ufer, und während Klemens das Boot an den Pfahl band und die Ruder aushob, sagte sie, die Ballen ihrer kleinen festen Hände reibend: »Danke noch schön.« Schon wendete sie sich zum Walde. Klemens, der die Ruder ins Versteck trug, rief ihr nach: »Wenn Sie das Boot benutzen wollen, wird es mir immer ein Vergnügen sein. Sie bleiben doch noch ein paar Tage hier?«

»Wer wird so neugierig sein?« rief sie zurück.

Er kam ihr nach und sagte: »Wir haben denselben Weg.«

Sie ging schneller und sagte: »Den Weg kann ich niemandem verbieten.«

Er lachte und sagte: »Sie sind gar nicht nett.«

Sie blieb stehen, ließ ihn nachkommen und sagte dann: »Nein, mein Herr. Nett bin ich gar nicht.« Dies sagte sie ihm ins Gesicht hinein, sah ihn mit ihren flimmernden Augen an und setzte hinzu: »Und mag auch nette Menschen nicht, schon das Wort ist mir verhaßt.« Und rasch kehrte sie sich und entlief ihm. Er ging langsam. Es dunkelte. Sie verschwand in den Bäumen. Er hörte ihre schnellen Füße rascheln, und manchmal sah er noch ihren steirischen Hut mit dem breiten grünen Band und dem steifen Gamsbart. Eine komische Person, dachte Klemens. Hübsch war sie eigentlich nicht. Er hatte mehr eine Vorliebe für gewichtige Frauen, im Umfange der Apothekerin; es war ihm leid, daß man mit der schönen Frau Jautz nicht reden konnte, sie wurde gleich rot, ihre schläfrigen Augen ängstigten sich, sie war zu dumm, aber schön war sie, und reichlich schön, sie gefiel ihm schon sehr, und immer, wenn er ins Krätzl kam und sie da vor sich ausgebreitet fand, wurde sein Blut vergnügt, schade, daß man mit ihr nicht reden konnte, doch da zog sie den breiten Rücken empor, strengte sich an, wie ein Kind beim Lernen, und blies sich auf, da verging ihm alles. Warum er aber jetzt auf einmal an die schöne Frau Jautz denken mußte, mitten im Wald, während vor ihm diese komische Person durchs Dickicht schoß, wußte er nicht, das war doch wieder echt Klemens! Morgen im Krätzl, der Jautzin gegenüber, denkt er dann sicher an die da. Immer an eine, die weg ist; so war er. Damit hatte er doch auch den ganzen Sommer verpaßt. Er wußte, daß er den Frauen gefiel, er hatte die Wahl, und es gab manche nach seinem Geschmack. Er bemerkte das nur immer zu spät, dann war sie schon fort, wirklich, so ging's ihm. Er wurde vorgestellt, war lustig, begann zu flirten, dachte sich gar nichts, wußte kaum, ob sie schön war, und so ging's hin, täglich mit einer anderen beim Tennis und auf dem Rad, bis eine dann wieder abgereist war, da fiel ihm dann plötzlich immer ein, die wäre es gewesen! Und dann fing er sich zu sehnen an, er konnte sich ja so sehnen! Es war nur bei ihm anders. Andere Männer griffen gleich zu. Er aber dachte nicht daran. Wirklich, das war es, er verglich oft die anderen mit sich und fand immer, daß er nur eben im Augenblick nicht daran dachte, das war der Unterschied. Nicht etwa, daß er sich nicht getraut hätte, das war es gewiß nicht, sondern es fiel ihm nur erst immer später ein. Dann schlief er schlecht und wälzte sich oder trat im Hemd auf seinen Balkon in die stille Nacht hinaus, so trieb ihn das Verlangen; kam aber der Tag, so war es wieder still und schwieg, solange er mit Frauen zusammen war. Ein anderer hätte doch sicher die kleine Schläferin im Walde geküßt. Ihm aber fiel wieder jetzt erst ein, daß er das vergessen hatte. Das wäre dann ein ganz nettes kleines Abenteuer gewesen. Hübsch war sie freilich gar nicht. Eine komische Person. Und frech. Wie sie gleich mit ihm kommandiert hatte! Sie hielt ihn wohl für einen der Jäger. Das machte ihm Spaß; er gab sich immer Mühe, wie einer von hier auszusehen. Schon ihre Frechheit hätte Strafe verdient. Wo nahm die kleine Person die Frechheit her? Mit drei Fingern seiner Hand konnte er sie heben. Wahrscheinlich fürchtete sie sich auch vor ihm, darum lief sie davon. Aber die hätte sich schon gewehrt mit ihren festen Fäusten. Wenn sie nur ein bißchen hübscher gewesen wäre! Sie sah mehr einem Buben gleich. Obwohl sie gar nicht mehr so jung war. Als sie vorhin das böse Gesicht machte, mit der starken Falte zwischen den Brauen, von der aus allerhand kleine Furchen in die Stirne zogen, und auch unter den Augen, wenn sie blinzelten, um besser zu sehen, da schien sie plötzlich alt, aber auch eher ein alter Zwerg als eine Frau. Und drollig wie ein Zwerg war sie, so risch und rasch dahin, mit ihren zuckenden Bewegungen. Eigentlich aber hatte sie ihm ganz zuerst am besten gefallen, als sie schlafend unter der Fichte lag, die festen kleinen Fäuste geballt, mit einem so hilflosen Zug um den armen Mund. Da hätte er sich über sie beugen und sie küssen sollen, wie der Prinz das Dornröschen. Aber jetzt sah er sie gar nicht mehr. Sie war wohl schon in der Lucken und ging zum Ort zurück. Er wunderte sich, daß er ihr noch nie begegnet war. Sie mußte gestern erst angekommen sein. Jetzt fiel einem doch jeder Gast in den leeren Gassen gleich auf. Wenn sie ihn wiedersehen und dann hören wird, daß er der Bezirkshauptmann ist, wird sie staunen. Er freute sich auf ihre Verlegenheit.

