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Ein Kind bleibt, und ein Kind geht.

Als Luzian nach Hause kam, trat ihm Bäbi entgegen mit den Worten: »Vater, Ihr sollet gleich ins Rößle kommen, es ist schon zweimal ein Bot' da gewesen, es sei jemand da, der nötig mit Euch zu reden hat.«

»Wer denn?«

»Des Rößleswirts Bub' weiß es nicht, oder will's nicht sagen.«

Luzian ging nach dem Wirtshause. Er traf hier den Vater Paules von Althengstfeld, der hinter dem Tische saß und ihm zuwinkte, ohne aufzustehen und ohne die Hand zu reichen.

»So? bist du auch hier?« fragte Luzian, »hast du mich rufen lassen?«

»Ja. Rößleswirt! Ist niemand in deiner hinteren Stube? Ich hab' da mit dem Luzian ein paar Worte zu reden. können wir 'nein?«

»Ja.«

»Was hast denn? Kannst's nicht da ausmachen? Oder komm mit mir heim,« sagte Luzian.

»Nein,« entgegnete Medard, »es ist gleich geschehen.«

Die beiden Schwäher gingen nach der Hinterstube; alle Anwesenden schauten ihnen nach.

»Was gibt's denn so Heimliches?« fragte Luzian.

»Gar nichts Heimliches. Du weißt, ich bin frei 'raus, drum, Luzian, guck, du bist jetzt im Kirchenbann und vielleicht noch mehr, du kommst mit denen Sachen nicht so bald 'raus, wie mir unser Pfarrer gesagt hat und die Pfarrer alle, die heut dagewesen sind. Drum wird dir's auch recht sein, wenn man jetzt ausspannt.«

»Ja, wie? was?«

»Ha, du verstehst mich schon. Mit deinem Mädle und mit meinem Paule, da lassen wir's jetzt halt aus sein. Wir sind von je gut Freund gewesen, Luzian, nicht wahr? Und das bleiben wir von deswegen doch. Es ist ja Christenpflicht, daß man keinen Hasard aufeinander hat und alles in gutem bleibt.«

»Ja, ja, freilich, ja,« sagte Luzian, die Hände reibend, »und was ich hab' sagen wollen? . . . Ja, und dein Paule ist auch mit einverstanden? Du redest in seinem Namen?«

»Ha, ich bin ja der Vater. Ich laß mich nicht ausziehen, ehe ich mich ins Bett leg', das Sach' ist mein, und ich geb' die Geißel noch nicht aus der Hand, du auch nicht. Was wahr ist, ist wahr; mein Paule hat dein Mädle gern gehabt, ja rechtschaffen gern, es ist ihm hart 'nangangen. Er hat dem Pfarrer aber bestanden, dein Mädle sei wie ausgewechselt, es hab' ihm kein gut Wort mehr gunnt, und es hab' halt auch deine Gedanken, Luzian. Recht so, ist ganz in der Ordnung; die Kinder müssen zum Vater halten, und mein Paule hält zu mir. Du hast ja selber gewollt, daß wir keinen Reukauf ausbedingen, und Schriftliches haben wir auch nichts gemacht, da brauchen wir auch nichts verreißen. Mein Bub' hat deinem Mädle einen silbernen Fingerring geben, er hat zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer kostet, kannst nachfragen beim Silberschmied Hübner neben der Oberamtei. Jetzt kannst den Fingerring wieder 'rausgeben, oder es ist besser, du gibst das Geld, hernach kann ihn dein Mädle behalten; kannst das Geld dem Rößleswirt da geben, ich bin ihm noch was schuldig für Kleesamen. Dein Mädle, das bringst du schon noch an, brauchst's nicht in Rauch aufhängen, und mein Bub', der setzt den Hut auf die link' Seite und ist der alt'. Es hat halt jetzt den Schick nimmer zwischen unsern Kindern, und es wär' gegen Gott gesündigt, wenn man da wieder was anhäften wollt'. Jetzt wie? was siehst du so unleidig? Stehst ja da wie ein Stock und machst kein Gleich (Gelenk)? Hab' ich dich verzürnt?«

Luzian war in der That wie erstarrt, er ließ den Medard an sich hinreden und hörte alles wie im Halbschlaf; der Schweiß trat ihm vor ängstlichen Gedanken auf die Stirn; er nickte endlich und sagte: »Ja, Medard, ich schick' dir den Fingerring gleich 'raus, kannst drauf warten.«

»Pressiert nicht so. Jetzt sei mir nicht bös, bei dir ist gleich dem Himmel der Boden auf. Wir bleiben doch die alten guten Freund', nicht wahr?«

»Das Kind ist tot, die Gevatterschaft hat ein End'.«

Mit diesen Worten verließ Luzian die Kammer und trat in die Wirtsstube. Neugierig richteten sich die Blicke aller auf ihn; er sah verstört aus. Mit seltsamem Lächeln sagte Luzian: »Rößleswirt, weißt was Neues? Mein' Bäbi ist kein' Hochzeiterin mehr. Grad hat mir der Medard aufgesagt.«

»Es wird doch das nicht sein?« tröstete der Wirt.

