Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. Gebannt und erlöst.

Am Morgen, als Barfüßele erwachte, lag das Halsgeschmeide, das sie einst von der Landfriedbäuerin erhalten, auf ihrem Bette; sie mußte sich lange besinnen, bis sie sich erinnerte, daß sie dasselbe noch gestern abend herausgenommen und lange betrachtet hatte.

Als sie sich aufrichten wollte, waren ihr alle Glieder wie zerschlagen, und die Hände mühsam ineinander klammernd, jammerte sie:

»Um Gotteswillen, nur jetzt nicht krank sein! Ich habe keine Zeit dazu, ich kann jetzt nicht.« Wie im Zorn gegen ihren Körper, ihn mit der Willenskraft gewaltsam bezwingend, stand sie auf; aber wie erschrak sie, als sie jetzt sich in dem kleinen Spiegel betrachtete. Ihr ganzes Gesicht war geschwollen. »Das ist die Strafe, weil du gestern nacht noch so herumgelaufen bist und hast fremde Menschen und auch böse zu Hilfe rufen wollen.« Sie schlug sich wie zur Züchtigung ins schmerzende Gesicht, nun aber verband sie sich über und über und ging an ihre Arbeit.

Als die Meisterin sie sah, wollte sie, daß sie sich zu Bette lege; aber die Rosel schimpfte, das sei eine Bosheit des Barfüßele, daß sie jetzt krank sein wolle, sie habe das zum Possen gethan, weil sie wisse, daß man sie jetzt nötig habe. Barfüßele war still, und als sie im Schuppen war und Klee in die Raufe steckte, da sagte eine helle Stimme: »Guten Morgen! Schon fleißig?«

Es war seine Stimme

»Nur ein bißle,« antwortete Barfüßele und biß dann die Zähne übereinander, vor allem über den neidischen Teufel, der sie so verhext und entstellt hatte, daß er sie unmöglich erkennen konnte.

Sollte sie sich jetzt zu erkennen geben?

Man muß es abwarten.

Während sie nun molk, fragte Johannes allerlei. Zuerst über das Milchergebnis der Kühe, und ob man verkaufe und wie, und wer buttere, und ob vielleicht eines im Hause Buch darüber führe.

Barfüßele zitterte; jetzt war es in ihrer Hand, ihre Nebenbuhlerin zu beseitigen, indem sie zeigte, wie sie war; aber wie seltsam zusammengesponnen sind die Fäden alles Thuns! Sie schämte sich vor allem, über ihre Meistersleute schlecht zu sprechen, obgleich sie nur eigentlich die Rosel getroffen hätte, denn die andern waren brav; aber sie wußte, daß es auch einen Dienstboten schändet, wenn er das innere Wesen des Hauses zur Schande preisgibt, und sie sicherte sich daher, indem sie zuerst sagte: das stehe einem Dienstboten nicht wohl an, seine Meistersleute zu beurteilen; »und gutherzig sind sie alle«, setzte sie in innerem Gerechtigkeitssinn hinzu, denn in der That war dies auch Rosel trotz ihres heftigen und herrischen Wesens. Jetzt fiel ihr was Gutes ein. Sagte sie gleich, wie die Rosel sei, so reiste er schnell wieder ab, er war dann freilich von der Rosel los, aber er war dann auch fort, und mit kluger Rede sagte sie daher:

»Ihr scheint mir bedachtsam, wie auch Eure Eltern den Namen dafür haben. Ihr wisset aber, daß man kein Stückle Vieh in einem Tag recht kennt; so mein' ich, Ihr solltet ein bißchen hier bleiben, und nachher können auch wir zwei einander besser kennen lernen, und da wird dann schon ein Wort das andre geben, und wenn ich Euch dienstlich sein kann, an mir soll's nicht fehlen. Ich weiß zwar nicht, warum Ihr so viel ausfraget . . .«

»O, du bist ein Schelm, aber du gefällst mir,« sagte Johannes.

Barfüßele zuckte zusammen, so daß die Kuh vor ihr zurückwich und sie fast den Melkkübel verschüttete.

»Und du sollst auch ein gutes Trinkgeld haben,« setzte Johannes hinzu und ließ einen Thaler, den er schon in der Hand gehabt, wieder in die Tasche fallen.

