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Freies Gut, freies Brot, und ein Blitz vom Himmel.

Im Laufe des Sommers kam ein Ereignis, das auch den alten Furchenbauer plötzlich für die neue Zeit gewann. Der Furchenhof war noch von alters her ein sogenanntes Erblehen, auf dem mancherlei Lasten und Abgaben ruhten; jetzt durften diese allesamt abgelöst werden. Der Hof, den man nahezu auf hunderttausend Gulden schätzen durfte, wurde durch die Ausbezahlung von sechstausend Gulden freies Eigentum, an dem niemand mehr irgend einen Rechtstitel hatte. In barem Geld brachte der Furchenbauer die Summe auf das Kameralamt und kam doppelt glückselig und freudestrahlend wieder, denn er hatte in der Stadt gehört, daß fortan auch die adeligen Gutsherrn unter dem Schultheiß stehen wie jeder andere.

»Jetzt hin ich so viel wie ein Baron, und ich schaff' mir jetzt für unser Käppele eine Glock' an, ich darf's jetzt so gut wie ein Baron; ich brauch' niemand darum anfragen,« sagte der Furchenbauer zu seiner Frau und seinen Kindern und strich sich behaglich mit der breiten Hand über die rote Brustweste. Er ging lächelnd und behend durch Ställe und Scheunen, auf die Felder und in den Wald und betrachtete alles neu, als grüßte er's erst jetzt als sein rechtes Eigentum. Vinzenz zuckte mit dem einen Auge, als der Vater am Abend zu ihm und Alban sagte:

»Ihr Buben kriegt's besser, als wir's gehabt haben, ihr seid Freiherren.«

»Ja, und jetzt darf man mit dem Hof schalten und walten, wie man will,« setzte Vinzenz hinzu.

»Vorderhand bleib' ich noch ein' Zeitlang Freiherr, Punktum,« schloß der Vater, und keiner der Söhne wagte mehr ein Wort zu reden; sie mußten es schon als eine Gnade ansehen, daß der Vater so viel mit ihnen gesprochen hatte.

»Der Professor aus der Volksversammlung hat recht gehabt,« sagte Alban bald für sich, »es darf keine Grundherren mehr geben, nur noch einen Himmelsherrn.«

Der alte Furchenbauer antwortete nichts hierauf.

Solange schon dieser Boden die nährende Frucht hervorbringt und von Geschlecht zu Geschlecht sättigt, wurde die Sichel gewiß noch nie freudiger gehandhabt, als in diesem Jahre, und der erste Garbenwagen, den Dominik vierspännig in den Hof einführte, war bekränzt und ihm nach jauchzten Schnitter und Schnitterinnen. Alban hätte gern den ersten Garbenwagen unter dem Gesang aller Arbeitenden in den Hof geleitet, aber das ging jetzt in der hohen Ernte nicht an. Wenn auch das Wetter ständig schien, durfte man doch keine Minute Zeit verlieren; denn nur, was man glücklich unter Dach oder in Feime und Stadel hat, darf man erst recht sein eigen nennen. Der Vater hätte es nicht geduldet, daß man Zeit damit verlor, einen Kranz zu winden, und darum war es klug von Vreni, daß sie einen fertigen Kranz mitgebracht hatte.

Der alte Furchenbauer sah scheel dazu, aber er sagte nichts, als Alban an einem Nagel des Scheunenthores ein Papier aufhängte, die Garben beim Abladen zählen ließ und die Summe auf das Papier verzeichnete; er wollte dem Alban den unschuldigen Stolz gönnen, die neue Art zu zeigen, die alles Erträgnis buchte.

Noch war der eine Wagen nicht abgeladen, als schon ein anderer vor der Scheune hielt, und so ging es fort bis zum Abend; Mensch und Tier war in rastloser Thätigkeit, und vor allem schien sich die Kraft und Behendigkeit Albans zu vervielfältigen. Er war überall.

Die Sonne war schon hinabgesunken, und nur noch leichte rote Wolkenstreifen standen ruhig über den blauen Waldbergen und kündigten für morgen einen gleichen gesegneten Tag, als man für heute den letzten Garbenwagen einführte, und hinter ihm sangen Schnitter und Schnitterinnen helle Lieder, und die Lerchen über den Feldern erhoben sich nochmals zum letzten Abendsang. Alban ging unter den Taglöhnern und sang mit, seine Stimme tönte rein und hell; er hatte auf der Ackerbauschule nach Noten singen gelernt, war aber den Weisen seiner Heimat in nichts fremd geworden, er stimmte mit doppelter Lust ein in den Gesang, der von Natur sich vierstimmig setzte. Seine Stimme und die Vrenis begannen stets.

