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Moritz Eisenhart war mit seiner Frau und Tochter und seinem Freunde, wie er Dorn zu nennen pflegte, nun schon seit einigen Wochen in Häringsdorf, badete jeden Morgen in der See, nahm ein der zehrenden Seeluft entsprechendes Frühstück ein, schlief bis zur Mittagszeit, aß dann an der Table d'Hôte, brachte den übrigen Tag in Müßiggang hin und langweilte sich schmählich, obgleich er sich Dorn zur Unterhaltung mitgebracht hatte.
Gleichgültig gegen Naturschönheit, zu bequem zum Spazierengehen, ein abgesagter Feind aller Lectüre, leichter wie ernster, höchst einseitig in der Unterhaltung, blieb ihm wirklich nichts übrig als Langeweile, Schlaf, üble Laune, die sich oft in lautem Raisonniren Luft machte. Elisabeth klagte eines Tages bitter gegen Dorn darüber. Ihr Mann war dabei und ihre Klage in einen Scherz eingekleidet, den dieser für baare Münze nahm, aus dem Dorn's feines Ohr aber den bittern Ernst heraushörte.
»Wenn ich nicht einmal schimpfen soll, was bleibt mir dann noch übrig?« sagte Eisenhart. »Hätte ich gewußt, wie es hier ist, nicht zehn Pferde hätten mich nach Häringsdorf gebracht. Beschäftigung habe ich nicht, zum Vergnügen fehlt jede Gelegenheit, und baden, essen und schlafen füllen doch nicht den ganzen Tag aus!«
»Wenn Du nur ein wenig mehr Sinn für die Natur hättest!« wandte Elisabeth ein.
»Den habe ich,« behauptete Moritz, »aber wie kann man denn hier dazu kommen, sich der Natur zu freuen, und was bietet sie denn auch Viel an Abwechselung? Wald, Wasser und Sand, das ist Alles. An der See immer dasselbe eintönige Wellengebrumme, ich weiß es schon auswendig, und dabei Sand, daß man bis an die Knöchel versinken könnte und müde wird, wenn man zwei Schritte gegangen ist, im Walde muß man sich mit den Mücken herumschlagen, und wenn man sich müde und matt gelaufen hat, findet man höchstens eine elende Birkenbank, auf der man ausruhen kann. Ja, wenn die Leute noch so vernünftig wären, Kaffeehäuser da hinein zu bauen, dann wüßte man doch wenigstens, wozu man sich die Mühe macht in den Wald zu gehen.«
»Du bist ein prosaischer Mensch!« seufzte Elisabeth.
»Ja, Gott sei Dank, das bin ich! Freund Dorn, nimm mir's nicht übel,« sagte Moritz, der in seiner Intimität mit Dorn schon so weit vorgeschritten war, das steifere Sie mit dem brüderlichen Du zu vertauschen, obgleich Dorn's innerstes Gefühl sich sehr gegen eine solche Vertraulichkeit sträubte, die er zwar selbst halb und halb angebahnt hatte, die ihm aber bei längerer und genauerer Bekanntschaft mit Eisenhart immer unerträglicher wurde, wenn er sie auch um Elisabeth's willen zu dulden entschlossen war. »Nimm mir's nicht übel,« fuhr Eisenhart fort, »daß ich froh bin, nicht ein Poet zu sein wie Du. Die prosaischen Leute kommen immer am weitesten in der Welt.«
»Sie langweilen sich nur manchmal,« wandte Elisabeth ein.
Moritz lachte.
»Und langweilen auch Andere,« fuhr sie fort.
Er lachte nur noch stärker.
»In Wahrheit, Dein Mißmuth verleidet mir den ganzen Aufenthalt,« fuhr sie fort. »Ich finde es bezaubernd hier, ich fühle mich hier herzensfroh und glücklich; das Meer singt mir Lieder, über die ich die Welt vergesse, neugeborene Jugend steigt aus dem silbernen Schaum der Wellen empor, der Wald reicht mir einen berauschenden Trank duftiger, anmuthiger Poesie, ich vergesse die Bande, die ich zerreißen soll, aber dann kommst Du und brummst über die Hitze und die Langeweile und die Mückenstiche – und alle meine Luftschlösser stürzen ein!«
»Nein wirklich, Kindchen, macht Dir mein Unbehagen solche Sorge?« sagte Moritz, sehr erfreut über diesen Beweis seines Einflusses und doch gutmüthig genug, die niederschlagende Wirkung desselben zu bedauern, »na, laß Dich nicht stören in Deinen poetischen Genüssen. Dorn theilt sie ja, da mußt Du mich schon dabei entbehren können.«
»Du verdirbst mir aber Alles durch Deine üble Laune,« beharrte sie, »durch Dein Gähnen, Dein Schelten. Unzählige Male, wo ich es gern möchte, gehe ich nicht an den Strand oder nicht in den Wald, weil es Dich incommodirt.«
»Nein, mein gutes Kind, das soll nicht geschehen,« sagte er freundlich. »Genire Dich meinetwegen nicht. Geh nur spazieren, so oft Du willst. Laß Dich von Dorn begleiten, wenn Du siehst, daß ich keine Lust dazu habe. Der ist ja ein Poet und wird also auch die wunderlichen Dinge in Meer und Wald finden, die ein gewöhnlicher, vernünftiger Mensch nicht darin sehen kann.«
Elisabeth schwieg. Sie fügte der Aufforderung ihres Mannes kein ermuthigendes Wort für Dorn hinzu. Eisenhart schüttelte den Kopf.
Er warf einen Blick auf Dorn, der deutlicher als Worte aussprechen konnten sagte: sie mag Dich einmal nicht, ich kann Dir nicht helfen!
Dorn hatte sich mit keinem Wort in die Unterhaltung der Eheleute gemischt. Der dringende Wunsch, Elisabeth zu einem ungestörteren Genuß ihres romantischen Aufenthaltes zu verhelfen, beschäftigte ihn.
Auf einmal sagte er:
»Warum lebst Du hier wie ein Philister, wie ein Stettiner Kleinkrämer. Schüttle doch einmal den Kaufmann ab und lebe wie ein Dandy.«
»Mit wem?« fragte Eisenhart
Dorn beantwortete die Frage nicht, sondern sagte statt dessen:
»Ich habe eigentlich auch schon Lust gehabt, mich unter die lustigen Leute zu mischen, die sich den langen geschäftslosen Tag mit Pistolenschießen, mit Fahrten an der See, Spazierritten und dergleichen vertreiben, es ist nur, glaube ich, eine geschlossene Gesellschaft, wie kommt man da hinein?«
»Nichts leichter als das,« meinte Eisenhart, »wenn Unsereins Lust dazu hat.« –
»Und Geschick,« fügte Dorn hinzu.
»Geschick, wie so?« fragte Eisenhart.
»Nun, zu all' den Künsten, die sie treiben.«
»Bah!« machte Moritz mit einer Miene der Selbstüberschätzung.
»Ich habe schon daran gedacht, mir meine Pistolen zu verschreiben,« fuhr Dorn fort.
»Thu's, dann kannst Du sie mir borgen,« lachte Eisenhart. »Ich hätte eigentlich Lust, Dir zu zeigen, daß ich in jede geschlossene Gesellschaft hineinkomme und daß die gerühmten Künste mir nicht fremd sind. Ich bin meiner Zeit mehr gewesen, als ein Sonntagsreiter, und das Scheibenschießen – weshalb habe ich denn zur Schützengilde gehört?«
Dorn lächelte ungläubig, und Eisenhart's Eitelkeit brannte lichterloh.
Schon am nächsten Tage mischte er sich mit der ihm eigenthümlichen jovialen Unverschämtheit in die vorhin erwähnte Gesellschaft junger Leute, aus den heterogensten Elementen bestehend, die durchaus nichts gegen das neue Mitglied einzuwenden hatten und sich ihm schneller befreundeten als dem exclusiveren Dorn.
Nicht vierzehn Tage waren vergangen, so hatte Moritz seine Ansicht von dem Badeaufenthalt vollständig geändert, da verdarb seine üble Laune nicht mehr Elisabeth's Freude an dem Stillleben im Walde, war sie den größten Theil des Tages von seiner lästigen Gesellschaft befreit und dankte Dorn im tiefsten Herzen dafür.
Letzterer gratulirte sich zu dem gelungenen Manöver. Es hatte aber noch eine Folge, die er nicht vorausgesehen und die verhängnißvoll für ihn wie für Elisabeth werden sollte.
