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Sechzehntes Kapitel. Schlafen und Wachen in der Heidenmühle.

Häspele war von den Eltern auf der Höhe, wo sie das Licht gesehen hatten, fortgeschickt worden, er solle ausspüren, was dort vorgeht. Martina wollte es nicht glauben, als Adam hinzufügte: »Es kann ja sein, wer weiß, vielleicht haben sie unsern Joseph in der Mühle gefunden,« und doch wollte sie gleich mit hinab; Adam brachte sie dazu, daß sie wartete, bis Häspele zurückkäme.

Endlich kam er; er rannte nach der Stelle, wo sie auf ihn warten wollten; sie waren nicht da. »Ist denn heute alles verhext?« sagte Häspele. Adam und Martina aber waren eben daran, die drei Engel zu fangen. Adam hielt sie mit seiner mächtigen Stimme an, als sie des Weges daherkamen, aber die Engel schienen einmal vor dem Geschlechte der Röttmänner solche Angst zu haben, daß sie davonliefen.

»Du wirst sehen, unser Joseph ist mit zum Dreikönigsingen gegangen,« lebte Martina wieder neu auf.

Adam setzt den Engeln nach und bekommt richtig einen bei seinen Flügeln, aber der Flügel bleibt in seiner Hand; er folgt den Engeln, sie fliehen, aber nicht schnell genug für einen Mann wie Adam. Er hielt einen der Engel in der Hand hoch und fragte ihn nach Joseph; dann brachte er ihn zu Martina, die weiter oben wartete; aber der Knabe war so voll Zittern, daß nichts aus ihm herauszubringen war; er wollte um alles nicht gestehen, wer seine Kameraden seien, und als man ihn fragte, ob ihnen nicht ein starker Knabe von sieben Jahren begegnet sei, da sagte der Engel bald nein, bald ja; es war nicht klug daraus zu werden. Mitten in diesem Verhöre erschien Häspele: »Er ist da! Er ist da!«

»Wer ist da?«

»Der Joseph!« sagte der Häspele heiser.

»Wo? Wo? Wo?!« stürzte Martina auf ihn los. »Wo ist er? Um Gottes willen! Ist er tot oder lebendig?«

»Drunten in der Heidenmühle sitzt er und trinkt warmen Wein!«

»Mein Joseph! mein Joseph!« schrie Martina, daß es im Thale wiederhallte, und rannte mit aller Macht den Berg hinab; Adam konnte ihr kaum folgen; sie eilte die Treppe hinauf, riß die Thür auf und schrie: »Joseph! Joseph! Wo ist mein Joseph?«

»Geh zum Teufel mit deinem Joseph!« antwortete ihr eine Stimme; sie kannte sie, es war die Stimme der Röttmännin. Kein Schreck, keine Angst, keine Todesfurcht, keine Himmelsfreude hatte Martina niederwerfen können; diese Stimme warf sie nieder, daß sie mit einem entsetzlichen Schrei leblos zu Boden sank; selbst der hinter ihr stehende Adam war so erschreckt, daß er sie fallen ließ, ohne sie aufzuhalten. »Mutter! Mutter!« schrie er; er konnte weiter nichts hervorbringen.

»Heiße sie nicht Mutter,« rief die Braut; »geh weg, Adam, laß mich; ich will sie schon aufheben. Gib mir den warmen Wein dort her, tropfe ihr den Schnee von deinem Mantel auf die Schläfe. So, so! sie atmet.«

»Hahaha!« lachte die alte Röttmännin, »und wenn die ganze Welt zum Narren wird, ich nicht; und wenn sie alle vor mir umfallen wie die Maikäfer, ich sage doch nein.«

Der Speidel-Röttmann aber, statt seiner Frau zu antworten, ging auf Martina zu: »Komm, Martina, sei gescheit, erhole dich. So, ich heb' dich auf, so, da setz dich her.«

»Mein Joseph! Wo ist mein Joseph?«

»Unten im warmen Stall, er schläft; laß ihn ruhig schlafen, dein Vater ist bei ihm und wacht, wir haben ihn ins warme Heu gelegt, aber wart nur, wir tragen ihn jetzt gleich herauf und legen ihn in mein Bett, es ist gleich nebenan in der Kammer. Du darfst hinuntergehen, Adam, brauchst nicht zu fürchten, daß deiner Martina was geschieht, geh du nur, ich bin bei ihr.«

»Und ich!« sagte der Speidel-Röttmann. Adam ging die Treppe hinab in den Stall und trug das Kind herauf in das Bett. Der Schilder-David schlief so fest, daß er ihn nicht zu wecken wagte. Auch das Kind schlief fort, da er es auf den Arm nahm und die Treppe hinauftrug; es fuhr dem Vater nur einmal mit der Hand übers Gesicht, dann ließ es die Hand wieder schlaff sinken. Leise wurde nun Martina in die Kammer geführt, sie beugte sich nur still über Joseph und hörte ihn atmen.

