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Es donnert und blitzt abermals.

Der Sonntag war wieder da. An diesem hellen Morgen wurde im Hause Luzians bitterlich geweint. Bäbi stand bei der Mutter in der Küche und beteuerte unter immer erneuten Thränen, sie nehme sich eher das Leben, ehe sie allein zur Kirche gehe. »Der Vater muß mit, der Vater muß mit!« jammerte sie immer. Auf weitere Gründe ließ sie sich nicht ein, als daß der Vater ja doch am nächsten Sonntag in die Kirche müsse. Auf die Entgegnung, daß die Trauung ja in Althengstfeld sei, wiederholte sie stets nur ihren Jammerruf. Sie wollte heute kommunizieren, und sie durfte nicht sagen, daß sie auf die Frage in der Beichte die Gottlosigkeit ihres eigenen Vaters bekannt und darauf das Gelöbnis abgelegt hatte, alles aufzubieten, um ihren Vater zur Reue und zum Kirchenbesuche zu bringen; nur unter dieser Bedingung hatte sie die Absolution erhalten.

»Geh nein, die Mutter soll's ihm sagen,« tröstete endlich die Frau.

»Sie will nicht,« entgegnete Bäbi.

»Probiert noch einmal.«

Bäbi ging hinein, die Alte blieb aber bei ihrem Spruche: »Was mein Luzian thut, ist brav, und was er nicht thut, da weiß er, warum.«

»Man muß keinen Hund tragen zum Jagen,« ergänzte Luzian.

Da warf sich Bäbi vor die Ahne auf die Kniee und gebärdete sich wie rasend in Jammer und Klage; sie schwur, sich ein Leids anzuthun, sie wisse nicht, was sie thäte, wenn der Vater nicht mit in die Kirche gehe. So hatte man das Mädchen noch nicht gesehen, und die Ahne sagte endlich: »Ja, thu's doch, Luzian, thu's dem Kind.«

»Mutter, ist's Euer Ernst, daß ich dem neuen Pfarrer in die Kirch' gehen soll?«

»Ja, thu's in Gottes Namen, thu's mir zulieb.«

»Mutter, das ist der höchste Trumpf, den Ihr ausspielen könnet, Ihr wisset wohl, wenn Ihr saget: ›thu's mir zulieb,‹ da muß ich.«

»Ja, es muß alles einmal ein End' haben, du hast dich lang genug gewehrt; ich wart' auf dich und geh' mit.«

»Bäbi! Hol mir den Rock und das Gebetbuch,« schloß Luzian. Das Verlangte war schnell bei der Hand.

Heute ging die Ahne seit langer Zeit wieder mit der gesamten Familie, sie führte sich an Luzian. Egidi mit der Frau und den beiden jüngeren Kindern war von der Mühle heraufgekommen und schloß sich auch dem Zuge an. Alle strahlten voll Freude, als brächten sie ein hehres Opfer. Wer weiß, was sie opfern?

Luzian ging still dahin; es ließ sich nicht erkennen, ob sein zögernder Schritt aus einem Mißmute kam, oder ob er bloß der Mutter zulieb so bedächtig einherging. Er dankte allen, die ihn grüßten, mit ernster Miene. In der That war es ihm fast lieb, daß er durch so heftiges Bitten zum Kirchgange gezwungen wurde, er kam dadurch aus dem vereinsamten Kampfe, in dem er nach verlorener Schlacht fast noch allein auf dem Waldfelde verblieben war. Er nahm sich vor, keinerlei Groll zu hegen und unangefochten die Welt ihres Weges ziehen zu lassen.

Luzian mußte bekennen, daß der junge Pfarrer mit schöner klangvoller Stimme und in edler Haltung Messe und Amt verrichtete.

Jetzt bestieg der Pfarrer die Kanzel, Luzian stand ihm gerade gegenüber an eine Säule gelehnt, er ließ den Platz neben sich leer und blieb stehen. Der Pfarrer sprach:

