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Zwölftes Kapitel. Wo ist der Joseph?

»Wo ist der Joseph?« fragte der Schilder-David, als er heim kam.

»Er ist nicht da.«

»Ich hab' ihn doch heim geschickt, wie ich zum Pfarrer gegangen bin.«

»Er ist nicht heim gekommen.«

»Er wird wieder drüben beim Häspele sein. Ich will nach ihm schauen,« sagte Martina und machte sich auf. »Gib ihm gleich eine tüchtige Ohrfeige, weil er so eigenmächtig herumläuft,« rief der Schilder-David der Weggehenden nach.

Martina kam bald zurück und sagte: »Joseph sei nicht beim Häspele und auch nicht mehr in der Werkstätte.«

»So ist der verdammte Bub wer weiß wohin. Ich will selber nach ihm umschauen.«

Der Schilder-David ging fort und fragte von Haus zu Haus nach Joseph. Niemand wußte Bescheid. Der Schilder-David ging wieder heim; der Knabe ist gewiß schon unterdes nach Hause gekommen.

»Aber wo ist der Joseph?« fragte ihn Martina, als er in die Hausflur eintrat, die als Küche diente.

»Wird gleich kommen,« sagte der Großvater, ging aber doch durchs ganze Haus und durchsuchte alles. Er ruft auf den Speicherboden den Namen Joseph, und er erschrickt fast, wie er so ins Leere hinausruft; er rückt Schränke weg, hinter denen sich gar kein Mensch verstecken kann, selbst hinter dem Hause, am Bachsturze, öffnete er die verdeckte Kalkgrube und dachte nicht daran, daß sie ja zugefroren war und niemand hineinfallen konnte, und eben als er ins Haus zurück kam, begegnete er Häspele, der die neuen Stiefel für Joseph brachte; diesem vertraute er im geheimen, daß er den Joseph suche, er sei in Aengsten, dem Kinde könne irgend etwas zugestoßen sein, er wisse nicht was, aber er sei in Angst.

»Habt ihr denn schon beim Waldhörnle nachgesehen? Ich hörte ihn eben blasen und gar schön, und da ist der Joseph gewiß bei ihm. Da sind die Stiefel, ich will ihn suchen.«

Der gute Häspele sprang behend das Dorf hinab zu einem Strumpfwirker, der in seiner Stube saß und sich neue schöne Weisen auf dem Waldhorn einübte. Es klang schön durch die stille Nacht, wo man im Schnee seinen eigenen Tritt nicht hört; der Joseph hat recht, daß er lieber beim Waldhörnle sitzt, als daheim, aber er war auch nicht dort, und unterwegs verkündigte Häspele, daß man den Joseph suche, niemand hatte ihn gesehen und er war nirgends zu finden. Häspele kam mit der traurigen Botschaft zu David und dieser sagte. »Sei nur ruhig, sage nichts vor den Weibern, sonst geht gleich das Heulen an. Bleib ein bißchen da, er hat sich wohl versteckt, vielleicht kommt er gar mit den heiligen drei Königen, die jetzt herumgehen, und bildet sich noch was darauf ein; aber ich will ihm schon was einbilden.«

Mit scheinbarer Ruhe setzte sich der David nieder, pfiff vor sich hin und fuchtelte mit der Hand in der Luft, in Gedanken an die zukünftigen Schläge.

»Ich warte ruhig,« sagte er, wie sich selbst zuredend, stopfte sich seine Pfeife und rauchte dabei und führte dabei immer aus, was für ein durchtriebener Schelm der Joseph sei; man dürfe es ihn aber nicht merken lassen, und daß er einem solche Angst mache, dafür müsse er büßen. David nahm die Bibel und las da weiter, wo er gestern abend vorgelesen hatte; es war die Stelle, 2. Buch Samuel, Kap. 13, wo König David um das kranke Kind trauert.

Das gab dem Lesenden keine Ruhe, er stand wieder auf, ging aus und ein, hinaushorchend. Es läutete mit allen Glocken das Fest ein. Jetzt wird er kommen. Es kam niemand. Nun war an Verhehlen nicht mehr zu denken; der David ging rechts ab, Häspele links ab von Haus zu Haus. Nirgends eine Spur von Joseph. Niemand hatte ihn gesehen. Sie trafen beide wieder am Hause zusammen. Die heiligen drei Könige hielten den Umzug, Joseph war nicht dabei. Jetzt war's nicht mehr zu verbergen.