»Ich will Euch noch 'was sagen,« begann Barfüßele nochmals, als sie sich zu einer andern Kuh begab. »Der Heiligenpfleger ist ein Feind von meinem Meister, daß Ihr das ja wisset, wenn er sich an Euch anklammern will.«

»Ja, ja, ich seh' schon, mit dir kann man reden; aber du hast ja ein geschwollenes Gesicht; den Kopf verbinden, das hilft dir nichts, wenn du so barfuß gehst.«

»Ich bin's so gewohnt,« sagte Barfüßele, »aber ich will Euch folgen. Ich danke.«

Man hörte oben Schritte sich nahen. »Wir reden schon noch mehr miteinander,« schloß der Bursche und ging davon.

»Ich danke dir, dicker Backen!« sagte Barfüßele hinter ihm drein und hätschelte sich die geschwollene Wange, »du bist gescheit gewesen; durch dich kann ich ja mit ihm reden, wie wenn ich nicht da wäre, unter der Larve wie der Fastnachtshansel. Juchhe! Das ist lustig!«

Wunderbar war's, wie diese innere Freudigkeit ihr körperliches Fiebern fast auflöste, nur müde war sie, unsäglich müde, und es war ihr teils lieb, teils wehe, als sie den Oberknecht das Bernerwägelein schmieren sah und hörte, daß der Meister jetzt gleich mit dem Fremden über Land fahren wolle. Sie eilte in die Küche, und da hörte sie, wie in der Stube der Bauer zu Johannes sagte: »Wenn du reiten willst, Johannes, das wäre ganz geschickt; da könntest du zu mir aufs Bernerwägelein sitzen, Rosel, und du, Johannes, reitest nebenher.«

»Da fährt die Bäuerin aber auch mit,« setzte Johannes nach einer Pause hinzu.

»Ich habe ein Kind an der Brust, ich kann nicht weg,« sagte die Bäuerin.

»Und ich mag auch nicht so am Werktag im Land herumfahren,« ergänzte Rosel.

»O was! Wenn so ein Vetter da ist, darfst du schon einen freien Tag machen,« drängte der Bauer, denn er wollte, daß Johannes alsbald mit der Rosel beim Furchenbauer ankomme, damit sich dieser keine Hoffnung mache für eine seiner Töchter; zugleich wußte er auch, daß so eine kleine Ausfahrt über Land die Leute rascher zusammenbringe als achttägiger Besuch im Hause.

Johannes schwieg, und der Bauer in seinem innern Drängen stieß ihn an und sagte halblaut: »Red ihr doch zu; es kann sein, sie folgt dir eher und geht mit.«

»Ich mein',« sagte Johannes laut, »deine Schwester hat recht, daß sie nicht so mitten in der Woche im Land herumfahren will. Ich spann' meinen Schimmel zu deinem, dann können wir auch sehen, wie sie miteinander gehen, und zum Nachtessen sind wir wieder da, wenn nicht schon früher.«

Barfüßele, die das alles hörte, biß sich auf die Lippen und konnte sich fast gar nicht halten vor Lachen über die Rede des Johannes. »Ja,« dachte sie vor sich hin, »den habt ihr noch nicht am Halfter, geschweige denn am Zaum, der läßt sich nicht gleich in der Welt herumführen wie versprochen, daß er nicht mehr zurück kann.«

Sie mußte ihr Tuch von dem Gesichte abthun, so heiß wurde es ihr vor Freude.

Das war nun ein seltsamer Tag heute im Hause, und Rosel erzählte halb ärgerlich, was für wunderliche Fragen der Johannes an sie gestellt habe, und Barfüßele jubelte innerlich, denn alles das, was er wissen wollte und wovon sie sich recht gut abnehmen konnte, warum er es fragte, alles das war ja in ihr erfüllt. Aber was nützt das? Er kennt dich nicht, und wenn er dich auch kennt, du bist ein armes Waisenkind und in Dienst, da kann nimmer was draus werden. Er kennt dich nicht und wird dich nicht fragen.

Am Abend, als die beiden Männer zurückkehrten, hatte Barfüßele schon das Tuch um die Stirne abnehmen können, nur das um Kinn und Schläfe gebundene aber mußte sie noch behalten und breit vorziehen.