Seit Eisenhart in einer besser für ihn passenden Gesellschaft, als Dorn sie ihm gewähren konnte, untergebracht war, fing er an diesen anderweitig zu benutzen.
Es paßte ihm sehr gut, Jemand zu haben, der anstatt seiner Elisabeth von der Table d'Hôte heim geleitete, der ihren Führer durch den Wald machte, ihr vorlas und ihm somit die Mühe ersparte, sich speciell um die Unterhaltung seiner Frau zu kümmern.
An eine Gefahr dachte er nicht, ja, dachte er überhaupt an etwas Anderes als an seinen eigenen Vortheil dabei, so betrachtete er es eher als ein gutes Mittel, Elisabeth von ihrem ungerechten Vorurtheil gegen Dorn zu heilen.
So ging er denn seinen Vergnügungen nach und überließ Dorn mehr und mehr die Mühe, seine Frau zu unterhalten, und so sehr sich jener auch anfangs zurückhielt, der Zug des Herzens riß ihn immer mehr über jede Bedenklichkeit fort, um so mehr, als er die eigentliche Natur seiner Empfindungen mißverstand und als die Rücksichten, die er nehmen zu müssen glaubte, mehr solche des äußeren Anstandes und der Sitte waren. Aber auch diese schwanden, er wurde der unzertrennliche Gefährte Elisabeth's, und ihr Zusammensein durch Niemand gestört als durch Flora.
Er wartete schon in den Dünen auf sie, wenn sie vom Bade kam, und dann gingen sie weit den Strand hinunter, suchten Schatten und Einsamkeit unter einem grünen Tannengebüsch oder dem überhängenden Laubdach einer der Weiden, die das anmuthige Ufer zieren, und dann las er ihr seine Bücher vor, während Flora mit Sand und Muscheln spielte, das Meer vor ihnen sang und rauschte, im bunten Spiel wechselnder Farben vor den entzückenden Augen Elisabeth's aufleuchtete und der Sonnenstrahl sich tausendfältig in den Wellen brach. Seine Bücher las er ihr vor: Blüthen, vom Baum seiner Jugend gepflückt, Blüthen, die sie hatte keimen und sich entfalten sehen, wand er für sie zum Kranz, Thränen, deren Ursprung sie kannte, zu Perlen geworden, warf er ihr in den Schooß, vor ihren Augen ließ er den Quell hervorsprudeln, aus dem er den göttlichen Trank der Begeisterung geschöpft, als er ihr Antlitz einst in den Wellen sich spiegeln sah. Aus dem düstern Schooß der Vergangenheit stieg eine leuchtende Gegenwart empor, zum Theil bewußtlos empfunden, bewußtlos genossen.
So gingen die Tage dahin, so schlang sich das in der Jugend zerrissene Band wieder fester um die beiden Herzen, so leuchteten ihre Augen wieder in einander, und die Seelen wurden eins im offenen, ungestörten Austausch der Gedanken. Vergangene Träume wachten auf, erhöhten den Herzschlag Beider, berauschten die Phantasie, belebten erstorbene Wünsche und forderten das volle Jugendrecht der Wirklichkeit, an dem gleichwohl doch jeder Traum zerstiebt, wie die schäumende Meereswelle an schroffer Felswand.
Dorn meinte einen Freundschaftsbund zu flechten für die Ewigkeit – er steuerte offenen Auges und mit hoffendem Herzen auf die Klippe zu – Elisabeth wendete den Blick ab, ließ sich fortreißen von den sonnendurchstrahlten Wellen, dem schmeichelnden Gesang, dem flüsternden Rauschen, dem stürmischen Gebrause derselben, die Herzensangst vor der Gefahr des Strandens betäubend. Ein Strohhalm hielt sie über den Wogen: Dorn's Glaube an die freundschaftliche Natur ihrer und seiner Empfindungen; sie griff nach ihm, aber das Band war schwach, und Geisterhände zogen sie in die Tiefe, Geisterstimmen umbrausten sie im gewaltigen Chor, der Herrschermacht des Augenblicks huldigend, die Freude erhebend auf den Thron des Lebens und das Glück der flüchtigen Stunde hochstellend über die ungewisse, dunkle Zukunft.
Es konnte nicht fehlen, daß der fortgesetzte ungestörte Verkehr der beiden jungen Leute der allgemeinen Aufmerksamkeit nicht entging, daß scharfer Tadel die rücksichtslose Freiheit ihres Umganges geißelte, daß manches mitleidige Kopfschütteln dem unbedachten, betrogenen oder wohl gar gefälligen Ehemanne zu Theil wurde. Wie immer, wußten die am wenigsten davon, die doch täglich gewissermaßen zwischen den gezückten Dolchen der Medisance, der das Schlimmste voraussetzenden Bekrittelungssucht der Leute Spießruthen liefen, über deren Haupt das Schwert der Verleumdung an einem Haar hing.
Dorn war sich nicht einmal eines schuldvollen Gedankens bewußt, und Elisabeth lebte in einer Extase, die jede Bedenklichkeit gewaltsam zurückwies, sie jeder Urtheilskraft beraubte und sie jeden Augenblick zum Spielball des Schicksals, der eigenen Leidenschaft, ja, der Leidenschaften derer machen konnte, die gewissenlos genug gewesen wären, mit dem schwankenden Rohr zu spielen, um es nach Belieben zu biegen oder zu zerbrechen.
So standen die drei Leute zu einander und zu der Welt, als an demselben Tage, an dem niedrige Rachsucht, hämische Verleumdung Richard's Glück anzutasten wagte und sein eigenes Schuldbewußtsein ihm grausam half es in Trümmer zu stürzen, das Verhängniß auch den Beiden den Schleier zerriß, den der falsche Wahn des Einen und die Widerstandslosigkeit der Andern gewebt hatte.
Elisabeth war mit Flora ausgegangen, einen nothwendigen und von Tag zu Tag aufgeschobenen Besuch abzustatten, als Dorn kam, sie zu dem gewohnten Spaziergang abzuholen. Er fand Moritz allein zu Hause und zwar in übelster Laune. Obgleich dieser geglaubt, ganz mit seinen früheren Verbindungen abgeschlossen zu haben, hatten sich doch noch einige Nachzügler im Geschäft gefunden und machten eine abermalige Berechnung und Correspondenz nöthig. Seit Tagen die verdrießliche Angelegenheit wie einen Alp mit sich herumtragend, hatte er heute endlich den Entschluß gefaßt, sie zu erledigen, und deshalb seinen Aufenthalt im Gesellschaftshause abgekürzt. Er brummte und schimpfte über sein geplagtes Leben, das ihm nicht einmal die paar Wochen gänzlicher Freiheit gönne, raisonnirte über die Abwesenheit seiner Frau, die doch wisse, daß er zu thun habe, und dennoch nicht zur rechten Zeit wiedergekehrt sei, um Dorn zu empfangen und zu unterhalten, ließ sich aber dann bewegen, ruhig in seiner Arbeit fortzufahren.
»Setz Dich wenigstens hin und lies,« sagte er, »damit ich sehe, daß Du etwas zu thun hast und mich einstweilen entbehren kannst. Ich bin ein zu gutmüthiger Narr, ich bin im Stande, Alles stehen und liegen zu lassen, um Dir meine Gesellschaft nicht zu entziehen. Hier sind Bücher, meine Frau hat jeden Augenblick benutzt, wo ich beim Packen den Rücken wandte, um die Contrebande einzuschmuggeln. Es ist gut, daß auf den Dampfschiffen keine Ueberfracht bezahlt wird, mein Geldbeutel hätte sonst für ihre verwünschte Lesewuth die Zeche bezahlen müssen.«
Während er so sprach, warf er einen ganzen Arm voll Bücher, die er von einer an der Wand stehenden Commode genommen, vor dem lächelnden Dorn auf den Tisch.
»O, wir haben gewiß noch mehr,« fuhr er fort, öffnete die Schublade der Commode und holte noch einige dort sorgfältiger aufgehobene Exemplare hervor, die sich durch ihren zierlichen Einband als zur Privat-Bibliothek Elisabeth's gehörend auswiesen. Das schon öfter besprochene blaue Buch mit Goldschnitt war darunter. Moritz wies lachend auf dasselbe.
