Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bruder und Enkelkind.

Nächsten Montag war der Vater siebzig Jahre alt. Am Samstagmorgen wurde Alban in aller Frühe mit den beiden Fuchsen nach Siebenhöfen geschickt, um die kleine Tochter des verstorbenen Schmalzgrafen zu holen; auf dem Rückweg sollte er abends in der Stadt die Ankunft des Eilwagens abwarten, mit dem der Bruder des Furchenbauern, der Dekan im Oberlande war, kommen sollte. Mit dem einzigen Bruder und dem einzigen Enkel des Vaters sollte Alban dann zurückkehren. Die letzte Entscheidung nahte. Der Vater schien dazu alles, was ihm angehörte, um sich versammeln und feierlich mit der Welt abschließen zu wollen. Alban war es trotz aller inneren Entschiedenheit schwer zu Mute auf dieser Fahrt. Vinzenz war ihm immerdar ausgewichen und hatte ihm nie einen richtigen Bescheid auf seinen in der ersten Nacht gestellten Vorschlag gegeben. Alban fand keinen Schlaf mehr neben dem Bruder, der verstockt und wortlos blieb; teils um doch Schlaf zu finden, teils auch aus innerer Furcht, daß er sich einmal im Grimm an seinem Bruder vergreife, hatte sich Alban nun in der Stallkammer das Bett des Dominik zum Lager gewählt, und schließlich hatte das auch noch den besonderen Vorteil, daß man ihm seine Ausflüge nach dem Hellberge und seine Rückkunft nicht nachrechnen konnte. Der Greif allein verriet ihn am ersten Abend, denn dieser Hund, den sich Vinzenz während der Abwesenheit Albans angeschafft hatte und der in der Nacht von der Kette losgelassen war, fiel den Heimkehrenden wie einen räuberischen Eindringling an, so daß das ganze Haus in Alarm kam. Am andern Morgen hatte der Vater zu Alban gesagt:

»Das ist grad nicht nötig, daß du in der Knechtskammer schläfst, bleib du nur bei deinem Bruder, und wenn er dir was hinterwärts gegen mich einfädeln will, sag ihm nur: es gilt alles nichts, als was ich festsetz', das allein hat Bestand.«

Hatte Vinzenz dem Vater die erste Unterredung verraten? Alban konnte nicht klug daraus werden. Er blieb aber jetzt um so mehr bei seinem Nachtlager, und um den Greif nicht zum Lärm zu bringen, ließ er einen Laden im Heuschuppen nach der Feldseite offen und schlüpfte durch denselben allabendlich herein. Im eigenen elterlichen Hause hatte er einen verborgenen Eingang. Jetzt im Fahren gedachte er, wie fremd er doch eigentlich noch im Elternhause war.

Als er in der Ferne am Eichhof vorbeifuhr, wo er vor anderthalb Jahren um die Witwe gefreit, erwachten in ihm wieder Scham und Trotz von damals, und doch konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie ausgeglichen und friedlich alles wäre, wenn er hier oben bauern würde, vielleicht hielt' er jetzt schon ein eigen Kind auf dem Arm . . . – Alban liebte trotz alledem die Vreni vom Hellberg innig und aufrichtig; aber es gibt Stimmungen, in denen auch der Starke und Mutige sehnlichst wünscht, daß ihm die Last des unaufhörlichen Kampfes abgenommen wäre, daß das Schicksal ihm das Heißerstrebte durchkreuzt haben möchte, nur um ihm Ruhe zu gönnen.

In Siebenhöfen wurde Alban herzlich bewillkommt. Man glückwünschte ihm zur baldigen Uebernahme des Hofes und empfahl ihm reiche Bauerntöchter aus der Nähe zur Auswahl. Alban widersprach in nichts; er wollte den Leuten nicht sagen, wie es noch ungewiß sei, ob er in den Erbgang trete; dies schien hier ausgemacht und fraglos. Alban wollte fast selber daran glauben, denn eine Zuversicht von außen, so wenig begründet sie dem Hörer auch erscheint, hat doch immer etwas so Einschmeichelndes und Anmutendes, daß sie sich unvermutet in der Seele festsetzt und alle Zweifel der eigenen besseren Erkenntnis überdeckt. Alban genoß harmlos die Ehre des Hoferben. Wer weiß, ob es nicht zum letztenmal ist, daß er sich ihrer freuen darf.