»Leg dich ein bißchen zu dem Kind auf mein Bett,« sagte des Heidenmüllers Toni zu Martina; diese schaute sie groß an, und Toni sagte: »Sei froh, daß es so gekommen ist. Dein Adam und ich, wir haben uns miteinander verloben müssen; er ist gezwungen gewesen wie ich, und dein Adam ist brav, kein ander Wort hat er zu mir geredet als von dir, und wir sind Brautleute gewesen und haben einander noch keinen Kuß gegeben.«

»So geb' ich dir einen,« sagte Martina aufstehend, und umhalste Toni.

»Da möcht' ich meine Backen dazwischen haben,« sagte Häspele zu Adam und fuhr gegen die beiden Frauen fort: »Ihr seid alle beide gute Bissen. Jetzt, Toni, jetzt wär's geschickt, nimm mich, willst? Ich sehe schon, du sagst nein, aber deine Hochzeitsschuhe mache ich dir doch.«

»Wo ist mein Vater?« unterbrach Martina.

»Er schläft im Heu.«

»Lieber Gott, wenn er erwacht und das Kind ist ihm von der Seite genommen; der kommt von Sinnen.«

»Sei ruhig, ich gehe in den Stall und bleibe bei ihm, bis er aufwacht,« entgegnete Toni, aber Häspele hielt sie auf; er wollte etwas zu trinken, denn er müßte schnell auf den Reitersberg, wo die Wache wartete. Toni brachte ihm schnell ein Glas Würzwein. Der Verlobungswein wurde heute von seltsamen Gästen genossen.

Es war nun wieder still auf der Mühle. Hier schlief Joseph, an dessen Bett Adam und Martina wachten, im Heu schlief der Schilder-David, bei dem Toni wachte, und oben in der Kammer schlief der Heidenmüller. Die Röttmännin suchte ihn zu wecken, sie mußte eines Mannes Hilfe haben, aber der Heidenmüller gab keinen Laut von sich und die Röttmännin fluchte auf den regungslosen »Mehlsack«, der sich jetzt dahinlegt, während das ganze Haus auseinander fährt. Eben als die Röttmännin wieder in die Stube kam, schrie sie laut auf: »Was ist denn das? Will denn die Welt untergehen heute?« Denn es krachte von den Bergen, tönte wieder aus den Thälern und von den Felsen, daß der kleine Joseph selber darüber erwacht war und in der Kammer schrie: »Vater!«

»Ich bin da,« antwortete Adam.

Das Schießen wiederholte sich, und jetzt kam's herbei mit Waldhornklang, mit Schellengeklingel, Peitschenknallen und Hundegebell.

»Du hast den Teufel gerufen, daß er kommen soll. Hörst du? Er kommt. Gib nach, solange es noch Zeit ist!« suchte der Speidel-Röttmann seine Frau zu bekehren.

»Wenn der Teufel kommen will, ist's mir recht; möcht' schon einmal ein rechtes Wort mit ihm reden,« erwiderte die Röttmännin; »ihr seid alle nichts nutz, ihr könnt alle zu Kreuz kriechen; was eine rechte Frau ist, gibt nie nach, nie, lieber sterb' ich.«

Das wilde Heer kam immer näher, und jetzt hält es still vor der Mühle. Es kam aber nicht herauf, denn im Stalle hörte man das Jammergeschrei einer Frau und wildes Klagen und Stöhnen einer Männerstimme. Der Schilder-David war erwacht, er fand das Kind nicht und wühlte jetzt im Heu, das Kind suchend, und schrie und stöhnte, und das Zureden der Toni half nichts, ja der Schilder-David drohte, sie zu erwürgen, wenn sie ihm das Kind nicht gebe.

Eduard drang in den Stall, und Toni warf sich ihm entgegen und rief: »Helft, helft!« Im Schein der Laterne sah der Schilder-David entsetzlich aus, wie er im Heu wühlte und sich umwendete und die Halme ihm über das Gesicht und in den Haaren hingen.

»David, es ist ja alles gut,« sagte der junge Landwirt mit seiner wohltönenden Stimme; der Schilder-David sank in das Heu zurück.

»Wer ist der Fremde?« fragte die Toni den Häspele.