»Martina, unser Joseph ist verschwunden,« sagte der Großvater, und Martina that einen entsetzlichen Jammerschrei und rief:

»Darum also hat er mich heute nacht dreimal geweckt und gefragt: Mutter, ist noch nicht Tag? Joseph! Joseph! Joseph! Wo bist du?« schrie sie durchs ganze Haus, den Berg hinaus, durchs ganze Dorf, in die Gärten hinein, in die Felder hinaus.

»O, wenn er verloren ist, dann sterbe ich, ich höre das Jahr nicht mehr ausläuten im Dorf, und der Baum, den ich zu Schildern gekauft habe, den laßt zu Brettern versägen und legt mich drein,« so klagte der Schilder-David zu Martina; sie hörte ihn aber nicht mehr, denn sie war schon längst fortgerannt. Die Halsbinde wurde David zu eng, er riß sie ab, sein ganzes Gesicht verzog sich schmerzhaft, er wollte das Weinen unterdrücken und konnte doch nicht. »Der Joseph ist gewiß in der Kirche,« besann sich der Schilder-David plötzlich. Er eilte nach der Kirche, die offen stand und wo man eben die Vorbereitungen zum Gottesdienst um Mitternacht machte. Der Schulmeister ging mit einer einzigen Kerze darin umher und steckte viele Lichter auf den Altar.

»Joseph! Joseph! Bist du da?« schrie David in die Kirche hinein; es tönte mächtig. Dem Schulmeister fiel das Licht aus der Hand, und er antwortete zitternd: »Es ist niemand da, als ich. Was gibt's denn?«

»Ihr habt's zugegeben, daß ihn die Kinder in der Schule Füllen heißen, ihr seid auch mit schuld, daß er davon und verloren ist,« schrie David und eilte weg. Der Schulmeister fand sich mit diesem Vorwurf ebenso im Dunkeln, wie in der Kirche, wo er nach vielem Stolpern endlich die Wachskerze wieder fand.

Das ganze Dorf lief zusammen, und selbst der Waldhörnle kam mit seinem Waldhorn auf die Straße, hielt aber das Waldhorn schnell unter seinen alten Soldatenmantel, damit es nicht naß werde. »Ich will durch das ganze Dorf blasen,« sagte er, »dann kommt er.«

»Nein,« hieß es, »die alte Röttmännin hat ihn stehlen lassen, sie will dich zwingen, Martina, daß du den Adam frei gibst, heute am Nachmittag ist er Bräutigam geworden mit des Heidenmüllers Toni; es ist ein Knecht von der Mühle hier gewesen, der alles erzählt hat.«

»Ich lasse mich nicht närrisch machen,« schrie Martina. »Joseph! Joseph! Komm, deine Mutter ruft!«

Während man so bei einander stand, kam ein seltsam aussehendes Männchen das Thal herauf, ganz um und um behangen mit spitziger, weit aufgebauschter Last. Es war der Hutmacher aus der Stadt, der zu den Feiertagen die frisch aufgebügelten, dreieckigen Hüte in das Dorf brachte.

»Was geht denn hier vor?« fragte das kleine Männchen.

»Wir suchen ein Kind, den Joseph, er ist verschwunden.«

»Wie alt ist das Kind?«

»Sechs Jahr vorbei.«

»Ein starker Bub' mit einem großen Kopf und blond gerollten Haaren ist mir begegnet.«

»Ja, ja, er ist's, um Gottes willen, wo ist er?« stürzte Martina auf den Mann zu, daß ihm alle seine Hüte in den Schnee fielen.

»Sei ruhig, ich hab' ihn nicht im Sack. Drunten im Wald begegnet mir auf einmal ein Bub'. Ich frag' ihn: Was thust du noch so allein und es will Nacht werden? Wohin willst du? – Meinem Vater entgegen, er kommt den Weg herauf, hast du ihn nicht gesehen? – Wie sieht denn dein Vater aus? – Großmächtig stark. – Ich habe ihn nicht gesehen. Komm mit mir heim, Kind. – Nein, ich komme mit meinem Vater heim. – Ich fasse den Buben an und will ihn mit Gewalt mitnehmen, aber der ist störrisch und wild, er wischt mir aus und springt davon, wie ein Hirsch, und ich hör' ihn noch tief im Walde rufen: Vater! Vater!«

