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Siebzehntes Kapitel. Großes im kleinen Hause.

»Ja, das habe ich noch zu sagen vergessen, der Heidenmüller,« hatte Leegart gesagt, als sie plötzlich durch das Geschrei vor dem Hause unterbrochen wurde.

»Er ist gefunden! Der Joseph ist da.«

Die Weiber rannten vor das Haus und fragten: »Ist niemand verunglückt?«

»Alles wohl auf, alles!« hieß es zur Antwort.

Leegart blieb unverrückt auf ihrem Platze sitzen, sie stemmte nur ihre Füße um so fester auf den Schemel, der jetzt so seltsam zu zittern begann, nahm schnell eine Prise der Beruhigung und betrachtete die Jacke mit jenem Blicke, der da spricht: dich krieg' ich nicht mehr in die Hand.

»Der Joseph ist da!« rief der vorausstürmende Häspele der Leegart zu.

»Und meine Jacke ist fertig!« entgegnete Leegart in der bescheidenen Zuversicht, daß sie den Joseph durch ihr unausgesetztes Nähen am Leben erhalten habe. Da indes der einfältige Häspele nichts darüber bemerkte, fragte sie: »Wo hat man ihn gefunden?«

»In der Heidenmühle.«

»Ich hätt' eigentlich nicht zu fragen brauchen,« beteuerte Leegart, mit stolzer Ruhe um sich blickend, »ich hab's gewußt, wo er ist, ich hab' den Weg angegeben, den er gegangen ist; eben in der Minute, wo das Geschrei gekommen ist, habe ich das Wort gesagt: der Heidenmüller. – Die Weiber müssen mir's alle bezeugen.«

Für Leegart war das vor allem das Wichtigste, daß sie so weise war, auch dahin sehen zu können, wo sie nicht ist. Als alle in die Stube kamen und Martina ihr die Hände drückte – sie zerdrückte dabei eine heimliche Prise –, da sagte Leegart wieder: »Ich hab's gewußt, ich hab's vorhin gesagt, in der Heidenmühle ist er. In der Minute, wo der Häspele gekommen ist, habe ich noch das Wort Heidenmüller gesagt, und ich prophezeie dir, Martina, du kriegst deinen Adam.«

»Es ist so! Es ist so! Da kommt er!« rief Martina.

Leegart schaute demütig zu Boden, sie wollte nicht dafür gelten, daß sie prophezeien könne, wenn nur sie es bei sich weiß. Sie nickte allen zu, die in die Stube eintraten, wie wenn sie sagen wollte: ich hab's gewußt, daß ihr kommen müsset, ich hab' alles vorausgesehen, und genau hab' ich's vorhergesehen, wie der Adam den Joseph an der Hand hält, und das von dem Wolf habe ich auch gesehen, bei mir ist es nur eine Kreuzotter gewesen, aber ein böses, giftiges Tier ist das eine wie das andre. Es hat alles so kommen müssen. Sie war über nichts verwundert. Mir ist nichts verborgen, sagten ihre Mienen, und sie schnupfte dabei ebenso heimlich als behaglich.

»Ich hab' drei Vater,« rief der kleine Joseph. »Leegart, da sind meine drei Vater.«

»Gut, aber geh jetzt schlafen,« befahl David. »Martina, bring den Joseph ins Bett! Gottlob! daß wieder alle da sind!« schrie er seiner Frau ins Ohr. Die Großmutter nickte fröhlich. »Hat's Heu geschneit?« fragte sie und nahm ihrem Manne noch einige Halme aus dem Haare. Alles lachte, die taube Großmutter lachte vergnüglich mit, um und um schauend, sie sah von jedem Gesichte ab, was sie nicht hören konnte. Sie reichte dem Speidel-Röttmann die Hand und sagte: »Setzet Euch, setzet Euch nur.«

Adam reichte ihr von selbst die Hand und rief mit gewaltiger Stimme ihr ins Ohr: »Grüß Gott, Schwiegermutter!«

Die Schilder-Davidin wich einen Schritt zurück, wie wenn sie einen Stoß bekommen hätte. »Ich hör' schon. Ich bin nicht so taub,« sagte sie auf der Ofenbank vor sich hin und betrachtete scheu die großen Männer und die großen Hunde.

Das kleine Haus des Schilder-David war nicht für die Röttmänner gemacht. Vater und Sohn reichten fast an die Decke, wenn sie aufrecht standen.

Der kleine Joseph saß eine Weile auf dem Schoße des Speidel-Röttmann. David war eifersüchtig und fast bös auf das Kind, das so schnell an andre Menschen sich gewöhnt.

»Schenk mir deinen großen Wolfshund,« sagte Joseph zu Großvater Röttmann, und dieser erwiderte:

»Er ist dein.«

»Du bist mein,« sagte Joseph zu dem Hunde, aber einstweilen mußte er ihn noch dem Großvater lassen, denn der Hund ging nicht mit ihm.

