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Vierzehntes Kapitel. Von einem verirrten Menschenkind.

Im Hause des Schilder-David war's unterdes, als ob das nicht mehr ein kleines Haus wäre, das einer kleinen Familie gehört. Alles ging aus und ein, und manche ließen sogar die Thür offen, die die Frau des Schilder-David jedesmal leise zumachte, ohne ein Wort zu sagen; ja, sie sagte nicht einmal ein Wort, daß niemand den Schnee von den Füßen abtrappte, und der Stubenboden war wie ein kleiner See; sie legte nur immer wieder frische Laken auf den Boden und wand sie still aus in einen Kübel, den sie vor der Thür ausschüttete.

Die Leegart zog den Schemel, worauf sie ihre Füße gestellt hatte, fester an sich, damit keine von den Frauen, die sich um den Tisch setzten, daran teilnehmen könnte; denn die Leegart ist's nicht gewohnt, in nasser Stube zu sitzen und dazu noch in solch einer Wachtstube, wie heute die des Schilder-David war.

Die Schilder-Davidin unterhielt dabei beständig ein mächtiges Feuer im Ofen; es war eine Hitze zum Braten, und die Leegart verstand es, eine große Zuhörerschaft, vor allem sich selber, wach zu halten.

Während alles hinausstürmte in Nacht und Schneegestöber, in Felsen und Schluchten, und das ganze Dorf aus der Ordnung gekommen war, blieben nur zwei Dinge fest und hielten gleichen Takt: das war die Uhr auf dem Kirchturm und die Leegart vor ihrem Nähkissen.

Martina hatte mit den Männern die Stube verlassen, es waren aber noch mehrere Frauen da; sie jammerten, daß sich ihre Männer der Lebensgefahr aussetzten, um eines einzigen Kindes willen, und vielleicht ihre eigenen Kinder dadurch in Elend und Not setzten. Die Leegart aber, indem sie ihren Faden wichste, sagte: »Ja, im Walde verirren, das ist schrecklich, ich kann auch davon erzählen, es ist mir einmal im Leben passiert, aber ich habe genug an einemmal. Nur um Gottes willen nie, nie sich verleiten lassen, einen nähern Weg durch den Wald zu gehen, wenn man ihn nicht kennt. Der nähere Weg ist des Teufels Weg. Hab' ich recht oder nicht? Zum Teufel hat man immer am nächsten. Ich denk' noch daran, als wenn's heute wär', und wer weiß, ob nicht der arme Joseph denselben Weg geht; ich bin auch da hinunter gegangen, und der Hutmacher hat ihn ja bei der breiten Buche getroffen, dorthin kommt man. Gott verhüte, daß er meinen Weg machen muß, wie ich dorthin gekommen bin. Es war am Sonntag nach Johanni, nein, am Montag, aber es war ein Feiertag, Peter und Paul war's, wir feiern ihn nicht, aber die Katholischen. Ich gehe also bei heiter hellem Wetter von daheim fort, habe nichts bei mir, als in einem Tüchle einen samtnen Mutzen für des Holderbauern Tochter von Wengern, wißt ihr? die jetzt Witfrau ist; man sagt, sie heiratet einen ganz jungen Menschen aus der Gegend von Neustädtle, sie ist schon zwei Sonntag nacheinander im Neustädtle gewesen und soll mit ihm zusammengekommen sein. Sie ist nicht gescheit, daß sie so einen jungen Menschen nimmt. Damals war sie noch Braut von ihrem ersten Mann, der war ein Bruderssohn vom Heidenmüller, vom alten mein' ich. Ich geh' also fort, zuerst dem Thal nach. Es war ein gutes Jahr, wir haben lange kein solches gehabt; Regen und Sonnenschein, wie man's nur braucht. Im Wald treffe ich noch des Straßenknechts Kinder an, den Bub und das Maidli. Der Bub' ist Soldat gewesen und ist hernach bei den Freischärlern erschossen worden. Das Maidli ist im Elsaß, sie soll gut verheiratet sein. Sie