»Geschrieben stehet: Wer da viel säet, wird viel ernten, und wer wenig säet, wird wenig ernten. So steht geschrieben. Ach, Gott und Herr im siebenten Himmel! höre ich euch alle im Herzen rufen, ach, Gott! ist: denn der Spruch auch wahr? . . . Mit dieser Frage seid ihr alle fort, hinaus aus der Kirche, ihr seid draußen auf dem Felde, wo euer Korn und euer Haus niedergeworfen ist und die Bäume von unsichtbarer Hand gepflückt. Dort seid ihr nun und fragt: Haben wir nicht gesäet mit voller Hand? Haben wir nicht gearbeitet am Morgen früh und am Abend spät, und nun? . . . . . Ihr murret und hadert ob der Hand des Herrn, und ihr fluchet schier. Und nun? fragt ihr. Ich aber antworte euch: Wer da viel gesäet:, wird viel ernten, und wer da wenig gesäet, wird wenig ernten. In euch liegt ein Feld, das liegt brach, öde und versteint, Schlangen und Gewürm hausen darin. Habt ihr es umgepflügt mit dem scharfen Pfluge der Buße und euern festen Willen vorgespannt und am Seile gehalten? Habt ihr es gedüngt mit der Reue und den Samen des ewigen Wortes drein gestreut zur Tugend und heiligen That? Habt ihr? Ich frage euch. Wohl, ihr saget: Ich fühle mich rein von schwerer Schuld, wer kann mir was Schlechtes nachsagen? So ruft jeder Verbrecher, selbst der Mörder, wenn er von den Händen der Gerechtigkeit gefaßt wird. Und wenn ihr in den Beichtstuhl kommt, ei freilich, da wißt ihr kaum, daß ihr einmal geflucht oder eine böse Rede geführt, und doch habt ihr alle, alle die sieben Todsünden schon siebenmal siebzigmal begangen. Aber das ficht euch nicht an. Es ist mancher unter euch, der jetzt unter sich schaut und seinen Hut zusammenkrempelt, er denkt: Was! das ist altes Gepolter! das ewige Lämplein in der Kirche brennt nur noch matt, und kommt ein guter Luftzug, aus ist's; aber die Aufklärung, das Licht, das ich in meinem Kopfe stecken habe, das allein gilt. – Schau, schau, da hätten wir also einen, der den Aufkläricht verkostet hat, den die fürnehmen, hochgelahrten Herren in der Stadt euch gar mildiglich bereiten. Wenn du nach der Stadt kommst, siehst du vielleicht ein armes Bauernweiblein, das in einem schmutzigen Kübel, in einer schwimmenden Brühe allerlei Abgängiges heimträgt zur Mastung für ihre lieben Schweine. Siehst du, das ist der Aufkläricht, den dir die vornehmen, hochgelehrten Herren wollen zukommen lassen. Juden und Lutherische und Katholiken, die in der Staatsmastung stehen, werfen dir etwas zu, wenn sie sich toll und voll gefressen haben und nicht mehr mögen. Du freust dich damit und vergissest darob den Tisch, zu dem der Herr alle Gäste geladen, wo alle gleich, Hoch und Nieder, wo es keine Gelehrten und keine Vornehmen gibt, denn der Glaube allein gilt. – In dem Aufkläricht ist ein wurmäsiger Apfel von dem alten Baume, daran die Schlange war, der mundet dir, da schmatzgest du, daß dir die Brühe von allen beiden Mundwinkeln herunterlauft, wenn die Schlange spricht: Es gibt keine Erbsünde, das ist eitel Pfaffentrug aus finsteren Zeiten, wo man noch nichts wußte vom Licht und noch nicht schmeckte den Aufkläricht. Ich aber sage euch: eine ganze Brut von Schlangeneiern und einen Wurmstock von Teufeln bringst du mit auf die Welt, und so du das nicht alle Wege vor Augen hast und mit Zerknirschung erkennest, wie verworfen und nichtswürdig du bist, so bist du ewig verloren; deine Seele steckt noch zu tief im Fleisch und wehe, wenn du wartest, bis die Todessense sie herausschabt. Thut's wehe? Schneidet's? Brennt's und nagt's? Warte nur, es kommt noch besser. Wer nach dem Aufkläricht schnappt, wird eine runzlige Nase und ein krummes Maul über solche Worte machen, und um den Widerwart los zu sein, wird er mir gar zurufen: du gehst zu weit ab vom Text. Ja, Brüderlein! Du bist noch viel weiter ab vom Text, ich aber bleib' dabei: wer da viel gesäet, wird viel ernten, und wer da wenig gesäet, wird wenig ernten.