»Bring eines den Joseph ins Bett,« befahl David jetzt wiederholt. Die Großmutter verstand an den Lippen ihres Mannes, was er sagte, sie nahm den kleinen Joseph und ging mit ihm nach der Dachkammer. Kaum war die Thür hinter Großmutter und Enkelchen ins Schloß gefallen, als Leegart vortrat und mit einer Bestimmtheit und Festigkeit, die alle staunen machte, ausrief: »Und jetzt, Martina, jetzt zieh dich zur Hochzeit an. Ich zieh' dich an, ich habe dir's versprochen. Ihr Männer, wenn ihr rechte Männer seid, so machet, daß heute nacht noch Adam und Martina getraut werden. Ihr könnet, wenn ihr wollet und nicht nachgebet. Ihr Röttmänner, jetzt gibt's ein Röttmannsstück, wo ihr euch zeigen könnt. Jetzt soll der Speidel einen harten Klotz spalten, und du, Gaul, selbst Vorspann sein. Was schaut ihr mich so an? Geht zum Pfarrer, und ich sag's euch, ihr bringet's zuweg. Ich sag's euch und weiß, was ich sag'. Komm, Martina, ich zieh' dich an. Du sollst nicht am Tag gehen und dein Gesicht verhüllen, du hast dich lange genug gegrämt und geschämt. Komm!«

Sie zog Martina mit in die Kammer, alle sahen ihr staunend nach, niemand redete ein Wort. Bald kam Martina festlich gekleidet in die Stube zurück. Adam ging auf sie zu und zeigte ihr, ohne daß es die andern sahen, etwas, das eingewickelt und mit einem besonderen Band in seinem Geldbeutel befestigt war. Dann wendete er sich in die Stube und sagte: »Vater, Schwiegervater, es ist am besten so. Kommt mit uns zum Pfarrer. Noch heute muß er uns zusammengeben.«

»Es wird nicht gehen.«

»Wir wollen's probieren.«

»Noch eine Hauptsache,« hielt jetzt der Schilder-David auf. »Wenn man sich zum Aufgebot meldet, muß man den Katechismus und besonders die zehn Gebote kennen. Kannst du mir sie noch hersagen, Adam? Du schweigst? Hier hast du den Katechismus vom Joseph, geh in die Kammer und wiederhol' es schnell.«

»Ich helf' dir,« sagte Martina und ging mit Adam in die Kammer.

Das war aber ein schwer Stück Arbeit. Adam standen schwere Tropfen auf der Stirne, aber er brachte dafür die zehn Gebote nicht wieder in den Kopf, besonders die Ordnung, wie sie nacheinander folgen, verwirrte er immer wieder, und dabei hatte er offenbar eine tiefe Erschütterung im Herzen, wie er jetzt in dieser Stunde diese ewigen Gesetze wieder sich einprägen sollte.

»Kann unser Joseph die zehn Gebote auswendig?« fragte er Martina.

»Ja freilich, Wort für Wort.«

Die Leegart erlöste den verzweifelnden Adam, sie kam in die Kammer und sagte: »Haltet euch jetzt nicht auf. Bei euch ist's anders wie bei andern Menschen. Der Pfarrer wird nicht danach fragen, und du kannst ja dem Pfarrer versprechen, daß du es nachlernen willst.«

»So ist's,« bestätigte Adam glücklich und machte das Buch zu, ihm war eine schwerere Last von den Schultern genommen als damals, da er die beiden Räder trug.

Er ging mit Martina in die Stube.

Die beiden Väter und das Brautpaar wollten miteinander das Haus verlassen. Adam versuchte der Schwiegermutter zu erklären, was vorgehe, aber sie wich vor ihm zurück und hielt sich die Ohren zu; erst als David zu ihr redete, nickte sie.

»Soll ich daheimbleiben und den Joseph hüten?« fragte sie. »Ich will's thun, ihr habt alle mehr gethan, und ich hab' daheimgesessen, aber ich möcht' doch auch dabei sein, wenn meine Martina getraut wird.«

»Die Leegart ist so gut und bleibt bei dir.«

»Nein, ich bin nicht so gut. Ich hab' gelobt, bei der Trauung der Martina zu sein, und ich könnte nicht davonbleiben, wenn ich auch wollte.«

Glücklicherweise kam jetzt der Nothelfer Häspele, und obgleich er sich sehr schön herausgeputzt hatte und sich wohl rühmte, was er gethan, und sich übermäßig freute, daß heute die Hochzeit sein solle, und natürlich damit vorn stehen wollte, ließ er sich endlich bewegen, bei dem Joseph zu bleiben, denn Martina sagte: »Vetter, du bist dein Lebtag gut gegen das Kind gewesen und gegen mich, thu auch noch das Gute und bleib jetzt bei dem Kind.«

»Ja, ja, ich thu's schon, rede nichts mehr,« sagte Häspele, schluckte die Thränen hinab und ging hinauf in die Dachkammer und blieb beim Joseph sitzen.

Die beiden Väter, die Mutter und das Brautpaar gingen nach dem Pfarrhause, wenige Schritte hinter ihnen drein ging die Leegart allein, sie schaute um und um nach den Häusern, wo überall Licht war, da ahnt niemand, welch ein Unerwartetes diese Nacht noch vollbringen muß. Leegart hörte Musik. Das ist Hochzeitsmusik, die in den Lüften spielt. Freilich hört nur sie allein diese Musik, aber sie weiß und hört eben auch mehr als andre Menschen.

Als die Hochzeitsleute im Pfarrhause in die Stube eintraten, blieb Leegart bei der Magd in der Küche, sie schickte sie aber alsbald in die Stube, damit sie das Schiebfensterchen öffne, das nach der Küche führte.


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