hüten da an der Hecke, wo es die vielen Haselnüsse gibt, eine alte und eine junge Geiß. Und da frage ich die Kinder, ich weiß nicht warum, ob's nicht einen nähern Weg gibt nach Wengern. Freilich, sagen die Kinder, ich solle nur oben nicht den breiten Weg, ich solle bei den Wacholdersträuchen links durch den Wald gehen. Ich will nun, es soll mir eins von den Kindern den Weg zeigen, bis ich nicht mehr fehlen kann. Ich weiß nicht, es hat mir schon was geahnt. Aber die Kinder sind so dumm, es hat keins allein gehen wollen und miteinander auch nicht. Ich gehe also fort, und wie ich oben im Wald bin, da, wo jetzt der Rößleswirt seine Aecker hat – damals war's noch Wald weit hinein –, schreie ich nochmals zu den Kindern hinab, ob ich auf dem rechten Weg sei, und sie schreien: ja! So wenigstens, glaub' ich, habe ich gehört. Ich gehe also fort, und es ist recht kühl gewesen im Wald; es ist grad gut, daß ich jetzt im Wald bin, jetzt fängt es draußen an heiß zu werden, es war gegen zehn Uhr, und hier ist noch frischer, kühler Morgen. Wenn man so viel sitzen muß, thut einem so ein Gang gar wohl, und damals bin ich noch jung gewesen und habe springen können wie ein Füllen. An einer Hagenbuche ist alles voller Erdbeeren gestanden; ich esse ein paar, halte mich aber nicht lang auf und mache, daß ich fortkomme. Ich steig' und steig' und weiß nicht, wie lang, und sehe nirgends hinaus, und der Weg geht bald bergauf, bald bergab. Was ist denn das? Bin ich auf einem Holzweg? Man sagt im Sprichwort von einem, der den falschen Weg geht, er ist auf dem Holzweg. Und so ist's auch. Der Holzweg führt nicht zu Menschen. Ich hab's noch nicht gewußt, aber ich hab's erfahren und hab's teuer bezahlt. Ach was, denk' ich, die Zeit wird dir nur lang, und von den vielen Sitzen wird dir jeder Weg zu viel. Ich bin aber doch müde, ich setz' mich nieder. Da huschelt was und raschelt was, es fällt ein dürrer Zweig vom Baum: schau, schau, ein Eichkätzchen. Es hängt am Baumstamm und guckt mich mit seinen wunderfitzigen Augen an und macht ein spitzes Maul. Ich sehe ihm nach, wie es den Baum hinaufkrebselt, und jetzt sind zwei da, sie spielen Fangerles miteinander. Hui, wie schnell! Bald hüben, bald drüben. Ich muß sagen, ich habe viel Freude an den Tierchen, und das habe ich meiner Mutter zu danken; hundertmal hat sie uns gesagt: Kinder, passet auf alles auf, dann habt ihr überall Freude, wo ihr geht und steht, und es kostet nichts, und man weiß nicht, wozu es einem einmal gut ist, wenn man auf alles ordentlich achtet. Aber man soll sich doch auf dem Weg durch nichts so aufhalten lassen, das macht leicht irr. Ich gehe weiter und komme durch einen jungen Tannenwald. Der steht so dick, da ist es ganz finster drin, aber schön kühl. Da liegt was. Was ist denn das? Es ist ein Hirsch, der schläft. Vor Schreck schreie ich, und der Hirsch wacht auf und guckt mich nur so an mit seinen großen Augen, wie wenn er sagen wollte: du dummes Ding, was störst du mir meinen Mittagsschlaf? Ich renne, was ich kann, davon; ich mein', der Hirsch kommt hinter mir drein, und ich meine, ich spüre es schon, wie er mich auf die Hörner nimmt und den Berg hinunterwirft, und wenn ein dürrer Ast vom Baum fällt, erschreck' ich, daß mir alle Glieder zittern. Gottlob! jetzt ist der Wald aus, und so viel tausend und tausend Schmetterlinge hab' ich mein Lebtag nicht gesehen, als da gewesen sind, und die Wiese ist ganz rot. Ich bleib' stehen, ich hab' meine Freude