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Verlassen und Verstoßen.

Im Hause Luzians war diese Nacht nicht minder überwache Verstörtheit. Bäbi saß allein in der Küche und befühlte stets mit dem Daumen die Stelle des Fingers, wo der Brautring gesessen; eine zart empfindliche Haut hatte sich hier unter dem breiten silbernen Ringe gebildet, und Bäbi war's oft, als ob sie ein Stück von ihrer Hand verloren habe. Noch unbewußter hatte sich unter dem anerkannten äußeren Verhältnis ein geschütztes Gedankengebiet in der Seele des Mädchens aufgethan, das war jetzt alles dahin, der unbestimmten rauhen Wirklichkeit preisgegeben. Bäbi konnte nun still in sich hinein weinen. Sie glaubte jetzt erst zu wissen, wie sehr sie den Paule geliebt; ist's denn möglich, daß er jetzt daheim umhergeht, ohne ihrer zu gedenken? Gewiß nicht. Sie wünscht sich Flügel, um ungesehen schauen zu können, was er jetzt treibe, wo er jetzt sei.

Ach Scheiden, immer Scheiden,
Wer hat dich doch erdacht?
Hast mir mein junges Herze
Aus Freud' in Trauern bracht.
            Ade zu guter Nacht.

So sang sie und sann dann wieder still hin und her, ob es denn möglich sei, daß Paule sie verlassen habe. »Wie wird er denn leben können? wird derselbe Mund einstmalen zu einer andern sprechen können: du bist mir das Liebste auf der Welt, du einzig und allein? O! die Männer sind falsch, aber der Paule doch nicht. Freilich, er muß bald heiraten, er hat keine Mutter, es muß bald eine Frau ins Haus. Er ist Witwer und sein Vater auch, und ich bin auch eine Witwe. Wenn man nur wüßte, wen er heimführt; es wär' doch schad um sein gut Herz, wenn er sich jetzt in der Eil' überrumpeln thät', ich möcht' ihm helfen, eine Frau suchen. Nein, wir thäten keine paßliche finden, es gefiele mir doch keine. Und ich? Werd' ich denn einmal wieder einen Liebsten finden? Werd' ich denn einmal wieder einen küssen und umhalsen können wie den Paule, daß man schier vergehen möchte vor lauter Lieb' und Freudigkeit? Nein, es gibt nur einen Paule und keinen mehr so ohne Falsch und so grundgetreu; das kommt nicht mehr wieder. Und soll ich einmal wieder einen andern Schatz kriegen, wo steckt denn der Kerle jetzt? Am besten wär's, er käm' jetzt gleich, jetzt könnt' ich ihn am nötigsten brauchen, ich bin jetzt so traurig und so einödig, jetzt könnt' er mir über Zaun und Hecken helfen. Wenn ich einmal wieder von selber heiter und lustig bin, da brauch' ich dich nimmer, da kann ich schon allein fort. Komm jetzt, gleich, wenn du einmal kommen thust. Und wenn er so wär' wie der Paule, wär' mir's nicht recht, ich thät' mich vor ihm fürchten wie vor einem Gespenst, ich thät' hundertmal Paule zu ihm sagen, und wenn er nicht so wär' wie der Paule, wär' mir's auch nicht recht . . . Ich mein', ich müßt' meinem Paule mein Herzeleid klagen, er ist mir der Nächste von all den Meinigen, und er ist's doch wieder, der von mir fort ist, und über ihn hab' ich zu klagen . . .«

»Ich laß den Strick auf den Boden laufen, ich heirat' gar nicht.« Mit diesen letzten, fast laut gesprochenen Worten stand Bäbi auf und suchte die Gedanken zu verscheuchen, die unstet hin und her flatterten. Gewaltsam heftete sie wieder ihren Sinn auf die Hoheit ihres Vaters: »Ihn kränkt's von meinem Paule gewiß noch mehr, oder doch so viel als mich. Und was werden die Leute sagen? Ich seh' schon, wie sie allerlei Bedauern mit mir haben, und hinterrücks ist doch manche schadenfroh, daß es mir so geht. Aber das leid' ich nicht, daß mir eines ins Gesicht hinein auf meinen Paule schimpft; es geschieht mir kein Gefallen damit, im Gegenteil.«