»Frag nur den Medard,« endete Luzian, die Thür in der Hand, und fort war er.

Luzian hatte sich eingebildet, er sei auf alles gefaßt, und doch überraschte ihn dieser Zwischenfall so, daß er nicht wußte, wo aus noch ein. Offen gestanden dachte er im ersten Eindruck fast gar nicht an seine Tochter, sondern nur an sich selbst. Hatte er seine Ehre verloren? Wo war landauf und landab ein Bauersmann, der sich's nicht zur Ehre angerechnet hätte, mit ihm verschwägert zu sein? – Darum hatte er noch die Aussage selbst verkündet, die Schande sollte zurückfallen auf Medard, er warf sie zurück mit dem ganzen Stolz seines Ansehens; aber galt dies auch noch? Kämpfte er nicht mit leerer Hand, während er die zweischneidige Waffe sich in die Faust träumte?

Im wilden Ringen des Kampfes reißest du dir oft eine Wunde, du weißt es nicht, bis nach ausgetobtem Streite das Rinnen des Blutes und der Schmerz dich daran mahnt. Kein Pflaster und keine Salbe stillt das Blut, wenn nicht das ausgetretene gerinnt und stockt und so sich selbst die schützende Decke zur Wahrung des in dir strömenden bildet. Es geht mit den Wunden deiner Seele ebenso.

Müd und schwer, als ob ihm ein Schleiftrog au den Beinen läge, ging Luzian nach Hause.

»Ist es wahr? ist mein Schwäher im Rößle?« Mit diesen Worten kam ihm Bäbi wiederum entgegen.

»Dein Schwäher? Nein, aber des Paules Vater,« entgegnete Luzian. »Komm her, Bäbi, gib mir dein' Hand, brauchst nicht zittern, du sollst weiter nichts als den Fingerring abthun, du bist kein' Hochzeiterin mehr; der Paule hat dir aufgesagt. Meine Händel mit dem Pfarrer sollen dran schuld sein, oder hast du auch was mit dem Paule gehabt? Es ist jetzt eins. Du bist schon noch eine Weile bei uns gut aufgehoben. Zitter' nur nicht so.«

»Ich zittere ja nicht,« entgegnete Bäbi; es war ihr gar wundersam zu Mute, noch nie hatte ihr Vater so ihre Hand gefaßt und gehalten; »ich zittere nicht,« wiederholte sie, »lasset nur los, ich will den Ring abethun.«

»Thut dir's weh? Es ist doch eigentlich meinetwegen?«

»Nein, das ist's nicht, und wenn's auch wär', mein' Hand könnte ich mir für Euch abnehmen lassen, Vater, und nicht nur so einen Ring abethun. Wenn mich der Paule nimmer mag, hat er mich nie mögen; ich bin ihm nicht bös. Und die Schand' wird auch noch zu ertragen sein«

»Du kriegst schon noch den Mann, der dir beschert ist,« sagte Luzian, ohne durch irgend eine Liebkosung oder ein freundliches Wort die gepreßte Rede Bäbis zu erwidern. Diese aber schloß: »Mein lediger Leib ist mir nicht feil. Da ist der Ring.«

»Der Knochen, der einem beschert ist, den trägt kein' Katz' davon,« bemerkte noch die Ahne.

»Wo ist der Viktor? Er soll den Ring gleich ins Rößle tragen,« sagte Luzian. Die drei Frauen sahen einander verlegen an. Die Frau Margret nahm sich zuerst ein Herz, faßte den Rockärmel ihres Mannes, zog daran und sagte: »Thu zuerst den Rock aus, du laufst ja den ganzen Tag 'rum wie ein Soldat auf dem Posten. So, jetzt ist dir's leichter, so, jetzt setz dich auch, daß man auch ordentlich mit dir reden kann.«

»Wo ist der Viktor? Ruf ihn,« wiederholte Luzian.

Die Frau hing den Rock auf und sagte dabei: »Er hört mich nicht, ich kann nicht so arg schreien; er ist auf der Mühle.«

»Der Egidi hat ihn geholt, und der Viktor hat geheult,« ergänzte Bäbi.

»Jetzt seid alle still, ich will's erzählen,« begann die Ahne, »da rück' her, Luzian, noch näher. Jetzt guck, du bist noch kein Büchsenschuß weit vom Haus weg, da kommt der Egidi und fragt nach dir, aber mit einem Gesicht wie ein Bub', dem die Hühner sein Butterbrot weggefressen haben; und da träppelt er 'rum und kann das Maul nicht finden. Endlich sagt er, oh wir schon gehört haben, was die Leut' von dir reden; ich sag', du kannst den Leuten die Mäuler nicht verbinden.«

»Was sagen sie denn über mich?« fragte Luzian.