daran. Eine Gabelweihe fliegt oben hoch am Himmel und schreit, und ich schau' dem Vogel zu, wie er fliegt. Schön ist's, das muß man sagen, es ist, wie wenn er nur schwimmen thät in der Luft. Jetzt aber fort! halt dich nicht auf! und jetzt ist's gut, da ist ja ein kleiner Fußweg. So denk' ich, jetzt ist's gewonnen, jetzt bist du wohl daran, da sind wieder Menschen. Es liegt ein beinerner Knopf am Weg, ich heb' ihn auf und steck' ihn in die Tasche, und das war gut, ich hab's ganz vergessen gehabt, daß ich noch ein Stückle Brot in der Tasche habe; das schmeckt jetzt prächtig, besser hat mir noch kein Hochzeitsessen geschmeckt. So im wilden Wald kann man sich's gar nicht mehr vorstellen, daß die Menschen Korn säen und ernten und dreschen und mahlen und backen. Der Weg ist so eng, daß ich immer die Zweige wegthun muß, um durchzukommen. Und tief geht's da neben hinunter, und jäh wie an einem Dach. O, lieber Gott, wenn jetzt ein schlechter Mensch käm' und raubt' dich aus und wirft dich dahinunter; da fände dich niemand wieder. Nein, nein, ich thät' ihm sagen: da, da hast du alles, was ich hab'; da, mein messingener Fingerhut und fünfzehn Kreuzer, da hast du alles, jetzt laß mich gehen, und ich schwöre dir einen Eid, daß ich dich nicht verrate. Muß ich so einen Eid aber halten? Ich mein', wegen andrer Menschen muß ich angeben, was mir geschehen ist, daß nicht noch andre auch so ausgeraubt werden. In der Angst fange ich an zu singen, und ich mag mir den Kopf herunterreißen, es fällt mir kein frommes Lied ein, als nur das einzige: »Das Grab ist tief und stille«, und das ist so traurig. Ich singe lustige Lieder, Schelmenlieder, und doch zittert mir das Herz vor Angst. Gottlob! so, jetzt bin ich oben, es geht eine weite, schöne, ebene Wiese fort. Aber heiß ist mir's gewesen, fürchterlich heiß. Meine Backen brennen, und ich bin wie aus dem Wasser gezogen. Es läßt mir aber keine Ruhe, ich kann nicht ausschnaufen. Und auf der Wiese ist ein Gesumme von tausend und aber tausend Bienen. O, heiliger Gott! Wenn du jetzt in ein Wespennest trätest und sie fliegen auf, und auf dich zu und du bist wie betrunken. Meine Mutter hat mir erzählt, wie das ist: man ist wie betrunken, und da gibt's gar keine Hilfe, wenn man nicht ins Wasser springt. Und hier ist nirgends Wasser. Ja, wenn nur Wasser da wäre, ich hab' so grausamen Durst. Was ist denn aber das? Da hört ja der Weg auf? Und da geht's tief hinab. Und da sind die mächtigen wilden Felsen. Bin ich denn auf den Felsen im Rockenthal, wo seit Erschaffung der Welt noch kein Menschenfuß hinaufgekommen ist? Da liegen die schönsten Baumstämme und verfaulen, und kein Mensch kann sie holen. Nur die Vögel wissen, wie es da oben aussieht. Nein, so weit bin ich noch nicht, aber dahinab kann doch mein Weg nicht gehen. Ich rufe: Lieber Gott! wo bin ich? – Und so schauerlich schön habe ich noch keinen Wiederhall gehört: Wo bin ich? Wo bin ich? Wo bin ich? Gewiß siebenmal klingt's wieder, und so, wie wenn eines den Ton hinaufziehen thät' in den Himmel, weit, lang; das kommt von den Felsenwänden und den Schrunden, das klingt wie lauter Musik, wie wenn eines die Worte singen thät', hat aber einen längeren Atem als ein Mensch. Ich rufe die Namen von allen Menschen, die ich lieb habe und die mich lieb haben. Ich rufe und rufe, ich habe alle Menschen lieb. Wenn man so in Todesgefahr ist, da hören alle Händel auf. Ich rufe und rufe, aber es hört mich niemand, keine Menschenseele.