»Da sind die auserlesensten Bissen von der Geisteskost Elisabeth's darin,« bemerkte er spottend, »ich denke, es wird eine gewählte Zusammenstellung erhabenen Unsinns sein, zu fein für gewöhnliche Menschen wie ich, aber vielleicht finden sie vor den Augen des Dichters Gnade. Mir könnte Einer viel bieten, ehe ich hineinsähe, Dir macht es vielleicht Spaß.«
Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück; Dorn griff mechanisch nach dem Buche. Er war zerstreut, gedankenvoll. Ein paar Zeilen Adelens, die er kurz zuvor erhalten, hatten seltsame Gedanken in ihm erweckt, Gedanken, die mehr nach dem suchten, was sie gemeint haben könnte. Ihr Schreiben enthielt nur die dick unterstrichene Zeile: »Klar denken, wahr sprechen, mein Freund!« Was wollte sie mit dieser Mahnung an seinen Wahlspruch? was war denn in seinen Gedanken unklar geblieben, worin hatte er sich denn die Wahrheit verhehlt? Er schlug das Buch, das er in Händen hatte, auf, als könne er den Schlüssel des Räthsels in diesem finden. Es fiel ihm nicht ein, daß Eisenhart einen so tactlosen Verrath an den Mysterien seiner Frau üben könne; selbst als er das Buch öffnete und die beschriebenen Blätter sah, dachte er nichts Anderes als eine Blumenlese vor sich zu haben, wie sie empfängliche Gemüther gern auf dem Felde des Geistes sammeln, um sie vor dem Vergessenwerden zu schützen.
Die abgerissenen Sätze, die er zuerst las, entsprachen auch vollständig dieser Ansicht; sie verriethen durch ihren schwermüthigen Inhalt wohl die Sympathie der Schreiberin für ernste, trübe Lebensauffassung, daß sie die Frucht eigener Ansichten waren, trugen sie nicht gleich zur Schau.
Dorn las sie halb zerstreut; seine Gedanken weilten mehr bei Elisabeth, als bei dem, was sie hier geschrieben, ja, es fiel ihm kaum ein, ihrer Seele auf diesen Blättern begegnen zu können.
Da fiel sein Blick auf das Lied, das Elisabeth an jenem ersten Abend ihres Zusammentreffens geschrieben. Das darüberstehende Datum, tief in das Gedächtniß seines Herzens eingeprägt, machte ihn zuerst aufmerksam, dann las er die Strophen selbst. Eine Alltagsgeschichte waren sie überschrieben und lauteten wie folgt:
Es war ein zartes, war ein innig Band,
Das einst sich um zwei junge Herzen wand.
Er sagte nie zu ihr: ich hab Dich lieb,
Sie fragte nie, ob er ihr treu verblieb,
Doch schienen's Beide ganz genau zu wissen,
Daß Sterben leichter, als sich trennen müssen.
Wie's in der Welt so geht, die Zeit entrann,
Ach, was die Zeit nicht Alles ändern kann!
Die Blume blüht nur einen kurzen Tag,
Die Liebe welkt so mancher Blüthe nach,
Und was ein Herz nicht kann nach Jahren messen,
Das hat ein
and'res schnell und leicht vergessen.
Er sprach zu sich: vorüber ist der Traum,
Was einst mein Herz gehofft, ich fass' es kaum,
Was ist die Liebe denn als Phantasie?
Wir träumten Beide und empfanden nie! –
Sie sagte nichts, doch schien sie's noch zu wissen,
Daß Sterben leichter, als sich trennen müssen!
Dorn las das Lied zwei-, dreimal. Das Blut stieg ihm in die Schläfe, sein Herz klopfte, ein unheilvoller Lichtstrahl, zündend wie der Blitz, zerriß den Nebel vor seinen geistigen Augen. Jener Abend, an dem er Elisabeth zum ersten Mal wiedergesehen, trat lebendig vor seine Seele. Er erinnerte sich desselben genau, er wußte noch jedes Wort, das er, das sie gesprochen, rief sich die abweisende Miene zurück, die sie damals angenommen, die Kränkung, die er darüber empfunden, und die Worte, die er dann in verstellter Gleichgültigkeit gesagt. Nicht um sich für ihre Kälte zu rächen, sondern nur um sich vor noch verletzenderer Zurückweisung zu schützen, vor Allem, um die unzarten Anspielungen Eisenhart's abzuschneiden, hatte er auf einen tactlosen Scherz desselben in aufwallendem Unwillen erwidert: »Eine erste Liebe, was hat sie zu bedeuten, was ist sie denn anders als Phantasie? Man träumt von ihr, aber man empfindet sie nicht.« Und nun Elisabeth's Antwort auf diese harten, die schönste Zeit seiner Jugend vernichtenden, der heiligsten Gefühle spottenden Worte?
Sie sagte nichts – doch schien sie's noch zu wissen,
Daß Sterben leichter, als sich trennen müssen!
Immer und immer wiederholte er im Geist diese Worte, seine Augen starr auf die geschriebenen Zeilen gerichtet, bis die Buchstaben vor seinen umflorten Blicken tanzten und flimmerten und er zum ersten Mal fühlte, wie sein Fuß auf der unsichern Brücke schwankte, die über einen Abgrund in seinen erträumten Himmel reiner Freundschaft führte, wie der Schwindel ihn erfaßte und ihn herunterzureißen drohte, nahm er nicht alle Kraft zusammen, kehrte er nicht rasch und entschlossen um.
Umkehren – aber wie? –
Er wendete Blatt aufs Blatt in dem Buche um, das er in Händen hielt. Es waren nicht mehr abgerissene Sentenzen, die Früchte durcheinander geworfener Lectüre, die er vor sich sah, nicht die Proben geistigen Geschmackes oder eines für den Augenblick empfundenen Gefühls; es war eine Offenbarung inneren Lebens in zerrissenen Bildern, eine Geschichte des Herzens in einzelnen zusammenhangslosen aber verständlichen Zügen, Nachtgemälde in verschwommenen Farben aber dennoch von überzeugender Deutlichkeit.
Wie wurde ihm Elisabeth's Wesen auf einmal klar, wie versank auf einmal das blendende Traumbild der Freundschaft in Nacht, wie bebte sein Herz, als es sich zur Erkenntniß hindurchrang. Er sah, wie der Pfad endete, der nicht in den Himmel führte, er war entschlossen zur Umkehr, aber wie? – War es denn genug, die flehende Bitte zu erfüllen, die folgende Verse ihm entgegenhauchten?
O, gieb nie wieder mir die Hand!
Du kannst sie mir wie sonst nicht geben,
Wo schöner mir erschien das Leben
Beim sanften Drucke Deiner Hand.
O wende ab von mir den Blick!
Der alte Blick voll Lieb' und Treue
Ist's doch nicht mehr, drum fleh' auf's Neue
Ich: wende ab von mir den Blick!
Ich möchte nie, nie mehr Dich seh'n!
So anders wie in jenen Tagen,
Ach das ist schwer, zu schwer zu tragen,
Drum möcht' ich nie, nie mehr Dich seh'n:
Dann stehst Du vor mir noch wie sonst!
So lieb mir, wie in jenen Stunden,
Und was uns trennt, das ist entschwunden,
Und vor mir stehst Du noch wie sonst!
War denn das möglich und durfte das sein? So wie sonst durfte er nicht vor ihr stehen, auch nicht in Gedanken, weiter mußte die Kluft gerissen werden, noch weiter wie durch eine Trennung, die ein Beisammensein im Geist vermittelte. Er durfte nicht wie sonst vor ihr stehen, sie gefesselt, er frei! Gedankensünde war der Blick, der sehnend nach ihm hinschaute, Gedankensünde der bittere, qualvolle Schmerz, mit dem er auf einmal auf ihre Fesseln sah.
O, warum hatten sie denn nicht Freundschaft mit einander halten können? – Warum hatte er Unmögliches geträumt, Unmögliches versucht und sie und sich ebenso in den falschen Wahn der falschen Hoffnung verloren, als die reine Jugenderinnerung in den Staub des Unrechts gezogen. Es war ganz allein seine Schuld, es war darum auch seine Sache, zu retten was noch zu retten war, seine Sache, den Weg zu finden und ihn ihr zu zeigen, den sie Beide nun fortan wandeln mußten.