Johannes schien jetzt weder Wort noch Blick für sie zu haben. Dagegen war sein Hund bei ihr in der Küche, und sie gab ihm zu fressen und streichelte ihn und redete auf ihn hinein: »Ja! Wenn du ihm nur alles sagen könntest, du würdest ihm gewiß alles treu berichten!«

Der Hund legte seinen Kopf in den Schoß Barfüßeles und schaute sie mit verständnisreichen Augen an, dann schüttelte er den Kopf, wie wenn er sagen wollte: es ist hart, ich kann leider Gottes nicht reden.

Jetzt ging Barfüßele hinein in die Kammer und sang die Kinder, die schon lange schliefen, noch einmal ein mit allerlei Liedern, aber den Walzer, den sie einst mit Johannes getanzt, sang sie am meisten. Johannes horchte wie verwirrt darauf hin und schien abwesend in seinen Reden. Rosel ging in die Kammer und hieß Barfüßele schweigen.

Noch spät in der Nacht, als Barfüßele eben für die schwarze Marann' Wasser geholt hatte und mit dem vollen Kübel auf dem Kopfe nach dem Elternhause ging, begegnete ihr eben Johannes, der sich nach dem Wirtshause begab. Mit gepreßter Stimme sagte sie: »Guten Abend!«

»Ei, du bist's?« sagte Johannes, »wohin denn noch mit dem Wasser?«

»Zu der schwarzen Marann'.«

»Wer ist denn das?«

»Eine arme bettlägerige Frau.«

»Die Rosel hat mir ja gesagt, es gebe hier keine Armen.«

»O, lieber Gott, mehr als genug; aber die Rosel hat's gewiß nur gesagt, weil sie meint, es wäre eine Schande für das Dorf. Gutmütig ist sie, das könnt Ihr mir glauben, sie schenkt gern weg.«

»Du bist eine gute Verteidigung, aber bleib nicht stehen mit dem schweren Kübel. Darf ich mit dir gehen?«

»Warum nicht?«

»Du hast recht, du gehst einen guten Weg, und da bist du behütet, und vor mir brauchst du dich gar nicht zu fürchten.«

»Ich fürchte mich vor niemand und am wenigsten vor Euch. Ich hab's Euch heute angesehen, daß Ihr gut seid.«

»Wo denn?«

»Weil Ihr mir geraten habt, wie ich das geschwollene Gesicht wegbringe; es hat mir schon geholfen, ich hab' jetzt Schuhe an.«

»Das ist brav von dir, daß du folgst,« sagte Johannes mit Wohlgefallen, und der Hund schien das Wohlgefallen an Barfüßele zu bemerken, denn er sprang an ihr hinauf und leckte ihre freie Hand.

»Komm her, Lux,« befahl Johannes.

»Nein, lasset ihn nur,« entgegnete Barfüßele, »wir sind schon gute Freunde, er ist heute bei mir in der Küche gewesen; mich und meinen Bruder haben die Hunde alle gern.«

»So? du hast noch einen Bruder?«

»Ja, und da hab' ich Euch bitten wollen, Ihr thätet Euch einen Gotteslohn erwerben, wenn Ihr ihn als Knecht zu Euch nehmen könntet; er wird Euch gewiß sein Lebenlang treu dienen.«

»Wo ist denn dein Bruder?«

»Da drunten im Walde, er ist vorderhand Kohlenbrenner.«

»Ja, wir haben wenig Wald und gar keine Köhlerei, einen Senn' könnt' ich eher brauchen.«

»Ja, dazu wird er sich anschicken. Jetzt, da ist das Haus.«

»Ich warte, bis du wieder kommst,« sagte Johannes, und Barfüßele ging hinein, das Wasser abzustellen, das Feuer herzurichten und der Marann' frisch zu betten.

Als sie herauskam, stand Johannes noch da, der Hund sprang ihr entgegen, und lange stand sie hier noch bei Johannes an dem Vogelbeerbaum, der flüsterte so still und wiegte seine Zweige, und sie sprachen über allerlei, und Johannes lobte ihre Klugheit und ihren regen Sinn und sagte zuletzt: »Wenn du einmal deinen Platz ändern willst, du wärst die rechte Person für meine Mutter.«

»Das ist das größte Lob, was mir ein Mensch auf der Welt hätte sagen können,« beteuerte Barfüßele, »und ich habe noch ein Andenken von ihr.« Sie erzählte nun die Begebenheit aus der Kinderzeit, und beide lachten, als Barfüßele bemerkte, wie der Dami es nicht vergessen wolle, daß die Landfriedbäuerin ihm noch ein Paar lederne Hosen schuldig sei.