»Es nutzt nichts. Mach dich auf! Ich suche. Richtig! Da geht ein andrer Weg nochmals durch den Wald. Aber wie ich weiter komme, geht der auch wieder links ab. Ich denk' aber: jetzt bleibst du drauf, und gehe fort. Aber da komme ich wieder an eine Bergwand, und da ist kein Weg mehr, ich gehe über die Matte weg, und auf einmal stehe ich vor einem Abgrund, da geht es kerzengrad hinunter. Ich springe, was ich kann, wieder zurück; es schwindelt mir, und ich spüre es noch, wie der Abgrund an mir reißt und mich hinunterzerren will. Da stehe ich und danke Gott, daß ich doch noch auf festem Boden bin. Eine Goldammer sitzt oben auf dem Baum neben mir und singt: 's ist, 's ist, 's ist – so früüüh! Und wie ich zu dem Vogel aufschaue, fliegt er davon nach dem jenseitigen Berg. Die Goldammern machen immer einen Katzenbuckel beim Fliegen, sie fliegen höher, als der Ort ist, wo sie hin wollen, und dann lassen sie sich niederfallen. Ja, so ein Vogel hat's gut, für ihn gibt's kein Berg und Thal. Wenn ich nur auch so fliegen könnte! – Ich wende mich rechts. Gottlob! drüben am Berg sind Felder, und das Thal ist wie eine Mulde, wie ein Kessel. Aber, o mein Gott! bin ich denn auf dem Totenhof? Ich mein', ich seh' drüben einen Holunderbusch, und der ist doch nur, wo Menschen sind oder gewesen sind. Ja, der Holländer am Boden und die Schwalbe in der Luft zeigen an, daß da Menschenwohnungen sind. Aber ich sehe kein Haus, und alles hat so einen unheimlichen Schimmer, wie damals bei der Sonnenfinsternis; es ist nicht Tag und nicht Nacht, und die Bäume und die Berge zittern vor Angst. O weh! Ich bin auf dem Totenhof. Da hat vor hundert und hundert Jahren ein reicher Bauer gewohnt, so reich und so gottlos, und er und seine Frau und seine Kinder haben sich alle Tage in Milch gebadet und keinem Armen ein Tröpfle gegeben; die waren noch schlimmer als die Röttmännin. Damals aber hat unser Herrgott noch drein geschlagen, und an einem Sonntag, wie sie auf der Wiese mit Käslaiben Ball spielen, da hat sich die Erde aufgethan und den ganzen Hof verschlungen, Mensch und Vieh. Es soll eine Zeit geben, wo alles wieder aufwacht und auf eine einzige Stunde sich zeigt. Es ist nicht recht, man soll den Kindern keine solche Geschichten erzählen; das macht abergläubisch. Ich bin nicht abergläubisch, und es ist ja Tag. Aber die Sonne ist nicht am Himmel, nichts als schwarze Wolken, und die Haare sind mir zu Berg gestanden. Und das Schrecklichste ist mir immer gewesen, nicht die Menschen, wenn sie wieder aufwachen, aber wenn da die Hunde aus dem Boden herauskommen und auf einmal zu bellen anfangen, das ist doch schrecklich. Es ist alles nicht wahr! schrei' ich ins Thal hinein, und das hat mir Mut gemacht. Ich denk' aber doch, das gescheiteste wäre, du kehrtest um, du mußt ja heute nicht nach Wengern; ja, aber umkehren ist gerade so weit, und du weißt ebensowenig einen Weg heim, als wenn du jetzt weiter gehst. Ich hätte mich geschämt vor den Leuten, wenn ich hätte sollen zurückgehen und sagen, ich bin verirrt gewesen. Also fort! Kommst du nicht nach Wengern, so kommst du doch zu Menschen. Laß nur keinen Aberglauben mehr über dich kommen, und es ist ja heller Tag, und heute nacht ist Vollmond, da kannst du heim, wenn du ausgeruht bist, oder