Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Auf dem Stege schaute Brosi hin und her, aber niemand grüßte ihn, und hadernd mit sich selber und übernächtig von der tollen Lust, that er seine Arbeit, voll Reue, daß er sich dazu hatte verleiten lassen, sein mühsam Erworbenes im Trotze zu verschleudern, worüber ihn die fetten Bauern gewiß noch hinterdrein auslachten.

Viele Tage sah Brosi nichts an dem Hause des Apothekerrösle, und nur das war ihm erwünscht, daß er an jenem Abende nichts mit Monika angeheftelt hatte; er konnte nun um so freier in die Welt ziehen, aber sparen mußte er mehr als je, denn die Hochzeit hatte den größten Teil des Reisegeldes aufgezehrt.

Wenn Brosi gut aufgeräumt war, freuten sich des besonders die Speisbuben, die den Mörtel auf das hohe Gestell zu tragen hatten, denn war Brosis Kübel leer, so trommelte er immer so lustig in die Höhlung, daß es gar nicht wie eine harte Mahnung klang, und fast tanzend kletterten die Speisbuben die hohen Leitern hinan und verwechselten den leeren Kübel mit einem vollen. Seit mehreren Tagen aber klopfte der Brosi so wild und so melodielos in seinen Kübel und zankte noch mit den lässigen Speisbuben.

Das Wetter hatte sich gewendet, und es goß beständig in Strömen herab, so daß die Arbeit noch überdies eine wenig freudige war. Durchnäßt, frierend und hustend (denn seit der Hochzeitnacht fühlte er stets einen stechenden Schmerz auf der Brust) ging Brosi am Morgen und am Abend ungegrüßt über den Steg. Der Forlenbach, der sonst in den hohen Sommermonaten oft so trocken war, daß eine Katze hinüberlaufen konnte, schwoll durch den anhaltenden Regen immer mehr an und wälzte seine braunen Wellen wildrauschend über die Felsen. Brosi stand einst auf dem schon schwankenden Steg still und wünschte sich, daß die Wellen den Steg jetzt fortreißen und ihn selbst mit verschlingen möchten. Es kamen Tage, an denen der Regen nachließ, aber weiter im oberen Gebirge mußte er noch anhaltend sich ergießen, denn der Bach wurde immer höher und brachte ganze Baumstämme mit, die von den Uferbewohnern mit Hakenstangen, sogenannten Geißfüßen, als gute Beute eingezogen wurden. Eines Morgens kam Brosi an den Steg und schaute verwundert um sich; er kannte die Gegend kaum mehr, da war keine Spur des Steges, und weit hinein in die Wiesen floß das Wasser und schwemmte das in Schochen zusammengerechte Grummet mit sich fort. Während Brosi noch umschauend dastand, sah er am jenseitigen Ufer im Grasgarten des Apothekerrösle die Monika. Er öffnete den Mund, aber noch ehe er ein Wort hervorbrachte, rief ihm die Monika so laut zu, daß er es trotz der rauschenden Wellen hören konnte:

»Droben an der Bömles-Sägmühle kann man noch 'rüber.«

Betroffen von diesem Zurufe und mit höchster Anstrengung rief der Brosi hinüber:

»Wir haben in Lustbarkeit nicht zusammenkommen sollen, es scheint, daß es in Traurigkeit sein soll.«

»Wir brauchen gar nicht zusammenkommen, gar nicht,« lautete die schnippische Antwort der Monika, und sie verschwand.

Den ganzen Tag mußte Brosi bei der Arbeit darüber nachdenken, wie so eigen die Monika ihm doch zugerufen und ihn dann so barsch abgewiesen hatte. In der mittäglichen Feierstunde ging er nach dem Hause des Apothekerrösle, er hustete mehrmals und wagte es nicht, hineinzugehen. Endlich fand sich eine schickliche Ausrede: sich eine Kohle vom Herde holen, um die Pfeife anzuzünden, ist eine unverfängliche Sache.

Brosi ging nach der Küche, Monika stand scheuernd in derselben.

»Ist's erlaubt, eine Pfeife anzuzünden?« fragte Brosi, und Monika erwiderte:

»Das kann man niemand wehren.«

Brosi nahm die Kohle und war eben im Begriff, zu gehen, als er mächtig husten mußte; da klopfte es dreimal dumpf an die Küchenwand, und die Mutter rief aus der Stube: wer draußen sei, solle zu ihr hereinkommen. Brosi trat in die Stube, und erschrak heftig, da die Frau ihm aus dem Bett mit gellender Stimme entgegenrief:

»Gleich thust die Pfeif' 'raus, gleich. Jeder Zug, den du draus thust, nimmt dir ein Stück Leben.«

Nun fing das Apothekerrösle an, ihn vor allem tüchtig auszuzanken, daß er mit der Monika nicht getanzt habe; sie habe gar nicht zum Tanz gehen wollen und habe nur auf ihr Zureden nachgegeben, weil ihre Mütter so gut Freund gewesen seien. Hierauf ging es an ein Klagen, wie schlecht jetzt die Welt sei, vorzeiten hätten verlassene Menschen zusammengehalten und keines einem andern eine Unehre geschehen lassen, jetzt aber hofiere alles den Holzbauern, die groß damit thun, daß sie das Geld von ihren Wäldern, die von selbst wachsen, verprassen können. Die Pfeife in der Hand, mit offenem Munde mußte Brosi zuhören, wie er immer schärfer abgekanzelt wurde; und dazu hörte er oft kaum die Worte, denn er sah jetzt das Apothekerrösle zum erstenmal ganz in der Nähe, sie hatte ein Gesicht, das sie mit nie gesehener Behendigkeit bewegte, als wäre gar kein Knochen darin. Den Unterkiefer bewegte sie mit solcher Gelenkigkeit, daß man meinte, sie könne ihn über die Nase hinausheben; dazu bildete bei besonders höhnischen Reden, und wenn sie lachen wollte, der linke Mundwinkel ein Pfännchen, mit dem sie schlürfte, als ob sie eine Süßigkeit kostete; die Augen waren allerdings noch flimmerig, aber schrecklich anzusehen war der kahle Scheitel. Man konnte den Leuten nicht unrecht geben, daß sie hier eine Hexe zu sehen glaubten.