Da war ihm, als hätte sie gerufen. Es klang wieder: He! Und als er horchte, noch einmal, ganz in der Nähe: He! Er bückte sich vor, lauschend und suchend. Ihre kleine klare Stimme sagte: »Da bin ich, da! Helfen Sie mir!« Sie saß am Weg, die Hand ausstreckend. Er fragte: »Was ist denn?« Sie sagte: »Ich kann nicht mehr. Ich bin auf einmal so müd geworden.« Er fragte: »Haben Sie sich vielleicht weh getan?« Heftig antwortete sie: »Aber nein, nein! Helfen Sie mir nur auf, dann geht's schon wieder. Ich kenne mich.« Er zog sie mit beiden Händen empor und hielt sie noch, als sie schon stand, denn es war ihm, als wäre sie zu schwach, aufrecht zu bleiben. Sie riß sich los und sagte: »Die dummen Nerven!«

Er bot ihr den Arm. »Stützen Sie sich, es ist gar nicht mehr weit, in der Lucken kann ich Ihnen einen Wagen besorgen.« Da sprang sie lachend weg und drehte sich vor ihm, mit ausgestreckten Armen. »Es ist schon wieder vorbei«, sagte sie. »Meine Füße sind nie müd, ich könnte tagelang steigen, das ist ja so schön! Nur mein dummer Kopf wird oft plötzlich müd, daß ich auf einmal gar nichts mehr weiß. Aber es dauert bloß fünf Minuten.« Sie schritt jetzt ruhig neben ihm her. Nach einiger Zeit sagte sie noch achselzuckend: »Nerven. Ich denke, die Luft hier wird mir gut tun. Hoffentlich hält das schöne Wetter an.«

Er fragte: »Wollen Sie längere Zeit bleiben?«

Ihr Gesicht wurde hart, sie schob das Kinn vor. »Hierzulande ist man sehr neugierig. Bei jedem Schritt wird einem ein Meldezettel in die Hand gedrückt. Ich habe das nicht gern.«

»Fragen ist erlaubt«, sagte er.

»Ja«, sagte sie. »Aber ich muß nicht antworten.«

»Nein«, sagte er. »Aber ich kann fragen.«

»Und wie lange gedenken Sie dieses anregende Gespräch fortzusetzen?« fragte sie.