»Das ist der Joseph, um Gottes willen, ihm nach!«

»Wir alle gehen mit, alle!«

»Halt!« trat Schilder-David vor, »halt! Hutmacher, willst du mit uns gehen?«

»Ich kann nicht, ich kann keinen Fuß mehr heben, und es nützt auch nichts, es ist schon mehr als eine Stunde, seit ich das Kind gesehen, ich habe mich drüben auf dem Meierhof aufgehalten, wer weiß, wo das Kind jetzt ist; ich kann dir's ganz genau sagen, wo ich ihm begegnet bin, am Otterswanger Wald, bald dort beim Bach, wo die breite Buche steht. Es ist die einzig große, ihr kennt sie ja alle.«

»Gut, von dem Baum breche ich ihm einen Zweig ab, und er soll an ihn gedenken,« sagte der Schilder-David sich fassend.

»Nein, nicht schlagen,« schrie Martina; sie konnte es nicht sagen, daß dieses die Stelle war, wo Adam sie zum erstenmal geküßt; vielleicht liegt jetzt ihr Kind dort tot – erfroren –

»Es ist Nacht, und man sieht nichts, und der Schnee fällt immer mehr, holt Fackeln, laßt Sturm läuten, das muß der Pfarrer erlauben, kommt zum Pfarrhause!« rief Häspele.

Martina aber wurde nach Hause gebracht, und als sie dort die neuen Stiefel auf dem Tische stehen sah, klagte sie: »O Gott! Da sind seine Stiefel, wie hat er sich darauf gefreut, und deine lieben Füße sind erfroren – sind kalt – sind tot.«

Die Frauen, die Martina umgaben, suchten sie zu trösten, und eine war sogar so klug, ihr zu sagen, erfrieren sei der leichteste Tod, man schlafe ein und wache nimmer auf.

»Man schläft auf der Erde ein und wacht im Himmel auf. O Gott! Mein Joseph hat's prophezeit; er war zu gescheit, zu gut, und seinem Vater ist er entgegen gegangen. Nein, ich will nicht sterben. Wenn du mit der andern zur Kirche gehen willst, da wird mein Joseph vom Himmel herunterschreien, nein, und – Vater! Vater! hat er gerufen, und sein Vater hat ihm nicht geantwortet, er kennt seine Stimme nicht. Du wirst sie kennen bei Tag und Nacht. In die Ohren rufen wir es dir dein Leben lang: in deinem eigenen Wald ist dein Kind erfroren, geh hinaus und schlag ihn um, es nutzt nichts mehr! Dein Herz ist Holz, nichts als Holz! O Gott, und da steht das Pferdchen, mit dem mein Joseph gespielt hat! ja, du siehst auch traurig aus, du gutes Tierle, so barmherzig, und bist doch von Holz, und er ist auch von Holz, aber er ist nicht barmherzig, er hat sein Kind getötet. O Gott, wie oft hat er an dein hölzernes Maul Brosamen hingehalten und dir wollen zu fressen geben, o! er war zu gut, o Joseph! Joseph!«

»Es wäre noch gut, wenn er erfroren wäre. Der Wolf geht ja um in der Gegend, wer weiß, ob ihn nicht der Wolf zerrissen hat,« sagte eine Frau leise zu der andern; das Ohr der Unglücklichen ist aber wunderbar feinhörig; mitten in ihrem lauten Jammern hörte Martina das Gespräch, und sie schrie plötzlich laut auf: »Der Wolf! der Wolf!« Dann ballte sie die Fäuste und knirschte mit den Zähnen: »Ich kriege dich, und ich erwürge dich mit meinen Händen.« Jetzt sah sie die Leegart, und sie klagte: »O Leegart! Leegart! Was nähst du denn immer fort? Um Gottes willen, da näht sie noch immer an der Jacke, und das Kind ist tot.«

»Ich hab' nichts gehört, ich lass' mich nicht berufen; ich habe nichts gehört, du hast nichts gesagt, ich sag' dreimal, du hast nichts gesagt. Du weißt, ich hab' keinen Aberglauben, nichts ist ärger auf der Welt als Aberglauben. Aber das ist wahr und gewiß, das hat seine Richtigkeit: solange man für einen Menschen näht und webt, kann er nicht sterben. Da war einmal ein König –« und mitten in dem Durcheinander erzählte Leegart mit seltsamen Veränderungen die Geschichte von Ulysses und Penelope, und wie diese Frau genäht und gewebt habe, und was sie bei Tag gewoben, habe sie allemal in der Mitternachtsstunde wieder aufgetrennt und dadurch ihren Mann, der in Amerika gewesen, am Leben erhalten.