kannst auch in Wengern bleiben. Es wartet ja niemand auf dich. Ich stehe ja leider ganz allein da. Und das ist mir jetzt schwer aufs Herz gefallen, daß ich so allein auf der Welt bin; niemand fragt nach mir, und niemand weint, wenn ich verloren bin. Ich muß sagen, ich hab' selber fast weinen müssen. Aber nein, das ist unrecht, ich hab' noch Menschen, die nach mir fragen, und wie bang wird es ihnen sein, wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen erzählen kann, wo ich überall gewesen bin. Ja, ist's denn nicht bald aus? Es ist schon genug; ich habe schon genug zu erzählen. Und müd, grausam müd bin ich gewesen. Aber das ist jetzt nichts, du mußt fort. Ich höre einen Bub' jodeln drüben am Berg. Es ist mir gewiß nicht zum Jodeln gewesen in meiner Herzensangst, aber ich jodle auch, und ich kann's gut; in meiner Jugend habe ich alle überschrieen, man hat mich auf eine Stunde Wegs gehört.«

Die Leegart legte die Hand an die Wange und ließ jenen gellen Waldruf vernehmen, der wie eine zackige Bergesspitze aufsteigt und in scharfen Absätzen wieder niederfällt zu Thal. Sie konnte für ihre Jahre noch mächtig ihre Stimme erheben.

Die Schilder-Davidin, die von der ganzen Erzählung bisher nichts gehört, sprang von der Ofenbank auf und fragte: »Ums Himmels willen, was gibt's?« Die zuhörenden Frauen und Leegart hatten viel Mühe, sie zu beruhigen und ihr zu erklären, warum Leegart so laut geschrieen habe. Die Alte setzte sich wieder still auf ihre Bank und murmelte vor sich hin: »Ich bin ausgeruht. Wenn ich nur meine ausgeruhten Füße meiner Martina leihen könnte!«

Die Frauen drängten, daß Leegart fortfahre. Sie wichste einen frischen Faden und übernähte kreuz und quer den Kragen an der Jacke, die eigentlich schon lange fertig war; aber sie wollte nicht ablassen, denn es ist ja sicher und gewiß, ein Menschenkind kann nicht sterben, solang man für dasselbe näht. Dazu hielt das Erzählen der Leegart gut wach, und man wollte nicht schlafen gehen, bis die Männer wieder heimgekehrt waren, und zum Mitternachts-Gottesdienst gleich bereit sein.

Nachdem die Leegart ganz heimlich geschnupft hatte, fuhr sie fort: »Ich jodle also, und der Bub' antwortet mir, wie wenn das Jodeln zur Lustbarkeit wär'. Ich rufe: Wo geht der Weg hin? Aber er jodelt mir zur Antwort. Geh zum Teufel mit deinem Jodeln, sag' ich. Ich fürchte mich, wie ich das gesagt habe, aber ich hab's doch gesagt. Richtig, da geht wieder ein Weg in den Wald. Wenn's nur kein Holzweg ist, naß genug ist er dazu, da wird's das ganze Jahr nicht trocken vor den dichten Bäumen. Da sind Quellen. Wenn ich nur trinken könnte! Aber ich kriege nichts davon als nasse Füß'. Ich gehe neben dem Weg in den Wald, da geht sich's weich wie auf einem Bett; das Moos ist so tief, da ist, so lang die Welt steht, keine Handvoll ausgerauft worden. Wer sollte es auch von da oben holen? Jetzt ist der nasse Weg vorbei, da geht's trocken bergab, aber ich sehe keinen Weg mehr. Bei den Tannennadeln sieht man nicht, wo ein Mensch gegangen ist, und meine Schuhe sind so glatt wie geschliffen. Und jetzt reiß' ich mich auch noch an einem Stechapfel, daß ich blute. Schadet nichts! Gottlob! da liegt ein Stück von einem Ziegelstein; ich nehm' ihn auf, ja es ist ein Ziegelstein, das