»Er soll sie haben,« beteuerte Johannes.

Sie gingen noch miteinander das Dorf hinein, und Johannes gab ihr eine Hand zur »guten Nacht«.

Barfüßele wollte ihm sagen, daß er ihr schon einmal eine Hand gegeben, aber wie von dem Gedanken erschreckt, flog sie davon und hinein ins Haus. Sie gab ihm keine Antwort auf seine gute Nacht! Johannes ging sinnend und innerlich verwirrt in seine Herberge im Auerhahn.

Barfüßele aber fand am andern Morgen den dicken Backen wie weggeblasen, und lustiger trällerte es noch nie durch Haus, Hof und Stall und Scheuer, als am heutigen Tage, und heute auch sollte sich's entscheiden, heute mußte sich Johannes erklären. Der Rodelbauer wollte seine Schwester nicht länger ins Geschrei bringen, wenn's vielleicht doch nichts wäre.

Fast den ganzen Tag saß Johannes drinnen in der Stube bei der Rosel, sie nähte an einem Mannshemde, und gegen Abend kamen die Schwiegereltern des Rodelhauern und andre Gefreundete. Es muß sich entscheiden.

In der Küche prozelte der Braten, und das Fichtenholz knackte, und die Wangen Barfüßeles brannten von dem Feuer auf dem Herde und von innerem Feuer angefacht. Der Krappenzacher ging ab und zu, herauf und herunter in großer Geschäftigkeit, er that im ganzen Hause wie daheim und rauchte aus der Pfeife des Rodelbauern.

»Also ist's doch entschieden!« klagte Barfüßele in sich hinein.

Es war Nacht geworden, und viele Lichter brannten im Hause, Rosel ging hoch aufgeputzt zwischen Stube und Küche hin und her und wußte doch nichts anzurühren. Eine alte Frau. die ehemals als Köchin in der Stadt gedient hatte, war mit zum Kochen angenommen worden. Es war alles bereit.

Jetzt sagte die junge Bäuerin zu Barfüßele: »Geh 'nauf und mach dich g'sunntigt« (sonntäglich angekleidet).

»Warum?«

»Du mußt heute aufwarten, du kriegst dann auch ein besser Letzgeld.«

»Ich möchte in der Küche bleiben.«

»Nein, thu, was ich dir gesagt habe, und mach hurtig.«

Amrei ging in ihre Kammer, und todmüde setzte sie sich eine Minute verschnaufend auf ihre Truhe; es war ihr so bang, so schwer, – wenn sie nur jetzt einschlafen und nimmer aufwachen könnte. Aber die Pflicht rief, und kaum hatte sie das erste Stück ihres Sonntagsgewandes in der Hand, als Freude in ihr aufblitzte, und das Abendrot, das einen hellen Strahl in die Dachkammer schickte, zitterte auf den hochgeröteten Wangen Amreis.

»Mach dich g'sunntigt!« Sie hatte nur ein Sonntagskleid, und das war jenes, das sie damals beim Tanze auf der Nachhochzeit in Endringen angehabt, und jedes Biegen und Rauschen des Gewandes tönte Freude und jenen Walzer, den sie damals getanzt; aber wie die Nacht rasch hereinsank und Amrei nur noch im Dunkeln alles festknüpfte, so bannte sie auch wieder alle Freude hinweg und sagte sich nur, daß sie Johannes zu Ehren sich so ankleide; und um ihm zu zeigen, wie sehr sie alles, was aus seiner Familie komme, hochhalte, band sie zuletzt auch noch den Anhenker um.

So kam Barfüßele geschmückt, wie damals zum Tanze in Endringen, von ihrer Kammer herab.