»Ich hole noch ein Früchtlein aus dem Aufkläricht, es schwimmt oben auf. Mancher von euch denkt wohl: Ja, hätt' ich nur dem guten Rate gefolgt und mich in die Hagelversicherung aufnehmen lassen, da könnt' ich dem Hagel was pfeifen. Komm her, du versicherter Mann, laß dich ein bißle heraufholen. Seht ihr, da hab' ich ihn; der Neid muß ihm's lassen, es geht ihm gut, und er sieht reputierlich aus. Mag's brennen und sengen und hageln und Seuchen wüten, da steht er fest, der versicherte Mann. Da steht sein Haus, es ist in der Feuerkasse – versichert, am Laden klebt ein Täfelein, sieht fast aus wie ein Ordensschmuck, das zeigt an: Tisch und Bett und Stuhl, Kisten und Kasten, der ganze Hausrat ist – versichert; das Vieh im Stall – versichert, die Aecker im Feld – versichert, die Kinder – versichert, sie sind auf der Rentenanstalt eingetragen, und wenn eines zwanzig Jahr' alt ist, bekommt es so und so viel Zinsen bis in die grasgrüne Ewigkeit hinein; sein eigen Leib und Leben – versichert, doppelt versichert, in Paris und in Frankfurt. ›Jetzt komm, Herrgöttle, und thu mir einmal was an!‹ So schlägt sich der versicherte Mann herausfordernd auf die hirschledernen Hosen. Ja, beim Teufel! Den muß unser Herrgott laufen lassen, den kann er nimmer am Grips kriegen. Aber wie? du feuerfester, hageldichter, versicherter Mann, laß dich noch eine Weile beschauen. Wo hast du denn dein ewiges Heil versichert? Gelt, daran hast du noch nicht gedacht, das brauchst du nicht? Vielleicht glaubst du gar nicht an ein ewiges Leben, das gehört so zum Aufkläricht. Aber wart', es kommt die Stunde, und du liegst auf dem Schragen und röchelst schauerlich und schnappst nach Luft, der kalte Schweiß steht dir auf der Stirn. Kennst du das Gerippe? Es streckt die dürre Hand nach dir aus, o! wie schwer, wie zentnerschwer liegt's auf dir; du willst mit todesschweißiger Hand abwehren, du fassest die leere Luft. Ja, krümm' dich nur wie ein Wurm, bäum' dich wie ein Pferd, fort, fort, von hinnen mußt du, deine ganze versicherte Welt bleibt dahinten. Noch rollen die Schollen nicht auf deinem Leichenaas, und du stehst vor dem obersten Halsrichter, da geht's auch öffentlich und mündlich her, wie du so oft deinen Zeitungsheiligen nachgeschrieen hast, das ist der letzte Zahltag: wo hast denn deine Papiere, deine Versicherungen? Guck, da ist ein ander Sparkassenbüchlein, da ist alles verzeichnet, die Rechnung stimmt, fast zum Verwundern. Jetzt hast's verspielt, du kommst ins Regiment, links vom Gottesgericht, und da ziehen sie dir eine feurige Uniform an, die sitzt dir wie angegossen, eine Schlange schnallt sich dir als Leibgurt um, Pech und Schwefel sengen dich und brennen dich und verzehren dich nicht. In die Hölle! in die Hölle zur ewigen Verdammnis fährst du, und drunten in deinem versicherten Hause ist's oft alleinig in stiller Nacht wie das Winseln von einer Seele, die drüben die ewige Ruhe nicht finden kann. Das Gebet deiner Kinder könnte dich erlösen und die Ewigkeit deiner Qualen kürzen. Hast du sie beten gelehrt? du hast sie – versichert.«

Mancher Blick hatte sich schon beim Beginn dieser Schilderung nach der Säule gewendet, wo ein Mann feststand wie der Stein hinter ihm, aber die Blicke glitten wieder ab, und jetzt fuhr der Pfarrer fort:

»Geliebte in dem Herren! Ich sage euch laut und deutlich, ich habe niemand gemeint, ich kenne niemand, der solchen Herzens ist, aber jeder frage sich, ob er nicht schon im Geiste den Weg betreten, so zu werden. Fern sei es auch von mir, euch davon abzuhalten, euer zeitlich Gut zu wahren, aber alles ist Tand und Staub und Moder. Und gäbet ihr mit eurem zeitlichen Gut Wohlthaten und Geschenke wie Sand am Meere, verflogen ist's, fehlt euch der Glaube. Wahret euer Gut, soviel ihr könnet, aber die einzige Versicherung ist dem, der da bauet auf dem Fels, der da ist der Glaube, der schüttert nicht und splittert nicht und stehet fest ohne Wanken. Und wenn rings umher deine Saaten das Wetter knickt, der Glaube richtet dich auf; du stehest fest wie ein Fels, und Lobgesänge schallen aus deinem Munde. – Aber sei nur kein windelweicher, auszehriger, naßkalter Tropf, eher noch ein grundmäßiger Heide, wie der versicherte Mann, den mag der Herr noch in seine Zange fassen, schmieden und schweißen. Laß es nicht von dir heißen: du bist nicht kalt und nicht warm, du bist lau, darum werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. – Eure Saaten sind geknickt, Not und Jammer steht euch bevor. Warum? Warum frage ich euch, hat der Herr seinen Wettern befohlen, daß sie herniederfahren und euch züchtigen? Ihr habt sein vergessen in eurem Taumel, gottverlassen ruht auf jedem von euch tausendfältige Todesschuld. Darum . . . .«

»Das ist schandmäßiger Lug und Trug!« erscholl plötzlich eine Stimme aus der Gemeinde.