ist gut, da müssen einmal Menschen gewesen sein; der Ziegelstein wächst nicht von selber. Der schönste Diamant wäre mir nicht lieber gewesen als das Stück Ziegelstein. Ich gehe weiter und bin ganz ruhig, und ich erschrecke nicht einmal, wie da eine Otter zusammengeringelt in der Sonne liegt; ich werfe meinen Ziegelstein nach ihr, und sie huschelt davon. O, wie viel Erdbeeren sind da! Die holt aber niemand, es kommt niemand dahin, wer nicht verirrt ist, und ich einfältiges Ding wage es nicht, zu pflücken und meinen Durst zu löschen, weil ich meine, die Otter habe alle Erdbeeren vergiftet. Gut, da ist eine Rinnse, wo sie drüben vom Walde die Baumstämme herunterschleifen. Da muß es hinuntergehen, ich mein', ich höre den Bach rauschen; das ist gewiß unser Bach, es kann aber auch das Rauschen in den Baumgipfeln sein; wenn man in der Irre ist, da hört man auch nicht recht. Sei's, was es will, ins Thal muß ich. Ich nehme meine Röcke auf und halte das Päckchen mit dem Mutzen darin; das Päckchen hat mir viel Mühe gemacht; wenn man bergauf und bergein so was unterm Arm tragen muß, und wenn's auch nicht schwer ist, es ist doch, wie wenn die eine Hand festgebunden wäre. Still! Jetzt höre ich einen Wagen unten im Thal, da muß eine gute Straße sein, das ist ein einspänniges Bernerwägele oder auch ein zweispänniges, das so schnell rollt; jetzt geht's um eine Ecke, und jetzt hört man's nicht mehr. O weh! hast dich wieder anführen lassen; das ist ja der Wald, der so rauscht, und jetzt ist's über dir. Auf nichts mehr horchen jetzt. Ich helf' mir selber. Ich springe zu, aber es wird so steil, daß man keinen Fuß mehr setzen kann. Und da ist auch der Boden vom Baumschleifen so hart, daß man mit den Hacken nicht mehr einsetzen kann, und ich zerreiße ein Paar Schuhe, die zwei Gulden kosten; nicht die Hälfte habe ich an dem Mutzen verdient. Was thut's? Wenn ich nur mit meinen gesunden Gliedern davonkomme! Nur einmal bin ich gefallen. Man soll sich an nichts halten, wenn man's nicht vorher untersucht hat; Ginster hat einen guten Anhalt, das ist fest im Boden; ich hatte mich aber einmal an einer Baumwurzel, die Wurzel bleibt mir in der Hand, ich rutsche ein gut Stück hinunter. Ich drücke die Augen zu: jetzt mußt du sterben, jetzt ist's aus. Ich bleibe aber an einem Felsen liegen, mitten in einem Ameisenhaufen. Ich mache, daß ich davonkomme. Ich gehe in der Nähe der Rinnse, ich halte sie im Aug', in den Wald, und springe von Baum zu Baum; es ist kein Springen mehr, es ist wie geworfen, wie die Sperlinge fliegen und ihre Flügel zusammenklappen und sich in der Luft überstürzen, so ist's. Ich muß fast lachen, wie ich das denke, aber es ist mir nicht zum Lachen gewesen. Ich denk', davon kannst du dein Leben lang erzählen, und da denk' ich wieder: wenn du es nur schon erzählen könntest, dann wär's vorbei. Es wird schon vorbeigehn, du stirbst nicht daran, nur immer fort. Und so hab' ich mich immer von einem Zweig zum andern gegriffen, und nur einmal bin ich noch gerutscht, aber gefallen bin ich nicht mehr. Und die Geröllsteine kugeln vor mir hinunter, hüpfen vor mir in die Höhe und rollen lang, und ich mein', ich höre sie unten im Bach aufklatschen. Und ich denk', wenn du fällst, so fällst du auch hinunter. Ich klammere