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Elftes Kapitel. Laßt die Kirche im Dorf.

»Wenn ich einen Besuch habe, ist mir's doppelt wohl, und weißt du, warum? Erstlich schmeckt mir's besser. Man sage, was man wolle, von der Schlechtigkeit des menschlichen Herzens, das Wohlgefühl, einen Gast zu bewirten, das ist ein tiefer Zug allverbreiteter menschlicher Güte.«

»Und zweitens?« fragte der junge Mann.

»Zweitens,« erwiderte der Pfarrer, »wenn ich einen Gast habe, dann brauche ich diese Tage nicht auszugehen. Die Welt ist zu mir gekommen. Ich mache mit dem Angekommenen den ganzen langen Weg durch, da habe ich das Recht, zu Haus zu bleiben.«

Es war ein unbeschreibliches Behagen, mit dem der Pfarrer nach Tische zu seinem Schwager diese Worte sagte. Es war kaum Nachmittag, aber es begann bereits zu dämmern, und war der Schwager voll Ehrerbietung gegen den Pfarrer, so war der Pfarrer voll Glückseligkeit über das schwungvolle, zukunftsfrohe und dabei doch bedächtige Wesen des jungen Mannes. Es gibt noch junge Männer auf der Welt, das Elend der Verlebtheit, der öden Uebersättigung und Reizlosigkeit ist noch nicht in alle Kreise gedrungen. Es ist wieder eine frische Jugend in der Welt, anders als wir waren, aber es steckt eine sichere Zukunft darin, so dachte der Pfarrer vor sich hin, und alles, was der junge Mann sagte, nahm der Pfarrer mit einem tiefen Behagen auf. Diese Freude an der schönen jugendlichen Gestalt, wie überhaupt an Gedanken und Wesen des jungen Mannes, den der Pfarrer einst selber unterrichtet hatte, war etwas wie geistige Vaterfreude im besten Sinne. »Und du hast ein derbes Rückgrat in der Hand,« sagte der Pfarrer, als er die gut ausgearbeitete Hand des Schwagers faßte, »heirate aber keine, die nicht singen kann, es wäre schade, wenn ihr nicht zusammenstimmtet.«

Die Wechselrede ging leicht hin und her, indem der junge Mann berichtete, wie so viele junge Männer sich aus dem Leben eines Landwirtes ein falsches Ideal machen und darum geistig und ökonomisch verkommen. Er selber hatte als Sohn eines höheren Justizbeamten ehedem viel an den Folgen falscher Voraussetzungen gelitten, bis er es gelernt hatte, an der unmittelbaren Feldarbeit seine Freude zu finden; er war jetzt Verwalter auf einem adeligen Gute, hatte aber seine Stelle gekündigt, um eine selbständige Pachtung zu übernehmen oder ein hinlängliches Bauerngut käuflich zu erwerben.

Mitten unter dem Gespräche hörte man vor dem Hause das Abtrappen des Schnees von den Füßen. Drei Männer standen unten; sie kamen herauf, es waren die Kirchenältesten.

»Eduard, komm in die andre Stube,« sagte die Pfarrerin und setzte hinzu, »das ist mein Bruder, und dies ist der Schilder-David, das der Harzbauer und das der Wagner.«

»Willkommen,« sagte der Schilder-David und reichte die Hand; »aber, wir bitten, bleiben Sie da, Frau Pfarrerin. Was wir zu sagen haben, ist gerade gut, wenn Sie dabei sind und auch der Herr Bruder.«

»Setzt euch,« sagte der Pfarrer.

»Dank' schön, ist nicht nötig,« erwiderte der Schilder-David, der der erwählte Sprecher war; »Herr Pfarrer, mit kurzen Worten, man sagt im ganzen Dorf, wer's hereingebracht hat, wir wissen's nicht, und der Herr Pfarrer hat uns hundertmal in das Herz gepredigt, wenn man von einem Menschen etwas hört, was man nicht von ihm glauben mag, soll man geradeswegs zu ihm gehen und ihn fragen. Also nichts für ungut, ist das wahr, Herr Pfarrer, daß Sie von uns fort wollen?«

