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Das lustige Häusle.

Mit unermüdlicher Emsigkeit arbeitete nun Seb und sein Vater, den er dafür bezahlte, als ob er für einen Fremden arbeitete, an seinem Hause. Sie mußten die Grundmauern tiefer legen, als sie sich gedacht hatten, denn sie kamen bald auf eine Schicht von Triebsand; sie wollten sie ausheben, aber je tiefer sie gruben, je nachhaltiger schien die Sandschichte zu werden, und sie legten endlich doch die Steine auf dieselbe. Der Vater warnte wiederholt, daß dieser Grund kein Haus trage, und daß es überhaupt unpassend sei, hier an den Bergrücken zu bauen, wo jedes wilde Wetter das Haus an allen vier Ecken packe; er wollte, daß man mindestens mehrere Schuh tiefer ins Land hineinrücke und das Haus nicht so keck an den Berghang stelle. Er lobte die Klugheit der alten Zeit, da man ein Haus lieber geschützt zu einem andern setzte und überhaupt auch im Häuserbau geselliger gewesen sei. Seb widersprach alledem, und um so entschiedener, je weniger er sich leugnen konnte, daß die Einwände des Vaters nicht unhaltbar waren.

Seb stand trotz seines vorgerückten Alters doch noch in jener unversuchten Jugendlichkeit, wo man an die Ausführbarkeit einer jeden Sache mit Zuversicht glaubt, wenn man sie unternommen hat, und aus keinem andern Grunde, als eben weil man sie einmal unternommen hat. Um auch noch den letzten Einwand zu beseitigen, berief er sich gegen den Vater nachdrücklich auf das Urteil des Bauamtes, das nach Besichtigung der Oertlichkeit und mit Erwägung aller Bedingungen die Erlaubnis zum Bau gegeben habe. Er redete sich dabei aus, daß er selber es ja gewesen, der die ganze Sachlage zu solchem Endbeschlusse ins Licht gestellt hatte; die Maßnahmen des Bauamtes mußten jetzt als felsenfester untrüglicher Hort gelten.

Als die Grundmauern aus dem Boden herauswuchsen, war Seb überaus glückselig; jetzt war alles gewonnen. Er dehnte den Bau größer aus, als er sich anfänglich vorgesetzt, denn beim ersten Spatenstich übergab ihm Zilge eine nicht unansehnliche Ersparnis, und er lernte in der Wohnung Zilges die Wahrheit des Sprichworts kennen: ein heruntergekommener Reicher hat noch mehr als ein aufkommender Armer. Auch hiergegen warnte der Vater, und er traf zwei Dinge auf einmal, indem er sagte: »Es läßt sich gar nie berechnen, was ein Neubau und was eine Frau aus einem vormals reichen Hause für Aufwand kostet.« Weil das letzte offenbar griesgrämige Verleumdung war – denn zufriedener und sparsamer als Zilge konnte ja niemand sein – so durfte auch das erste nichts als Altersängstlichkeit sein.

Seb war ehrgeizig und stolz, wenn auch minder als Zilge, er wollte der Welt und vor allem in der Welt seiner Zilge zeigen, was er vermöge, und welch ein lustig Haus er dahinsetze. Er dankte ihr oft im stillen, und er sprach es manchmal am späten Feierabend gegen sie aus, daß sie ihn vermocht habe, neu zu bauen. Wer im Dorf ein Fuhrwerk hatte, that dem Seb eine oder mehrere unentgeltliche Baufuhren. Ein jedes freute sich, daß die Liebesleute, die schon so lange treulich zusammenhielten, doch endlich vereinigt werden sollten, und beim Freitrunk, den Seb einzig dafür als Lohn gab, zeigte sich, daß Zilge auch reichlich mit Flaschen und Gläsern versehen war.

Die Fuhrwerke hatten viel Mühe, wieder leer umzuwenden, denn das Haus wurde an das Ende der Gasse gebaut, gerade da, wo dieselbe sich sackte. Ein Zaun von kurz gehaltenen knorrigen Tannen, darein sich wilde Rosen mischten, zog sich querüber zum Schutze der dahinter liegenden Wiese, deren Waldursprung noch zwei hohe Tannen bekundeten, die an der Westseite von Sebs Bauplatz standen; sie hätten wohl schöne Baumstämme gegeben, Seb aber wollte sie erhalten, teils zum Schutze des Hauses, teils auch, weil seinem nicht ungebildeten Schönheitssinn die Bäume als erwünschter Schmuck erschienen; er hatte sie auf dem Plane gezeichnet, den er mit Hilfe des Zimmermanns von seinem Hause entworfen und den jetzt Zilge über ihrem Stickrahmen hängen hatte. Er nannte diese beiden Tannen gern scherzweise seinen Wald.