Fast in demselben Augenblicke, als Luzian im Geiste von Haus zu Haus wandelte, um zu erkunden, wie man von ihm und seinem Kampf denke, schweifte auch der Sinn Bäbis zu allen Freundinnen und Gespielen; aber sie hatte ihre Rundschau noch lange nicht beendet, als die Ahne plötzlich rief. Bäbi eilte zu ihr, und die Ahne klagte fast zum erstenmal bitterlich, wie man sie allein lasse und alles verkehrt und rücksichtslos verfahre. »Ich weiß nicht,« sagte sie, »hundertmal geredt ist wie keinmal, und du machst auch kein Thür' zu, und man ist ja in dem Haus wie vor einem Blasbalg und nirgends kein' Ruh, und alles ist fort. Dein' Mutter heult mir auch den Kopf voll, und du gunnst mir auch das Maul nicht und redst kein Sterbenswörtle. Wenn halt mein Luzian nicht da ist, da hat der Himmel ein Loch.«

Die sonst so anspruchslose Ahne, die nie jemand gern zu schaffen machte, war heute krittelig, hatte allerlei zu befehlen und zu wünschen, und doch war ihr nichts recht.

Bäbi schloß der Ahne bald ihr Herz auf, wie tief weh ihr zu Mute sei.

»Laß das Sinnieren sein,« entgegnete die Ahne, »man bringt doch nicht 'raus, wie's morgen sein wird; jeder Tag sorgt für sich selber. Wenn man heute schon wüßt', was morgen wird, braucht' man ja morgen nicht leben. Zeit macht Heu. Mir ist's, wie wenn meinem Luzian ein schwer Unglück über den Hals käm'; wenn er sich nur nicht an dem armen Schelm, am Egidi vergreift.«

»Ich will dem Vater nach in die Mühle.«

»Nein, will denn alles fortlaufen? Da bleibst.«

»Ich mein', ich hab' grad des Paules Stimm' gehört,« sagte Bäbi wieder und wurde feuerrot.

»Kann mir's denken. Dir geht sein' Stimm' im Kopf 'rum. Was könnt' er denn da bei uns suchen? Hast du noch ein Geschenk von ihm?«

»Nein, aber vielleicht hat er's mit seinem Vater ins reine bracht oder so, und er ist da und will –«

»Du kennst den alten Medard nicht, dem ist, mit Gutem sprich, die Seel' in den Leib gerostet. Dein' Mutter, die schimpft auf den Paule, und das leid' ich nicht. Wer gestern brav gewesen ist, der kann nicht – Plumpsack da bin ich – heut auf einmal ein Nichtsnutz sein; wenn er auch einen Unschick begangen hat, er ist doch der alt'. Wen man gestern gern gehabt hat, den kann man nicht heut über alle Häuser 'nausschmeißen wie einen alten Schlappen. So ist's. Der Paule geht seinem Vater nicht von der Hand; er thut besser dran als der Egidi, der Latschi, der thut ja so übergescheit, als ob er auf seines Vaters Hochzeit gewesen wär'.«

»Ja, bei seinem Vater bleiben muß man, mein Paule hat's grad so gmacht wie ich –«

»Gewöhn' dir die Red' ab; du kannst nimmer sagen: mein Paule,« warf die Ahne ein; Bäbi schien es kaum zu hören, unverrückt ins Licht starrend fuhr sie begeistert fort: »Ich hab' heut fast die ganze Nacht nicht geschlafen, vor lauter Gedanken. Sonst ist so ein Sonntag 'rum gegangen wie ein Tanz so schnell, man weiß nicht, wo er hinkommen ist. Aber was haben wir gestern nicht alles verlebt! Ich hab' sonst nie gewußt, daß man vor Gedanken nicht schlafen kann, aber gestern hab' ich's erfahren. Da hab' ich halt auch darüber gedenkt: wozu braucht man denn auch einen Pfarrer bei der Trauung? Wär's nicht viel schöner und heiliger, wenn in der Kirch, wo die ganze Gemeind bei einander ist, der Vater vom Bursch und der Vater vom Mädle da vor ihnen stünd' und einer nach dem andern thät' das Paar einsegnen und trauen? Der Vater ist doch eigentlich der Stellvertreter von Gott bei seinem Kind, und so eine Trauung vom Vater wär' doch erst recht heilig. Und mein Vater könnt' besser segnen als alle Pfarrer auf der ganzen Welt, und ich mein', ein jeder Vater, wenn er da auf dem Platz stünd', müßt' ein gut Wort vorbringen können. So ein Pfarrer ist doch ein fremder Mensch, und mein Vater ist mein, und ich bin sein bis zu der Stund.«

