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Feldumgang und Sonnenwende.

Der Oheim Dekan war unwohl und erklärte, den Markungsumgang nicht mitmachen zu können; der Vater und Vinzenz standen indes dazu bereit und gewaffnet, denn jeder trug im linken Arme die übliche Handaxt, auch Alban mußte sich eine solche holen, und als er damit wiederkam, hieß ihn der Vater den Quersack aufnehmen, der auf der einen Seite Speisen, auf der andern mehrere gefüllte Weinkrüge enthielt. Alban wußte nicht, ob das Tragen des Mundvorrats eine Pflicht des Lehnholden oder des Abgefundenen war.

Alles hatte heute wieder etwas eigentümlich Feierliches und Zeremonielles. Der Vater reichte der Frau und Ameile die Hand zum Abschiede, und als er dem Dekan die Hand reichte, hielt dieser sie fest, legte die Linke auf die Schulter des Bruders und sagte:

»Dein Ausgang sei in Gerechtigkeit und dein Eingang in Frieden.«

Die Zurückgebliebenen standen unter der Thür und schauten den Weggehenden nach; aber schon im Hofe gab es einen kleinen Aufhalt. Vinzenz wollte seinen Hund, den Greif, mitnehmen; der Vater wehrte ihm das streng, und er mußte etwas Verwunderliches und Herausforderndes im Blicke Albans bemerkt haben, denn er sagte, zu diesem gewendet:

»Wer im Herzen spottet über das, was heute geschieht, der ist ein schandbarer Mensch, vor Gott und der Welt verdammt. Unsre Väter und Urahnen haben's so gehalten, und das ist heiliger Brauch.«

Unter dem Hofthor stand der Furchenbauer noch einmal verschnaufend still, er mochte denken, daß er zum letztenmal hier als Herr und Meister stand; wenn er wiederkehrte, gehörte das alles einem andern. Mit dem grünen Maien auf dem Hut wird am Abend ein jüngerer als Meister hier eintreten.

Wer wird es sein?

Man ging von Sonnenaufgang nach Untergang, schweigend bis zum ersten Marksteine. Dort hielt der Vater an, nahm ein Brot, zerschnitt es in drei Stücke, aß zuerst von dem einen und reichte dann die beiden andern den Söhnen. Alban erhielt das erste Stück aus seiner Hand. Jetzt füllte der Vater ein Glas, schüttete daraus zuerst ein wenig auf den Markstein und trank; dann reichte er es zuerst Vinzenz, dieser trank, gab das Glas in die Hand Albans, der auf den Wink des Vaters den Rest austrank.

War es ein Zufall unwillkürlicher Regung, daß das erste Stück des Brotes dem ältesten gereicht wurde, oder war dieser wirklich der Lehnhold – Alban wußte es wiederum nicht.

Der Vater schlug mit dem Haus (breiten Rücken) des Beiles dreimal auf den Markstein, die beiden Söhne mußten das Gleiche thun, und der Vater sprach:

»Keine Gnade finde der bei Gott, der diesen Markstein verrückt.«

Der Vater stieß das Messer, mit dem er das Brot geschnitten, dreimal in den Boden und sagte, als er es zum letztenmal herauszog, halb vor sich hin:

»Rein ist das Wasser, rein ist der Boden und schärft den Stahl.«

Man schritt weiter. Alban schauderte es im Innern.

Auf dem zweiten Markstein saß ein Rabe und sah den Ankommenden ruhig entgegen. Der Vater winkte aufscheuchend mit der Hand, aber nach Art dieser kecken Tiere, die alsbald merken, wenn man waffenlos gegen sie ist, blieb der Rabe ruhig sitzen. Vinzenz bückte sich und hob eine Scholle auf; aber der Vater hielt ihm den Arm, indem er sagte:

»Man darf nach einem Raben nicht mit Ackererde werfen.«

Erst als man ganz nahe war, flog der Rabe kreischend davon. Dieselbe Weihehandlung wiederholte sich hier, nur sprach der Vater beim Aufstehen keine Verwünschung mehr aus, vielmehr brockelte er Brot ringsumher auf den Boden und sagte dabei.