Er war schnell einig mit, sich über das, was ihm zu thun oblag. Es war kein neuer Entschluß, der sich aus seinen Selbstvorwürfen, aus seinen ihm plötzlich bewußt gewordenen leidenschaftlichen Gefühlen für Elisabeth, aus den bitteren Schmerzen seiner Seele emporrang, es war einer, den er einmal sogar schon ausgesprochen und der an der erfahrenen Zurückweisung nicht gestorben, der nur entschlummert und immer wieder erwacht, sogar zu verstärktem Leben erwacht war, bis sein Zusammensein mit Elisabeth ihn völlig in den Hintergrund gedrängt hatte.
Nun reiste der Entschluß plötzlich, aber Freude, wie er sie einst von ihm gehofft, brachte er nicht in seine Seele. Abschiedsempfindungen durchzitterten ihn. Er sehnte sich nach einem letzten offenen Wort, ehe er für immer von Elisabeth ging, und doch bebte er vor dem Wagniß zurück es auszusprechen. Er griff nach einem Auskunftsmittel. Er nahm einen Bleistift und schrieb in ihr Tagebuch:
Das ist Lieb' nicht, die in Sünden
Nacht in flammend Licht verkehrt!
Laß den Stern uns wiederfinden,
Der allein die Nacht verklärt.
Glüht er auch in weiter Ferne –
Hoch im goldnen Lichterkranz,
Ueber Millionen Sterne
Strahlt er hell in reinem Glanz.
Laß ihm nach uns Beide ziehen,
Fest im Wollen rein das Herz,
Jeden falschen Schimmer fliehen,
Der nicht deutet himmelwärts.
Und es wird uns leuchtend tagen
Jenes Morgens Flammenschein,
Wo das Leid, das wir getragen,
Uns der hellste Stern wird sein,
Unter dessen Strahlenkrone
Wir dereinst uns wiederseh'n,
Vor der ew'gen Allmacht Throne
Treu dann zu einander steh'n.
Als er die Verse geschrieben, machte er das Buch zu, verbarg es unter den anderen Büchern und erwartete in tiefes Nachsinnen verloren Elisabeth's Rückkehr.
Die Zeit, zu der sie sonst ihren Spaziergang anzutreten pflegten, war längst vorüber, als sie kam. Sie entschuldigte sich freundlich und fragte halb zagend, ob sie nun gar nicht gehen würden.
»Warum nicht?« sagte Moritz. »Geht in Gottes Namen und bleibt so lange Ihr wollt. Ich habe noch für ein paar Stunden zu thun, helfen könnt Ihr mir doch nicht, höchstens mich stören. Drum geht nur, geht und nehmt ja Flora mit.«
So gingen sie denn miteinander hinein in die dämmerige Waldeinsamkeit. Er, den Blick voll Sorge in die Zukunft gerichtet, gewaltsam bemüht, männliche Entschlüsse zur That reifen zu lassen, und dennoch zagend vor der Ausführung, sie, das Herz glühend der Gegenwart entgegenschlagend. Sie sprachen anfangs wenig miteinander.
Flora trug die Kosten der Unterhaltung. Sie hing an Dorn's Hand und hatte so viel zu fragen und zu erzählen, daß von keinem Gespräch zwischen Dorn und Elisabeth die Rede war.
Ihm war es lieb, denn es gab ihm Zeit sich zu sammeln; ihr, die in Gedanken an eine baldige Trennung für immer mit jedem Augenblick des Zusammenseins geizte, war das Geschwätz des Kindes unbeschreiblich lästig.
»Pflückst Du heut gar keine Blumen, Flora?« sagte sie, »wir werden oben auf der Höhe ankommen, wo Mama und Onkel Dorn sich immer ausruhen, Du wirst nichts haben, dem guten Papa einen Kranz zu winden.«
»Das ist wahr, Mamachen, der arme Papa ist zu Hause geblieben, ich muß ihm etwas mitbringen,« sagte die Kleine und ließ eilig Dorn's Hand los, die geschickt angeregte Idee zur Ausführung zu bringen und bei dem Geschäft des Blumenpflückens immer ein paar Schritte hinter dem vorangehenden Paar zurückbleibend.
Ein Lächeln der Befriedigung glitt über Elisabeth's Züge.
»Der heutige Nachmittag ist ein verlorener für mich gewesen,« begann sie zu Dorn gewendet; »was sind alte Bekannte doch oft für lästige Leute, am meisten solche, die sich für Freunde halten. Ich konnte nicht loskommen, so sehr es mich nach Hause zog, ich mußte die letzte Geschichte gewaltsam unterbrechen, sonst wäre noch eine allerletzte gekommen, und ich sah schon die Schatten des Abends niedersinken und Minute auf Minute von der uns zugemessenen Zeit des Spazierganges verrinnen. Gott sei Dank, daß Moritz heute seine Rechenexempel im Kopfe hat und uns unbeschränkten Urlaub gab. Ich lebe nur noch draußen, im Walde, an der See! Ich genieße die Augenblicke wie ein zum Tode Verurtheilter. Ich schließe die Augen vor dem Ende und berausche mich in jedem Athemzuge der süßen heimathlichen Luft. Wenn mir Jemand sagte, in vierzehn Tagen, in dem Augenblick, in dem Du hier fortgehst, stirbst Du – ich würde glücklich sein!«
»Elisabeth!« sagte Dorn erschrocken.
»Es wäre ein schneller Tod für einen langsamen,« entgegnete sie rasch, »denn die Heimath verlassen ist sterben. Die Heimath! Wie reich ist das Wort und wie arm kann es sein, wie viel bedeutet es und wie wenig! Ich habe bisher nie gedacht, daß ich eine Heimath hätte, jetzt fühle ich nur, daß ich sie verlassen muß! Ich fühle Todesqualen, wenn ich an die Trennung von hier, an die Zukunft denke!«
»Der Gedanke der Trennung ist vielleicht schwerer als die Trennung selbst,« wandte Dorn ein, der sich in ihre Aufregung hineingerissen fühlte und sie doch für sie und sich beschwichtigen wollte, »man fürchtet sich vor Allem, was noch in der Ferne droht. Das Gebot des Augenblickes unterdrückt aber die Furcht, und das vorwärts treibende Muß giebt uns die Kraft, das Unabwendbare zu tragen!«
»O, wissen auch Sie kein anderes Wort für mich als das Muß?« sagte Elisabeth halb schmerzlich, halb bitter. »Das Wort habe ich gehört von Kindheit an, Jeder rief es mir zu, wie ein Schwert hing es über mir und zwang mich immer mit gebücktem Haupt durch das Leben zu gehen. Ich hätte nicht übel Lust, mich einmal rücksichtslos aufzurichten und den Todesstoß zu empfangen. O, ich möchte nur einmal in meinem Leben nicht müssen, sondern wirklich wollen, nichts als wollen und in der Kraft dieses Willens glücklich sein! Ich bin nie länger als zehn Minuten glücklich gewesen, weil ich immer das thun mußte, was nicht glücklich macht. Ging es Ihnen ebenso?«
»Ich habe nicht immer gethan, was ich muß, weil ich das Gebot oft nicht richtig verstand, das doch meist auf den richtigen Weg deutet, wenn dieser auch ein mühseliger ist,« entgegnete Dorn, »aber ich habe mir vorgenommen, es fortan klar in's Auge zu fassen und das unabweisbar zu wollen, was ich muß.«
»Ach, Sie stellen schon moralische Betrachtungen über Recht und Unrecht an und wollen den Zwang zur Nothwendigkeit erheben,« spottete Elisabeth, »Sie sind mir ja schon weit voraus auf dem Wege zur Vollkommenheit.«
»Nicht doch,« sagte er, »denn die Ueberlegung bedeutet nicht halb so viel als der Instinct, als der unwillkürliche Zug nach dem Rechten, als die innere Nothwendigkeit, die Sie das Muß nennen und nur in der Aufregung des Augenblicks verkennen.«
»Ach nein,« rief sie, »die innere Nothwendigkeit zerbrach mir gerade immer an dem äußeren Zwang, und der Instinct vermochte nichts gegen die Dressur. Ich komme mir oft so zerstückelt, so gemißbraucht, so innerlich vernichtet vor, weil ich immer da habe gehen müssen, wo man mich hinstieß, daß ich die größte Lust hätte, einmal die Augen zu schließen und rücksichtslos geradeaus zu laufen, gleichviel wohin! Verzeihen Sie,« fuhr sie ruhiger fort, als sie Dorn's betrübte Miene sah, »ich muß mich manchmal aussprechen, und Sie sind der Einzige, gegen den ich es unumwunden kann. Sie verstehen mich, mein Mann versteht mich nicht, und ein Blatt Papier nehmen und die Gedanken aufschreiben, die uns zu ersticken drohen, wie ich es bisher gethan habe, ist doch nur ein elender Ersatz für einen Freund, der uns theilnehmend zuhört. – Sehen Sie,« fügte sie zutraulich hinzu, »ich bin doch sehr viel glücklicher, seit ich Sie wiedergesehen habe und wir Freunde sind. Sie werden auch mein Freund bleiben, selbst in der Ferne, nicht? Ich werde von Ihnen hören, Sie werden es mir beweisen, daß ich Ihnen mehr bin als eine flüchtige Bekanntschaft?«