Die ganze erhobene Liebe Bäbis zu ihrem Vater brach flammend auf. Die Ahne sagte verwundert: »Bäbi, du redest ja, man kennt dich gar nicht mehr.«

»So pfeift mein . . . der Paule, ja, ja, das ist das Lied vom Nesselkranz,« sagte Bäbi plötzlich vor sich hin, auf die Straße hinaushorchend, »aber ich warte, bis er 'rauf kommt.«

Bäbi hatte in der That recht gehört, Paule war da und wollte vor allem mit Luzian sprechen, er strich ums Haus umher, ob er nicht Bäbi doch zufällig treffe. Endlich ging er zum Wendel und wollte dort die Ankunft Luzians abwarten. Erst spät in der Nacht kehrte er heim.

Lange besprach sich noch Bäbi mit der Ahne, bis diese endlich einschlief; auch die Mutter ging zu Bett, und still war's ringsum. Bäbi holte sich noch eine Näharbeit, die zur Vollendung ihrer Aussteuer gehörte; hatte es mit dieser nunmehr auch keine Eile, so hielt die Arbeit doch wach. Kaum eine Stunde aber hatte Bäbi emsig und still bei der Oellampe gesessen, als ihr die Hände in den Schoß sanken und sie ermüdet einschlummerte. Das erste Pochen an der Thüre erweckte sie, denn in dem wachbereiten Schlafe ist das Ohr jedes Tones gewärtig.

Ohne daß man jemand kommen hörte, öffnete sich der Riegel, Bäbi sah ihren Vater vor sich stehen und blickte staunend in sein verwildertes Antlitz. Luzian aber sagte rasch: »Gut, daß du auf bist, lauf hurtig zur Hebamm, sie soll gleich zu des Egidis Klor' (Klara) kommen, und dann sag's ihrer Mutter. Lauf tapfer, ich will schon drin im Haus wecken.«

Luzian ging mit Viktor ins Haus, und Bäbi rannte in den Strümpfen ohne Schuhe pfeilschnell das Dorf hinauf.

Frau Margret machte sich rasch auf den Weg, und als Luzian nach einer Weile in den Hof ging, sah er den Oberknecht, der die beiden Braunen an den Wagen spannte.

»Hast recht, daß dich früh aufmachst,« sagte Luzian, »willst Klee holen?«

»Nein, ich hab' noch genug für heut von gestern abend. Ich hab' noch zwei Fuhren Dinkel im Speckfeld, die müssen 'rein, und hernach will ich zackern.«

Luzian nickte zufrieden und half eingeschirren. Stillstehend schaute er dann dem Wagen nach, der davon fuhr; das Schimmelfüllen sprang neben her, sich noch ledig tummelnd im frischen Morgenhauch. Luzian dünkte es schon ein Jahr, daß er sich nicht um sein Sach' angenommen hatte. Diese unablässige Stetigkeit des Arbeitens trat ihm jetzt in ihrer ganzen Erquickung vor die Seele; ihm war die ganze Welt aus den Fugen gegangen, hier aber verlief alles regelmäßig, das kannte keinen Wirrwarr und konnte keinen ertragen. Die Natur arbeitet in stiller Unablässigkeit, und der Mensch, der in ihr wirkt, muß wie sie rastlos sich rühren: das hat seine festen Zeiten, die nicht verabsäumt werden dürfen, Sonne und Regen warten nicht, bis du mit deinen anderweiten Anliegen fertig bist. Du magst den Hammer in der Schmiede, die Axt auf dem Zimmerplatz, den Hobel in der Schreinerwerkstatt ruhen lassen, eine Weile unausgesetzt andern Dingen, Gemeinzwecken nachgehen, du kannst alles leicht wieder aufnehmen, wie am Tage, wo du es verlassen. Anders der Bauersmann. Die Sonnentage, die über dem Felde seiner harrten, kann er nicht wieder heraufrufen. Darum eignet sich der Bauersmann so selten zur Verfolgung von Anforderungen, die abseits von dem Kreislauf seiner Thätigkeit liegen. Des Herrn Auge macht das Vieh fett; wie leicht verkommt alles, wenn der Herr fehlt. Muß es Dienende geben, unablässig belastet mit der Hände Arbeit, während der Herr den höheren Anliegen der Menschheit nachgeht, ist kein Zustand möglich, in dem sich beides vereinigt.

