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14. Der Schimmelreiter.

Am Abend desselben Tages, an dem Johannes ausgeritten war von Zusmarshofen, kam der Krappenzacher ins Haus des Rodelbauern und saß mit diesem lange im Hinterstübchen und las ihm leise einen Brief vor.

»Hundert Kronenthaler mußt du mir geben, wenn die Sache ins reine kommt, und das will ich schriftlich,« sagte der Krappenzacher.

»Ich meine, fünfzig Kronenthaler wären auch genug, das ist ein schön Stück Geld.«

»Nein, keinen roten Heller weniger als runde hundert, und ich schenke dir dabei noch gut und gern hundert, aber ich gönne es dir und deiner Schwester und thue gern einem im Ort einen Gefallen. Ich bekäme in Endringen und in Siebenhöfen gut und gern das Doppelte. Deine Rosel ist eine rechte Bauerntochter, da kann man nichts dagegen sagen, aber was Besonderes ist sie nicht, da kann man fragen: was kostet das Dutzend von denen?«

»Sei still, das leid' ich nicht.«

»Ja, ja, will still sein und dich nicht im Schreiben verwirren. Jetzt schreib gleich.«

Der Rodelbauer mußte dem Krappenzacher willfahren, und als er geschrieben hatte, sagte er:

»Wie meinst, soll ich meiner Rosel etwas davon sagen?«

»Freilich mußt du das, aber sie soll sich nichts merken lassen, und auch niemand im Ort; das verträgt das Schnaufen nicht, und ein jedes hat seine Feinde, du und deine Schwester auch. Kannst mir's glauben. Sag der Rosel, sie soll sich alltagsmäßig anziehen und die Kühe melken, wenn er kommt. Ich lasse ihn allein zu dir ins Haus, hast ja gelesen, daß der Landfriedbauer schreibt, er habe seinen eigenen Kopf und liefe gleich davon, wenn er merke, daß da etwas angelegt sei. Mußt aber noch schnell heut abend hinüberschicken nach Lauterbach und dir den Schimmel von deinem Schwager holen lassen; ich will den Freier dann schon durch einen Unterhändler nach einem Gaul zu dir schicken. Laß du dir auch nichts merken.«

Der Krappenzacher ging weg, und der Rodelbauer rief seine Schwester und seine Frau ins Hinterstübchen und teilte ihnen unter Angelobung der Geheimhaltung mit, daß morgen ein Freier für die Rosel käme, und zwar ein Mensch wie ein Prinz, der einen Hof habe, wie es keinen zweiten gebe, mit einem Wort, des Landfriedbauern Johannes von Zusmarshofen. Er gab nun die weiteren Anordnungen, wie sie der Krappeszacher bestimmt hatte, und empfahl das strengste Geheimhalten.

Nach dem Nachtessen konnte sich indes Rosel nicht enthalten, das Barfüßele zu fragen, ob sie, wenn sie heirate, gern mit ihr ginge als Magd, sie gäbe ihr den doppelten Lohn, den sie jetzt habe, und sie brauche dann auch nicht über den Rhein in eine Fabrik. Barfüßele gab ausweichende Antwort, denn sie war nicht geneigt, mit der Rosel zu gehen, und wußte, daß diese bei ihrem Antrag noch andre Absichten hatte: sie wollte zuerst ihren Triumph anbringen, daß sie einen Mann kriege, und was für einen, und dann sollte Barfüßele ihr das Hauswesen instand halten, um das sie sich bisher fast gar nichts bekümmert hatte. Das hätte nun Barfüßele gern gethan für eine ihr zugeneigte Herrin, aber nicht für Rosel, und sollte sie einmal von ihrer jetzigen Meisterin fort, dann wollte sie nicht mehr in Dienst, dann lieber für sich, sei es auch in der Fabrik mit ihrem Bruder.

Noch als sich Barfüßele zu Bette legen wollte, rief sie die Meisterin und vertraute ihr das Geheimnis mit dem Hinzufügen: »Du hast zwar immer Geduld gehabt mit der Rosel, jetzt aber hab' doppelte, so lange der Freier da ist, daß es keinen Lärmen im Hause gibt.«

»Ja, ich finde es aber schlecht, daß sie jetzt das einzige Mal die Kühe melken will; das heißt ja den guten Menschen betrügen, und sie kann ja gar nicht melken.«

»Du und ich, wir können die Welt nicht ändern,« sagte die Meisterin, »ich mein', du hast für dich allein schwer genug; laß du andre treiben, was sie wollen.«

Barfüßele legte sich mit dem schweren Gedanken nieder, wie doch die Menschen sich gar kein Gewissen daraus machen, einander zu betrügen. Sie wußte zwar nicht, wer der Betrogene sein würde; aber sie hatte tiefes Mitleid mit dem armen jungen Mann, und schwarz wurde es ihr vor den Augen, als sie denken mußte: wer weiß, vielleicht wird die Rosel mit ihm ebenso angeführt, wie er mit ihr.