Als das Apothekerrösle sich sattsam ausgelassen hatte, schloß es damit:

»Ich kann dir deinen Husten heilen, der dich unter den Boden liefert, wenn du nicht dazuthust. Deine Mutter ist auch schwach auf der Brust gewesen. O, sie war ein' gute Seel' und hätt's besser verdient. Steig einmal hinauf und hol' mir den Sack vom Himmelbett herunter.«

Brosi that, wie ihm befohlen, und das Apothekerrösle übergab ihm eine Handvoll Thee von seltsamer Mischung, mit der genauen Anweisung des Gebrauchs, und entwickelte dabei solch eine mütterliche Sorgfalt, untermischt mit liebevollen Erinnerungen an die Verstorbene, daß Brosi ein Brennen in den Augen verspürte.

»Ich rauch' nicht mehr. Ich lass' mein' Pfeif' gleich da,« – das war alles, was er hervorbrachte, und mehr stolpernd als gehend verließ er die Stube und das Haus; aber schon am Abend kam er wieder und sagte geradezu, wie er sich's ausgedacht, daß er eigentlich in Endringen keine Heimat habe, er sei dort bei seiner Mutterschwester und könne besser hier sein und erspare noch den Weg hin und her; wenn daher die Base (in der Gegend von Haldenbrunn nennt sich alles, was sich kennt, Vetter und Base) nichts dagegen habe, wolle er, solang der Kirchenbau noch daure, in ihrem Hause bleiben und für das Kochen einer warmen Suppe und die Unterkunft ein billiges Entgelt leisten.

»Mein' Moni schlaft bei mir, und wir haben sonst kein Bett,« entgegnete das Apothekerrösle, woraus Brosi, als des Einverständnisses sicher, auseinandersetzte, daß er ein paar Tage auf dem Heu schlafe, und sobald man mit einem Karren von Endringen herüber könne, hole er sein eigen Bett; es sei ihm ohnedies lieb, dies einzige Erbstück von seiner Mutter in guter Hand zu wissen, da er nicht sicher sei, daß ihm seine Hausleute nicht die Federn stehlen, während er auf Arbeit sei.

Es war während dieser Verhandlung Nacht geworden, und der Regen strömte wieder mächtig herab. Ohne weitere Erörterung klopfte das Apothekerrösle wieder mit der Faust dreimal an die Wand und rief der Monika, sie solle gleich Wasser auf Feuer stellen und dem Brosi seinen Thee bereiten.

»Und ich will nicht,« schrie Monika, daß es im ganzen Hause gellte.

»Geh 'naus, sie ist noch bös,« winkte die Mutter dem Brosi und zwinkerte dabei mit den Augen so einverständlich, daß es Brosi graute vor dem, was er begonnen. Er gehorchte zögernd, aber kaum war er in der Küche, als Monika sie verließ, in die Stube eilte und lauten Zank erhob, daß die Mutter den Brosi ins Haus nehme, und beteuerte, daß sie in finsterer Nacht davongehe, wenn es dabei bleibe. Eine Weile überschrieen sich beide Frauen so sehr, daß man kaum die Stimme der einen von der der andern abscheiden konnte; dann trat eine Pause ein, in der man nur noch ein Weinen vernahm, und jetzt sagte die Mutter:

»Ich hab' den Brosi so fest wie einen Finger an der Hand. Der geht nicht mehr aus dem Haus, und niemand anders als du kriegt ihn, und du wirst mir's noch danken, wenn ich schon lang verfault bin.«

»Und ich geh' davon, so weit mich meine Füß' tragen,« rief Monika.

»Und kommst doch wieder,« entgegnete die Mutter ruhig; »sei froh, daß du bös auf ihn gewesen bist, eh' du ihn hast, du ersparst's für nachher.«

Das wollte dem unwillkürlich lauschenden Brosi doch nicht zu Sinn, er kam sich doch wieder wie verzaubert vor; und hätte er sich nicht geschämt, er wäre noch in der Nacht davongelaufen. Wer weiß auch, welch ein Trank ihm bereitet wird. Eben hatte es aber die Mutter dahin gebracht, daß ihm Monika die gemischten Kräuter in die Küche trug. Durch solche Hand, dessen war Brosi gewiß, geht kein Trank, der einem Böses anthut, und noch als er die schwankende Treppe hinaufstieg, hörte er Monika klagen:

»Mutter, Ihr habt's verschuldet, wenn ich von dieser Nacht an einen bösen Namen hab', daß ich keinem Menschen mehr frei ins Gesicht sehen kann.«

Wo solch ein Sinn daheim ist, hat keine Hexerei eine Gewalt – das war der Gedanke, mit dem sich Brosi in das duftende Heu niederlegte.


 << zurück weiter >>