Hat die Säule dort gesprochen? Dringen Worte aus dem starren Stein?

Es wäre nicht wunderbarer, als daß eine Stimme aus der Gemeinde es wagte, sich hier zum Widerspruche zu erheben.

Die Blicke aller richteten sich nach der Säule dort, wo Luzian stand, ein Lichtstrahl fiel gerade auf sein Antlitz, auf dem ein wundersamer Glanz schimmerte: er blickte in die Sonne, und seine Wimper zuckte nicht, dann schweifte sein Auge über die Versammlung hin, als wäre sie untergesunken, als suche und finde sein Blick etwas, das über den Häuptern der Menschen um ihn her schwebte. Eine Weile herrschte Totenstille, man hörte das Picken der Turmuhr, es war wie der laute Herzschlag der ganzen Kirche.

Jetzt rief der Pfarrer: »Wer hat es gewagt, das Wort des Herrn hier zu schänden?«

»Ich!« rief Luzian und legte die zitternden Hände fest auf das Herz, das ihm zu springen drohte.

»Sind eure Hände lahm? vom Satan gebunden?« rief der Pfarrer, »daß sie sich nicht erheben, um das Heiligtum von dem gottesleugnerischen Aase zu säubern?«

Ein Tumult entstand in der Gemeinde; es ließ sich nicht ahnen und bestimmen, was daraus werden sollte.

»Kommt her!« rief Luzian und streckte seine Arme weit aus, aber seine Hände waren nicht zum Segnen ausgebreitet, seine Fäuste ballten sich, »kommt her! Glaubt nicht, daß ich mich binden lasse, wie ein geduldig Lamm. Gott ist in mir, ich zerbreche die Hand, die sich nach mir ausstreckt.«

»Soll der Gotteslästerer noch länger das Heiligtum entweihen?« schrie der Pfarrer schäumend vor Wut.

Die Gemeinde war wie erstarrt, und Luzian sprach mit ruhiger, weithin vernehmlicher Stimme:

»Ja, ich muß reden, und wenn man mich jetzt auf den Scheiterhaufen legt, ich muß. Du Gesalbter da oben, du schmähest Gott und die Menschen, ich will nicht teilhaben an deiner Sünde. Hört auf mich, Brüder und Schwestern! Ich bin kein Weiser, aber ich weiß: Gott ist die Liebe, Gott lebt in uns, und schickt er Wetter und Unheil, so thun wir uns zusammen und teilen miteinander, und keiner hat sich zu schämen, die Gaben zu empfangen, und keiner darf hart sein, sie zu weigern. Du da oben, du willst wissen, warum Gott durch das Wetter unsre Felder verhagelt hat! Weil wir schlecht sind? Sind wir schlechter als alle unsre Nachbardörfer? Gott ist die Liebe, Gott ist in mir, und die Liebe ist in mir, für euch, und ich will jetzt sterben. Die Hölle ist nur in dir da oben und in allen wie du . . .«

»Du bist verdammt und verflucht in Ewigkeit!« schrie der Pfarrer und stieg die Kanzel herab.

Der Gottesdienst war zu Ende, die ganze Gemeinde schwirrte durcheinander. Luzian ging festen Schrittes der Thüre zu, alles wich vor ihm zurück, aber wie mit wunderbarer Kraft erhob sich die Ahne, faßte seine Hand und schritt so kräftig neben ihm her wie seit Jahren nicht. Sie gingen still heimwärts, und dort sah sie den Luzian zum erstenmal in seinem Leben weinen und laut schluchzen wie ein Kind.

Die Ahne wußte gar nicht, was sie beginnen sollte, sie lief kopfschüttelnd im Zimmer umher, drückte an allen Fenstern. ob sie auch fest zu seien, und jagte zuletzt die Katze, die hinterm Ofen saß, zur Thür hinaus; auch sie sollte nicht hören, daß der starke Mann weinte.

Luzian saß da, er hatte die Hand auf den Tisch gelegt und das Antlitz darauf verborgen.

»Meinst du nicht auch?« tröstete die Ahne, »wenn der Kaiser Joseph nicht vergiftet wär' und er hätt' das Leben noch, der thät' den jungen Pfarrer da ins Zuchthaus schicken? Nicht wahr?«

»Freilich,« sagte Luzian und schaute lächelnd auf.


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