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Zwei Söhne sind heim und fremd.

Alban hatte das Reitpferd, das er mitgebracht, hinten an den Wagen gehängt, um es in Reichenbach abzugeben. Jetzt saß er vor dem Vater und der Schwester und lenkte die gewohnten Tiere. Die Pferde, allezeit rasch, wenn es der Heimat zugeht, waren es heute doppelt; ahnten sie vielleicht, daß ihr junger Herr sie lenkte und daß sie auch ihn wieder heimbrachten? Alban hatte nur immer die Zügel fest anzuhalten. Die drei Fahrenden sprachen kein Wort, diese Versöhnung war so urplötzlich in gewaltiger Gemütsüberwallung gekommen, und nichts war mit ihr geschlichtet und ausgeglichen.

Ameile schloß still die Augen und dachte in sich hinein, was nun geschehen werde, auch mit ihr; der plötzliche unbegreifliche Zorn des Vaters, was war sein Grund und seine Folge? Sie wagte es nicht, jetzt den Vater zu fragen, was er gegen sie habe, sie war ein seltsam und streng ins Haus gebanntes Wesen, nicht einmal auf offener Straße, wo man allein miteinander war, durfte eine Erörterung der Familiensachen vor sich gehen, das durften nur die vier Wände des Hauses in sich schließen; deswegen war sie ja gegen Alban auf Seite des Vaters gestanden und hatte dieser ihr so viel Liebe zugewendet. Aus diesem Denken heraus sagte sie nur einmal: »Ich will warten, bis Ihr mir daheim saget, was ich verfehlt hab'.« Sie erhielt keine Antwort, und im stillen nächtigen Dahinfahren erschien ihr der verflossene Tag wie ein Traum: sie hatte eine vornehme Freundin, die sie küßte, und Alban war wieder mit ihnen vereint. Sie öffnete manchmal die Augen, um sich dessen zu vergewissern, und unter dem raschen Hufschlag der Pferde, bei dem Rollen des Wagens hörte sie am Ende nichts mehr als den verklungenen Trompetenwirbel, unter dem Dominik den Preis bekommen hatte.

Erst in Reichenbach erwachte sie, wo Alban das Pferd abgab, seine Habseligkeiten zusammenraffte und aufpackte. Man erfuhr auch, daß Dominik das Schwärzle hier zurückgelassen, weil es zu hinken begann; er war allein heimgeeilt.

Nur um das Schwärzle kümmerte sich jetzt der Furchenbauer mit eifriger Sorgfalt und Beredsamkeit und empfahl dem Wirt in Reichenbach gute Pflege und Abwartung.

Man fuhr weiter. Der Furchenbauer öffnete den Mund kaum zu den gleichgültigen Worten. Es war ihm nicht minder unbehaglich, daß mit Alban nichts entschieden ausgeglichen war; die Oberamtmännin, die ihm zudringlich erschien, hatte das verhindert. Er hoffte aber doch jetzt mit dem mürber gewordenen Burschen fertig zu werden, und was Zufall gewesen war, erschien ihm jetzt als eine kluge That: Alban hatte ja selber die Petition unterschrieben, die gegen jegliche Güterzersplitterung gerichtet war.

Alban war auch unzufrieden mit sich. Was er in Jahr und Tag still für sich ausgesonnen hatte, hatte er gar nicht vorgebracht. Er war von einem Sturm fortgerissen, und nur das eine hatte er richtig festgestellt, daß der Vater seine Unbeugsamkeit anerkennen müsse, weil er sie selber hatte und in seinem Sohne hegte. Alban war indes noch der heiterste von den dreien, er war wieder mit guter Manier daheim, das war die Hauptsache; mit Fortlaufen ist nichts geholfen, die Sache muß auf dem Fleck ausgemacht werden.

Spät in dunkler Nacht, wie Alban einst aus dem väterlichen Haus entflohen war, kehrte er wieder in dasselbe zurück.

Der Kühbub, der trotz des Zerwürfnisses auf dem Hof verblieben war, kam mit der Laterne den Anfahrenden entgegen und leuchtete Alban ins Gesicht, er prallte zurück und schien seinen Augen nicht zu trauen.

»Ich bin's wirklich,« sagte Alban lachend, indem er abstieg.

»Wo ist der Dominik?« fragte der Furchenbauer einen zweiten Knecht.

»Er schläft schon.«

»So weck' ihn, ich hab' ihm was zu sagen.«

»Vater,« begann Alban, »ich will gern für den Dominik schaffen, was er heut noch zu thun hat. Lasset ihn jetzt schlafen; er muß grausam müde sein; er hat die wilde Kalbin den weiten Weg hin und her geführt, und ich hab's gesehen, sie hat ihm schier den Brustkasten voneinander gerissen.«

»So? Fangst schon gleich so an?« sagte der Vater gedehnt, »bist kaum über meine Schwelle und willst mir dreinreden und den Herrn gegen mich spielen. So haben wir nicht gewettet, Bürschle, so nicht. Merk dir's. Du kannst morgen schon das Geschäft vom Dominik übernehmen. Jetzt geschieht, was ich sag'.« Zum Knecht gewendet fuhr er fort: »Schick ihn in die Stub', augenblicklich.«

Er schritt voran, und Alban stand eine Minute wie angewurzelt. War er darum zurückgekehrt, um die Stelle des Oberknechtes einzunehmen?

