Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Leidensgang und stilles Dulden.

Als Seb am andern Morgen die Hausthüre offen fand und nach seiner Frau umschaute, war diese verschwunden; sie hatte den Kindern noch die Morgensuppe zurecht gestellt, die mitgebrachten Sonntagskleider verschlossen und das Werktaggewand hergerichtet und war dann davongegangen. Der kleine Johannes mußte fühlen, welch eine ahnungsschwere Unruhe den Vater bewegte, der im ganzen Hause nach ihr rief; er sagte, die Mutter sei auf ihre Handelschaft gegangen, sie habe ihr Säckchen mitgenommen. Nun mußte Seb im ganzen Dorf und auf allen Wegen nachfragen, welchen Weg seine Frau eingeschlagen. Er fürchtete das Gräßlichste. Endlich erfuhr er von den Oehmdenden an der Windenreuthe, daß seine Frau den Waldweg nach Weitingen eingeschlagen; sie habe sich noch herabgefallene Zwetschgen in der Wiese aufgelesen. Seb eilte durch den Wald, drunten rauschte der Neckar, und sein Rauschen war ihm unheilverkündend; da sah er plötzlich Zilge auf einem Baumstumpfe sitzen, ein kleines Bündel lag neben ihr; sie aß ruhig Zwetschgen und warf die Steine weit weg, sie bewegte sich nicht bei seinem Anblick, und doch mußte sie ihn sehen. Als er vor ihr stand, starrte sie ihn an, und als er sie dringend bat, doch mit ihm umzukehren, sie brauche dieses elende Leben nicht mehr zu führen, stand sie rasch auf, nahm ihren zusammengerollten Sack und schritt davon. Seb ließ sie eine Strecke gehen und rief ihr nach, daß sie ihn auf ewig von sich vertreibe, daß er wieder in die weite Welt gehe, wenn sie nicht umkehre; sie antwortete nicht, aber kaum war sie aus seinen Augen verschwunden, als er nachrannte und, da er sie sah, hinter ihr dreinschritt. Seb war doppelt unglücklich und voll Zorn, er hatte eine Drohung ausgesprochen, und gleich darauf gezeigt, daß er sie nicht auszuführen vermöge. Endlich ging er wieder stumm an der Seite Zilges, und sie sagte jetzt von selbst und ganz verständig:

»Die Müllerin hat mir auf heute einen halben Zentner versprochen. Wenn ich's nicht hol', dann kommt ein Jud und schnappt mir's weg.«

Seb wußte nicht mehr, was er thun und denken sollte, nur das eine wußte er, er durfte seine Frau nicht mehr verlassen.

Zilge ging in die Mühle und kam bald wieder heraus und setzte sich, den Sack auf dem Schoße, auf die Schwelle. Seb setzte sich neben sie. Die Müllerin kam aus dem Feld. Seb schlugen die Flammen aus dem Gesicht, als er hier Vorwürfe über seine Entweichung hören mußte, und es war wunderbar, wie klug und auf ihren Vorteil bedacht Zilge das Versprochene zu erwerben wußte. Seb stand dabei, er wußte nicht mehr, wo er war. Zilge lud sich den schweren Sack auf den Rücken und ging damit davon; aber kaum war sie zwanzig Schritt gegangen, als Seb ihr den Sack abnahm und mit flammendem Antlitze rief:

»Zilge, ich will dir alles thun, was du willst, ich will mich vor den Leuten hinstellen und mich ausschimpfen lassen. Sag, soll ich den Sack den jähen Berg da 'nauftragen? Ich thu's gleich, wenn du's sagst. Nur sei gut und sei wieder mein liebes, gutes Weib und komm jetzt heim.«

Zilge antwortete nicht, und als Seb sie bat, doch mit ihm im Wirtshaus einzukehren, sagte sie:

»Ich hab' kein Geld.«

»Aber ich hab'.«

»Das geht mich nichts an.«

Seb mußte nun dabei stehen, wie Zilge von Haus zu Haus in bettelndem Ton um Lumpen bat; er biß sich die Lippen zwischen die Zähne, und die Last auf seinem Rücken ward übermäßig schwer.

Endlich machte man sich auf den Heimweg, Zilge ging so rasch, daß Seb neben ihr kaum Schritt halten konnte.

Am Neckar auf einem Felsenvorsprung stand sie plötzlich still und sagte:

»Seb, komm her, schau, da bin ich gestanden, mehr als einmal, in Wind und Wetter, und hab' mir den Tod geben wollen, und wären meine Kinder nicht, sie hätten mich da drunten am Mühlrechen aufgefischt. Seb, sei zum letztenmal aufrichtig gegen mich. Sag' mir ehrlich: hast du am ersten Tag, gleich wie dir's gut gangen ist, wie du mir hättest was schicken, wie du mich hättest holen können, das gleich ausgeführt? Hast du keinen Tag versäumt? Sag's, sag's ehrlich.«

»Das ist recht, daß du einmal ordentlich redest. Schau, so fortlaufen oder, was man hat, gleich aus der Hand geben, das kann man nicht. Ich hab' damit weiter Geld gemacht, und ich hab' mir denkt: hast du's so lange ausgehalten, geht's auch noch ein bißle weiter, und ich hab' wollen groß –«

»So geh groß zum Teufel,« schrie Zilge, stieß heftig nach ihrem Mann, riß sich krampfhaft windend den Trauring von der Hand und rief dabei: »Aus ist's mit uns, los und ledig,« warf den Ring hinab in den Fluß und rannte davon; aber bald wendete sie querfeldein, denn sie sah einen Landjäger des Wegs daher kommen, der Landjäger sprang ihr über den Graben nach und sie sank vor ihm auf das Stoppelfeld.