Jeder, der Vreni sah, mußte gestehen, daß sie eine frische und anmutige Erscheinung war, wenn mancher auch die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe auf Rechnung ihres braunen, rötlich glänzenden Haares schrieb, das ihr, wie allen Kindern des Nagelschmieds, die Bezeichnung der Goldfuchsen gegeben. Niemand aber ersah Vreni so schön als Alban. Wenn er seinen Blick auf sie richtete, erglühte ihre Stirne, sie senkte das Auge in Demut, aber auf ihrem ganzen Angesicht leuchtete es wie eine Strahlenglorie. Jetzt beim Singen hielt sie zum erstenmal seinen Blick unverwandt mit offenem Auge auf, aber Alban wendete sich plötzlich von ihr ab und ward still. Sein Blick war fest auf den Garbenwagen geheftet: der brachte das erste Brot des wahrhaft freien Mannes, und das Auge Albans leuchtete hell, denn er dachte der Männer, die dort in der alten Reichsstadt die Ernte einthun, raten und helfen, daß Freiheit und Wohlstand allüberall sei. Noch einmal jauchzte er hellauf, als man in den Hof einfuhr.

Nach dem Abendessen ging es recht lustig her, denn es kam ein Mann, der mit dem Atem seines Mundes alles tanzen und springen machte. Auf dem Hellberge in der ehemaligen Nagelschmiede wohnte das alte Müllerle, genannt die »Obedfüchti« (Abendfeuchtigkeit), weil es in der Regel in der Dämmerungsstunde vor den Bauernhäusern erschien und die Klarinette blies. Die Obedfüchti arbeitete nicht und sorgte nicht und war doch allzeit lustig und wohlauf. Vor Zeiten war das Müllerle ein Kamerad des Geigerles gewesen und war auch ein Nachkomme jenes närrischen Musikanten, der am Felsen beim Hellberge sein Leben vergeigte und wovon der Fels noch immer den Namen: des Geigerles Lotterbett hat.

Auf dem Furchenhofe war die Obedfüchti bei alt und jung beliebt und ging nie leer aus.

»Die Obedfüchti! die Obedfüchti!« schrie alles, als man jetzt Klarinettenton vom Hofe hörte, und trotz der Ermüdung von der Arbeit wurde noch in der Tenne getanzt.

Alban war auch hier der Unermüdlichste, aber obgleich seine hübschen Basen, die beiden Töchter des Gipsmüllers, auch dazu gekommen waren, tanzte er doch fast ausschließlich mit der Vreni, der Tochter des Nagelschmieds. Vinzenz hinterbrachte dem Vater, daß Alban im Jubel der Vreni zugerufen habe, sie müsse Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Der Vater hatte schon lange bemerkt, daß Alban mit der Vreni etwas habe, er hatte nichts dagegen, daß sein Sohn mit dem, wie er selbst gestehen mußte, »bildsaubern Mädle« seine Lustbarkeit trieb, das darf ein reicher Bauernsohn; aber was soll ein solches Geschwätz?

Bevor Alban schlafen ging, rief ihn der Vater zu sich und sagte ihm:

»Ich will dir ein für allemal zu wissen thun: mach' mir mit der Vreni keinen so Spaß mehr.«

»Was hab' ich denn than?«

»Du hast ihr gesagt, sie muß Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Das geht über den Spaß. Oder willst's leugnen?«

»Nein, es kann sein, daß ich's gesagt hab'.«

»Du hast's gesagt. Punktum. Und so ein Spaß darf nicht mehr vorkommen.«

»Nein,« schloß Alban und ging tiefatmend die Treppe hinauf. Hatte er bei der ersten Probe seine Liebe verleugnet? Bei aller innigen Hingebung, bei aller leicht beschwingten Freudigkeit lastete doch ein geheimer Druck auf dem Herzen Albans, der sein scheinbar so entschlossenes und festes Wesen in stillen Stunden zaghaft und zweiflerisch machte. Nicht sowohl das Hauswesen als die ganze starre Art des Vaters war ihm bei der Heimkehr fremd und unerträglich. Der Lehrer in der Ackerbauschule hatte ihm beim Abschied ans Herz gelegt und die Mutter fast mit denselben Worten das Gleiche wiederholt, er möge in Liebe und Demut die altgewohnte Weise des Vaters aufnehmen und ihm dankbar und erkenntlich sein, auch wo ihm seine Art widerstrebe. Wäre Alban in ruhigen Zeiten wieder in das elterliche Haus eingetreten, vielleicht wäre ihm das leichter gelungen, aber auch jetzt wollte er vor allem ein gehorsamer und ehrerbietiger Sohn sein. Er sagte sich nun, daß die Vreni alles für Scherz nehmen müsse, und es war ja auch nicht mehr, und der Vater hatte recht: solch ein Verhältnis taugte nicht für ihn, er mußte einst eine Frau haben, von deren Vermögen er bei Uebernahme des Hofes die Geschwister auszahlen konnte. Dennoch war Alban am andern Tage unlustig zur Arbeit und erbat sich vom Vater die Erlaubnis, nach Wellendingen zu einer Volksversammlung zu gehen, auf der eines Bauern Sohn, der Lorenz von Röthhausen, genannt Lenz die rote Weste, oder auch die gestreckte Sense, durch seine kernigen und schlagfertigen Worte alles entzündete.