»Was ist das? Was hast du, dich so anzuziehen?« schrie Rosel im Aerger und in der Unruhe, daß der Bräutigam so lang ausblieb. »Was hast du deinen ganzen Reichtum an? Ist das eine Magd, die so ein Halsband anhat und so eine Denkmünze? Gleich thust du das herunter!«

»Nein, das thu' ich nicht, das hat mir seine Mutter geschenkt, wie ich noch ein kleines Kind war, und das hab' ich angehabt, wie wir in Endringen miteinander getanzt haben.«

Man hörte etwas fallen auf der Treppe, aber niemand achtete darauf, denn Rosel schrie jetzt:

»So, du nichtsnutzige verteufelte Hex, du wärst ja in Lumpen verfault, wenn man dich nicht herausgenommen hätte, du willst mir meinen Bräutigam wegnehmen?«

»Heiß ihn nicht so, ehe er's ist,« antwortete Amrei mit einer seltsamen Mischung von Tönen, und die alte Köchin aus der Küche rief: »Das Barfüßele hat recht, man darf ein Kind nicht bei seinem Namen nennen, eh' es getauft ist: das ist lebensgefährlich.«

Amrei lachte, und die Rosel schrie:

»Warum lachst du?«

»Soll ich heulen?« sagte Barfüßele, »ich hätte Grund genug, aber ich mag nicht.«

»Wart, ich will dir zeigen, was du mußt,« schrie Rosel: »da!« und sie riß Barfüßele nieder auf den Boden und schlug ihr ins Gesicht.

»Ich will mich ja ausziehen, laß los!« schrie Barfüßele, aber Rosel ließ ohnedies ab, denn wie aus dem Boden herausgewachsen stand jetzt Johannes vor ihr.

Er war leichenblaß, seine Lippen bebten, er konnte kein Wort hervorbringen und legte nur die Hand schützend auf Barfüßele, die noch auf der Erde kniete.

Barfüßele war die erste, die ein Wort sagte, und sie rief: »Glaubet mir, Johannes, sie ist noch nie so gewesen, in ihrem ganzen Leben nicht, und ich bin schuld . . .«

»Ja, du bist schuld, und komm! Mit mir gehst du, und mein bist du! Willst du? Ich hab' dich gefunden und habe dich nicht gesucht! und jetzt bleibst du bei mir, meine Frau. Das hat Gott gewollt.«

Wer jetzt in das Auge Barfüßeles hätte sehen können!

Aber noch hat kein sterbliches Auge den Blitz am Himmel völlig erfaßt, und erwarte es ihn noch so fest, es wird doch geblendet; und es gibt Blitze im Menschenauge, die nie und nimmer fest gesehen, es gibt Regungen im Menschengemüte, die nie und nimmer fest gefaßt werden; sie schwingen sich über die Welt und lassen sich nicht halten.

Ein rascher Freudenblitz, wie er in dem Auge erglänzen müßte, dem sich der Himmel aufthut, hatte auf dem Antlitze Amreis gezuckt, und jetzt bedeckte sie das Gesicht mit beiden Händen, und die Thränen quollen ihr zwischen den Fingern hervor. Johannes hielt seine Hand auf ihr.

Alle Gefreundete waren herzugekommen und sahen staunend, was hier vorging.

»Was ist denn das mit dem Barfüßele? Was ist denn da?« lärmte der Rodelbauer.

»So? Barfüßele heißt du?« jauchzte Johannes, er lachte laut und heftig und rief wieder: »Jetzt komm. Willst du mich? Sag's nur hier gleich, da sind Zeugen, und die müssen's bestätigen. Sag Ja, und nur der Tod soll uns voneinander scheiden.«

»Ja! und nur der Tod soll uns voneinander scheiden!« rief Barfüßele und warf sich an seinen Hals.

»Gut, so nimm sie gleich aus dem Haus!« schrie der Rodelbauer schäumend vor Zorn.

»Ja, und das brauchst du mir nicht zu heißen, und ich dank' dir für die gute Aufwartung, Vetter; wenn du einmal zu mir kommst, wollen wir's wett machen.« So erwiderte Johannes. Er faßte sich mit beiden Händen an den Kopf und rief: »Herr Gott! O Mutter, Mutter! Was wirst du dich freuen!«

»Geh hinauf, Barfüßele, und nimm deine Truhe gleich mit, es soll nichts mehr von dir im Hause sein,« befahl der Rodelbauer.