»Der Bruder unsrer Pfarrerin.«

»Herr . . . Herr Bruder,« begann Toni, »saget doch dem David, daß sein Enkelchen in meiner Kammer ist und der Adam und die Martina bei ihm. Saget Ihr's ihm, mir glaubt er nicht, mich hört er nicht. Um Gottes willen, helfet, Ihr seid ja der Bruder der Pfarrerin, und Ihr müßt auch ein guter Mensch sein, und ich hab' es Euch heute schon angesehen. Um Gottes willen haltet auf.«

Der Schilder-David, der sich ins Heu gesetzt hatte, streckte Toni die Hand entgegen. »Du hast recht. Verzeih, hilf mir auf.« Toni an der einen und Eduard an der andern Hand hoben den Schilder-David in die Höhe, und er sagte: »Ihr seid zwei gute Menschen.« Eduard hielt den Schilder-David im linken Arm, die Rechte reichte er Toni, er wußte nicht, warum er's that, und sie gab ihm die Hand, und sie wußte nicht, warum sie es that, aber sie hielten einander fest. »Ich kann schon jetzt allein gehen,« sagte der Schilder-David, und die beiden säuberten ihn von dem Heu und geleiteten ihn die Treppe hinauf.

Das Wiedersehen von Martina und Schilder-David war kurz abgebrochen, sie reichte ihm nur das Kind hin, dann gingen sie alle in die Stube, wo man den Häspele laut lachen hörte. Er wollte den Fastnachtshansel spielen und dabei die Röttmännin zum Jawort bekehren, das sollte in dieser Weise das Leichteste sein.

Als Joseph an der Hand des Großvaters in die Stube kam, sagte Toni: »Du hast dabei nichts zu hören,« und sie führte ihn wieder zurück in die Kammer jenseits der Hausflur. »Das ist der Bruder der Pfarrerin,« sagte sie noch im Hinausgehen zur Röttmännin, indem sie Eduard vorstellte.

Dieser sprach nun auch eindringlich zur Röttmännin, sie gab ihm keine Antwort, keinen Laut ließ sie hören und schaute ihn immer funkelnden Auges an.

»Es ist bald Zeit, daß man in die Kirche geht,« hieß es nun, und der ganze Trupp verließ die Stube. Als man sich vor dem Hause sammelte, hörte man oben in der Stube rufen: »Die Röttmännin soll leben, sie hat ihr Jawort gegeben!«

Es war die Stimme Häspeles, er kam triumphierend die Treppe herunter, alles schrie hoch! und abermals hoch! das Horn schallte drein, die Rollen klingelten, eine Stimme schrie vom Fenster heraus, man hörte sie nicht.

Unter Hörnerklang und Gesang zog man den Wald hinauf, dem Dorf zu. Toni ging neben Martina. Auf der ersten Anhöhe sagte sie: »Jetzt muß ich umkehren, ich möcht' gern mit euch in die Kirche und möcht' gern bei dir bleiben, aber ich weiß nicht, was das ist, jetzt überfällt mich eine Angst, daß mein Vater von all dem Lärm nicht aufgewacht ist. Ich bin kein braves Kind, ich hab' nicht nach ihm gesehen. Gut' Nacht, Joseph,« sagte sie, diesem die Hand reichend, »gut' Nacht, alle miteinander.« Sie ging an Eduard vorbei, ihre Hand zuckte, und auch die Hand Eduards, aber sie gaben doch einander die Hand nicht vor den Menschen.

»Gut' Nacht,« sagte Eduard leise, und sie erwiderte ebenso leise: »Gut' Nacht.« Häspele brachte ihr noch ein schallendes Hoch aus, als sie zur Mühle zurückkehrte, und alles stimmte mit ein. Adam trug den Joseph auf dem Arm, er hatte ihm die neuen Kleider angezogen und die neuen Stiefel, und endlich mußte er dem Großvater nachgeben, daß das Kind neben ihm herschritt.

Auf der Anhöhe vor dem Dorfe schrie Häspele mit der letzten Kraft seiner Stimmmittel: »Halt! Halt!«

Hier lag der Wolf noch im Feld, wie ihn Adam hingeschleudert hatte. Adam führte seinen Sohn zu dem toten Tiere und sagte: »Sieh, den hab' ich totgeschlagen mit meinem Knüttel.« Joseph ließ sich aber durch kein Bitten und kein Schelten dazu bewegen, den Wolf zu berühren, er fürchtete sich. »Es ist gut, daß du in des Vaters Gewalt kommst,« sagte Adam, »wenn's noch länger gedauert hätte, du wärst kein Röttmann geworden.« An der rechten Hand führte er drauf seinen Sohn, an der linken schleppte er den Wolf. So ging's hinein bis vor des Schilder-Davids Haus.


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