Die beiden Hofhunde waren wie toll, der Greif bellte grimmig, er erkannte Alban nicht, das Türkle aber winselte an der Kette und sprang hin und her. Alban löste ihm die Kette, und das Tier sprang an ihm empor und leckte ihm die Wangen.

Die Mutter lag schon im Bette, und trotzdem, daß Ameile gehört hatte, daß etwas mit Dominik vorgehen solle, vergaß sie jetzt ihres Kummers, eilte zur Mutter und verkündete ihr, daß Alban wieder da sei.

»Komm 'rein Alban! komm 'rein,« rief die Mutter aus der Kammer, als Alban in die Stube trat; er kam zu ihr und sie bedeckte sein Antlitz mit heißen Küssen.

»Gottlob, daß ich dich hab', und sei nur jetzt auch brav und dank's dem Vater, daß er dich geholt hat. Ach! du riechst so frisch, du bringst mir wieder neue Luft, mein Husten ist weg. Stell die Ampel da vorn hin, noch besser, daß ich dich auch sehen kann; du bist magerer, gelt, Dienstbotenbrot ist doch ein hartes? Nun, gottlob, daß es vorbei ist. Du hast mich manche Nacht den Schlaf gekostet.« So rief die Mutter. Der Bauer kam auch herein, reichte ihr die Hand und sagte:

»Er will wieder alles gut machen, er hat mir versprochen, folgsam zu sein in allem.«

Er verließ bald die Kammer wieder und ging in die Stube, denn Dominik war eingetreten, fast noch verschlafen taumelnd. Alban trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand; der Knecht rieb sich die Stirn mit der einen Hand, mit der andern faßte er Alban fest, er wollte sicher sein, daß er nichts träume.

»Jetzt freut mich's, daß Ihr mich aus dem Schlaf habt wecken lassen,« sagte er mit heller Stimme. Ohne darauf zu hören, sagte der Furchenbauer, sich setzend und die Beine über einander legend:

»Ich hab' was mit dir zu reden. Vom letzten Vierteljahr bin ich dir noch deinen Lohn schuldig, und ein Vierteljahr vorher muß ich dir aufkündigen. Das ist's. So, jetzt ist's geschehen.«

»So? Darf ich fragen, warum Ihr mich so Knall und Fall fortschicket?«

»Freilich.«

»So saget mir, warum?«

»Weil ich will.«

»Das ist kein Grund.«

»Haufengenug für dich. Einen andern sag' ich dir nicht. Meinst du, du sollst dich berühmen können, wegen dem und dem, ich weiß nicht wegen was, seist du fortkommen? Und wenn ich hör', daß du eines von meinen Kindern ins Geschrei bringst, hast du's mit mir zu thun. Bist aber brav, so kannst in einem Jahr oder auch bälder wieder zu mir kommen, heißt das, bei mir nachfragen.«

Der Furchenbauer hatte sich trotz seiner schlauen Verdecktheit doch verraten, er sah das schnell und wollte nun die Anhänglichkeit des Dominik an sein Haus ködern und binden.

»Wenn's an dem ist,« sagte Dominik, »dann geh' ich lieber gleich.«

»Ist mir auch recht. Lieber heut nacht als morgen früh. Ich bezahl' dir noch den Lohn auf vier Wochen, aus Gutheit, das wirst einsehen, von Kost ist ohnedies kein Red, weil du von selber gehen willst.«

Alban wollte sich dreinmischen, er hatte aber kaum die Worte gesagt: »Aber, Vater,« als dieser ihm streng zurief, kein Wort zu reden. Er zählte Dominik das Geld auf den Tisch und legte das für die vier Wochen besonders. Dominik war eine Minute zweifelhaft, ob er dieses auch nehmen solle, und Alban zuckte und hielt sich die Hand vor den Mund, als er es wirklich nahm. Er konnte nicht ermessen, daß der von Haus aus allezeit arme Bursch sich nicht das Recht und den Mut zutraute, seiner Ehre zulieb einige Gulden wegzuwerfen und noch dazu seinem langjährigen Herrn gegenüber.

»B'hüt's Gott,« sagte Dominik und ging mit dem Geld aus der Stube. Die Mutter in der Kammer und Alban wagten nicht ein Wort zu reden.

Ameile hatte in der Küche alles gehört. Als jetzt Dominik an ihr vorüberging, sagte sie so laut, daß man es in der Stube hören konnte:

»So? Jetzt gehst fort? Nun, so b'hüt dich Gott, und ich wünsch' dir viel Glück.« Ganz leise aber setzte sie hinzu: »In einer Stunde unterm Breitlingbaum im Garten.« Sie kam in die Stube, sagte Gutenacht und ging mit Geräusch nach ihrer Kammer und verschloß sie hinter sich.

Alban war doch dem Dominik nachgegangen und hatte ihm herzlich zugeredet, sich nicht unnötigen Kummer zu machen, er solle allzeit Bruderhilfe bei ihm finden. Dominik schwieg zu allem und packte seine Kleider ein. Erst als Alban sagte, daß er ihm wegen Leben und Sterben ein Schriftliches geben wolle über die Darlehen, die er bei ihm gemacht, sagte er, daß es in guter Hand stehe, bis er es brauche, um auszuwandern.

Dominik wollte noch vor Tag auf dem Hofe fort. Alban kehrte in das Haus zurück. Er ging nach der Kammer, wo Vinzenz schon schlief und wo sein Bett noch stand von alten Zeiten. Hinter ihm drein war der Vater geschlichen und lauschte an der Thür.


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