»Wenn es Ihren Kopf wieder müd macht, bin ich gleich still«, sagte er.

»Es macht sicher meinen Kopf müd«, sagte sie. »Und der Abend wäre so schön.«

»Ich bin schon still«, sagte er. Sie gingen nebeneinander durch das nasse Gras am unteren See hin. Ihm tat wohl, daß sie sich ärgerte. Er roch förmlich ihren kleinen fauchenden Zorn neben sich. Wenn er sie berührt hätte, wären sicher Funken aus ihr gesprungen. Er hatte Lust, sie bei den Haaren zu zausen, an dem kleinen aschblonden Schopf, der unter dem steirischen Hut hervor in ihre Stirne stieß. Hinten weht der Gamsbart und vorne der Schopf, dachte er, ein kriegerisches kleines Weibsbild!

Nach einiger Zeit fragte sie verächtlich: »Sie gehören wohl zu den Jägern hier?«

Er sagte: »Hier nicht.«

Achtlos sagte sie: »Nein?«

Er sagte: »Aber ein Jäger bin ich.« Als sie nichts sagte, fügte er hinzu: »Ein Jäger auf Frauen.« Er hatte plötzlich Lust, ganz albern mit ihr anzufangen. So im Stile Nießners. Sie konnte sich ja wehren. Es war so lustig, wenn sie sich ärgerte. Sie hatte dann etwas von einer gereizten Henne. Er fand überhaupt, daß sie, wie sie jetzt so neben ihm mit großen Schritten in den Boden stach, mit dem bösen Schopf voran, eigentlich einer Henne glich, freilich von einer recht ausgehungerten, abgemagerten Art.

»Ach so«, sagte sie. »Sie sind auch geistreich! Die Herrn in Österreich haben eine ganz eigene Art, geistreich zu sein. Ich habe das schon bemerkt, man muß sich daran erst gewöhnen.«

Ihr Ton ärgerte ihn, und er mochte den Hochmut gegen Österreich nicht. Das kommt zu uns, frißt sich an und läßt sich's gut gehen, dann aber wird über uns geschimpft! Er sagte: »Glauben Sie, daß es so schwer ist, grob zu sein wie die Berliner? Und sehr gescheit ist es auch gerade nicht, mit einem anzubinden, in dessen Gewalt man ist.«

»Ach Gott!« sagte sie, höhnend. »Was könnten Sie mir denn tun, mit Ihrer Gewalt?«

»Wer hindert mich denn,« sagte er, »Sie jetzt einfach zu nehmen und –?« Er blieb stehen, er hatte wirklich Lust.

Sie blieb stehen und fragte: »Und?«

Er lachte und sagte: »Und was ich dann halt will! Ich weiß noch nicht, was mir lieber ist. Sie ins Wasser zu werfen oder gnädig zu sein und Sie mit einem Kuß auf Ihren schlimmen Mund davonzulassen.« Wie sie jetzt einander gegenüberstanden, war ihr Schopf gerade vor seiner Nase.

»Ich würde,« sagte sie, »wenn es Ihnen sonst gleich ist, um das erstere bitten.« Sie stand vor ihm, hielt den Kopf schief und sah zu ihm hinauf; jetzt hatte sie wieder die Falten zwischen den Brauen, die starken Lider fielen über die kleinen Sterne, es schoß aus ihnen, als ob sie sonst ganz starr, gleichsam nur mit den Augen atmen würde. Es reizte Klemens, er packte sie mit beiden Händen. So hielt er sie, sie standen im Gras am Wasser und sahen sich an. Da sagte ihre kleine klare Stimme: »Ja. Sie werden wahrscheinlich stärker sein als ich.« Nießner hätte sie jetzt nicht mehr ausgelassen, fiel ihm ein. Aber es kam ihm so feig vor. Er ließ sie los und sagte: »Nein, Sie brauchen sich nicht zu fürchten! Aber schön artig sein, bitte ich mir aus.«

»Ich habe mich gar nicht gefürchtet«, sagte sie, nun wieder neben ihm gehend. »Keinen Augenblick! Ich kann schwimmen.«

»Ich hätte Sie nicht ins Wasser geworfen«, sagte er.