»Ja wohl, und mit weniger Geschrei geschieht das auch,« erwiderte Johannes. »Komm, ich geh' mit dir, Barfüßele; sag, wie heißt denn du eigentlich?«

»Amrei!«

»Ich hätt' schon einmal eine Amrei haben sollen, die ist die Schmalzgräfin, und du bist meine Salzgräfin. Juchhe! Jetzt komm, ich will auch deine Kammer sehen, wo du so lange gelebt hast; jetzt kriegst du ein großes Haus.«

Der Hund ging immer mit borstig aufstehenden Rückenhaaren um den Rodelbauer herum, er merkte wohl, daß der Rodelbauer eigentlich gerne den Johannes erwürgt hätte, und erst als Johannes und Barfüßele die Treppe hinauf waren, ging der Hund ihnen nach.

Johannes ließ die Kiste stehen, weil er sie nicht aufs Pferd nehmen konnte, und packte alle Habseligkeiten Barfüßeles in den Sack, den sie noch von dem Vater ererbt hatte, und Barfüßele erzählte dabei durcheinander, was der Sack alles schon mitgemacht habe, und die ganze Welt drängte sich zusammen in eine Minute und war ein tausendjähriges Wunder. Barfüßele sah staunend drein, als Johannes ihr Schreibebuch aus der Kindheit mit Freude begrüßte und dabei rief: »Das bring' ich meiner Mutter, das hat sie geahnt; es gibt noch Wunder in der Welt.«

Barfüßele fragte nicht weiter danach. War denn nicht alles ein Wunder, was mit ihr geschah? Und als wüßte sie, daß die Rosel alsbald die Blumen ausreißen und auf die Straße werfen würde, so fuhr sie noch einmal mit der Hand über die Pflanzen alle hin; sie füllten ihre Hand mit Nachttau, und jetzt ging sie mit Johannes hinab, und eben als sie das Haus verlassen wollte, drückte ihr noch jemand im Finstern still die Hand; es war die Bäuerin, die ihr so noch lebewohl sagte.

Auf der Schwelle rief noch Barfüßele, indem sie die Hand an die Thürpfoste hielt, an der sie so oft träumend gelehnt hatte: »Möge Gott diesem Hause alles Gute vergelten und alles Böse vergeben!« Aber kaum war sie einige Schritte entfernt, als sie rief: »Ach Gott, ich habe ja alle meine Schuhe vergessen; die stehen oben auf dem Brett.« Und noch hatte sie diese Worte kaum ausgesprochen, als wie nachtrabend die Schuhe von dem Fenster herabflogen auf die Straße.

»Lauf drin zum Teufel!« schrie eine Stimme aus dem Dachfenster. Die Stimme tönte tief, und doch war's die Rosel.

Barfüßele las die Schuhe zusammen und trug sie mit Johannes, der den Sack auf dem Rücken hatte, nach dem Wirtshause.

Der Mond schien hell, und im Dorfe war bereits alles still.

Barfüßele wollte nicht im Wirtshause bleiben.

»Und ich möchte am liebsten heut noch fort,« setzte Johannes hinzu.

»Ich will bei der Marann' bleiben,« entgegnete Barfüßele, »das ist mein Elternhaus, und du läßt mir deinen Hund. Gelt, du bleibst bei mir, Lux? Ich fürchte, sie thun mir heute nacht was an, wenn ich hier bleibe.«

»Ich wach' vor dem Haus,« entgegnete Johannes, »aber es wäre besser, wir gingen jetzt gleich; was willst du denn noch hier?«

»Vor allem muß ich noch zu der Marann'. Sie hat Mutterstelle an mir vertreten, und ich hab' sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen und nichts für sie sorgen können, und sie ist noch krank dazu. Ach Gott, es ist hart, daß ich sie allein lassen muß. Aber was will ich machen? Komm, geh mit zu ihr.«

Sie gingen miteinander durch das schlafende mondbeschienene Dorf Hand in Hand. Nicht weit von dem Elternhause blieb Barfüßele stehen und sagte: »Siehst du? Auf diesem Fleck da, da hat mir deine Mutter den Anhenker geschenkt und einen Kuß gegeben.«

»So? Und da hast noch einen und noch einen.«

Selig umarmten sich die Liebenden. Der Vogelbeerbaum rauschte drein, und vom Walde her tönte Nachtigallenschlag.