»Ja.«

Eine Weile war alles still in der Stube, und der Schilder-David begann endlich wieder: »So, jetzt glaub' ich dran, Herr Pfarrer. Wir haben vor Ihnen einen Pfarrer gehabt, der hat uns nicht leiden mögen, und wir haben ihn nicht leiden mögen. Kann es etwas Schrecklicheres geben? Wie soll Liebe, Güte und Frömmigkeit gedeihen, wo, der das Wort spricht und der das Wort hört, nichts zu einander haben? Schrecklich, wenn's wieder so werden könnte. Wir wissen, daß einige in der Gemeinde sind, die das gute Herz von unserm Herrn Pfarrer kränken, aber Herr Pfarrer, unser Herrgott hat Sodom verschonen wollen, wenn zwei Gerechte drin sind, und Sie, Herr Pfarrer, wollen uns verdammen und verlassen, weil zwei oder drei Schlechte unter uns sind?« Hier hielt der Schilder-David inne, aber der Pfarrer erwiderte nichts, und der Schilder-David fuhr fort: »Herr Pfarrer, wir brauchen Ihnen nicht zu erzählen, wie Sie uns in das Herz gewachsen sind. Wenn's besser für Sie ist anderswo, müssen wir Ihnen dazu Glück wünschen, aber jedes im Dorfe, jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, wann und wo eins dem Herrn Pfarrer begegnet ist, da ist's ihm gewesen, als wenn's ihm was Gutes schenken müßte, wie wenn es ihn nicht leer vorübergehen lassen könne, und guten Morgen! oder guten Abend! ist noch gar nicht genug gewesen. Jetzt, Herr Pfarrer, also wir wünschen nur, daß es in dem neuen Orte auch wieder so sei und daß der Herr Pfarrer dafür Sorge trage, daß wir wieder einen Mann kriegen, nicht wie er, das verlangen wir nicht, aber einen guten.«

»Danke, danke,« sagte der Pfarrer, »was ich vermag, soll geschehen.«

»Nein, nein,« sagte der Harzbauer, »der David sagt eigentlich gar nicht das, war wir haben sagen wollen. Wir meinen, der Herr Pfarrer soll das nicht thun, er soll bei uns bleiben, er soll, wie man im Sprichwort sagt, die Kirche im Dorf lassen.«

»Ich kann meine Bewerbung um die andre Stelle nicht zurücknehmen, wenn ich auch wollte.«

»Dann bitten wir den Herrn Pfarrer um Entschuldigung, daß wir ihn belästigt haben,« sagte der Wagner mit einem gewissen stolzen Gefühl, daß er doch nun auch etwas gesagt habe und gewiß nicht das Dümmste.

Die Männer verließen die Stube; die Pfarrerin aber gab ihnen das Geleite die Treppe hinab und tröstete die Männer, daß noch nicht alles verfehlt und daß sie nicht schuldig sei an dem Entschlusse des Pfarrers, der ihm schwer geworden; morgen werde schon wieder besser mit ihm zu reden sein, er sei heute nicht ganz frisch auf, er sei für nichts und wieder nichts heut nacht auf Röttmannshof geholt worden.

»Wie ich höre,« sagte der Schilder-David, »sollen sie jetzt alle beisammen sein auf der Heidenmühle und den Verspruch halten. Ich hab's nicht glauben wollen, aber ich glaube jetzt alles. Der Verspruch soll ihnen aber nichts nützen: wir geben nicht nach.«

Die Pfarrerin kehrte wieder in die Stube zurück, wo sie Mann und Bruder still nebeneinander sitzen sah. Keines redete mehr ein Wort. Die Abendglocken läuteten, heute alle drei Glocken, denn es wurde das Fest eingeläutet, und in den Herzen der drei Menschen, die hier beisammen saßen, klang es auch gar seltsam, wenn auch keinem Ohr vernehmbar. Die Pfarrerin sagte endlich: »Es wird mir doch schwer sein, wenn ich diese Glocken nicht mehr höre. Was haben sie alles in uns wachgerufen!«

Der Pfarrer saß still am Fenster, und endlich sagte er halb für sich: »Das Schwerste ist der Entschluß, einmal die Gewohnheit zu lassen; nun ich ihn einmal gefaßt, vor mir und vor den andern, wär's nicht gut, wenn's wieder rückgängig würde. Laß Licht in meine Stube bringen. Ich sehe dich bald wieder, Eduard.«

Der Pfarrer ging in seine Stube.


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