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Ein Gang ins Pfarrhaus.

Wir haben Luzian auf Schritt und Tritt so unablässig begleitet, daß wir uns fast ausschließlich in seinem Hause einbürgerten. Jetzt wird es uns fast so schwer wie dem Luzian selbst, nach dem Pfarrhause zu gehen.

Das acht Fenster breite Haus hat an der Straßenseite keinen Eingang, wir müssen über den eingefriedeten Rasenplatz an der Kirche und dort an der verschlossenen Thüre klingeln.

Wir schreiten über einen bedeckten Gang, stehen nochmals vor einer verschlossenen Thür, die sich aber durch einen Zug von innen öffnet. Wie friedsam und still ist es hier; Treppe und Hausflur sind so rein wie geblasen, die Wände sind schneeweiß getüncht; kein Ton ließe sich hören, wenn nicht ein weißer Spitzhund bellte, den ein großes, stattliches Frauenzimmer, halb bäurisch gekleidet, zu beruhigen sucht. Das ganze Haus steht da wie eine stille Klause, mitten im lärmenden Getriebe der Menschen. Es ist ein Anbau an die Kirche, und es scheint sich darin zu wohnen, so andächtig still, als wohnte man in der Kirche selbst. Schüttle den Staub von den Füßen und wandle durch die Reihe der Zimmer, sie sind alle weiß getüncht, spärlich mit Hausrat versehen, denn es hat keine familienhafte Gemeinsamkeit hier ihre Stätte. Nirgends liegt da oder dort eines jener hundertfältigen Werkzeuge des Haushaltes in anheimelnder Zerstreutheit umher. Alles hat seinen gemessenen Ort und scheint fest zu stehen, wie die großen braun lackierten Kachelöfen. Eine gewisse Oede liegt in der dünnen Luft. Die Schlösser an den Thüren gehen hart. Ein Kruzifix ist die einzige Verzierung jeden Zimmers, nur in dem vorletzten, in das wir jetzt treten, wo das Bett mit drüber gebreiteter weißer Decke steht, hängen außerdem noch Steinzeichnungen der Evangelisten und zu Häupten des Bettes das Bildnis des Papstes Pius IX. in schwarzem Rahmen. Jetzt endlich treten wir in die tabaksdampferfüllte Studierstube. Wir treffen hier eine außerordentliche Anzahl von Büchern, denn unser Pfarrer gehört zu denen, die neuerdings mit dem Protestantismus um die Palme der Wissenschaft ringen. Nicht umsonst hat er schon auf der Universität den theologischen Preis gewonnen durch eine Abhandlung über das Verhältnis der Neuplatoniker zu den Christen. Schon früh am Morgen treffen wir ihn vollständig angekleidet in seiner Studierstube, denn er hat, wie sich's gebührt, nüchtern die Messe gelesen, und sein Tagewerk wäre nun eigentlich vollendet, wenn er nicht selbst sich ein neues auferlegte. Er ist von dem entschiedensten Eifer beseelt, thätig an mehreren Zeitschriften und verfolgt mitten im Kleingewehrfeuer derselben mit Eifer alle Erscheinungen im Gebiete theologischer Litteratur. Selten wird diese Morgenstille von der Anmeldung einer Taufe oder sonstiger Amtshandlung unterbrochen. Nur manchmal macht sich der Pfarrer plötzlich auf und überrascht den Lehrer in der Schule mitten im Unterricht. Am Mittagstisch sitzt er still bei seiner Schwester, die ihm durch die Vermittlung der Magd das Leben in allen Häuslichkeiten zuträgt. Erst gegen Abend geht der Pfarrer aus, und obwohl von streng asketischer Richtung, weiß er doch nirgends anders hinzugehen als ins Wirtshaus. Dort sitzt er im Gespräche mit Gemeindegliedern, die sich ihm nähern, und mit zufällig eingetroffenen Bekannten, oder auch oft allein. So vergeht ein Tag um den andern. Er hat keine lebendige Verbindung mit den Dorfbewohnern, er ist nur auf den Ruf der Vorgesetzten hierher gefolgt und morgen bereit, an einem andern Orte die Lehre zu verkünden und die Weihe zu vollziehen.