mich mit den Nägeln in den Boden, und fort und fort und wieder abseits in das Gebüsch, wo man neben der Rinnse den Fuß einsetzen kann. Endlich und endlich bin ich unten, aber halt dich. Keinen Schritt weiter, oder du bist des Todes. Haushoch geht's, wie mit dem Messer abgeschnitten, in den Bach. Da stehe ich, ich kann mit der Hand die Gipfel der Tannen greifen, die im Thal stehen, aber da ist kein Weg. Ich gehe zwei Schritt zurück und halte mich an einem Baum, und jetzt ist mir's doch wohler. Da fließt das Wasser. Gott sei Lob und Dank, da ist das Thal, und im Thal sein, ist daheim sein. Wie gut rauscht das Wasser, so heimelich, so getreu und so zufrieden, und das hat mir meinen Durst halb gelöscht, nur vom Hören und Sehen. Jetzt habe ich noch das schwerste Kunststück durchgemacht, wie ich da auf einem weiten Umweg endlich ins Thal herunterklettere. Und wie ich im Thal bin, da meine ich, jetzt stehe ich erst wieder aufrecht. Der Schweiß rinnt an mir herunter, immer ein Tropfen schlägt den andern; ich setze mich auf einen Stamm, der da liegt, da grad bei der breiten Buche, da wo der Hutmacher den Joseph gefunden hat. O, wie heiß ist mir! Ein Pferd, das sieben Stunden Galopp gelaufen ist, kann nicht stärker dampfen. Ich möchte mir gerade alle Kleider herunterreißen, es ist aber kühl im Thal. Die Sonne geht schon hinter die Berge, und es war noch nicht Mittag gewesen, als ich daheim fort bin. – Ich sehe Schwalben fliegen, o wie hat mich das gefreut! Und jetzt höre ich einen Hahn krähen. Keine Nachtigall singt so schön, wie so ein Hahn, wenn man verirrt gewesen ist. So, jetzt bin ich wieder in der Welt. Ich höre eine Henne gackern – wo ein Ei gelegt wird, freut sich eine Frau. Ich höre einen Hund bellen – wo ein Hund bellt, ist ein Mann um den Weg. Ich bin wieder in der Welt. Und jetzt hör' ich eine Mühle rauschen. Wo bin ich denn? – Ich hab', solange ich in der Irre war, in der Angst nicht geweint; aber jetzt, da ich gerettet war, jetzt ist mir's erst recht deutlich geworden, in welcher Gefahr ich gesteckt habe; und ich habe geweint, daß ich meine, ich muß vergehen, und hab' ihm doch nicht Einhalt thun können. Da kommt glücklicherweise ein Holzhauer. Ich frage: Wo bin ich? Da droben ist Röttmannhof, sagt der Holzhauer und will davongehen. Ich ruf' ihm noch nach: Wieviel Uhr ist? Fünfe vorbei. Also sieben geschlagene Stunden bin ich so herumgelaufen, das hätte ich doch nicht geglaubt. Ja sieben Stunden! Wenn ich abergläubisch wäre, könnte ich meinen, es sei der Kohlergeist gewesen, der mich so umgerührt hat, denn geschlagene sieben Stunden führen sie einen in der Irre herum, besonders die Taggeister. Ich gehe nun den Bach aufwärts, da muß ich ja nach der Heidenmühle kommen. Ich gehe den Weg dort der Mühle zu. Aber kaum bin ich zweihundert Schritte gegangen, da seh' ich, ich hab' mein Päckle liegen lassen auf dem Baumstamm, und es hat mir so viel Mühe gemacht, und ich hab's mit so viel Not bewahrt. Lieber Himmel! Auch das noch. Vielleicht hat's der Holzhauer gestohlen, und ich muß das Zeug bezahlen, statt daß ich Lohn bekomme. Ich renne zurück. Ja, die Menschen sind gut und ehrlich, wenn sie von was nicht wissen, wo's liegt. Mein Päckle war hinter den Baumstamm gerutscht, da liegt's noch.