Die Mutter hatte recht: hier im Gäu ging alles viel bedachtsamer und stetiger her, der Menschen Thun und Reden war gelassener und nicht so laut wie daheim.

Hätte die Eichbäuerin heute gesehen, wie sorgsam und innig Alban um sein Bruderskind bedacht war, sie hätte ihn nicht mehr der Hartherzigkeit geziehen. Als Alban mit der kaum elfjährigen Amrei (Anna Marie) davonfuhr, war er voll Entzücken; jedes Wort, das das Kind sprach, erquickte ihm das Herz, und ein lang nicht gekanntes Lächeln ruhte beständig auf seinem Antlitz. Wie die Kinder es immer fühlen, wo ein treues und aufrichtiges Herz sich ihnen zuneigt, so war das Mädchen bald äußerst zutraulich und anschmiegend gegen Alban, und als es ihn fragte: »Ohm, hast du daheim auch ein Kind?« wußte er nichts andres zu erwidern, als das Kind fest in die Arme zu schließen und es innig zu küssen. Der ganze Jubel, daß er einst auch ein eigen Kind haben solle, stieg in ihm auf, und er wünschte sich jetzt nur, diesem Mädchen, das ihn wie eine glückselige Zukunft anschaute, recht viel Liebe erweisen zu können. Plötzlich erwachte Wehmut in seiner Seele: dieses Kind hatte seines Vaters Liebe nicht gekannt, er war dahingerafft, bevor es seinen Namen nennen konnte, und er selber – ihm lebte der Vater und bedrückte ihm das Herz mit Härte und unbeugsamer Herrschsucht. Das aber ist die Beseligung, die die Kindesnatur auf ihre Umgebung ausströmt, daß sie ist gleich der stetigen unwandelbaren Natur um uns her, die sich nicht hereinziehen läßt in die Wirrnisse des Denkens und Lebens und die doch im Kinde Sprache gefunden hat. Amrei wußte so lieblich zu plaudern und freute sich so sehr über jedes Begegnis, daß Alban keinen schweren Gedanken nachhängen konnte; er ward kinderfroh mit dem Kinde. Noch nie war eine Fahrt so rasch und fröhlich gewesen, als die von Siebenhöfen nach der Stadt. Mit dem Kind an der Hand ging Alban durch die Stadt, und er hüpfte selbst mit dem Kind, als das Posthorn klang. Der Oheim Dekan war richtig angekommen. Es war ein stattlicher, umfangreicher Mann. Alban hatte ihn seit lange nicht gesehen; dennoch ward er sogleich von ihm erkannt. Der Dekan reichte ihm etwas salbungsvoll die Hand, die andre legte er, als er gehört hatte, wer das sei, auf das Haupt des Kindes. Alban trug das Gepäcke des Oheims nach dem Wirtshause, aber das Kind wollte sich von dem Geistlichen nicht führen lassen, es hing sich an den Rockzipfel Albans.

Der Dekan war ein Mann, der nichts übereilte, Alban hielt schon die Zügel der angespannten Pferde in der Hand, als der Dekan noch gemächlich seinen Schoppen trank und dazu die mit ihm angekommene Landeszeitung las.

Beim Aufsteigen gab es zwei saure Gesichter, ein altes und ein junges. Das Kind weinte, weil es allein bei dem Pfarrer sitzen sollte, es wollte zu Alban, und dieser mußte sich nun mit auf den gemeinschaftlichen Sitz einzwängen; er setzte sich indes so auf die Kante, daß der Oheim Platz genug hatte. Das Kind saß zwischen ihnen. Im Fahren verschwindet bald jede anfängliche Ungemächlichkeit, man richtet sich allmählich ein und merkt zuletzt, daß jedes noch genugsam Raum inne hat. Der Dekan, der stets die Hände gefaltet auf der Brust hielt, war ein wohlwollender und behaglicher Mann. Er sprach mit seinem Neffen von dessen vormaligem Leben in der Ackerbauschule, er war selber ein eifriger Landwirt und machte Versuche mit Tabaksbau und Seidenzucht; dann ließ er sich von Alban von den Freischärlerzeiten und dem Leben in Reichenbach erzählen. Erst nachdem dieses ordnungsmäßig abgethan war, wobei sie oft von Anrufungen des Kindes unterbrochen wurden, das fast eifersüchtig schien, weil Alban sich jetzt weniger mit ihm beschäftigte, begann der Dekan zu fragen, wie hoch Alban den Hof übernehme, da er jetzt viel mehr wert sei, nachdem man die alten Grundlagen abgelöst habe.