Den ganzen Sommer war Seb in fieberischer Aufregung und schlief keine Nacht ruhig. Er hatte, seitdem er aus der Schule entlassen war, beim Bauen geholfen, er war daran sattsam gewöhnt, aber jetzt war's ihm allzeit, als ob Steine, Kalk und Mörtel auf ihn warten und ihm keine Ruhe lassen.

Oft, bevor der Tag graute, hörte man ihn meißeln und hämmern, und in der Mittagsruhe legte er den Kopf auf einen Stein und schlief eine Weile.

Seb machte die Umfassungsmauern des nur einstöckigen Hauses bis unter das Dach von Stein.

Die wilden Rosen am Zaune blühten, als man das Haus richtete und der grüne bebänderte Maien vom Giebel prangte.

Von der Wiese aus, die man jetzt, da das Heu eingeheimst wurde, betreten konnte, nahm sich das Häuschen gar freundlich aus und erhielt auch von dort den Namen, denn im ganzen Dorfe verbreitete sich das Wort, das Seb zu Zilge, die er dorthin geführt hatte, sagte:

»Jetzt siehst, daß ich recht habe, ich bau' dir ein lustig Häusle.«

So hieß nun das Haus, das gegen allen Ortsbrauch sein Angesicht nicht den Menschen zuwendete, sondern hinaus ins Freie.

Seb war nicht wenig glücklich und stolz, daß die Sommerzeit noch so früh war; das Haus konnte bequem ausgebaut werden und austrocknen bis zum Herbst. Nun wurde im Innern gehämmert und gerichtet, und Seb war überaus wohlgemut, daß er nun zum erstenmal einen Bau hergestellt, den er nicht wieder verlassen sollte. Aber eben als er ans Dachdecken gehen wollte, und das verstand Seb meisterlich, stund er schwindelnd vor dem Hause. Es war ihm, als müßte er selbst umfallen: die Ostseite des Hauses hatte sich ja tief gesenkt. Seb stand lange zitternd da, es versetzte ihm den Atem, und er biß sich die Lippen blutig, als er das gewahrte. Seltsamerweise bemerkte aber der Vater nichts, ja er bestritt es dem Seb, als dieser ihn darauf aufmerksam machte, und Seb wollte selbst bezweifeln, daß er das Wahre gesehen.

Die Zuversicht auf die bisherige Untrüglichkeit seines Augenmaßes, und der Wunsch, daß es ihn doch diesmal getäuscht haben möge, stritten sich in ihm. Um diesen Streit nicht zu schlichten und sich selber in der Schwebe zu halten, warf er den Zollstab weg, mit dem er eben sich hatte Gewißheit verschaffen wollen. Als er nun aber das Dach deckte, drängte sich ihm auch ohne Zollstock die Gewißheit auf, daß er richtig gesehen.

Er nagelte an der Ostseite doppelte Latten auf, er legte doppelte Ziegel, das glich wohl ein wenig aus, aber doch noch nicht genug, und jetzt tröstete ihn nur das eine, daß niemand, selbst der Vater nicht, die Senkung merkte.

Die Freude vor sich selbst war dahin, aber die Ehre vor den Menschen war doch geblieben. Er hatte dem Dorf und der ganzen Umgegend zeigen wollen, wie man ein Musterhaus baue; es sollte ihnen der Verstand aufgehen; jetzt war es nur gut, daß er ihnen nicht aufgegangen war. Der einzige, der die Sache recht beurteilen konnte, leugnete beharrlich, und das war der Vater. Seb hatte sich selber davon abhalten können, aber den Vater nicht, daß er nach allen Seiten ausmaß, aber noch jetzt, da er doch auf die Linie hin den Fehl kennen mußte, behauptete der Vater, daß alles in Ordnung sei. Und das war das Klügste. Wie sollten denn fremde Leute zur Baukunst des Seb Vertrauen haben, wenn er sein eigen Haus nicht gehörig stellen und richten konnte?

Das Dach prangte bald in ungewohnter Herrlichkeit. Der neue Ziegler, der sich im Dorf angesiedelt hatte, um als Aushelfer der Regierung die Stroh- und Schindeldächer verdrängen zu helfen, benutzte das Haus des Seb als Musterkarte und gab ihm seine neuen glasierten Ziegel zum Preise der gewöhnlichen. Aus einer doppelten Reihe von grünen und weißen Ziegeln bildete nun Seb die Buchstaben S. und Z. samt der Jahreszahl auf dem Dache, und alles betrachtete staunend und bewundernd von der Wiese das schöne »lustige Häusle«.


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