»Das ist für die hungrigen Vögel in Feld und Wald. Wer da gesegnet ist mit reichem Besitz, gedenke allezeit derer, die in Not und Armut sind, denn darum hat ihn Gott gesegnet, und es wird ihm doppelt wohl ergehen.«

Der dritte Markstein war am Waldessaum. Der Vater setzte sich auf den Stein und befahl den Söhnen: »Holt Wanderstäbe!« Sie eilten in das Dickicht, und bald hörte man es knacken. Alban war der erste, der wieder zurückkehrte, und im Angesichte des Vaters zuckte es seltsam, da ihm Alban einen abgezweigten Schwarzdornstock übergab und dann wieder in das Dickicht ging, um sich selbst einen zu holen. Vinzenz brachte zwei mit den Zweigen behangene Stöcke; der Vater befahl ihm, einen wegzuwerfen und einen für sich zu behalten. Als nun auch Alban mit seinem Stocke wiederkam, erhob sich der Vater und rief in gebieterischer Haltung:

»Zerbrecht eure Stöcke!« Vinzenz schaute den Vater verwundert an, der Stock Albans knackte und bald darauf auch der des Vinzenz, und der Vater rief wieder:

»Werft die Splitter weg!« Es geschah, und der Vater fuhr fort, seinen Stab erhebend: »Seht, ich allein halte den Stab, ich allein habe Macht über euch, und ihr müßt mir gehorsam und unterthänig sein in allem.« Vinzenz rief laut »Ja«, und gegen ihn gewendet sprach der Vater: »Ihr habt nicht zu antworten, und ich hab' euch nicht zu fragen. Von Gott eingesetzt ist es, daß das Kind nach dem Willen des Vaters thue, ohne Widerrede; und so ist es treu und fromm von alters her in unsrer Familie gehalten, und darum stehen wir unter den Ersten im Lande.« Mit erleichtertem Herzen schloß er: »So, jetzt hab' ich nach dem alten Brauch gethan, und jetzt können wir ordentlich und frei miteinander reden.«

In der That schien sich der Furchenbauer erst jetzt leicht und frei zu fühlen, er schritt an dem frisch geschnittenen Stabe behend dahin; der Waldweg war breit, seine beiden Söhne gingen neben ihm, Vinzenz war zur Linken, sein blindes Auge stets an der Seite des Vaters. Dieser erzählte abermals die Geschichte von dem Urahn, der die Furche um sein Gut gezogen und ihm den Namen gegeben. Im Walde waren viele Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die Dürrholz rafften, denn am Montag übten sie von alters her diese Gerechtsame. Jedes, dem man begegnete, erhielt nach alter Sitte Wein und Brot, und die Kinder sogar kleine Münze. Im Walde jauchzte und jubelte es von allen Seiten, und der Tag hellte sich auf. Der Vater sagte, daß nun die Uebergabe des Gutes überall besprochen werde. Er wendete sich mit seinen Worten jetzt vorherrschend und besonders freundlich an Alban und plauderte von allerlei.

Es war schon gegen Abend, als man am Markstein unweit des Felsens, den man des Geigerles Lotterbett nennt, wieder den üblichen Halt machte. Drunten rauschte der Waldbach, und der Vater fragte jetzt Alban geradezu:

»Jetzt sag einmal: wie thätest du denn das Gut übernehmen?«

»Zehnfach so hoch, als es bis jetzt geschätzt ist, aber ich will –«

»Schweig. Still, sag' ich. Du verdienst nicht, daß man dir einen Fuß breit Boden gibt. Kann ein Mensch, der fünf zählen kann, ein Gut übernehmen, das so verschuldet ist? Die Zinsen fressen dich ja auf.«

»Man kann den Wald am Kugelberg schlagen und –«

»So? So fangen die rechten Lumpen an, der Wald muß büßen, was der Acker nicht vermag. Was die Voreltern aufgespart haben, kommt unter die Axt. Am Wald sich versündigen ist das Schlechteste. Du willst gescheit sein und hast kein Lot Verstand. Wenn ein Bauer keinen Wald mehr hat, hat er keinen Anhalt mehr. Drum hab' ich ihn auch geschont wie meine Vorfahren auch. Du thätest es dahin bringen, daß du kein' eigene Tanne mehr hättest, aus der man dir eine Bahre machen kann. Siehst jetzt ein, daß ich recht hab'? Siehst ein?«

»Wenn meine Geschwister lieber bar Geld wollen – es ist ein Käufer für den Hellberger Hof da.«