»Wenn du wieder kommst, geh' ich mit ins Feld,« rief Luzian dem Knechte nach und kehrte ins Haus zurück.

Die Ahne war ganz glückselig, beim Erwachen ihn wieder zu sehen.

»Mir hat heut nacht träumt,« erzählte sie. »du bist Pfarrer worden. Ich hab' dich predigen sehen, aber in einer ganz fremden Gegend, ich hab' alle deine Worte gehört, o! es war prächtig. Und du gäbest erst noch einen guten Pfarrer. Mein Vater hat's mehr als hundertmal gesagt: Wenn's mir nachging, dürft' mir keiner vor dem fünfzigsten Jahr Pfarrer werden. Ein Pfarrer braucht nicht studiert haben und kein Examen machen, er muß sich in der Welt umthan haben mit offenen Augen, und sei er meinetwegen Holzhacker gewesen, er kann doch der best' sein, besser als alle Bücherpfarrer. Woher wollen denn die auf dem Seminare mitreden und einem Trost und Hilf' geben? Sie haben ja selber nichts erfahren. Mein Vater, das war der gescheiteste Kopf, auf dem je ein Hut gesessen ist, der kaiserliche Rat hat's auch oft gesagt.«

»Heut gibt's noch ein Urenkele,« sagte Luzian, »die Klor' wird eines bringen.«

»So? Ja von deswegen bist auch die Nacht nicht heimkommen. Wir haben lang auf dich gewartet.«

Luzian war still, die Kehle war ihm wie zugeschnürt. So oft die Ahne das Wort Pfarrer aussprach, ging ihm ein Stich durchs Herz; er konnte ihr jetzt nicht sagen, was vorgegangen war. Wird es ihr aber verborgen bleiben, und ist's nicht besser, selber alles zu bekennen? Einstweilen muß man abwarten und Ruhe suchen.

Still sich vergrämend saß Luzian da. Von allen Qualen, die den Menschen heimsuchen können, ist die Selbstverachtung die höchste, freilich nur für ein ehrlich Gemüt, denn die zahllosen andern kommen nie dazu, sich selbst die volle Wahrheit zu gestehen. Ueber den Aufrichtigen aber kommt die Pein doch nur vorübergehend, denn eben in der Aufrichtigkeit liegt schon die Gewähr, daß die Selbstverachtung eine unberechtigte ist.

Luzian erkannte schwer, wie durch seine letzte That sein ganzes Streben verkehrt und verwüstet war.

»Was hast du jetzt? Raufhändel und weiter nichts. Und du bist nicht mehr allein für dich . . .«

Mit diesen Worten erkannte er jene bindende Allverantwortlichkeit, die in der selbsterweckten oder überkommenen Sendung für das Allgemeine liegt; das ganze Thun und Lassen hört damit auf, ein eigenes, beliebiges zu sein.

»Mich dürfen sie für einen Lumpen halten, da läg' mir nicht viel dran, aber jetzt heißt's: Alle, die nicht an die Pfaffen glauben, sind Raufbuben, man sieht's ja. Das thut mir in der Seele weh. Jetzt hat der Pfaff Oberwasser. Ja, ich passe nicht zu einer solchen Sach', nein.«

Hiermit betrat Luzian eine neue Stufe des Märtyrertums: den Zweifel und die Verzweiflung an sich selbst. Tausendmal ist dies nur Beschönigung der Ruhesucht, feiges Abschütteln einer unumgänglichen Aufgabe, aber hier war's die bitterste innere Zerknirschung. Luzian hielt sich in der That seines hohen Vorhabens unwürdig, die letzte That zeigte dies für ihn und andre. Tiefe Sehnsucht stieg in ihm auf, daß doch ein gewaltiger erhabener Mensch erstehe, der stark und heilig die Welt aufs neue erlöse; wie gern wollte er ihm dienen, ihm alles opfern, jedem Wink seiner Augen gehorchen, wenn es ihm nur vergönnt wäre, in den Reihen seiner Kämpfer zu streiten.