»Und auf den Mund haben Sie mich aber auch nicht geküßt«, sagte sie und lachte. »Also wozu?«

Beschämt ging er neben ihr, ohne doch eigentlich zu wissen, warum er sich schämte. Er hatte das ja nur im Spaß gemeint, natürlich. Und um ihr ein bißchen Furcht zu machen und ihren kecken Spott zu strafen. Es kam ihm doch nicht in den Sinn, sich an einer Dame zu vergehen. Auch war es wirklich nicht so verlockend, diesen dürftigen Mund zu küssen. Aber sie bildete sich am Ende noch ein, er hätte nur nicht den Mut gehabt. Das war es, warum er sich schämte. Ganz triumphierend ging sie neben ihm, es verdroß ihn, sie so wohlgemut stapfen zu sehen. Eben hatte sie noch wie von allen Kräften verlassen getan, zum Erbarmen war sie dort am Weg gelegen. Jetzt sah man ihr nichts mehr davon an, sie hatte sich auffällig schnell erholt. Ob sie nicht ein bißchen geschwindelt hatte? Vielleicht fürchtete sie sich doch, allein durch den Wald zu gehen, und hatte diese Müdigkeit nur vorgeschützt. Vielleicht gefiel er ihr, sie war nur anfangs verschreckt gewesen. Vielleicht aber wollte sie auch bloß ihn glauben lassen, daß er ihr gefiel, um sich dann über ihn lustig zu machen. Er traute ihr das zu, sie schien eine ganz durchtriebene Person zu sein. Vielleicht tat er ihr aber unrecht, er hatte doch eigentlich gar keinen Grund, sie zu verdächtigen. Er war wirklich schon ganz verkrätzelt: daß eine Dame allein im Wald ging, genügte ihm, gleich allerhand zu vermuten. Immerhin war es etwas abenteuerlich, so spät noch aufs Land zu gehen. Er wußte auch nicht recht, was sie sein könnte. Keine Österreicherin. Es klang aber auch nicht norddeutsch, wie sie sprach. Eine Schauspielerin? Dazu war sie nicht liebenswürdig genug, den Damen vom Theater merkt man es doch immer irgendwie gleich an, wie sie sich unwillkürlich bemühen, Eindruck zu machen. Und jetzt hier, so spät im Herbst noch? Und gibt es denn Schauspielerinnen, die allein sind? Eher eine Malerin, vielleicht. Die hatten manchmal eine solche Sicherheit, als wäre die ganze Welt ihr Eigentum, und die hatten auch in ihrem ganzen Wesen dieses gewisse: Weg mit den Männern, wir brauchen keine mehr, alle Männer sind überflüssig! Das hätte gestimmt. Und auch dieser Hauch von freier Luft, der um sie war; fast etwas Ländliches hatte sie ja im Wesen und schien, so zierlich und elegant sie war, mit Wind und Wetter vertraut. Doch aber eben zierlicher und eleganter, als er sich Malerinnen dachte, und die kleinen festen Kinderhände sahen ihm gar nicht danach aus. Eher auf irgendeinen Sport hätte er sie taxiert. Eine Jägerin oder Reiterin. Ja, zu Pferde mit hohem Hut mußte sie gut aussehen. Oder auch im Automobil, mit großem wehenden Schleier. Am Ende war sie eine Amerikanerin. Das hätte dann auch die Frechheit erklärt. Vielleicht gab es eine solche kleine Handausgabe in Taschenformat sozusagen, eine Zwergrasse von Amerikanerinnen. Vielleicht war sie eine amerikanische Zahnärztin. Denn sie hatte ja auch etwas Gelehrtes im Gesicht, sie hatte wirklich ein sehr gescheites Gesicht. Übrigens, er konnte sich ja