»Fang mich, bind mich, ich will nichts mehr von ihm, gar nichts, nie mehr, nie,« rief sie.

Der Landjäger, der niemand anders war, als der Bruder Zilges, stand wie verwirrt, und als jetzt Seb herbeikam, schrie Zilge gellend auf und wühlte ihr Antlitz in den Boden.

So wäre also doch wahr, was man schon lange geahnt hatte? War Zilge irrsinnig?

Ein leerer Wagen kam des Weges. Zilge ließ sich lautlos von den Männern auf denselben tragen, nur zuckte sie bei jeder Berührung Sebs elektrisch zusammen. Ein Teil der Lumpen wurde ihr als Kissen untergelegt, mit dem andern deckte man sie zu, denn es schüttelte sie ein Fieberfrost.

Seb hatte schon im Spätherbst wieder in die neue Welt zurückkehren wollen, jetzt war er mit schwerem Leid in der Heimat gefangen; schrecklich war's, blieb er in derselben, aber noch schrecklicher, zog er in die Fremde mit der zwar nicht Irrsinnigen, aber im unbezwinglichen Widerwillen gegen ihn Befangenen.

Seb hatte den Leuten nicht geglaubt, daß seine Frau irrsinnig sei, und man hatte ihm das auch bald wieder ausreden wollen; jetzt kam abermals jedes darauf zurück, aber Seb wehrte ab. Es wäre viel leichter gewesen, die unbegreiflichen Launen Zilges zu ertragen, wenn sie Krankheit und nicht eine Herzenshärtigkeit waren, aber Seb war ehrlich genug, sich keine unwahre Erleichterung zu verschaffen, und in dieser Aufrichtigkeit fand er wieder einen neuen Trost; mit Milde und unzerstörbarer Liebe konnte er eine Herzenshärtigkeit lösen, nicht aber einen Irrsinn. Er übte unsägliche Geduld an Zilge, er warb um jeden Blick, um jedes Wort, jede Handreichung mit einer nachhaltigen Geduld, daß ihn das ganze Dorf darob lobte.

Er war glücklich, wenn er ihre Hand berühren durfte, und als sie einst von selbst seine Hand faßte, küßte er die ihre.

Oftmals sah sie ihn lächelnd an, dann aber wendete sie rasch und wie erschreckt den Blick, und unversehens wurde sie äußerst zänkisch und unwillig bei dem Geringsten, was er unterließ oder in seinem Schmerze linkisch that. Nie durfte Seb vor ihren Augen Geld zeigen, sie schrie dabei laut auf, wenn er diese Vorsicht vergaß, nie durfte er vor ihren Augen eines der Kinder liebkosen, sie sagte einmal ganz offen:

»Wenn die Kinder nicht wären, wärst du nie mehr wiederkommen, mir hast du mein Leben abgewürgt; aber die Kinder sind mein, nicht dein, das wird sich zeigen, und du bist ganz irr, wenn du glaubst, du kannst mich sieben Jahr ins Elend werfen und mich dann wieder holen, weil dir's jetzt recht, weil dir's jetzt geschickt ist, ich bin auch mein Eigen.«

Keine Einwendung, keine Beteuerung half, es schien, daß sie gar nicht darauf hörte.

Wenn Seb sie manchmal durchdringlich ansah, konnte sie ausrufen:

»Nicht wahr, ich bin alt und verhutzelt? Wie hast dir denn denkt, daß eine verlassene Frau aussieht nach sieben Jahr Elend? Ich brauch' dir auch gar nicht mehr zu gefallen, ich will gar nicht mehr.«

Seb konnte ihr der Wahrheit gemäß beteuern, daß sie nur der Erholung und guter Tage bedürfe, um wieder frisch und munter zu sein; sie gab keine Antwort, sie sprach, was sie auf dem Herzen hatte, und schien nichts erwidert haben zu wollen.

Wenn Seb ihr erklärte, daß der Hausbau sein Unglück und sein Glück geworden sei, rief sie oft: »Ich hin an keinem von beiden schuld und will auch kein Teil an keinem.«

Seb führte seine beiden Kinder täglich zweimal an der Hand nach der Schule und holte sie zweimal wieder ab. So schwer es ihm gelingen wollte, den kleinen Johannes dazu zu bringen, daß er die neue Welt nicht mehr Jammerika nannte, ebenso schwer ging es, sein verhetztes und verstocktes Wesen zu schmeidigen. Gerade weil der Knabe bemerkte, daß der Vater um seine Liebe warb, schien er um so verschlossener. Mit Geschenken war er noch weniger als Zilge zu gewinnen, denn ein Kind freut sich der Gabe und vergißt alsbald des Gebers. Der trotzköpfige und hinterhältige Knabe erschien als der leibhaftige großgezogene Haßgedanke Zilges, und bald zeigte sich, daß er noch etwas anderes war.

Es war am Neujahrstag, da saß Seb bei Zilge und beteuerte ihr in innigen und festen Worten, wie er wisse, daß er kein Recht mehr auf sie habe, sie könne ihn verschmähen und verstoßen, sie sehe ja aber, daß er um sie werbe, wie um eine Fremde, er wünsche nur, daß er etwas thun könne, um ihr seine Liebe zu beweisen; wenn es der Pfarrer thäte, er würde sich noch einmal und mit erneuter Glückseligkeit mit ihr trauen lassen. Da streckte Zilge zitternd die Hände aus, aber in demselben Augenblicke trat der kleine Johannes ein und Zilge schrie laut auf, rannte nach der Kammer und verschloß sie hinter sich.

Hatte Zilge eine Scheu, eine vielleicht erwachende Liebe zu ihrem Manne vor dem Knaben zu zeigen, der so oft ganz anderes von ihr gehört hatte?


 << zurück weiter >>