Als Alban berichtete, daß er noch immer aus dem Erbgang gestoßen werden solle, als er die ganze Wirrnis auseinander zu haspeln suchte und zuletzt damit schloß, wie er darauf bestehe, daß alles zu gleichen Teilen geteilt werde, sagte der Dekan, ohne eine Miene zu verziehen und ohne die Finger auseinander zu falten:

»Dann hab' ich auch noch Ansprüche und der Gipsmüller auch; unsre Abfindung beruht nur darauf, daß das Gut beieinander bleibt; wird es geteilt, gehört es gar nicht mehr deinem Vater allein.«

»Wie soll's denn aber gemacht werden?« fragte Alban, der von dieser Rede ganz verwirrt wurde, und der Dekan erwiderte lächelnd:

»Wie's recht ist. Kannst ruhig sein, ich verlang' in keinem Fall etwas und der Gipsmüller wohl auch nicht! Aber ruhig muß alles gehen. Friede und Duldsamkeit! Mußt nicht gleich glauben, wenn einer was anders will als du, das sei schlecht; es hat ein jedes seinen eigenen Weg. Darum nur Friede!«

»O lieber Gott! Ja, den stiftet,« rief Alban inbrünstig mit lauter Stimme aus, und der Dekan befahl ihm, sich auch in seiner Friedensanrufung zu mäßigen, man könne alles in der Welt viel besser mit leisen Worten beilegen.

Das behäbige Wesen des Dekans, der, noch aus der Wessenbergischen Schule stammend, Duldsamkeit und Maßhalten in allen Dingen bewahrte, übte einen eigentümlich beschwichtigenden Einfluß auf Alban; er fühlte sich wie unter einem Zauberbann, und doch wand und bäumte sich noch der Widerspruchsgeist in ihm, der einen nicht unwillkommenen Beistand darin erhielt, daß Alban sich des Gerüchtes erinnerte, wie sein Oheim in der Bewegungszeit ein Gegner derselben gewesen war. Dennoch rief er:

»Ich will mein Leben lang für Euch beten, wenn Ihr mir beistehet.«

»Ich bete selber für mich, und ich stehe nur dem Rechten bei, keiner Person,« entgegnete der Dekan.

In Reichenbach hielt man an, hier mußte der Dekan auf länger einsprechen, er war hier vor Jahren Pfarrer gewesen.

Es war schon mehrere Stunden Nacht, als man nach dem Furchenhofe fuhr, das Kind schlief und schmiegte sich traulich an Alban; er hatte Mühe, die Pferde zu lenken, ohne das Kind zu wecken. Alban und der Dekan sprachen fast gar nicht.

Als man auf dem Furchenhof ankam, war große Bewegung. Der Vater eilte dem Bruder mit einem Stuhl entgegen und reichte ihm die Hand, der Gipsmüller stand hinter ihm. Die Mutter umhalste ihr Enkelchen und weckte es mit Küssen, Ameile trug das noch halb Schlaftrunkene nach dem Hause.

In der Stube war heute abend eine feierliche Weihestimmung, und selbst die Knechte und Mägde im Hofe sprachen leiser miteinander, denn der Dekan übernachtete hier. Der Dekan sah den Gipsmüller jetzt zum erstenmal seit dem Tode der Schwester. Alte Wunden öffneten sich blutend, der Dekan besprach sie aber mit heilenden Worten. Der Gipsmüller kam sonst nie auf den Furchenhof, er hatte sich mit dem Schwager veruneinigt. Heute war alles friedlich und wie mit einer alles lindernden Milde gesalbt.


 << zurück weiter >>