Widerwillige und ungläubige Hörer würde man heutzutage finden, wenn man die Reden und Schicksale dieses Bauernjünglings erzählen wollte; der Hauch der Zeit hatte ihn mit einem Prophetengeist angeweht, wie uns ein gleiches nur von alten Zeiten berichtet wird, und er besiegelte seine Sendung mit dem Märtyrertod. Damals riß er alle Herzen in unwiderstehlicher Gewalt fort. Alban fühlte bei den Reden des Lenz alles Blut in seine Wangen treten, und oftmals ergriff es ihn, als würde er von einem Sturm davongetragen, er wollte auch hinauf auf die blumenbekränzte Rednerbühne, er mußte – aber er bezwang sich doch, und vor allem im Gedanken an seinen Vater. Der Lenz mußte in anderen Verhältnissen stehen, der Furchenbauer hätte es seinem Sohne nie verziehen, wenn er es gewagt hätte, vor aller Welt hinzutreten und sich geltend zu machen; er sagte es oft: die Jungen müssen schweigen und zuwarten in Dingen, in denen nur die Alten mitreden dürfen. Mitten im Sturm seiner Gefühle beugte sich Alban der gewohnten väterlichen Gewalt, er schluckte die Worte hinab, die er auf der Zunge hatte.

Es schien fast nicht möglich, daß Alban noch mächtiger ergriffen werden könnte, als von der Rede des Lenz von Röthhausen, und doch war es so. Unter allgemeinem Jubel trat nach dem Lenz von Röthhausen ein ehemaliger Offizier mit vornehmem Namen auf, und die Worte, die er sprach, glühten von einer höheren Weihe, die Alban fast kirchlich erschien; in der That wiederholte der Redner auch oft die Bibelworte: »Kain! wo ist dein Bruder Abel?« Er griff die bisherige Erbfolge im Güterbesitz an und zeigte deren gräßliche Verderbnis und Ungerechtigkeit. »Der Schweiß deines Bruders, den du dir zum Knecht machst, der Schweiß deines Bruders schreit wider dich zum Himmel, und die Stimme deines Gewissens muß rufen: Kain, wo ist dein Bruder?«

Jetzt drängte es Alban nicht mehr zum Reden, in ihm sprach es immer: »Kain, wo ist dein Bruder?«

Alban war ein Gemüt, das dem empfangenen Eindruck sich widerstandslos hingab und kein Hindernis und keinen Einwand anerkennen mochte, wo es die heilige Pflicht galt, dem Rechten zu gehorsamen. In den feurigen Worten, die er heute vernommen, erwachte es plötzlich in ihm, in welch schmählicher Verwahrlosung die ganze Welt steht, wie Bruder den Bruder vergißt, sich gütlich thut im eigenen Wohlstand und den Nebenmenschen verkommen läßt. Wäre jetzt, wie zu jenem reichen Jüngling in der Schrift, ein Heiland zu ihm getreten und hätte ihm geboten: Gib hin alles, was du dein nennst – er wäre ihm mit Freude gefolgt. Der Pächter des Sabelsbergischen Gutes in Reichenbach hat nachmals oft erzählt, wie leuchtend das Antlitz Albans war, als er eine Strecke mit ihm von der Volksversammlung heimging und plötzlich stehen blieb und die Worte ausrief: »Es geht doch nicht anders, man muß alles hergeben.« Er wurde still und traurig bei den Einreden, aber noch am andern Morgen sagte er glühenden Antlitzes dem Vater: »Vater, das ist fest und heilig bei mir, wenn ich das Gut übernehm', zahl' ich meinen Geschwistern heraus, was das Gut wirklich wert ist; es ist bis jetzt viel zu gering angeschlagen.«

»Wart's ab, du kannst dich wieder anders besinnen,« sagte der Vater, worauf Alban aufflammend entgegnete: »Ich werd' nie ungerechtes Gut haben.«

Alban war erst spät heimgekommen, er behauptete, so lange in Wellendingen gewesen zu sein, er hatte sich aber auf dem Hellberg bei des Nagelschmieds Vreni aufgehalten.


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