einfach im Ort erkundigen, wer sie war. Es ist doch gut, dachte er, daß wir in einem Staate leben, wo es keine Geheimnisse gibt. Und das bißchen Abenteuerlichkeit, das an ihr war, fand er jedenfalls sehr angenehm. Nur etwas hübscher hätte sie sein können. Das war aber vielleicht auch wieder ganz gut; es hatte keine Gefahr, sich mit ihr einzulassen. Und das war es doch gerade, was er sich eigentlich schon immer wünschte: mit einer klugen und munteren Frau vertraut zu werden und sie recht in sich verliebt zu machen, selbst aber sich dabei nicht weiter aufzuregen; ungefähr so wie der Lackner mit der Fräul'n Theres. Anfangs hatte er gemeint, dies mit der Vikerl versuchen zu können; sie waren auch gute Freunde geworden, nur erschrak sie gleich, wenn man sie bei der Hand nahm; sie war auch so leicht beleidigt, jedes Wort mußte man sich überlegen, etwas Unweibliches hatte sie. Er aber hätte sich gewünscht, einmal mit einer jungen Frau vergnügt zu sein, die einen Spaß verstand, und sich mit ihr zu balgen und ihr Haar zu zausen, ihr blondes Haar; er dachte sich immer blondes Haar dabei. Und er hätte sich so gern einmal recht verhätscheln lassen. Das fehlte ihm; seine arme Mutter war immer ernst und krank gewesen, immer hieß es, still sein und die Mutter nicht stören. Andere Buben dürfen herumtollen. Das war ihm das Leben noch schuldig. Mit dem alten Klauer oder Nießner ging das aber doch nicht. Für die war er auch der Bezirkshauptmann. Er wünschte sich eine recht verliebte kleine Frau, für die er nicht der Bezirkshauptmann wäre, sondern ein schlimmer dummer Bub sein könnte. Einmal im Leben. Jeder muß sich einmal austoben. Einmal vierzehn Tage lang. Dann fuhr sie wieder fort, man war ein bißchen traurig, aber man hatte doch das Gefühl, auch einmal jung gewesen zu sein. Länger als vierzehn Tage wünschte er es sich gar nicht. Denn nachher wollte er sich dann ungestört dem Ernst des Lebens widmen. Es war doch eigentlich ein bescheidener Wunsch. Einen Moment dachte er sogar daran, es einfach der kleinen Frau da neben ihm vorzuschlagen. Es wäre das gescheiteste, wenn die Menschen aufrichtig wären. Aber Frauen vertragen das schon gar nicht. Es war auch ungeschickt, daß er sie erschreckt hatte, durch die Drohung mit dem Kuß. Das nächste Mal wird er ganz anders mit ihr sein. Erst muß er sie zutraulich machen. Dann wird es ihr ja auch schmeicheln, wenn sie erfährt, daß er der Bezirkshauptmann ist. Und wen gab es denn hier schließlich als ihn, seit Nießner fort war? Er wird ganz unbefangen tun, das reizt die Frauen immer. Er wußte ja, daß er den Frauen gefiel. Sie wird sich in ihn verlieben, und er wird sie zappeln lassen, und das wird sehr lustig werden. Gerade noch geschwind im Herbst, zum Abschied, bevor der Winter kommt; da hat er dann eine Erinnerung für die langen Abende. Hoffentlich bleibt sie noch ein paar Tage hier. Nur so ein kleines liebes Abenteuer wünschte er sich, von ein paar Tagen. Und er sagte plötzlich in seinem kokett österreichischen Ton: »Was meinen Sie, wie wär's, wenn wir wieder gut wären, nicht?«