Leegart fürchtete nicht mit Unrecht, daß man sie in dem Durcheinander nicht anhöre. Sie machte es daher gescheit. Sie erzählte ununterbrochen und nähte dabei ununterbrochen, ohne aufzuschauen. Wo sie einmal saß, stand sie nicht auf, bis ihre gesetzte Zeit um war, und wenn sie eine Geschichte begonnen hatte, erzählte sie aus; und wenn' s im Hause gebrannt hätte, wer weiß, ob sie aufgestanden wäre. Das Feuer wird doch so viel Respekt haben, zu warten, bis die Leegart fertig ist.

Während Martina mit den Weibern im Hause klagte, war der ganze Trupp Männer vor dem Pfarrhause angekommen, und Häspele warf sich zum Fürsprech auf.

Auch die Kinder wollten mitziehen, den Joseph zu suchen, aber die Mütter hielten sie mit Weinen zurück, und die Väter schüttelten die Anklammernden ab und schalten weidlich dazu. Die Großväter, die aus dem warmen Winkel am Ofen hervorgekrochen waren, nahmen die Frauen und Kinder mit heim.

Es war, als ginge ein Heereszug einem Feinde entgegen. Wo aber ist der Feind?

Es gab jetzt doch wieder einige, die es für unmöglich hielten, daß man bei dem Schneegestöber ein Kind im Walde suche; das wär' gerade, wie wenn man eine Stecknadel im Heuwagen suchen wolle. Häspele rief indes: wer nicht mit will, kann heimgehen, aber zum Abspenstigmachen brauchen wir niemand. Es trennte sich keiner aus der Versammlung. Häspele ging hinauf und bat den Pfarrer, daß man Sturm läuten dürfe. Der Pfarrer war über das, was er von Joseph hörte, tief erschüttert, dennoch sagte er, er könne das Sturmläuten nicht erlauben, es sei unnützer Alarm, der die Nachbargemeinden erschrecke und sie für künftige Fälle unwillfährig mache.

»Es ist brav von euch, und es freut mich, daß so viele den Joseph aufsuchen wollen,« schloß er.

»Kein einziger junger gesunder Mann im Dorfe bleibt zurück,« schrie Häspele.

»Ich muß zurückbleiben,« sagte der Pfarrer lächelnd, »die Röttmännin hat mir die vergangene Nacht geraubt, und um zwölf Uhr muß Kirche gehalten werden. Wir werden aber für euch alle beten, die ihr draußen seid.«

»So will ich dein Stellvertreter sein,« sagte der junge Landwirt, »wer ist euer Anführer?«

»Wir haben keinen, wollen nicht Sie es sein, Herr Schwager?«

Alles lachte, denn der Häspele, der den Namen Eduards nicht kannte, nannte ihn an Stelle des Pfarrers Schwager.

»Ich heiße Brand,« erwiderte der Landwirt, »ich kenne den Weg, ich habe ihn erst heute gemacht.«

»Der Bruder der Pfarrerin geht auch mit,« wurde bald von einigen Eingedrungenen auf der Straße verkündigt, und man war überaus zufrieden. Häspele hatte recht, es fehlte außer Kranken und Gebrechlichen kein Mann im Dorfe, alle standen sie da mit Fackeln, Steigeisen, Leitern, Aexten und langen Stricken.

»Ist einer da, der ein Signal geben kann?« fragte der Landwirt.

Der Strumpfwirker zog sein Waldhorn unterm Mantel hervor. Das Instrument glänzte nicht heller im Fackellicht, als das Gesicht des Strumpfwirkers, der zu einer so wichtigen Person geworden war.

»Gut, so bleibt bei mir. Meiner Ansicht nach ist dies das beste: der Signalist hier bleibt bei mir auf dem Reitersberg, wo wir ein Feuer anzünden wollen. Und dann gehen immer alle zwei und zwei, nie einer allein. Wer den Joseph gefunden hat, bringt ihn hinaus zu uns auf den Reitersberg oder wenigstens sichere Kunde von ihm. Solange der Joseph noch nicht gefunden ist, geben drei lange Stöße das Zeichen; sobald er aber gefunden ist, drei kurze Stöße, die immer fortgesetzt werden, bis alles wieder versammelt ist. Und noch besser, ich habe meine Flinte bei mir; sind noch einige im Dorf?«

»Jawohl.«

»So holt noch einige, und wenn der Joseph gefunden ist, geben wir drei Schuß nacheinander. Wenn wir das nicht thun, kann's leicht kommen, daß ihr guten Leute in Schnee und Kälte herumlauft, und der Joseph ist längst gefunden.«

»Hat recht, der ist gescheit; das ist der Bruder der Frau Pfarrerin.«

Der junge Landwirt lächelte und fuhr fort: »Noch eins, Decken und Betten haben wir. Ist kein Hund im Dorf, der den Joseph kennt?«

»Alle kennen ihn, alle haben ihn lieb. Nicht wahr, Blitz, du kennst den Joseph?« sagte Häspele zu einem großen Hunde, der neben ihm stand.