»O Elisabeth!« sagte Dorn, »ich war eben im Begriff, das schönste Vorrecht der Freundschaft, das unumwundene Vertrauen in Anspruch zu nehmen; ich habe viel auf dem Herzen, was Sie vor Allem wissen müssen, aber Sie waren so erregt, so verstimmt, daß ich es nicht wagte zu sprechen, es um so weniger wagte, weil mich auch ein Muß treibt, das in Mißcredit bei Ihnen steht, und Sie mich eben auf eine Stufe mit denen stellten, die Sie durch dasselbe verletzt, gequält, unglücklich gemacht haben. Ich aber möchte Sie glücklich sehen, Elisabeth, glücklich und unabhängig von dem Weh, das Andere Ihnen zufügen können.«
»Sprechen Sie nur,« sagte sie mit unbeschreiblich anmuthiger Hingebung, »von Ihnen, der Sie es so gut mit mir meinen, kann ich Alles hören. Denken Sie nicht an das, was ich vorhin sagte, tragen Sie es mir nicht nach. Mitunter richtet die arme Gefangene sich gewaltsam auf und dann klirren die Ketten wohl auch einmal durch den mühsam niedergehaltenen Zorn wieder. Was hat der Klang weiter zu bedeuten? Sprechen Sie, sprechen Sie, mein Freund, Ihr Vertrauen macht mich frei!«
Sie hing sich zutraulich an seinen Arm, denn der Weg ging jetzt bergauf und es war schon Gewohnheit geworden, daß er sie auf diesem etwas beschwerlichen Pfade unterstützte, der, sich anmuthig durch dichtes Buchenlaub windend, kaum Raum für zwei nebeneinander gehende Personen gab und, durch diesen schmalen, oben fast geschlossenen Laubgang führend, plötzlich auf einem abgerundeten Plateau endete, das, ringsherum von Bäumen und Gebüschen begrenzt, doch eine reizende Fernsicht bot, während sich zu den Füßen der Obenstehenden eine im üppigsten Grün strahlende und gleichfalls vom Walde eingeschlossene Wiese ausbreitete.
»Ach, Mama, setzen wir uns oben wieder auf die Steine?« fragte Flora, eilig herzulaufend, als sie Dorn und Elisabeth in den ihr wohlbekannten Weg einbiegen sah.
»Ja, mein Kind, folge mir,« antwortete Elisabeth in der hastigen und raschen Weise, mit der man wohl lästige Frager abzufertigen pflegt.
»Mama, darf ich mir wohl ein paar Blaubeeren pflücken? Trägst Du mir wohl meine Blumen, Mama? Hast Du auch einen Faden mit, damit ich oben den Kranz machen kann?«
»Kind, mach' Dich nicht so lästig,« sagte Elisabeth ärgerlich. »Da, gieb die Blumen her! So, nun pflücke Dir Blaubeeren, aber geh voran oder bleibe wenigstens nicht so weit hinter uns. Vor Allem frage nicht so viel und laß uns ungestört. Du siehst ja, daß Onkel Dorn und ich miteinander zu sprechen haben.«
Mit diesen Worten schritt sie mit ihrem Begleiter weiter.
Flora blieb stehen und sah ihnen nach. Eine leicht erregte Empfindlichkeit zuckte um ihre Lippen.
»Ich habe Onkel Dorn gar nicht mehr so lieb,« sagte sie leise, ihm einen grollenden Blick nachsendend. Sie ging ein paar Schritte vorwärts, blieb aber dann wieder stehen.
»Ich kann ja auch nach Hause gehen,« sagte sie wieder, halb trotzig, halb betrübt, »ich kann allein gehen, und kann auch dem guten Papa Blaubeeren mitbringen, dem Onkel pflücke ich aber keine.«
Und den raschen Entschluß eben so rasch ausführend, wandte das Kind sich eilig um, eine Strecke denselben Weg zurücklaufend, den es soeben gekommen war; dann aber keck denselben verlassend, weil die Blaubeeren gar so verführerisch aus dem dunkeln Laube herauswinkten, hatte Flora bald das mitgenommene Körbchen vollgepflückt, es sich versagend auch nur eine davon zu kosten, und schlug dann den ersten besten der mannigfach verschlungenen und sich kreuzenden Waldpfade ein, in dem guten Glauben auf demselben zu sein, den sie schon oft mit der Mama und dem Onkel gegangen und von dem sie glaubte, daß er nirgends anders hinführen könne als nach Hause zum Papa.
Elisabeth hing mit athemloser Spannung an Dorn's Lippen, als dieser einen raschen Entschluß fassend sagte:
»Ich will mich verheirathen, Elisabeth!«
Er fühlte, wie sie zusammenzuckte, fuhr aber dessenungeachtet fort:
»Das Leben ist so entsetzlich leer und freudenarm, wenn man es allein durchwandern soll. Arbeit füllt es nicht aus, ja, jedes Streben, dem wir uns allein hingeben, jeder Erfolg, der nur uns zu Theil wird, macht uns die tiefe Lücke klar, die nur ein uns ganz zugehörendes Herz auszufüllen vermag.«
»Steht Ihnen denn ein solches Herz zu Gebote?« fragte sie je.
»Ich glaube, ja,« sagte er fest. »Ich habe Ihnen nie von Adele Stern erzählt,« fuhr er fort. »Sie ist meine Cousine. Ich kenne sie von Kindheit an. Sie war ein schönes, viel versprechendes Kind, sie wuchs zu einem warm empfindenden, reich begabten jungen Mädchen heran, dessen bewegliche Phantasie, dessen lebhafter Geist leicht hinzureißen waren, vielleicht auch leicht zu fesseln gewesen wären, hätte sich Jemand die Mühe gegeben, der üppig aufsprossenden Kraft ein schönes Ziel zu zeigen. Aber man ließ Alles in ihr wuchern, verwies sie auf sich selbst, und sie war bei allen schönen Anlagen doch eine zu unstete Natur, um ohne jegliche Anleitung das zu finden, was ihr hätte genügen können. Sie verlor sich nicht selbst in dem vergeblichen Suchen, aber sich zersplitternd in unklarer Sehnsucht, fand sie auch nicht einen Schimmer jener Glückseligkeit, zu der sie sich durch ihre tausendfach vor Anderen bevorzugten Lebensverhältnisse beansprucht glaubte.« –
Darf ich zu Ihnen sprechen wie zu mir selbst, meine theure Freundin?« begann Dorn nach einer kleinen Pause auf's Neue. »Sie müssen es mir gestatten, sonst würde mein Geständniß eine unverzeihliche Unzartheit enthalten, die ich nie vor Adelen verantworten könnte.«
»Sprechen Sie nur,« sagte Elisabeth kaum hörbar.
Er fuhr fort. »Als Adele und ich sehr jung waren, hatte ihr Vater sie für mich bestimmt. Sie wußte es nicht, sie liebte, mich auch nicht, dennoch glaube ich, daß ich damals ihr Herz hätte für mich gewinnen können. Ihre Phantasie war leicht zu begeistern, es gelang damals wenigstens schon den Anfängen meiner Dichtkunst. Phantasie und Herz hängen aber bei einem weiblichen Wesen eng zusammen. Auf mich wirkte es verstimmend, daß ich die Absicht ihres Vaters kannte. Es kam mir vor wie ein Eingriff in meine Freiheit. Ich stand ihr völlig frei gegenüber. Ich betrachtete sie wie eine Schwester. Mein Ideal war sie nicht, konnte sie nicht sein, das erkannte ich um so klarer, als ich mein Ideal fand und man mich in grausamer Willkür für immer aus dem Paradiese verstieß, als man jeden Schritt dahin zurück zu einem ehrlosen machte, jede Hoffnung in Schmach hüllte, jeden Wunsch erbarmungslos in den Staub trat. Die Selbstachtung des Mannes mußte über die Jünglingssehnsucht nach Glück, nach Liebe siegen, sie zerpflückte ihr wenigstens alle blühenden Kränze, riß sie waffenlos in den schweren Kampf, in dem Unterwerfung der einzige Sieg ist. – – Wie schwer mir diese wurde, wissen Sie, Elisabeth, Sie müssen es verstanden haben, wie tiefe Furchen der Schmerz in den Boden riß, in den die Muse das göttliche Samenkorn streute, um aus dem gesäeten Leid die Frucht neuen, unsterblichen Glückes emporzuziehen.