»Wieder?« sagte sie. »Ich wüßte nicht, daß wir es je waren.«

»Es ist doch langweilig,« sagte er, »so schweigsam dahinzuwackeln, während man sich die schönsten Geschichten erzählen könnte.«

»Mir ist es gar nicht langweilig. Und schöne Geschichten weiß ich keine. Bedauere.«

»Aber ich«, sagte er. Er hielt seinen lustigen Ton für unwiderstehlich.

»Danke«, sagte sie. »Außerdem sind wir ja gleich da.«

»No,« sagte er, »von der Lucken ist es noch ein ganz hübsches Stück.«

Sie sagte: »Ich gehe nur bis zur Lucken.«

Er fragte, ganz erstaunt: »Sie wohnen in der Lucken?«

Sie fragte, gereizt: »Ist das verboten?«

Er lachte und sagte: »Nein. Aber es kommt nicht vor. Ich glaub', es hat überhaupt noch nie jemand in der Lucken gewohnt.«

Heftig sagte sie: »Hierzulande hat man eine Art, alles komisch zu finden und sich über alles lustig zu machen, die mir höchst lästig ist. Ich habe stets das Gefühl, daß mich jeder auslacht, der mit mir spricht. Ich weiß nie, woran ich bin.«

»Man muß sich halt erst an uns gewöhnen«, sagte er.

»Nein«, sagte sie. »Man muß gar nicht.«

»Es wäre mir leid,« sagte er, herzlich, »wenn ich Sie durch meinen Ton irgendwie verletzt hätte. Wir machen gern einen Spaß, aber das ist doch nicht so schlimm gemeint. Sie werden schon sehen, daß man mit uns ganz gut auskommen kann.«

Da sie schwieg, sagte er dann noch, auf einmal sehr förmlich: »Ich habe übrigens ganz vergessen, mich vorzustellen. Verzeihen Sie! Baron Furnian, der Bezirkshauptmann von hier.«

Sie zog wieder die Falten auf der Stirne zusammen und sah ihn an. Dann sagte sie: »Ich hätte Sie nicht für einen Offizier gehalten.«

»Ich bin auch keiner«, sagte er lachend. »Das klingt nur so kriegerisch.«

»Ach so!« sagte sie lebhaft. »Ich weiß schon. Das ist hier so eine Art Landrat, nicht?«

»Ungefähr«, sagte er. »Aber ins österreichisch Gemütliche übersetzt. Ein Landrat würde sich nicht von Ihnen so schlecht behandeln lassen.«

»So«, sagte sie, das Wort zerdehnend. Sie sah ihn neugierig an. Dann sagte sie, laut auflachend: »Da bin ich eigentlich also mit der hohen Obrigkeit in Konflikt geraten?«

Er freute sich, daß der Bezirkshauptmann doch wirkte. Sie war auf einmal ganz liebenswürdig. »Sehen Sie,« sagte er, »wie vorsichtig der Mensch sein muß. Ich hätte Sie ganz einfach einem Gendarmen übergeben können.«

Sie warf den Kopf zurück und sagte heftig: »Ich möchte wissen, warum. Ist es hier nicht einmal erlaubt, durch den Wald zu gehen?«

Verwundert über ihre Heftigkeit, sagte er: »Es scheint wirklich, daß Sie sich erst ein bißchen an unsere Art gewöhnen müssen. Ich habe doch nur einen Spaß gemacht.«

Sie faßte sich und sagte lächelnd: »Ach, ich bin dumm! Aber man hat hier so viele Plackereien.«

Er sagte: »Sie können ganz unbesorgt durch alle Wälder gehen. Am besten aber mit dem Bezirkshauptmann. Das würde ich Ihnen sehr empfehlen. Sicher ist sicher. Und er wird stets mit Vergnügen zu Ihrer Verfügung sein.«

Sie sagte: »Es ist ganz gut, das zu wissen.« Es klang so merkwürdig, daß er dachte, sie hätte vielleicht wieder nicht verstanden, daß es bloß ein Spaß war.

Die Halde herauf kam ihnen ein altes Weib mit einem schwarzen Tuch entgegen. Die Dame schrie: »Was ist denn? Wer hat dir befohlen, mir nachzugehen?«

Das Weib sagte demütig: »Ich bringe nur das Tuch, es wird kalt. Mir war schon Angst, Sie hätten sich verirrt.«

Die Dame nahm das Tuch und hüllte sich ein. Ungeduldig sagte sie: »Mache dir keine Sorgen! Ich finde schon meinen Weg.« Und sie rief noch zu Furnian zurück: »Schönen Dank, Herr Bezirkshauptmann!« Und schon war sie fort, die Alte kam ihr kaum nach.

Klemens holte sein Rad und sagte zur Köchin des Pfarrers: »Ihr gebt's es ja jetzt gar nobel hier! Habt's eine Fremde da!«

»Ja«, sagte die Köchin. »Mein Gott!«

»Wo wohnt sie denn?« fragte Klemens.