Seit geraumer Zeit aber ist der Pfarrer voll Unruhe. Die Landeszeitung lieferte allwöchentlich fortlaufende Aufsätze über die höhere und niedere Kirchenverwaltung. Diese Darstellungen zeugten von genauerer Kenntnis des ganzen Mechanismus und enthielten epigrammatische Spitzen, die offenbar bestimmte Persönlichkeiten und Vorkommnisse treffen mußten. Nur eine geweihte Hand konnte hier die Feder geführt haben. Die Geschichte Luzians bildete nicht unbedeutenden Anlaß zu den schärfsten Ausfällen. Trotzdem diese Aufsätze unter Zensur erschienen waren, erließ dennoch der Bischof ein Umlaufschreiben, in welchem er die ganze Klerisei des Sprengels aufforderte, mit Bekräftigung des Priestereides in einem anliegenden Reverse zu bezeugen, daß sie weder mittelbare noch unmittelbare Urheber jener Aufsätze seien. Dieses geheime Umlaufschreiben, gleichfalls wenige Tage nach dessen Erlaß in derselben Zeitung als Beweisstück der Kirchentyrannei veröffentlicht, erregte gewaltige Aufregung unter Priestern und Laien.

Unser Pfarrer war schon mehrere Tage mit sich im Kampfe, was er zu thun habe. Er war weit entfernt von dem Widerstreben vieler, die dem Bischof das Recht absprachen, einen solchen Revers zu verlangen, und sich nun dessen weigerten, trotzdem und weil sie sich ihrer Unschuld bewußt waren; im Gegenteil, unser Pfarrer war von ganz anderen Bedenken in Schwankung gebracht. Vorerst zuerkannte er dem Bischof das volle Recht seiner Maßnahme, ja er behauptete, daß jeder, der um die skandalsüchtige Urheberschaft wisse, verpflichtet sei, frei aus sich heraus solche anzuzeigen, und: du sollst den Namen Gottes deines Herrn nicht vergebens aussprechen. Wer um eine Sache weiß und zugibt, daß ein andrer einen unnötigen Eid schwört, macht sich dieses Vergehens schuldig. Unser Pfarrer kannte den Urheber nach seiner zuversichtlichen Ueberzeugung. Mußte er diesen nicht kundgeben und allen unnötigen Eidschwur und alle Aufregung niederschlagen?

Daß der Urheber sein Freund war, daß er ihn daran mit Bestimmtheit erkannte, weil in den Aufsätzen Ausdrücke gebraucht waren, die der Freund mehrmals in vertraulicher Rede im Munde geführt, durfte ihn das abhalten, den beschworenen Eid des Priestergehorsams zu brechen?

Nur eines that unserm Pfarrer aufrichtig leid und erfüllte ihn mit längerem Bedenken. Er hätte gewünscht, daß seine eigene Angelegenheit im Dorf nicht in jene Aufsätze verflochten wäre, damit ihn niemand niedriger Rachsucht oder sonstiger unlauterer Motive zeihen könnte. Dies war der Punkt, wo seine sonst feste Verfahrungsweise in Schwanken geriet. Aber die so nahe liegende Furcht vor Mißdeutung erfüllte ihn bald mit neuem Kampfesmut . . . »Wie?« sagte er, »soll ich unterlassen, was Eid und Gewissen mir befiehlt, weil ich dadurch in falsches Licht geraten kann? Gerade deshalb muß ich's desto zweifelloser über mich nehmen. Was wäre die Erfüllung der Pflicht, wenn sie keine Opfer kostete?«

Mit fliegender Feder schrieb er die Denunziation an das bischöfliche Amt nieder und unmittelbar darauf einen Brief an Rollenkopf, womit er ihm offen sein Verfahren gestand, damit er niemand anders als seinen Angeber im Verdacht halte. Rollenkopf ließ diesen Brief ohne Erläuterung oder Bemerkung einfach in der Landeszeitung abdrucken. Wenige Tage darauf war er seines Amtes entsetzt.

Es gab wohl manche, die den Heldensinn unsres Pfarrers und seine Großthat lobten, noch weit mehr aber fand man darin jene Starrheit und jenen Verrat an allem, was die unbedingte Tyrannei erheischt. Ja, selbst die Frommen, die die That lobten, konnten doch nicht umhin, einen gewissen Abscheu gegen den Thäter zu empfinden. So verwirrt und uneins ist unsre Zeit, daß man auf allen Seiten Thaten wünscht, die man selbst nicht vollziehen möchte.