Gottes Sonne schien auf das Feld, die Saat war nicht verloren, die Ernte reich – und dennoch stand ich ihr arm gegenüber, denn ich hatte Niemand, den Schatz zu theilen. Die Welt ist nichts gegen ein Herz. Ich fühlte mich nicht unglücklich, Elisabeth, aber ich war auch nicht herzensfroh, ich vergaß es nur in Stunden der Extase, daß ich auf Erden keine Heimath hatte. Im Tempel der Musen giebt es wohl ein Glück im Schaffen, aber keins im Ausruhen, im Genießen, und wenn man sich die Frage vorlegt: wer freut sich deines Schaffens? befriedigt nur eine im engsten Maßstab gegebene Antwort das Herz, denn Alles, was über diesen hinausgeht, ist nur Befriedigung, die der Ehrgeiz genießt, die ihn stachelt und spornt. Man hat auch daran Freude, und zwar eine reine und edle Freude, man steigt auch daran innerlich empor, aber er füllt die Lücke nicht aus, die Herzenseinsamkeit in das Leben reißt. So war meine Stimmung, als ich Adelen wiedersah. Sie hatte geheirathet, ohne zu lieben, sie war Wittwe geworden, ohne daß der Tod ihres Mannes ihre Gedanken in das Jenseits gerissen. Ihr Leben war ein Irrthum gewesen. Sie suchte nicht mehr das Glück, sondern den Genuß, und hatte sie sich auch hierbei nicht verirrt, so hatte sie doch eben so wenig gefunden, was sie suchte. Aller Genuß, und sei es einer der edelsten Art, füllt nur die Minute aus und genügt auch für diese um so weniger, je leichter es uns gemacht wird ihn zu erringen.
Adele war vollständig blasirt, als ich sie wiedersah. Es machte ihr nichts mehr Freude und sie wußte auch nichts Neues mehr, was ihrem Leben Reiz zu geben im Stande sei. Damals schon fühlte ich, nicht die Sehnsucht, aber den Wunsch, sie aus diesem Versinken in die hohlste Oberflächlichkeit emporzuheben. Ich bot ihr ein Freundesherz, eine Freundeshand – und wurde zurückgewiesen.
Es war eine falsche Selbstständigkeit ihrerseits, die in der Hingabe an einen stärkeren Freund ein herabsetzendes Eingeständniß der Schwäche sah. Anders faßte ich ihre Zurückweisung nicht auf, und ohne meinen Wunsch zu erschüttern, schob ich die Erfüllung nur in die Ferne. Leidenschaftslos, wie ich ihr gegenüberstand, lag unser Verhältniß in wunderbarer Klarheit vor meinem geistigen Auge, und der Irrthum, der sie mir abgeneigt machte, demüthigte mich nicht. Wir blieben Freunde, blieben in schriftlicher Verbindung, bis ich sie in Wien wiedersah und sie mir, wie ich ihr, unentbehrlich wurde.
Sie kam mir vor wie ein Vogel im Käfig. Die angeborene Sehnsucht nach dem Fluge in die Höhe war noch da, der Drang nach Freiheit lebendig, aber die Flügel schlaff geworden durch vergebliches Flattern, denn immer, wenn sie empor wollte, stießen sie die Stäbe des in kurzsichtiger Verblendung selbstgewählten Kerkers zurück. Ich machte den Vogel frei, seitdem,« setzte Dorn mit gesenkter Stimme hinzu, »klingen mir seine Lieder in die Seele, seitdem lauschte ich dem Gesange, bemüht ihn zu deuten, seitdem starben die Töne und wachten wieder auf, bis ich seit heute weiß, daß ich sie nicht allein mit dem Ohr, daß ich sie mit dem Herzen hören muß, will ich nicht allen Boden unter den Füßen verlieren und mich selbst, sowie die beiden Wesen, die mir über Alles theuer sind, namenlos elend machen.
Adele hat ein schönes, reiches Herz,« fuhr er wieder entschlossener fort, »ihm fehlt nur ein Ziel, nur ein Führer. Ich fühlte es, wie sie sich auf mich stützte, wie sie sich selbst kennen lernte durch mich, wie sie ihre Lebensmüdigkeit abwarf, wie die Schwingen ihres Geistes wuchsen. Ich sah die abgespannten Züge sich beleben in neuer, aus der Seele heraus erblühender Jugend, sah ein warmes Herz sich wiederfinden, stark werden durch das erwachende Selbstbewußtsein und sich dennoch demüthig an das meine schmiegen.
Ich glaube, sie hat ihren Irrthum eingesehen, sie wird jetzt die Freundeshand nicht zurückweisen; daß ich sie ihr wieder und wieder zu geben willens war, daß ich ihr nur Zeit lassen wollte, weiß sie, muß sie wissen und glauben, und in diesem Glauben, zu dem ich ihr ein Recht gab, liegt zugleich die bindende Fessel für meine Zukunft.
Ich habe Adele immer lieb gehabt, sie wurde mir allmählich sehr theuer. Sie ist es mir noch, obgleich ich, seit ich von ihr ging, wieder lebhafter als je empfunden habe, welch ein anderes Gefühl mich zu ihr zieht als das war, das mich einst mit glühender Sehnsucht in flammender Anbetung zu Deinen Füßen, Elisabeth, niederwarf. So habe ich sie nie geliebt und so werde ich sie nie lieben. Ja, tief beschämt und in reuiger Erkenntniß meiner schwachen menschlichen Natur muß ich es bekennen – ich hatte sie beinah vergessen, hatte weit in die Ferne geschoben, was ich mir als neues, als nahes Ziel gesteckt, und dem vollen Zauber einer, aus der Nacht der Vergangenheit emporsteigenden Erinnerung hingegeben, versanken alle Träume der Zukunft und das Glück Deiner Freundschaft überstrahlte jede neu angefachte Lebenshoffnung. Es war unrecht, Elisabeth, es war ein Trug, ein Wahn. Nennen wir es heut Freundschaft, das Gefühl, das uns zu einander zieht, morgen ist es vielleicht schon eine dämonische Gewalt, die uns die Sinne verwirrt und in wahnsinniger Verblendung Unrecht über Recht triumphiren läßt. Wir haben uns Beide einst sehr geliebt, zu sehr, um es vergessen zu können, wir sind Beide noch zu jung zur ruhigen, besonnenen Freundschaft; Elisabeth, Du bist vor Gott, ich vor meinem Gewissen verpflichtet, andere Bande in Ehren zu tragen, verzeih mir die Vermessenheit, mit der ich Dich zur Freundschaft zwang, als Du mich in richtiger Erkenntniß unserer Verhältnisse kalt in die Grenzen eines fern stehenden Bekannten zurückwiesest, verzeih es mir, daß ich Dir heut die abgetrotzte Gabe zurückgebe, daß ich gehe und Dich ärmer zurücklasse als bisher.«
Sie hatten während Dorn so sprach die Anhöhe erreicht. Halbe Dämmerung umfing sie, denn kein Strahl der sinkenden Sonne reichte mehr hinauf und die dichten Bäume vertieften den Schatten des Abends. Elisabeth zog ihren Arm aus dem Dorn's und sank auf einen der Steine, die nebeneinandergerückt eine moosbedeckte Ruhebank bildeten. Sie war nicht gleich im Stande zu sprechen, ihre Athemzüge waren so rasch und kurz wie bei Jemand, der von eiligem Gehen erschöpft ist, sie lehnte das Haupt gegen den Stamm einer Buche und sah Dorn, der vor ihr stand, mit umflorten, verschwimmenden Blicken an.