Der große gelbe Hund bellte als Antwort.

»Gut,« rief der Landwirt, »so laßt die Hunde los.«

»Und wir hängen ihnen Laternen an. Und uns selber hängen wir die Kuhschellen um und die Rollgeschirre.«

Jeder wurde erfinderisch; es war nur gut, daß die verschiedenen Erfindungen in eins zusammengehalten waren.

»Jetzt noch einmal das Signal, damit ihr es alle kennt,« sagte der Landwirt, und der Waldhörnle blies mit aller Macht. Kaum war der Ton verklungen, als Martina herbeikam und rief: »Hier habe ich seine Kleider.«

»Laßt die Hunde an den Kleidern riechen,« befahl der Landwirt. Martina wäre fast umgeworfen worden von all den Hunden, die auf sie zugebracht wurden, wenn nicht Häspele so gescheit gewesen wäre, ihr die Kleider abzunehmen.

»Ruft den Hunden zu: such Joseph!« befahl der Landwirt, »und jetzt vorwärts marsch! Joseph heißt das Feldgeschrei.«

»Halt!« rief eine mächtige Stimme von der entgegengesetzten Seite, »was gibt's hier?«

»Adam du?« rief Martina und stürzte auf ihn zu, »was hast du da? Hast du unsern Joseph gefunden?«

»Was? Unsern Joseph? Das ist der Wolf, den ich mit meinem Knüttel erschlagen habe.«

»Das ist der Wolf, der hat unser Kind zerrissen!« schrie Martina, ballte die Fäuste und starrte auf das tote Tier nieder. Häspele war so klug, den Adam in kurzen Worten in Kenntnis zu setzen von allem, was vorgegangen; Adam hielt den Wolf immer noch an der Genickhaut, und jetzt schüttelte er das tote Tier mächtig, dann schleuderte er es mit übermenschlicher Kraft weit hinüber über den Graben in das Feld. »Ich reiße dir das Herz nicht aus,« rief er, »du hast mir – und hier schwöre ich's vor allen: ob unser Kind gefunden wird oder nicht, meine Martina ist mein, im Leben und im Tod. Verzeih mir's Gott, daß ich so lang ein lahmer, schwacher, nichtsnutziger Gesell gewesen. Ihr Männer alle hört's! Jeder von euch soll mir ins Gesicht schlagen, wenn ich nicht meine Martina heimführe, und wenn Vater und Mutter und die ganze Welt sich dagegen stellte.«

»O Gott! rede jetzt nichts davon!« bat Martina und verbarg ihr Antlitz an der Brust Adams; jetzt erst konnte sie weinen, und Adam legte seine Hand auf ihren Kopf, aber seine Brust erbebte immer von einem mächtigen Stoß nach dem andern. Nie hat jemand den Adam weinen sehen, als nur damals. Alle Versammelten waren wie auf ein stilles Kommando mit ihren Glocken, Fackeln und Hunden vorausgegangen, nur Häspele war mit einer Fackel bei den unglücklichen Eltern geblieben, und als Adam aufschaute, kugelten große Tropfen, die im Feuerscheine glitzerten, über seine Wangen. Adam aber schüttelte sich wie zornig und sagte endlich: »Komm, Martina, wir finden ihn gewiß. Ich kann nicht glauben, daß er tot ist; ich habe ihn rufen hören im Wald, ich habe nicht glauben wollen, daß es eine wirkliche Stimme ist, und es war meines Kindes Stimme.«

»Und wie viel hundertmal hat er dir in die Nacht hinein gerufen, und du hast ihn nicht gehört.«

»Wenn er noch am Leben ist, es soll mir kein Wort mehr von ihm verloren gehen.«

»Gott geb's. Amen!« sagte Häspele ganz leise vor sich hin und schritt voran mit der Fackel; die beiden gingen hinter ihm drein.


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