Am Morgen, als Barfüßele in aller Frühe zum Fenster hinaussah, schrak sie plötzlich zurück, als wäre ihr ein Schuß an die Stirne gefahren. »Himmel! Was ist denn das?« Sie rieb sich hastig die Augen und riß sie wieder auf und fragte sich, ob sie noch träume »Das ist ja der Schimmelreiter von der Endringer Hochzeit, er kommt daher ins Dorf, er holt dich, nein, er weiß nichts; aber er soll's wissen. . . . Nein, nein, was willst du – Er kommt näher, immer näher, er schaut nicht auf. . . . Eine doppelt aufgeblühte Nelke fällt von der Hand Barfüßeles über dem Fensterbrett auf ihn nieder, sie trifft den Mantelsack seines Pferdes, aber er sieht sie nicht, und sie fällt auf die Straße, und Barfüßele eilt hinab und nimmt das verräterische Zeichen wieder zu sich, und jetzt geht es ihr aus wie ein neuer fürchterlicher Tag: das ist ja der Freier der Rosel, der ist's den sie gemeint hat am gestrigen Abend. Sie hatte ihn nicht genannt, aber es kann kein andrer sein, keiner, und der soll betrogen werden?

Im Schuppen auf dem grünen Klee, den sie den Kühen aufstecken wollte, kniete Barfüßele und betete inbrünstig zu Gott, er möge den Fremden davor bewahren, daß er die Rosel bekäme. Daß er ihr eigen werden sollte – sie wagte es nicht, sich dem Gedanken hinzugeben, und nicht, ihn zu verscheuchen.

Kaum hatte sie gemolken, als sie zur schwarzen Marann' hinübereilte: sie wollte sie fragen, was sie thun solle; die schwarze Marann' lag schwer krank, sie war fast taub geworden und verstand kaum mehr zusammenhängende Worte, und Barfüßele wagte es nicht, das Geheimnis, das ihr halb anvertraut worden und das sie halb erraten hatte, so laut zu schreien, daß es die schwarze Marann' verstand. Leute von der Straße konnten es hören. Sie kehrte wieder ratlos nach Hause zurück.

Barfüßele mußte ins Feld und den ganzen Tag draußen bleiben beim Einpflanzen der Rübensetzlinge. Bei jedem Schritte fast zögerte sie und wollte zurück und dem Fremden alles sagen, aber das Gebot der Untertänigkeit ebensosehr als eine besondere Betrachtung drängte sie fort zu ihrer angewiesenen Pflicht. Wenn er so einfältig und unbesonnen ist, daß er so fahrlässig hineinrennt, dann ist ihm nicht zu helfen, dann verdient er's nicht besser, und – versprochen ist ja nicht geheiratet, tröstete sie sich zuletzt; aber sie war doch den ganzen Tag voll Unruhe, und als sie nach der Heimkehr abends die Kühe molk und Rosel mit dem vollen Kübel an einer ausgemolkenen Kuh saß und hell sang, da hörte sie den Fremden mit dem Bauer im benachbarten Pferdestall. Es handelt sich um einen Schimmel. Aber woher kam denn ein Schimmel in den Stall? sie hatten ja bisher keinen?

Jetzt fragte der Fremde: »Wer ist das, das daneben singt?«

»Das ist meine Schwester,« sagte der Bauer, und auf dieses Wort hin fiel Barfüßele ein und sang die zweite Stimme so mächtig, so trotzig, daß sie ihn zwingen wollte, daß er auch fragen müsse, wer denn drüben das sei; aber das Singen hatte den Uebelstand, daß man dadurch nicht hören konnte, ob er denn wirklich gefragt habe. Und als Rosel mit dem vollen Kübel über den Hof ging, wo eben jetzt der Schimmel vorgeführt und beschaut wurde, sagte der Bauer:

»Da, die da, das ist meine Schwester Rosel! Stell ab und richt was zum Nachtessen, wir haben einen Verwandten zum Gast; ich will ihn schon hinaufbringen.«

»Und die Kleine da hat wohl die zweite Stimme gesungen?« fragte der Fremde. »Ist das auch eine Schwester?«

»Nein, das ist so halb und halb ein angenommenes Kind; mein Vater ist sein Pfleger gewesen.«

Der Bauer wußte recht wohl, daß solche Mildthätigkeit ein schöner Ruhm eines Hauses sei, und darum hatte er es vermieden, Barfüßele gradaus Magd zu nennen.

Barfüßele war aber innerlich froh, daß der Fremde nun doch von ihr wußte. Wenn er gescheit ist, muß er sich bei mir nach der Rosel erkundigen, berechnete sie richtig; dann war die Anknüpfung gegeben, und er war wenigstens vor Unglück bewahrt.