»Die Heidenmüllerin war eine gute Frau, ihre Tochter, die Toni, artet ihr nach. Die Heidenmüllerin hat mir trockene Kleider gegeben und mich gepflegt wie eine Schwester. Aber drei Tage hab' ich's gespürt, wie wenn mir alle Glieder zerschlagen wären. Und wie ich wieder heimgekommen bin – ach Gott, wenn man so verirrt gewesen ist, man glaubt gar nicht mehr, daß es ein Daheim gibt: einen Ort, wo dein Bett steht, dein Spiegel, dein Tisch, deine Kommode, dein Gesangbuch. O, was sind das aber für lauter gute Freunde, und wie lieb hat man sie dann, wenn man heimkommt, und möcht' dem Tisch und dem Stuhl schön Dank sagen, weil er stillgehalten und gewartet hat, bis man wieder kommt. Und wißt ihr, was noch das Aergste ist beim Verirren? Daß man ausgelacht wird, wenn man's hernach erzählt. Aber ich wünsche niemand, nicht einmal der Röttmännin, daß es so drein kommen sollt'. Und es war ein schöner Sommertag, den Sonntag nach Johanni; nein, nicht Sonntag, es war ja Montag, Peter und Paul. O, wie muß es erst sein, wenn man im Schnee und in der Nacht und so jung da draußen ist; da kann man nichts thun, als sich hinlegen und sterben. Ach Gott! Ich sehe das Kind vor mir, da steckt es im Schnee oder in einer Felsenspalte und schlegelt mit den Händen, und die Füße sind fest, und es kann nicht fort, und es schreit: Mutter! und es horcht, und es meint, es käme jemand, und es gibt niemand Antwort als der Rabe auf dem Baum. Und ein Hase läuft an ihm vorbei, husch! über den Schnee weg. Er fürchtet sich vor dem Kinde, und das Kind schaut ihm nach und vergißt sein Elend wieder. Mutter! Mutter! ruft es, und es ist nur noch ein Glück, daß es bald einschläft zum Nimmerwiederaufwachen. Ach Gott! Ich bin doch die unglücklichste Person, daß ich mir alles so ausdenken kann und so ausdenken muß; aber das ist so in unsrer Familie, und meiner Mutter hat man nicht umsonst nachgesagt, daß sie mehr könne, als Brot essen. Und wie ist's dem armen Kind gegangen, das drüben in Wengern begraben liegt? Man hat's im Wald gefunden am dritten Tag, ganz mit Schnee bedeckt, und nur auf dem Herzen war der Schnee geschmolzen. Alle Menschen, die's gesehen haben, haben weinen müssen, daß es ihnen fast das Herz abgestoßen hat, und die Mutter ist närrisch darüber geworden. Der Pfarrer hat dem Kind eine schöne Grabschrift gesetzt; ich hab' sie einmal auswendig gekonnt, aber ich kann sie nicht mehr. Und wie ist's dem Hutmacher gegangen, der am Neujahrstag die frischgefärbten Hüte nach Knuslingen trägt? Er kommt in die Schröckelhalde, da wo ich auch gewesen bin, wie ich verirrt war, und von da aufs Feld, und es ist ein Nebel, und man sieht die Hand vor den Augen nicht. Er lauft gewiß siebenmal ums Dorf herum und kann nicht hineinkommen. Es läutet, aber er hört's immer von einer andern Seite und kommt nicht dazu. Endlich hört er Gänse schreien, er geht auf das Gänsegeschrei zu und kommt richtig ins Dorf; aber wie hat er ausgesehen! wie wenn man ihn gerade aus der Erde herausgenommen hätte. Ja, eins habe ich noch zu sagen vergessen, der Heidenmüller –«. Hier wurde aber Leegart von einem großen Geschrei vor dem Hause unterbrochen.


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