»Ich bin kein bißle mehr als ein gemeiner Soldat und dazu noch ein recht wilder, unbändiger.«

Darin sprach sich's aus, was er wünschte. Das tiefe Verlangen und Sehnen des Jahrhunderts gab sich auch hier kund. Wird ein gewaltiger Führer erstehen, der das Zauberwort findet, um die zerstreuten zahllosen Streitmutigen in geschlossenen Reihen zu ordnen und sie die große Bahn zu einem neuen Lehen zu führen? . . .

Als Luzian durch das Dorf ging, grüßte er niemand, er wartete den zuvorkommenden Gruß ab; man solle nicht glauben, er demütige sich oder suche jetzt einen besondern Anhang. Menschen, an deren Urteil ihm ehedem so wenig lag, daß er gar nie daran dachte, diesen sah er jetzt scharf ins Gesicht; sie sollten und mußten ein Wort, einen Blick für ihn haben, er mußte sicher sein, was sie von ihm denken. Manchmal wurde er in der That zuvorkommend gegrüßt, aber er fragte sich wieder, ob das nicht durch die Nötigung seines scharfen Anblickes geschehen sei. Wenige bemerkten seine Unruhe, und die sie bemerkten und darüber nachdachten, vermuteten einen entgegengesetzten Beweggrund, sie glaubten herausfordernden Stolz zu erkennen. Wo zwei oder mehrere beisammen standen und Luzian ging vorüber, waren sie plötzlich still, gewiß hatten sie von ihm gesprochen. Der Rößleswirt sah zum Fenster heraus, und als er Luzian kommen sah, zog er sich zurück und machte das Fenster rasch zu. Luzian war fest überzeugt, daß alles auf ihn gemünzt sei, er, der sonst in sich so Feste, sah sich auf einmal abhängig von den Mienen und dem Behaben eines jeden. Dem Dieb brennt der Hut auf dem Kopf, sagt das Sprichwort, und ähnlich erschien sich Luzian wie ein offenkundiger Verbrecher, der sich Wohlwollen und Anerkennung zusammenbettelt, die er vordem selbstverständlich inne hatte. Luzian wollte sich alles aus dem Sinn schlagen, und es gelang ihm, aber dieses Vergessen war doch nur wie der Schlummer eines Krankenwärters, eines Harrenden; das leiseste Geräusch weckt taumelnd auf.

In der Schmiede, wohin nun Luzian ging, ward auch alles plötzlich still, als er eintrat. Urban begann indes: »Gelt, jetzt sind die Karten anders gemischt? jetzt schenkt der Pfarrer dir die Trümpf', die du früher gehabt hast?«

»Wie so?« fragte Luzian.

»Du wirst doch nicht leugnen, du hast vergangene Nacht bei deinem Egidi den Pfarrer totstechen wollen und hast ihn blutig geschlagen, aber der Pfarrer hat heilig geschworen, daß er nichts davon bei Gericht angeben will; er verzeiht dir's. Jetzt frag' um im Dorf, laß ausschellen: wer dir noch recht gibt, soll sich melden.«

»Du hast Glück,« sagte der Brunnenbasche, »du hast Glück wie jener Mann, der hat einen Floh fangen wollen und hat eine Laus gefunden.«

»Mit dir red' ich gar nicht,« erwiderte Luzian und verließ die Schmiede in schweren Gedanken.

Als er so in sich gekehrt, den Blick zur Erde geheftet, hinwandelte, fühlte er plötzlich einen mächtigen Faustschlag auf dem Rücken. »Heilig Millionen,« knirschte er sich umkehrend und nach dem Schläger fassend. »Ah, du bist's,« sagte er und ließ ab, als er Wendel sah, »du hast mich grausam erschreckt, es ist mir durch Mark und Bein gefahren.«

»Warum? seit wann bist du so zimpfer?«

»Guck, ich weiß nicht, ich bin dir so ängstlich im Herzen, es ist eine Schande, ich mein', die ganze Welt ist gegen mich, ich möcht' sie alle vergiften, und da kommst du hehlings und gibst mir einen Schlag wie vom Himmel 'runter.«