Keiner von Beiden bemerkte, daß sie nicht allein waren, daß seitwärts von dem Stein, auf den Elisabeth hingesunken, durch einen mit dichten rothen Blüthen bedeckten Dornstrauch vor ihnen verborgen, ein einsamer Jägersmann auf einem Baumstumpf saß, mit beiden Händen auf sein Gewehr gestützt, die Augen aus den Boden geheftet, in tiefe Gedanken verloren. Er hatte weder die Kommenden gesehen, noch erweckte ihn das anfänglich mit leiser Stimme gewechselte Gespräch aus seinem Nachsinnen.
»Sie sind sehr klug, sehr besonnen, Herr Dorn,« sagte Elisabeth, »ich habe es mit lauter verständigen Leuten zu thun, habe es immer mit solchen zu thun gehabt. Meine Mutter war ein Muster von Verstand und Ueberlegung, mein Mann ist die praktische Vernunft selbst, und Sie – nun, wen Gott liebt, dem bescheert er einen ruhigen Freund. Gott muß mich wohl sehr lieben.«
»Elisabeth,« unterbrach Dorn sie schmerzlich, »füge doch nicht Bitterkeit zum unabwendbaren Leid, laß uns doch kraftvoll, mit freudiger Ergebung das thun, was geschehen muß!«
»Da wieder das Muß, dieser Fluch meines Lebens,« fuhr Elisabeth fort, aufstehend und mit gedämpftem Tone, aber mit tiefer Leidenschaftlichkeit sprechend, »ich will nicht müssen, nur einmal will ich es nicht. Gebunden in allem Thun, zurückgedrängt in jedem Streben, verarmt an jeder Hoffnung, jeden Anspruches beraubt durch das tödtliche Wurfgeschoß des Muß, das mir ein Jeder, Freund und Feind, zuwirft, will ich wenigstens einmal mit der einzigen Waffe, die man mir nicht nahm, mit dem in Verzweiflung nach Freiheit ringenden Wort das elende Gebot zurückwerfen. Muß ich Alles hingeben, was das Leben schön und reizend macht, muß ich mich jedem Gebot fügen, muß ich mich von Jedem verrathen, von Jedem der Nothwendigkeit opfern lassen, so will ich es doch nicht mit lachender Miene, will nicht mein blutendes, gequältes Herz hinter der Larve verbergen, die die Ergebung bedeutet, die ich Lüge nenne. Ich will wenigstens einmal sagen, was ich empfinde, mag es recht, mag es unrecht sein, mag es die Sitte verwerfen, mag Deine Vernunft es tadeln oder nicht, mir ist Alles gleich. So höre es denn, Waldemar Dorn, höre es, himmlischer Vater über mir, höre es Jeder, der es will, ich liebe Dich, Waldemar! Ich habe Dich immer geliebt, ich will Dich immer lieben, ich zertrete das eiserne Muß der Vernunft, sie hat nichts mit meinem Herzen zu thun, denn eine erste Liebe vergißt sich nicht, eine übernommene Pflicht löscht sie nicht aus, wer wahrhaftig geliebt hat, liebt in Ewigkeit, und wer das Gefühl erstorben wähnt, hat es nie empfunden oder setzt heuchlerisch eine kalte Moral in die unveräußerlichen Rechte des Herzens ein.«
Sie hatte den Schluß ihrer Rede mit erhobener Stimme gesprochen, und der Name Waldemar Dorn tönte schallend durch die tiefe Stille.
Der Jäger sprang auf, als er ihn hörte, aber wie gebannt blieb er stehen, als er die schöne, vor Leidenschaft glühende Frau sah, als das unbedachte, vom Trotz der Verzweiflung erpreßte Geständniß sein Ohr erreichte.
Er stand unbeweglich, Leichenblässe auf dem Antlitz, starr den Blick auf Elisabeth geheftet, eben so wenig darauf bedacht sich zu verbergen, als daran denkend, ob es recht sei stehen zu bleiben und unberufener Zeuge einer solchen Scene zu sein.
»Elisabeth!« sagte Dorn, in dem Tone, mit dem er ihren Namen aussprach, die schmerzlichste Erschütterung verrathend.
»Elisabeth,« wiederholte der Jäger flüsternd, mit zusammengebissenen Zähnen, zusammenzuckend, als treffe ihn eine tödtliche Waffe.
»Bei Gott, ich habe Dich geliebt!« betheuerte Dorn.
»Hast Du?« unterbrach sie ihn in noch leidenschaftlicherer Erregung, »hast Du? Dann liebst Du auch noch, denn ich sage Dir, es giebt nur eine Liebe, und wenn Du tausendmal denkst und es sagst, Du willst mich nicht lieben, Du wirst es müssen! Hier nimm meine Hand, höre mein Geständniß, sieh mich an, denke an meine und Deine Jugendzeit, an das Gefühl, das uns zu einander zog, und versuche es, mich nicht mehr lieben zu wollen.«
Dorn folgte mit athemloser Spannung ihren Worten. Ihre Hand ergriff er nicht, aber sein Auge suchte flammend das ihre, und dann sein Gesicht in den Händen verbergend, stürzte er ihr plötzlich zu Füßen.
»O Gott, wie habe ich mich mein ganzes Leben nur nach einem Augenblick gesehnt, einem einzigen Augenblick, die Empfindungen meiner Seele frei ausströmen zu lassen,« fuhr Elisabeth in immer noch gesteigerter Extase fort. »Es weiß es Niemand was es heißt, von Kindheit an ein liebeathmendes Herz in sich verschließen zu müssen, bereit, seine kindlichen Opfer zu bringen, und immer verworfen, immer zurückgedrängt durch die eisigen Mienen und Worte der Mutter, durch sie seines ersten leuchtenden Zieles beraubt, durch sie gewaltsam auf eine falsche Bahn gestoßen, durch sie zu einem Leben der Entsagung, der Lüge verdammt und in nichts frei als in der Wahl zwischen Sünde und Elend zu sein. In wie düsterer Nacht auch Viele durch das Leben wandern müssen, auch in die tiefste hinein schaut Mutterliebe wie ein Stern, zu dem man nie vergebens um einen Lichtstrahl fleht, um den dunkeln Pfad zu erleuchten, nur mein Himmel ist ganz sternenlos, und das erste, heiligste Gefühl lernte ich mißachten!«
Ein schmerzliches Stöhnen mischte sich in ihre Worte, weder sie noch Dorn hörten es, sie fuhr fort:
»Sie hat uns Kindern das Vaterhaus zum Kerker gemacht; mein Bruder warf die Ketten ab, ein Mann kann sich selbst helfen, ich vertauschte sie nur mit anderen. Sie befahl mir den Tausch und ich war an das Gehorchen gewöhnt. Der Tyrannei war ich entflohen, aber eine Stätte für mein Herz fand ich nicht. Und wär's auch nur ein Traum, der Dich, Waldemar, in das strahlende Licht hüllt, in dem Dein Bild Tag und Nacht vor meiner gewaltsam in Banden gehaltenen Seele schwebt, ich würde lieber für den Traum sterben, als für die öde, reizlose, geistesarme Wirklichkeit leben, in der der alltägliche flache Sinn meines Mannes ein Genügen findet. – Aber Du bist kein Bild meiner Phantasie, Du bist wirklich so wie Du in meinen Träumen lebst, Du bist die Ergänzung meines Ichs, Du allein verstehst mich, Du würdest meinem Streben ein schönes Ziel, meiner Seele Raum geben zum freien Flug in die Höhe. Gott hat Dich für mich bestimmt und nur die Tyrannei riß mich von Deiner Seite. Dein Herz gehört mir wie Dir das meine, und nun willst auch Du die gewaltsam nach außen strömende Gluth zurückdrängen unter die Eisdecke zwingender Moral? Es soll geschehen, gewiß, ich selbst werde es thun, aber für eine in Druck und Zwang verlebte Jugend, für eine Zukunft in Ketten und Banden verlange ich nur einen Augenblick der Freiheit! Nur einen Augenblick will ich ich selber sein, will es von Dir hören, daß Du mich noch liebst wie keine Andere, will es Dir zujubeln noch einmal das unvergessene ›Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!‹ und dann mit diesem einen Augenblick überschwänglichen Reichthums das ganze übrige armselige Leben auszugleichen suchen!«
Der Strom, gewaltsam in seinem Lauf gehemmt durch künstliche ihm entgegengestellte Dämme, tritt auch wohl einmal schäumend und brausend über die engen Ufer hinaus, und die entfesselte Kraft seiner Wellen, für den langen Zwang sich schadlos haltend in ungebändigtem Toben, reißt besinnungslos in das Verderben, was sich ihm hemmend entgegenstellen will.