»Du seist gottloser als ein Heid und ein Jud, und du habest gar kein' Religion. Ich sag' aber dem Egidi: deines Vaters seine Gutthaten sind seine Religion, und das ist die best'! Da schreit er über mich 'nein wie ein Flözer; und ich sei auch so, und ich stehe doch mit einem Fuß im Grab, und ich wiss' nicht, wann ich vor Gott stünd', und ich sollt' dich, Luzian, eher zurückhalten, als noch aufstiften und dreinhetzen. Wenn ich mich nicht vor mir selber geschämt hätt', ich hätt' dem Egidi eins ins Gesicht geschlagen, daß er nimmer gefragt hätt', wo sind mehr. Ich sag' weiter nichts als: Junge Gäns' haben große Mäuler. Wie wir so reden, kommt der Viktor 'rein, ich schick' ihn fort, er soll nicht hören, was sein Vater für ein Latschi ist. Eine Weile drauf kommt der Schütz und bietet dem Egidi, er soll ins Pfarrhaus kommen. Ich sag': Du gehst nicht zum Pfarrer, eher läßt dir all' beid' Bein' abhacken. Da schlägt er auf den Tisch und schreit: Ich bin Meister über mich, und ich thu', was ich will. Wart, Schütz, ich geh' mit. Mein Vater ist mein Vater, aber unser Herrgott ist vorher mein Vater, und ich laß mir meinen Glauben nicht nehmen, und ich laß ihn mir nicht nehmen. – So rennt er fort.«

»Ja, der Viktor, was ist denn mit dem?« fragte Luzian abermals.

»Ich erzähl's ja, wart nur. Vergeht kein' Stund', ist mein Egidi wieder da, er hat den Viktor an der Hand und heißt ihn sein Schulsach zusammenpacken, und da schreit er über das Kind 'nein, daß es nicht weiß, ist es taub oder hat es sonst was than. Ich schick' den Viktor fort, er soll mir für einen Kreuzer Kandelzucker holen, und wie er fort ist, sag' ich: Egidi, du versündigst dich. Ich weiß wohl, es geht einem so, wenn man sieht, daß Leut' ein Kind verziehen, so wird man auf das Kind bös und grimmzornig; es ist aber nicht recht. Es ist mir mit unsern Nachbarsleuten, mit des Bäckers Christle, auch so gangen. Wenn du meinst, daß wir deinen Viktor verziehen, mußt deinen Zorn nicht an ihm auslassen, das ist eine schwere Sünd'. Was Sünd'! schreit da der Egidi. Eine Sünd' gehört so wenig da 'rein wie eine Sau ins Judenhaus. Da sind ja lauter Heilige. Ich bin nun halt ein sündhafter Mensch, und mein Viktor ist mein Kind und soll auch so werden, er muß wissen, daß man Buße thun muß. Ich komm' vom Schulkonvent, und da hab' ich gehört, daß der Vater meinem Viktor die Schul' verboten hat, und jetzt geht er mit mir und kann sich ein schlecht' Beispiel an mir nehmen. Ihr habt den Viktor einmal euer Erzenkele geheißen, wir wollen dafür sorgen, daß er kein Erzteufele wird. – Luzian, ich kann dir nicht sagen wie schandgrob der Egidi gewesen ist, und er hat das Kind mit fort, und das hat geweint. Und mir thut's so and (bang) nach dem Kind, ich möcht' auch schier greinen. Jetzt hab' ich aber eine einzige Bitt' an dich, Luzian, du folgst mir gewiß gern: verzeih dem Egidi seinen Unverstand, ich vergeb's ihm auch, und man muß ihm zeigen, daß Gutheit Trumpf sein muß, nachher sei Religion, was für woll'. Gelt, Luzian, du versprichst mir's, glimpflich mit ihm umzugehen?«

Ein Kopfnicken antwortete. Es bedurfte dieser letzteren Ermahnung kaum, denn wie das so geht bei rasch aufeinander folgenden Schicksalsschlägen: das persönliche Leid fühlt sich kaum mehr, und man erhebt sich in ihm zu Allgemeingedanken. Darum sagte auch Luzian aufstehend:

»Ihr habt mir ein gut Wort gesagt, Ahne, man ist oftmals auf ein Kind bös, weil seine Eltern es verziehen. Es geht einem auch oft so mit ganzen Dörfern und Ländern; man darf den Menschen nicht bös sein, weil ihre Vormünder, die Pfarrer und Beamten, sie verzogen haben und noch verziehen.«

Luzian ging nach der Kammer. Die Frauen sahen verdutzt einander an, sie hatten einen mächtigen Ausbruch der Leidenschaft von Luzian erwartet, und jetzt redete er, daß man ihn kaum verstand.

»Was hat er?« fragte die Mutter so vor sich hin. Niemand antwortete.

Mit dem Rocke bekleidet kam Luzian wieder heraus, nahm den Hut und sagte mit einer ganz fremden Wehmut im Antlitze: »Ich mach' heut' auch meine Stationen, sie sind ein bißle weit und die Schritte nicht abgezählt, aber mein Kreuz ist mir noch nicht zu schwer. Ich will nur zum Egidi, daß er mir das Kind nicht verdirbt. Könnet ohne Sorgen sein, er ist der Vater, ich werde ihm kein bös Wörtle geben.«

Wieder verließ Luzian das Haus.


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