»Beim Schmied wohnt's«, sagte die Köchin. »Er hat eh net recht woll'n, der Schmied. Aber es is eine Baronin.«

»Wie heißt sie denn?« fragte Klemens.

»Die Baronin nennt man's halt«, sagte die Alte. »Kein weiterer Name is mir nicht bekannt. Muß aber überhaupt schon was Besseres sein. Gelbe Schuh hat's an.«

»Ihr werd'ts schon noch auf einmal ein berühmter Kurort werd'n«, sagte Klemens, aufs Rad steigend.

»Taten wir uns net wünsch'n«, sagte die Köchin. »Besser wird's net, Herr Bezirkshauptmann.« Sie ging ins Haus. Alles lag im Dunkel und war still. Nur in der Pfarre war ein Fenster hell, und die alte Stimme des Pfarrers sang, dazwischen hörte man ihn manchmal laut auflachen.

Kalt war's, Klemens fuhr rasch. In den Riefen des holprigen Wegs stieß das Rad auf. Er saß vorgebeugt, ins Dunkel spähend. Das Knirschen der Steine, die Stöße des Rads, der Druck des Windes, der gegen ihn hielt, dies alles tat ihm wohl, und mit dem Rade sprang sein Kopf und warf die Gedanken herum. Lustig war das Abenteuer im Walde, dachte er immer wieder, bis ihm einfiel, daß es eigentlich sehr bescheiden war, das schon für ein Abenteuer zu nehmen; aber es lag ja bloß an ihm, ein Abenteuer daraus zu machen, dumm war's, sich zu bedenken. Und an diese Baronin glaubte er nicht recht. Und indem er das Rad trat, fingen diese Worte im Takt zu schwirren an: An die Baronin glaub ich nicht! Bis er es auf einmal leise vor sich hin sang: Nein, an die Baronin glaub ich nicht, nein, glaub ich nicht, an die Baronin glaub ich nicht! Es war irgendein Refrain aus einer Operette, zu dem er diese Worte sang. Bis er dann selbst über sich lachen mußte. Warum bin ich denn eigentlich gar so vergnügt? Gerade darüber bin ich vergnügt, daß ich an die Baronin nicht glaube. Und er sang wieder, das Rad tretend: An die Baronin glaub ich nicht! Und er dachte wieder: Sie ist sicher eine kleine Schwindlerin, ich weiß nicht, ich hab so das Gefühl. Und er fand es viel netter, wenn sie eine kleine Schwindlerin wäre, als eine wirkliche Baronin. Nein, eine wirkliche Baronin wäre fad gewesen. Sie war aber sicher keine. Und gerade das reizte ihn: Der Bezirkshauptmann Baron Furnian von einer falschen Baronin eingefangen; und dabei ja vom Anfang an zu wissen, daß es gar keine Baronin war, und sich aber doch einfangen zu lassen. Dumm, dumm, dumm, sang er und trampelte in das Rad, dumm ist der Mensch! Was kann ihm denn aber dabei geschehen? Sie soll nur glauben, er sei dumm und habe keinen Verdacht. Das wird lustig sein. Und er wird schon aufpassen, denn er hat ja Verdacht. Und wird das Abenteuer unbequem, so ladet er sie höflich ein, sich binnen vierundzwanzig Stunden gefälligst zu entfernen, er ist ja die Obrigkeit. Plötzlich fiel ihm ein, ob sie nicht am Ende eine Nihilistin wäre. Sie sprach ein richtiges, aber fremdartiges Deutsch mit einem seltsamen Klang. Livländer sprechen so klar und hart. Dann konnte sie ja vielleicht auch eine wirkliche Baronin sein, die vom unruhigen Geist der Jugend angesteckt, in irgendeinen schlimmen Handel verstrickt worden war. Das wäre was für Nießner gewesen! Er mußte lachen, als er sich erinnerte, wie unglücklich der damals gewesen war, vor der Ankunft des spanischen Königs, da sich durchaus weit und breit niemand finden ließ, den man hätte verdächtigen und wenigstens für eine Nacht verhaften können. Was hatte Klemens ihn geneckt! Und es wäre doch zu hübsch, unversehens einen solchen Vogel ins Garn zu kriegen. Nießner würde platzen vor Neid. Und daran würde Döltsch seinen Schüler erkennen, der, indem er sich amüsiert, zugleich einen politischen Fang tut. Da hätten die Herrn Kollegen geschaut, die ihm nichts zutrauten, weil er keine großen Worte machte. Doch er überschätzte das kleine Weibsbild wohl, die höchstens irgendeine vazierende Frauenrechtlerin oder so etwas war. Sie hatte vielleicht irgendeinen frechen Artikel wo geschrieben, dann aber plötzlich Angst gekriegt, diese verrückten Frauenzimmer waren so. Und nun wird sie sich sehr vor ihm ängstigen, eines Tages aber doch alles gestehen, er malte sich das schon aus, in solchen großen Szenen schwelgen die Frauen. Und dann wird er der Gütige sein, der alles versteht und alles verzeiht, und wird sie trösten und schützend seine starke Hand über sie halten, und das wird sehr lustig sein. Hübsch ist sie ja eigentlich nicht, aber er denkt sich, sie muß sehr lieb sein können. Und es ist doch einmal eine Abwechslung, in diesem stillen Herbst, bevor der lange Winter in das einsame Tal kommt.