»Bist denn eine schwangere Frau? Schäm' dich. Wenn du auch eins kriegt hast, es ist nur eine Abschlagszahlung von nächt abend.«

»Weißt auch schon?«

»Ja, und jetzt spielt der Pfarrer den Gutedel. Hab' ich dir's nicht gesagt, du wirfst das Beil zu weit 'naus? Dein Sach' ist bis daher eine reine, tauklare gewesen, und jetzt ist geronnen Blut drin.«

»Mach' mir keine Vorwürfe, ich weiß alles, ich weiß ja; von dir hätt' ich am ersten verlangt, daß du mir Trost einredest, statt daß du mich jetzt auch noch schändest.«

»Ich schwätz' dir kein Loch in den Kopf, wer bist denn? Kopf in die Höh! daß man den alten Luzian zu sehen kriegt. Narr, du hast nicht geschlafen, ich seh dir's an, du bist mauderig wie ein Vogel, der sich mausert. Jetzt laß dich nur nicht unterkriegen. Was du einmal than hast, dabei mußt du bleiben.«

»Ich hab's aber nicht gern than, ich bin in der Wildheit dazu kommen. Ich ließ mir einen Finger abhacken, wenn ich den Pfarrer nicht geprügelt hätt'.«

»Luzian, das hab' ich nicht gehört, das hast du nicht gesagt, das darfst du nicht sagen, keinem Menschen. Vor der Welt mußt hinstehen, daß alle die Augen unterschlagen, wenn du sie anguckst. Möchtest gerne Trost haben? Was Trost? Wer nichts nach der ganzen Welt fragt, nach dem fragt die Welt am meisten. So bist du, und so mußt du sein, und so bist du morgen am Tag.«

»Ich weiß wohl, ich bin nichts nutz, aber das thut mir weh, mein' Sach' ist doch gut.«

»Freilich, freilich, da dran halt' dich. Laß den Schlag ein paar Monate versurren, da hat das Ding ein ander Gesicht. Wir wollen zu Michaeli davon reden, wenn die Sach' bis dahin nicht ist wie der ferndige (vorjährige) Schnee.«

Dieser Zukunftstrost verfing bei Luzian nicht, denn er entgegnete: »Führ' du im Frühjahr einen Hungrigen auf den Kornacker und sag': da friß dich satt. Lug', Wendel, ich mein', es ist ein Jahr, aber es ist erst gestern gewesen, daß ich den alten Luzian hab' vor mir herumlaufen sehen, aber den Luzian von überm zukünftigen Jahr, den kenne ich noch nicht, von dem weiß ich noch nichts und der hilft mir noch nichts. Sag' du mir hundertmal: ich werde ein andrer mutfester Kerl sein, jetzt bin ich's noch nicht, und jetzt braucht' ich's. Ich hab' dir eine Angst fast zum Davonlaufen und weiß nicht, wovor, und weiß nicht, wohin.«

»Das Stündle bringt's Kindle, sagen die Hebammen. Luzian, horch' auf, ich will dir was sagen. Sei kein Narr; im Gegenteil, sieh dir die Welt als ein Narrenspiel an, mach' dich lustig darin, so gut, als es geht, und so lang, als es hält. Du bist gesund, hast Vermögen genug, laß dir dein Leben bekommen, es ist bald genug aus, eh man sich's versieht; und es dankt dir's kein Teufel, wenn du jetzt deine besten Jahre verkrimpelst und verbuttelst für nichts und wieder nichts, bloß weil dir was einredest. Ich kann dir in sieben Worten all meine Weisheit sagen: für was man die Welt ansieht, das ist sie einem. Wenn ich du wär', ich wollt' mir ein ander Leben herrichten. Ich wünsch' dir nur meinen Leichtsinn, den geb' ich dir nicht für deinen besten Acker. Jetzt muß ich heim, es wartet ein Staatsmittagessen auf mich, ein Herrenessen, der König hat nicht mehr, es kommt in allem nur darauf an, wie man's ansieht: ich hab' Gesottenes und Gebratenes. Die untern Kartoffeln im Hafen (Topf) die sind gesotten, und oben, wo das Wasser einkocht ist, da sind sie braten.«

Man war am Hause Wendels angelangt, und dieser ging hinein.


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