Rosel trug das Essen auf, und der Fremde war gar erstaunt, daß so schnell eine so schöne Gasterei hergerichtet sei; er konnte nicht wissen, daß alles vorbereitet war, und Rosel entschuldigte, daß er einstweilen fürlieb nehmen sollte mit der geringen Aufwartung, er sei's gewiß zu Haufe besser gewohnt. Sie rechnete nicht ohne Klugheit, daß das Hervorheben eines weltbekannten Ruhmes jedem wohlthue.

Barfüßele mußte heute in der Küche bleiben und Rosel alles in die Hand geben, und immer und immer bat sie: »So sag mir doch um Gotteswillen, wer ist's denn? Wie heißt er denn?« Rosel gab keine Antwort, und die Meisterin löste endlich das Geheimnis, indem sie erklärte: »Jetzt kannst du's schon sagen, es ist des Landfriedbauern Johann von Zusmarshofen. Nicht wahr, Amrei, du hast noch ein Andenken von seiner Mutter?«

»Ja, ja,« sagte Barfüßele, und sie mußte sich auf den Herd niedersetzen, so war es ihr in die Kniee gefahren. Wie wunderbar war das alles! Also der Sohn ihrer ersten Wohlthäterin ist es. »Nun muß ihm geholfen werden, und wenn das ganze Dorf mich steinigt, ich leid's nicht!« sprach sie in sich hinein.

Der Fremde ging fort, man gab ihm das Geleite, aber noch auf der Treppe kehrte er wieder um und sagte: »Meine Pfeife ist mir ausgegangen, und ich zünd' mir sie am liebsten mit einer Kohle an.« Er wollte offenbar mustern, wie es in der Küche aussähe. Die Rosel drängte sich vor ihm herein und reichte ihm mit einer Zange eine Kohle, sie stand gerade vor Barfüßele, das hinten an der Esse auf dem Herd saß.

Und noch spät in der Nacht, als alles im Hause schon schlief, verließ Barfüßele dasselbe und rannte im Dorfe hin und her. Sie sucht jemanden, dem sie es sagen könnte, damit er den Johannes warne, aber sie weiß niemand. Halt, da wohnt der Heiligenpfleger, der ist ein Feind des Rodelbauern, und der weiß alles geschmelzt anzubringen; aber . . . zu einem Feinde deines Meisters gehst du nicht, und überhaupt zu keinem hier. Hast schon Feinde genug von der Gemeinderatssitzung her wegen des Dami . . . Ja, der Dami, der kann's. Warum nicht? Ein Mann kann eher davon reden, was kann man ihm Hinterhältiges zutrauen? Und der Johannes, ja, so heißt er, er wird ihm das nicht vergessen, ja, und dann hat der Dami einen Annehmer, und was für einen! So einen Mann! So eine Familie! Da kann's ihm nicht mehr fehlen. Nein, der Dami darf sich nicht ins Dorf wagen. O, lieber Gott, er ist ja ausgewiesen! Aber der Kohlenmathes, der könnte es, und vielleicht doch der Dami . . .

Hin und her wie ein Irrlicht schweifte ihr Denken, und sie selber irrte durch die Feldwege, ohne zu wissen wohin, und es war ihr heute so schreckhaft, wie das immer ist, wenn man nichts weiß von der Welt und in Gedanken so dahin geht; sie erschrak vor jedem Tone, die Frösche im Weiher krächzen so fürchterlich, und die Schnarren in den Wiesen so heimtückisch, die Bäume stehen so schwarz in die Nacht hinein. Es hat heute gegen Endringen zu gewittert. Der Himmel ist von fliegenden Wolken überzogen, nur manchmal blinkt ein Stern hervor.

Barfüßele eilte durch das Feld in den Wald, sie will doch zum Dami, sie muß sich wenigstens mit einem Menschen davon ausreden. Wie ist es im Wald so dunkel! Was ist das für ein Vogel, der jetzt in der Nacht zwitschert, fast wie eine Amsel, wenn sie am Abend heimfliegt, und »ich komm' komm' komm'; komm' schon, komm' schon!« lautet der Klang? Und jetzt schlägt die Nachtigall, so ohne Atemholen, so von innen heraus, quellend, sprudelnd. leise rieselnd, wie ein Waldquell, der aus dem Innersten der Erde gespeist wird.

Mehr hin und her schlängelten sich nicht die Wurzeln auf dem Waldwege, als die Gedanken Barfüßeles durcheinander liefen.

»Nein, der Plan ist nichts! Geh nur wieder heim,« sagte sie sich endlich und kehrte um, aber noch lange wanderte sie in den Feldern umher; sie glaubte nicht mehr an Irrlichter, aber heute war es doch, als ob sie eines hin und her führte, und heute zum erstenmal spürte sie auch, daß sie im Nachttau so lange barfuß umherging, und dabei brannten ihr die Wangen. In Schweiß gebadet kam sie endlich heim in ihre Kammer.


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