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Heimliche Verabredungen.

Als Alban seinen Bruder Vinzenz aus dem Schlafe weckte, rief dieser um sich schlagend: »Thu mir nichts, du darfst mir nichts thun.« Alban war erschreckt von diesem Ausrufe und erzählte nun dem Bruder, wie er in Friede mit dem Vater heimgekehrt, wie alles gütlich ausgeglichen sei und er dem Vater nachgeben wolle.

Vinzenz richtete sich jetzt im Bett auf und sagte: »Grüß Gott!« Gähnend fügte er hinzu: »Ich hab' arg geschlafen.« Alban setzte sich zu ihm auf das Bett und sagte: wie ganz verändert, jähzornig und wild der Vater sei, wie er den Dominik so plötzlich und hart fortgeschickt, und wie ihn die Kinder als krank behandeln und ihm in allem nachgeben müßten.

»Ich mein',« schloß Alban, »die Sünde, daß er dir ein Aug' ausgeschlagen hat, läßt ihn nicht ruhen. Wir wollen's vertuschen, so gut als wir können.«

Der Horchende erbebte. So war seine That Alban bekannt, und er konnte ihn der Schande preisgeben! Eine Minute dachte er, daß Alban doch bis jetzt brav gewesen, er hatte diese grause That doch bis jetzt niemand verraten; schnell aber sprang er wieder in eine andre Stimmung über: der eigenwillige Bursche wußte also, warum der Vater nicht anders handeln konnte, und war doch unnachgiebig! Neuer Zorn entbrannte gegen ihn, in den sich nur noch der gegen Vinzenz mischte, der das Geheimnis verraten hatte. Wenn er beide hätte enterben können, er hätte es gethan, und fast schien es besser, den mutigen offenen Alban einzusetzen, als den hinterhältigen Vinzenz, der doch nur ein halber Mensch war.

Alban hatte sich in sein Bett gesteckt, und sich behaglich streckend rief er:

»Ah! Da ist's doch am besten. Es ist mir wie einem Vogel, der in sein altes Nest kommen ist. Man liegt nirgends besser als daheim. Jetzt horch auf, Vinzenz, was ich dir sag'. Wir machen's so. Hörst auch gut zu?«

»Ja.«

»Ich widersprech' nicht, wenn der Vater dir das Gut gibt und es abschätzt, wie er will. Ich heirat' die Vreni und bleib' bei dir als Knecht.«

»So? Das wirst nicht wollen. Das ist nicht dein Ernst.«

»Freilich, aber nur auf die Art, wie ich's mein'. Wir thun dem Vater nur zum Schein seinen Willen. Er ist bald siebzig und lebt nicht ewig, und wir wollen ihm den Willen lassen, solang er lebt; er soll meinen, das Sach sei alles dein und bleib' bei einander. Du gibst mir aber schriftlich mit zwei Zeugen unterschrieben, daß du nach des Vaters Tod den Hof abschätzen läßt von Unparteiischen und zu gleichen Teilen mit mir und dem Ameile teilst. Auf die Art ist des Vaters Willen geschehen und doch auch wieder keines von den Kindern verkürzt, und wir erhalten den Frieden, und der Vater kann in Ruhe seine Tage verleben. Zu Zeugen nehmen wir den Hirzenbauer von Nellingen und unsern Vetter, den Gipsmüller, die halten alles verschwiegen und geheim. Ist das nicht recht? Ist das nicht ordentlich gesprochen? Hast du was dagegen? So gib doch Antwort. Schnarch nicht, ich glaub' nicht, daß du schlafst. Das ist falsch von dir, Vinzenz; hab' mich nicht zum Narren. Man kann's ja nicht brüderlicher machen, als ich geredet hab'. Vinzenz, gib Antwort. Ich reiß' dich an den Haaren aus dem Bett, wenn du mich so zum Narren hast. Vinzenz, willst du mich auch des Teufels machen?«

Alban sprang aus dem Bett und schüttelte den Bruder, dieser schrie laut auf und that wieder, als ob er erwachte.