An der Post stieg er vom Rad. Das Krätzl war schon beisammen. Die Frau Bergrätin fragte bekümmert den Bergrat: »Muß er aber denn immer zu spät kommen, Hauschka?« Der Bergrat sagte: »Jugend hat keine Tugend. Und es muß ja wirklich sehr schön sein, so auf dem Rad durch Gottes weite Welt zu fliegen.« Der Postverwalter Wiesinger sagte: »Ich wundere mich nur, daß er noch immer nicht genug von uns hat. Ich hätte ihm einen besseren Geschmack zugetraut.« Seine Frau sagte: »Er wird schon wissen, warum er kommt. Deinetwegen sicher nicht.« Der Verwalter fragte höhnisch: »Vielleicht deinetwegen?« Sie fragte gereizt: »Wirst du's ihm vielleicht verbieten?« Der Verwalter stand auf und rannte hinaus. Das Fräulein Theres sagte lachend: »Ha, welche Lust, verheiratet zu sein!« Der Doktor Lackner sagte: »Vorher will's aber keine glauben.« Das Fräulein Theres sagte: »Tun's nur nicht so! Als ob Sie schon eine gebeten hätt, daß Sie 's heiraten sollen! Wer denn?« Und sie sah den Adjunkten lustig an und der Adjunkt sie, und sie lachten vergnügt. Der Apotheker sagte: »Sie kennen halt den Reiz noch nicht, den edle Männlichkeit zu bieten hat.

Denn, Fräul'n Theres,
Ein Mann ist ein Gefäß
Voll Lieblichkeit
Und Süßigkeit,
Und selig, wer daran
Doch manchmal nippen kann.«

Die Apothekerin sagte, in den Bierkrug hinein: »Aber Flori!« Der Bezirksrichter schlug auf den Tisch und schrie: »Na? san 's endlich fertig mit 'm Regieren? Gehn mer's an, schad um die Zeit!« Und er mischte die Karten.

Klemens aber dachte den ganzen Abend an seine falsche Baronin und war sehr vergnügt. »Man sieht,« sagte der Bergrat, »der Herr Bezirkshauptmann hat sich schon völlig eingewöhnt.« Klemens erwiderte: »Ja, mir gefällt's mit jedem Tag hier besser.« Und dann fügte er noch hinzu: »Gar jetzt, wo wir wieder ganz unter uns sind.«

»Nicht wahr?« sagte die Bergrätin.

»Nicht wahr?« sagte die Verwalterin.

»Nicht wahr?« sagte die Apothekerin.

»Jetzt kommt ja erst die schönste Zeit«, sagte die Wirtin.

»Ja«, sagte Klemens. »Jetzt kommt der wunderschöne Herbst.«


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