»So? Hast schon einen?«

»Ja, der Graf Sabelsberg hat mit mir davon gesprochen –«

»Von meinem Ablösungsgeld? O, du bist ein vermaledeiter Bub. Eh ich das zugeb, lass' ich mir lieber ein Glied vom Leib abhacken. Mein Gut lass' ich nicht verreißen, nie, nie. Sag jetzt gradaus. Guck mich nicht so an, Vinzenz, ich kann machen, was ich will, ich hab' den Stab in der Hand; da komm her, Alban, versprichst du mir in die Hand hinein, des Nagelschmieds Vreni laufen zu lassen und dir eine rechtschaffene Frau zu holen: versprichst du mir, vor Gott einen Eid zu thun, daß du einem deiner Kinder das Gut ungeteilt vererben willst? Gib Antwort. Steh nicht da wie ein Stock, laß mich nicht die Zunge lahm reden –«

»Ich mein' –«

»Nichts, nichts, kein ander Wort, Ja oder Nein. Willst du jetzt das Maul aufthun, oder soll ich dir alle Zähn' in Rachen schlagen?«

»Ich kann nicht, Vater.«

»Gut, dabei bleibt's. Du hast gesehen, ich hab's gut mit dir gemeint, jetzt ist's vorbei, aus und vorbei, oder ich will verdammt sein auf ewig, hier und dort. Komm her, Vinzenz.« Der Vater stand auf, mit zitternder Hand brach er einen Zweig von einer Tanne, nahm dem Vinzenz den Hut ab, steckte den Zweig darauf, setzte ihm den Hut wieder aufs Haupt, reichte ihm die Hand und sagte: »Du bist der Furchenbauer, und dabei bleibt's, so wahr mir Gott helfe. Alban, du sollst nicht zu kurz kommen, dafür laß mich sorgen und sei folgsam. Sei der erste, der deinem Bruder Glück und Segen wünscht, und er soll allezeit brüderlich an dir handeln.«

Alban schaute starr vor sich nieder, jetzt erhob er sein Antlitz, wilde Raserei flammte darauf.

»Ich leid's nicht!« rief er, »ich leid's nicht!« und riß dem Vinzenz den Zweig vom Hute. »Es gibt noch eine Gerechtigkeit. Die Gerichte sollen entscheiden. Das Gut muß und muß geteilt werden.«

Der Furchenbauer war wunderbar ruhig, seine Züge waren eisenstarr, er bückte sich selbst, hob den Hut auf, den Alban zu Boden geworfen hatte, und setzte ihn Vinzenz wieder aufs Haupt. Dieser redete noch immer kein Wort. Man hörte nichts als das Rauschen des Baches und das Schreien der Raben im Walde. Der Furchenbauer sagte endlich:

»Kommet heim. Oder, Alban, willst du gleich von hier aus zu Amt? Ich steh' dir nicht im Weg. Ich hab' dir nichts zu befehlen. Du willst mein Kind nicht sein, ich bin dein Vater nicht. Die Gerichte nehmen sich deiner an; und dort werden wir uns sehen. Was hat das Geländer gethan, daß du mit dem Beil darauf loshaust? Hau da zu, da, da ist mein alter Kopf. Komm, Vinzenz.«

Der Vater ging mit Vinzenz davon. Als Alban seine Axt aus dem Balken zog, der querliegend am Rande des Feldweges als Geländer befestigt war, kollerte der Balken krachend und knisternd den jähen Fels hinab und klatschte drunten im schäumenden Waldbach auf. Alban schaute nur eine Minute hinab in den Tobel und beugte sich hinaus, er konnte mit der Hand den Wipfel einer hohen Tanne fassen, die drunten im Thale steht, der Bach war bald sichtbar, bald verschwand er unter vorspringenden Felsen. Alban war's, als müsse er sich hinabstürzen, und wieder, als zöge ihn eine Hand zurück, richtete er sich auf und folgte dem Vater und dem Bruder hintendrein. Er kam sich verlassen und verloren vor in der weiten Welt, und doch konnte er nicht anders, und willenlos folgte er dem Schritte des Vaters; er war an seine Macht gebannt.

Das Hofgesinde stand am Thor und schaute verwundert aus, daß keiner der beiden Söhne mit dem grünen Zweig auf dem Hute zurückkehrte.

Alban drängte sich an die Seite des Vaters, und dieser schritt machtvoll und fest zwischen seinen beiden Söhnen dem Hause zu. Er dankte kaum dem Gruße seiner Dienstleute.


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