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Ein eigen Haus.

Das alte Liebespaar.

Wohlgemuter und feiner war kein Mädchen im Dorfe anzuschauen als des Bäckers Zilge. Nach dem Landesbrauch änderte man ihren Taufnamen Cäcilie in Zilge, und das konnte wohl passen, denn man nennt hierzulande auch die Lilie Ilge, und des Bäckers Töchterlein war so weiß und fein wie eine Lilie. Man sah Zilge selten auf der Straße und nie im Feld. Sie saß jahraus jahrein beim Küfer auf der Winderhalde am Fenster und fertigte weiße Stickereien für Schweizer Fabriken, die ihre Gewerbthätigkeit immer tiefer in das Grenzland herein ausdehnen. Zilge war schon frühe verwaist. Ihr Vater war Bierbrauer und Bäcker im obern Dorf gewesen, aber als leidenschaftlicher Prozeßkrämer in Not und Armut gestorben, und Zilge kam in das Haus des ihr verwandten kinderlosen Küfers, wo sie als Kind des Hauses hätte leben können, wenn sie einen gewissen trotzigen Uebermut zu bannen vermocht hätte; sie aber blieb herrisch und verlangte von jedem Unterwürfigkeit, so daß sie am Ende von einer Verwandten der Küferin im Hause verdrängt wurde. Sie trug das gleichmütig, denn ihr Stolz war doch gewahrt. Der einzige Bruder Zilges war schon in der Fremde als Bäcker und Bierbrauer.

Es gab eine Zeit, wo der Maurer-Seb viel beneidet wurde, daß die feine Zilge ihn vor allen auserwählt hatte. Das war aber schon lange, denn 14 Jahre waren es, seitdem die Liebesleute unverbrüchlich einander anhingen. Zilge war 17 und Seb 19 Jahre alt gewesen, als ihre Liebe sich entschied. Im Frühling, bevor Seb regelmäßig auf die Wanderschaft zog, und im Herbst, wenn er heimkehrte, gingen die beiden miteinander an Sonntagnachmittagen einsame Pfade, die Gartenwege zwischen den Maßholderzäunen und durch die Felder. Sie führten einander, nicht an der Hand, sie schlangen nicht die Arme ineinander, und doch hielten sie fest zusammen. Manchmal auch gingen sie nach dem Nachbardorfe Weitingen, aber ohne dort in ein Wirtshaus einzukehren. Zilge duldete keine unnötigen Ausgaben. Seb besuchte nur einen Handwerksgenossen, der bereits einen Hausstand hatte und oft mit ihm gemeinsam in der Fremde arbeitete. Wenn eine Lustbarkeit im Dorfe war, zogen sich beide davon zurück, auf dem Tanzboden spielte jetzt ein junger Nachwuchs die Hauptrolle, der noch in die Schule gegangen war, als Seb und Zilge schon ans Heiraten dachten, und sie hatten nicht Lust, sich darunter zu mischen; und zu ihren Altersgenossen taugten sie auch nicht, denn diese waren fast alle verheiratet.

Warum aber zögerten sie so lange? Anfangs verweigerte ihnen die Gemeinde wegen ihrer Armut die Niederlassung, und als sie sich beide etwas erspart hatten, mutete das Zilge so sehr an, daß sie es erst weiter bringen wollten, ehe sie einen Hausstand gründeten. Sie wußte viele Beispiele anzugeben von Ehepaaren, die nach kurzem Wohlstand und Frieden ins Elend geraten waren, und sie beharrte dabei: vor der Ehe ließe sich leichter sorgen, als nach derselben.

Seb war oft unwillig, dieses Hinhalten Zilges that ihm tief wehe, er klagte manchmal, daß Zilge ihn eigentlich nicht von Grund des Herzens lieb habe, sonst könnte sie nicht so lange zögern, sie aber wußte mit kluger und inniger Rede ihn immer wieder zu beschwichtigen; und es zeigte sich ja auch, daß sie getreulich an ihm hielt. Oft gingen sie schweigend große Strecken Weges, bisweilen aber sprachen sie auch über das Hauptkapitel, das unglücklich Liebende heutigen Tages ebenso sicher verhandeln, wie vor Zeiten Entführung und heimliche Trauung, und das heißt: Amerika. Seb sprach davon, daß er auch übers Meer ziehen, sich umsehen und etwas erwerben wolle, um damit seine Braut zu holen oder nachkommen zu lassen. Der ganze Charakter Zilges war darin ausgesprochen, indem sie einmal darauf erwiderte:

»Wenn ich ein Bursch wär', und ich hätt' ein Mädle, wie ich eins bin, und ich hätt' das Vertrauen zu ihm, daß es mir getreu bleibt, ich thät' nicht viel mit ihm überlegen; ich thät', was ich mein', das recht ist. Wenn du von selber nach Amerika gangen wärst und hättest mir geschrieben: ›Zilge, ich bin da, und ich will sehen, ob ich hier unser Glück gründen kann‹ – ich hätt' dir wieder geschrieben: ›Du thust recht dran, und du darfst nur winken, da komm' ich.‹ Jetzt aber mit mir überlegen kannst du die Sach' nicht, ich versteh's nicht und will's nicht verstehen, und mit meinem Willen lass' ich dich nicht so weit übers Meer.«

»So geh gleich mit.«

»Das mag ich auch nicht.«

Die beiden überzählten oft, wie viel sie bereits erspart hatten, und so bestand ihr Gespräch meist in Sorgen und Ueberlegen. Zilge trat endlich mit ihrem Entschlusse hervor, daß sie nicht heirate, bis sie ihr eigen Haus habe, sie sei ihr Lebenlang genug bei fremden Leuten herumgestoßen worden, sie wolle auch einmal wissen, wie sich's unter eigenem Dach lebt, und sie könne es den Kindern nicht anthun, daß sie keinen Unterschlupf hätten, wo sie hingehörten und wo sie niemand vertreiben könne. Der Maurer-Seb mochte im gütlichen erklären, daß es viel klüger sei, wenn sie sich von ihrer Ersparnis einen guten Acker kauften für den Kartoffelbrauch, und eine Wiese, um eine Kuh zu halten; Zilge widersprach und behauptete: daß sie mit Sticken mehr verdiene, als wenn sie das Feldgeschäft versehe, auch könne man nicht im Felde schaffen und dann wieder flicken, man müsse sich zu dieser Arbeit die Hände fein erhalten. Sie beharrte bei ihrem Entschluß: ohne eigen Haus kein eigener Herd. Oft dachte Seb daran, sein Vorhaben auszuführen, ohne Zilge darum zu fragen, und wer weiß, ob sie sich nicht darein gefunden hätte; aber seine Liebe zu ihr hielt ihn wieder davon ab, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Wollte er dann irgend ein wohlfeiles Häuschen von einem Auswanderer kaufen, so hatte Zilge wieder allerlei Einwürfe; dieses war zu finster für die Stickarbeit, jenes nur ein halbes mit bösen Inwohnern u. dgl. Sie sagte dann auch oft: »Ich thät' mich schämen, wenn ich ein Schneider wär', mir einen alten Rock zu kaufen. Wozu bist denn Maurer? Bau' dir doch ein Haus. Oder kannst's nicht? Sag's nur.«

So lebten die beiden 14 Jahre, und manche bedauerten im stillen den Seb, oder sagten es ihm auch, daß er an Zilge gebunden sei, denn diese hatte wenig Freundlichgesinnte im Dorfe. Man war ihr gram, weil ihre Lebensweise sich streng von der im Dorfe üblichen abschied, und weil ihr stolzes Wesen es dahin gebracht hatte, daß die Küferin eine Verwandte, die aus Weitingen war, an Kindesstatt angenommen hatte; das hätte Zilge mit ein bißchen Klugheit und Nachgiebigkeit für sich erringen können, und Seb brauchte sich dann nicht so zu plagen; schließlich aber vereinigte sich alles darin, daß Zilge unerhört hochmütig sei und immer unverzeihlich sauber daherkäme.

Endlich im fünfzehnten Frühling ihrer Liebeszeit kam der Seb vom neuen Ziegler herauf, der sich links im Thal angesiedelt hatte, und berichtete freudig, daß er dem Ziegler die Anhöhe mit den zwei Tannen gradüber vom Küfer als Bauplatz abgekauft habe, und der Ort schien wohl gelegen, denn der Blick ging hinaus über die Wiesen nach dem jenseitigen Waldberg.

»Ich dreh' das Häusle 'rum.« sagte er triumphierend zu Zilge, »und richte alle Fenster ins Freie, daß dir niemand zugucken kann als die Sonn'. Es freut mich, daß ich dir deinen Willen thun kann, und du wirst sehen, was ich herstelle!«


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