Unser Pfarrer war nun Gegenstand des öffentlichen Streites in allen Blättern, und dies war der Hauptgrund, warum er die Schlägerei Luzians nicht bei den Gerichten anhängig machte, sondern auf alle Weise zu vertuschen suchte. Es mußte ihm darum zu thun sein, so gerecht und schwer gekränkt er auch dabei erschien, doch nicht entfernt mit Tatsachen genannt zu werden, die einen Makel im Rufe lassen, fast in der Weise wie die blauen Mäler, die er noch auf den Armen und an der Stirne davon behalten hatte. Ein Geprügelter ist immer in einer mißlichen Lage: so himmelschreiend unrecht ihm auch geschah, das gemeine Handgemenge schon zieht herab. Unser Pfarrer mußte und wollte sich auf seiner idealen Höhe erhalten.

Eben jetzt saß der Pfarrer nachdenkend in seiner Stube. Er hatte das Zeitungsblatt in der Hand, welches berichtete, daß Rollenkopf, weil er nicht genügende Subsistenzmittel nachweisen konnte, aus der Hauptstadt nach seinem Heimatsorte verwiesen sei. Da klingelt es. Sonst hätte, wer da wolle, Einlaß begehren können, unser Pfarrer ließ sich nie stören, er wartete ruhig die Meldung ab. Jetzt sprang er unwillkürlich ans Fenster. Er meinte, Rollenkopf müsse da sein. Er schaute hinaus und erblickte zu seinem Erstaunen den Luzian, der so aussah, daß man nicht wissen konnte, was er vorhatte. Der Pfarrer trat daher rasch auf die Hausflur und fragte: »Wer ist da?«

»Ich bin's, der Luzian.«

»Was gibt's?«

»Herr Pfarrer, ich komm' nicht, es kommen nur meine Worte; machet schnell, gleich, es ist wegen der Leute, sie bringen Neues gegen mich auf; kommet schnell, gleich, eilet; mein' Bäbi ist schon zum Meßner gelaufen.«

»Was denn?«

»Meine Schwiegermutter liegt im Sterben.«

»Der Luzian darf nicht dabei sein, wo die letzte Oelung erteilt wird.«

»Nicht? und wenn sie währenddem stirbt?«

»Nicht. Der Luzian haßt unsern Glauben.«

»Ich will ja fort von Haus bleiben, machet nur schnell; die Ahne will Euch auch nicht, die Weiber wollen's.«

»So? und ich soll Spott treiben lassen mit dem Heiligtum, weil sich der Luzian vor dem Gerede der Menschen fürchtet?«

»Reden wir nicht mehr lange,« entgegnete Luzian außer sich vor Angst. »Die brave Frau kann allein sterben und braucht Euch nicht. Gott ist unser Priester. Ihr sollt nur sein Handlanger sein, sein Arm, der noch den Kelch des Lebens reicht den Lippen, die zum letztenmal zucken.«

»Was Kelch? so verratet Ihr Euch; wer reicht den Kelch? Ihr wißt wohl, wer?«

»Herr Pfarrer, ich weiß nicht, was ich red'. Mit aufgehobenen Händen bitte ich Euch, es druckt mir das Herz ab; kommet, ich bitt' Euch tausendmal um Verzeihung, wenn ich Euch was Leids than hab'.«

»Mir hat Luzian nichts Leids gethan; seine Teufel haben aus ihm gesprochen und seine Teufel haben ihm die Hände geführt.«

»Herr Pfarrer, dazu ist jetzt keine Zeit. Kommet mit! wer weiß –«

»Ich geh' nicht mit dem Luzian, ich werde allein kommen.«

Luzian eilte schnell heimwärts; es war still auf der Flur und in der Stube. Er fand nur noch die toten Ueberreste der Ahne.

Der Pfarrer hatte noch während des Ankleidens erfahren, daß es zu spät sei; er kam nicht.

Die ganze Nacht war Luzian still und redete fast kein Wort. Am anderen Morgen war er heiter und wohlgemut, und die Leute erkannten immer mehr und mehr in ihm einen hartgesottenen Gottesleugner.

Die Ahne wurde ohne Glockengeläute in ungeweihte Erde begraben.

Ein junger Mann weinte große Thränen an ihrem Grabe. Es war Paule, der von Althengstfeld herübergekommen war, sich still dem Zuge anschloß und still, ohne mit jemanden zu reden, heimkehrte.

Das Herz Bäbis erzitterte, als sie ihn sah; aber sie wandte alle Gedanken von ihm zurück und schickte sie der Entschlummerten nach.


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