Schon wollte der lauschende Vater, zum Schein die Treppe heraufspringend, zu Hilfe eilen, als er Alban sagen hörte:

»Sei ruhig. Ich thu dir nichts. Hast denn nicht gehört, was ich gesagt hab'? Hast wirklich geschlafen?«

»Halb und halb.«

»Und was sagst dazu?«

»Ich versteh' die Sach' noch nicht recht, aber so viel weiß ich, ich bin zum Krüppel geschlagen, und mir gehört was im voraus. Ich kann aber heut nimmer viel schwätzen. Morgen ist auch ein Tag. Gut Nacht.«

Alban erhob im Bett seine Hände und betete: »Herr Gott! laß mich heut nacht sterben, wenn ich was Unrechtes will. Ich weiß nicht anders. Es ist nicht meine Schuld, daß ich so bin. Ich muß anfangen, das Unrecht, das von Geschlecht zu Geschlecht gegangen ist, umzustoßen. Ich wollt', es müßt's ein andrer thun, aber ich muß. Wenn ich unrecht hab', nimm mich im Schlaf von der Welt und zu dir –.« Er murmelte noch unverständliche Worte, in denen nur deutlich, wie im gewohnten Kindesgebete, Vater und Mutter vorkamen, dann war alles still . . .

Dem Furchenbauer schoß es in die Knie, er mußte sich auf die Treppe setzen. Erregte vorhin der Plan, ihn zu täuschen, seinen brennenden Ingrimm, so traf ihn jetzt jedes Wort im Gebete Albans wie ein Blitzschlag. War das sein hartherziger Sohn? Welch ein Kind war das! Er hatte seine geheimsten Gedanken hören wollen, er hatte sie gehört, sie waren bös und heilig, schändlich und rechtschaffen. Wer hilft da heraus? Lange saß der Vater auf der Treppe in dunkler Nacht und konnte sich nicht erheben. Wer jetzt in sein Antlitz hätte schauen können, würde den eisenharten Furchenbauer nicht erkannt haben.

Während hier der ungelöste Bruderstreit, vom Vater belauscht, sich kundgegeben hatte, standen unter dem Apfelbaume im Obstgarten zwei Liebende beisammen, und sie sprachen wenig, und ihre leisen Worte verhallten von keinem fremden Ohre belauscht und zogen hinan zu den Sternen, die in der Herbstnacht hell glitzerten und funkelten.

»Was soll denn das jetzt noch?« hatte Dominik zu Ameile gesagt. »Es ist besser, du bist frei, ich will dir nicht vor dein Glück stehen, und mit mir hättest du nur Elend, und glaub' mir, ich könnt's nicht ertragen, wenn du nicht mehr leben könntest, wie du's gewöhnt bist.«

»Ich bin an nichts gewöhnt als an dich, und dabei bleib' ich, und wenn ich von Vater und Mutter und von der ganzen Welt fort muß, mit dir geh' ich nach Amerika, wie wenn's nach Reichenbach wär'. Ich will froh sein, wenn ich aus unserm Haus bin, da ist ja jedes immer wie eine geladene Pistol. Ich will Gott danken, wenn ich nur dreimal Kartoffeln des Tages hab' und Ruhe und Friede dazu; aber sie müssen mir mein Vermögenteil geben, im nächsten Jahr werd' ich großjährig. Halt nur fest aus wie ich. Du mußt wegen meiner aus dem Haus. Ich weiß es. Aber da drin in meinem Herzen bleibst du, und da kann dir kein Vater und kein Meister aufkündigen. Da hast mein' Hand, dich nehm' ich und keinen andern.«

Dominik faßte die dargereichte Hand nicht, er sagte nur:

»Du kannst auf einmal reden wie eine Große –«

»Ich bin kein Kind mehr.«

»Freilich, aber deiner Eltern Kind bist noch, und dagegen will ich dich nicht aufstiften.«

»Weil du kein' Kurasche hast,« sagte Ameile zornig, und Dominik erwiderte:

»Ich hab' mehr, als du glaubst, ich könnt' für dich durchs Feuer laufen, ich thät mich nicht besinnen. O Ameile!« seine Stimme stockte, und sich an seinen Hals hängend rief das Mädchen:

»Was? Wer wird heulen? Rechtschaffen und lustig –«

Die beiden redeten lange kein Wort mehr, der Quell des Wortes war versiegt, in stiller Nacht hingen sie Lippe an Lippe.

»Sieh den Stern!« rief Ameile, nach einer fliegenden Sternschnuppe den Kopf wendend, aber nicht nach ihm deutend, denn es ist bekannt, daß man mit Hindeuten nach einem Stern einem Engel die Augen aussticht. In begeistertem Ton fuhr Ameile fort: »Weißt noch, wie du mir gesagt hast, ein Sternschuß ist ein verirrter Stern, der wieder an seinen Ort heimkehrt? So sind wir zwei jetzt auch. Da, jetzt wollen wir uns Braut und Bräutigam heißen. Du mußt mir eine Trau geben. Weißt was? deine Denkmünze, das ist mir das Liebste.«

»Ich hab' sie nicht mehr.«

»Wo hast sie denn?«

»Ich hab' sie meiner Mutter geschickt. Ich hab' sie dem Hirzenbauer versetzt, daß er meiner Mutter ein paar Gulden geben soll. Ich hätt' dir das nicht sagen sollen, ich will mich aber nicht berühmen. Ich hab' im Gegenteil an meiner Mutter bisher zu wenig gethan.«

»Vor mir darfst dich berühmen. Das ist mir lieb, daß ich jetzt auch weiß, wo du hingehst. Ich bin doch dumm. Ich hab' gemeint, du mußt in die wilde Welt hinaus. Du hast ja auch ein' Mutter. Das ist gut. Grüß sie von mir und sag' ihr, sie soll mir meine Trau gut aufheben und soll sich am Leben erhalten, bis sie auf unserer Hochzeit lustig ist. Und wenn dir was vorkommt, daß du eine Annahme brauchst, geh nur zur Oberamtmännin und sag's ihr nur frei, du seist heimlich mein Hochzeiter, sie weiß schon so was, und die wird dir in allem helfen und beistehen, die hat den klaren Verstand zu allem und ist so grad wie eine rechtschaffene Bauernfrau, gar nicht wie eine Herrenfrau. Und noch eins: verding dich nicht in einen andern Platz, du wirst dir schon so forthelfen, und thu's mir zulieb und geh heut nicht in der Nacht fort, du hast nächt (vergangene Nacht) nicht geschlafen und bist müd; wart, bis Tag ist.«

Noch vieles plauderten die Liebenden zusammen in Scherz und Ernst, sie wollten gar nicht voneinander lassen; endlich aber mußten sie sich doch trennen.

Ameile ging still und gedankenvoll nach dem Hause; sie öffnete es leise. Als sie die Bühnentreppe hinanstieg zu ihrer Kammer, die der Schlafkammer der Brüder gegenüber war, wurde sie plötzlich von starken Händen gefaßt, und eine Stimme rief:

»Wer bist? Wer ist da?«

Ameile schrie laut auf. Die Mutter kam mit Licht herbei und sah, wie der Vater die Tochter fest in den Armen hielt.

»Du bist's?« rief der Vater. – »So? Ich weiß, wo du gewesen bist, aber still, still, nicht gemuckst, daß niemand im Haus etwas erfährt, still, sag' ich.«

Er schleppte Ameile nach ihrer Kammer, schloß sie ein und nahm den Schlüssel zu sich.


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