»So, jetzt ist's genug, nur noch den, und dann gehst mit herein zur Marann'. O, lieber Gott im siebenten Himmel! Was wird die sich freuen!«

Sie gingen miteinander hinein in das Haus, und als Barfüßele die Stubenthür öffnete, fiel eben wieder, wie damals der Sonnenstrahl, jetzt ein breiter Mondstrahl auf den Engel am Kachelofen, und er schien jetzt noch fröhlicher zu lachen und zu tanzen, und jetzt rief Barfüßele mit mächtiger Stimme: »Marann'! Marann'! Wachet auf! Marann', Glück und Segen ist da. Wachet auf!«

Die Alte richtete sich auf, der Mondstrahl fiel auf ihr Antlitz und ihren Hals, sie riß die Augen weit auf und fragte: »Was ist? Was ist? Wer ruft?«

»Freut Euch, da bring' ich Euch meinen Johannes!«

»Meinen Johannes!« schrie die Alte gellend. »Lieber Gott, meinen Johannes! Wie lang . . . wie lang . . . ich hab' dich, ich hab' dich, ich danke dir, Gott, tausend und tausendmal! O, mein Kind! Ich sehe dich mit tausend Augen und tausendfach . . . Nein da, da deine Hand! . . . Komm her! dort in der Kiste die Aussteuer . . . Nehmt das Tuch . . . Mein Sohn! Mein Sohn! Ja, ja, die ist dein . . . Johannes, mein Sohn! mein Sohn!« Sie lachte krampfhaft auf und fiel zurück ins Bett. Amrei und Johannes waren davor niedergekniet, und als sie sich aufrichteten und sich über die Alte beugten, atmete sie nicht mehr.

»O Gott, sie ist tot, die Freude hat sie getötet!« schrie Barfüßele, »und sie hat dich für ihren Sohn gehalten. Sie ist glücklich gestorben. O! wie ist denn das alles in der Welt, o, wie ist das alles!« Sie sank wiederum am Bette nieder und weinte und schluchzte bitterlich.

Endlich richtete sie Johannes auf, und Barfüßele drückte der Toten die Augen zu. Sie stand lange mit Johannes still am Bette, dann sagte sie:

»Komm, ich will Leute wecken, daß sie bei der Leiche wachen. Gott hat's wunderbar gut gemacht. Sie hat niemand mehr gehabt, der für sie sorgt, wenn ich fort bin, und Gott hat ihr noch die höchste Freude in der letzten Minute gegeben. Wie lang, wie lang hat sie auf diese Freude gewartet!«

»Ja, jetzt kannst aber heute nicht hier bleiben,« sagte Johannes, »und jetzt folgst mir und gehst gleich heute noch mit mir.«

Barfüßele weckte die Frau des Totengräbers und schickte sie zur schwarzen Marann', und sie war so wunderbar gefaßt, daß sie dieser sogleich sagte, man solle die Blumen, die auf ihrem Fensterbrett stehen, auf das Grab der schwarzen Marann' pflanzen und nicht vergessen, daß man ihr, wie sie immer gewünscht hätte, ihr Gesangbuch und das ihres Sohnes unter den Kopf lege.

Als sie endlich alles angeordnet hatte, richtete sie sich hoch auf, streckte und bäumte sich und sagte: »So! Jetzt ist alles fertig; aber verzeih mir nur, du guter Mensch, daß du jetzt gleich so mit mir in das Elend hinein sehen mußt, und verzeih mir auch, wenn ich jetzt nicht so bin, wie ich eigentlich sein möcht'. Ich seh' wohl, es ist alles gut, und Gott hätt's nicht besser machen können, aber der Schreck liegt mir noch in allen Gliedern, und Sterben ist doch gar eine harte Sache, du kannst nicht glauben, wie ich mir darüber fast das Hirn aus dem Kopf gedacht habe. Aber jetzt ist's schon gut, ich will schon wieder heiter sein, ich bin ja die glückseligste Braut aus Erden.«

»Ja, du hast recht. Komm, wir wollen fort. Willst du mit mir auf dem Gaul sitzen?« fragte Johannes.

»Ja. Ist das noch der Schimmel, den du auf der Endringer Hochzeit gehabt hast?«

»Freilich!«

»Und, o! der Rodelbauer! Schickt der noch in der Nacht, eh du kommst, nach Lauterbach und läßt sich einen Schimmel holen, damit du ins Haus kommen kannst. Hotto! Schimmele, geh nur wieder heim,« schloß sie fast freudig, und so kehrten sie in Denken und Empfinden wieder ins gewöhnliche Leben zurück und lernten aus ihm ihre Glückseligkeit neu kennen.


 << zurück weiter >>