So auch brauste der Strom lange zurückgehaltener Gefühle in Elisabeth's Seele empor und riß Wall auf Wall nieder, den Rücksicht, Sitte, Moral, ja Weiblichkeit den Empfindungen der Weiblichkeit entgegenstellt, durch einen Augenblick schrankenloser Freiheit das edle Gut verhöhnend, dessen innerliches Recht behauptet werden kann, ohne rücksichtsloses Zertrümmern äußerer Schranken.
Die Leidenschaft ist blind, und nicht Jeder hat in jedem Augenblick die Kraft, den Strom zu dämmen oder ihm zu entfliehen.
Dorn hatte schon längst die Hände vom Gesicht genommen und das Haupt emporgehoben zu ihr, die in hinreißender, durch die entfesselte Gluth ihres Herzens neu belebter Schönheit vor ihm stand, auf deren Wangen purpurne Rosen brannten, in deren dunkeln Augensternen ein aufflammendes Licht der Schwärmerei das irdische Feuer verklärte – ihre letzten Worte rissen ihn aus seiner knieenden Stellung und starben dahin in dem leidenschaftlichen Kuß, mit dem auch er einen vergangenen Schmerz durch einen seligen, die Welt vergessenden und die Zukunft für nichts achtenden Augenblick auslöschte. Aber auch nur ein Augenblick verging ihnen in dem verbrecherischen, gefährlichen Rausch.
Der Ton eines brechenden Astes, laut durch die Waldstille tönend, schreckte sie auf; ein zweiter krachte und Schritte durchbrachen das Dickicht. Elisabeth fuhr aus Dorn's Umarmung empor, blieb aber, zitternd vor Erregung, auf seinen Arm gelehnt stehen, als Arnold aus dem Gebüsch heraus auf die Anhöhe trat, langsam dicht an dem Paar vorüberschritt, ohne Gruß, aber im Vorübergehen einen starren, ernsten, warnenden Blick auf Elisabeth heftend, der bei der marmornen Blässe seines Antlitzes, dem Ausdruck tiefer Melancholie, der auf demselben ausgeprägt war, und der steinernen Ruhe, die gewaltsam den inneren Sturm bezwang, eine fast unheimliche Wirkung übte.
Das Paar sah ihm schweigend nach.
»War das ein Mensch, war es ein Geist?« fragte Elisabeth leise, als der Jägersmann aus dem entgegengesetzten, abwärts führenden Pfade verschwand.
»Ihn sandte Gott!« dachte Dorn.
Plötzlich fuhr Elisabeth erschrocken auf und riß ihren Arm aus dem seinen.
»Wo ist Flora?« rief sie entsetzt, »hat das Kind uns gesehen, uns gehört?«
Der selige Augenblick, in dem sie sich frei geträumt von allen Banden des Lebens, gleichviel, wie man sie nennt, ob Pflicht, ob Sitte, ob Nothwendigkeit, der Augenblick, nach dem sie jahrelang vergebens geschmachtet, der die Vergangenheit vernichten, die Zukunft verklären sollte, war vorüber, und die entsetzte Frage der Mutter: »hat mein Kind mich in demselben belauscht?« war die erste Frucht desselben, das erste Zeugniß für die Berechtigung des Glückes der Freiheit, die sie hoch über jede Anforderung des Lebens gewähnt, die zu erringen sie jede Schranke niedergerissen hatte.
»Flora, Flora!« rief sie laut, aber die Frage verhallte ungehört. »Gott sei Dank, sie war nicht hier,« sagte Elisabeth, aber nun überfiel sie eine neue Angst, wo konnte das Kind dann sein?
»Sie ist gewiß unten geblieben,« beruhigte sie Dorn, »sie wollte ja einen Kranz für den Papa winden.«
»Nein, die Blumen gab sie mir, ich weiß nicht, wo ich sie ließ, sie werden meinen Händen entglitten sein, als ich mit Ihnen sprach,« antwortete Elisabeth ausweichend und eilte hastig den Pfad hinunter, den sie zusammen emporgestiegen. Dorn folgte eilig. Unten angekommen, holten sie den Jäger ein, dessen Erscheinen sie vorher so erschreckt hatte.
»Haben Sie vielleicht ein kleines Mädchen gesehen, mit rothen Wangen und schwarzen Locken, in weißem Kleid und hellem Strohhut?« fragte Elisabeth hastig.
Er verneinte. Sie stöhnte angstvoll.
»Ich habe noch mit ihr gesprochen, ehe wir die Anhöhe hinaufgingen,« sagte sie.
»Ist es lange her?« fragte der Förster.
»Ich weiß es nicht, ich glaube eine Ewigkeit,« entgegnete sie; »wir gingen sehr langsam den Weg hier hinauf, wie lange wir oben verweilten, ist mir nicht klar.«
»Sie beunruhigen sich unnützer Weise,« versuchte Dorn sie zu trösten. »Flora ist gewiß nicht weit, sie wird tiefer in das Dickicht gerathen sein, sie wird kommen, wenn sie ihren Namen hört.«
Er rief denselben laut schallend nach verschiedenen Richtungen hin, aber Alles blieb still im Walde.
»Vielleicht ist ihr die Zeit lang geworden und sie ist nach Hause gegangen,« wendete er sich dann an Elisabeth, »sie macht täglich diesen Weg mit uns, sie wird ihn nicht leicht verfehlen«.
»Ein Kind, und sich auf diesen Waldwegen zurechtfinden, wo einer so aussieht wie der andere und ein jeder wo anders hinführt!« entgegnete sie angstvoll; »sie kann sich verirrt haben, sie wird sich halb todt ängstigen – o, mein Gott! und wenn sie auf das Moor gerathen ist – erst neulich versank dort ein Mann!« Sie rang die Hände.
Arnold näherte sich rasch.
»Ich werde das Kind suchen,« sagte er hastig, »ich kenne den Wald genau, ich werde zuerst nach dem Moor gehen. Eilen Sie unterdeß nach Hause und sehen Sie zu, ob die Kleine dort angelangt ist. Wo nicht, bieten Sie Leute auf, den Wald zu durchstreifen. In das Moor zu gerathen ist die einzige Gefahr, die der Wald bietet, und das ist durch so dichtes Gestrüpp begrenzt, daß schwerlich ein Kind dorthin gelangt, aber die Kleine könnte sich ängstigen, besonders wenn es dunkler wird. Etwas Schlimmeres wird ihr nicht begegnen. Gehen Sie nur, gehen Sie nur rasch nach Hause,« fügte er abweisend hinzu, als Elisabeth ihm danken wollte, »ich werde das Meinige hier thun, sorgen Sie, daß von Ihrer Seite das Nöthige geschieht.«
»Aber wenn wir das Kind zu Hause vorfinden, bemühen Sie sich unnützer Weise,« bemerkte Dorn, »wie könnten wir Sie in diesem Fall benachrichtigen?«
»Ich werde, wenn ich diesen Theil des Waldes durchsucht habe, nach dem Dorfe kommen und mich nach dem Kinde erkundigen,« entgegnete Arnold.
»Ich bin überzeugt, es ist zu Hause,« behauptete Dorn, »wollen Sie im P...'schen Hôtel nach dem Kaufmann Eisenhart, oder vielmehr nach mir fragen, denn ich gehe nicht zur Ruhe, ehe ich Ihnen nicht Nachricht gegeben. Ich heiße Dorn, Waldemar Dorn.«
Arnold antwortete nur durch einen stummen Gruß und wendete sich zum Gehen; in beflügelter Eile setzten Dorn und Elisabeth ihren Weg fort.
Sie fanden Eisenhart in der unbehaglichsten Stimmung ihrer wartend, Flora war nicht bei ihm.
»Aber seid Ihr denn des Teufels, so zu schwatzen, daß Ihr nicht einmal auf das Kind Achtung geben könnt?« brauste Moritz auf, als er Elisabeth's in angstvoller Eile abgestatteten Bericht gehört. »Wenn eine Mutter bei dem Kinde ist, denkt man doch, es ist gut aufgehoben; ist der Kleinen etwas zugestoßen, ich sage Dir, Elisabeth, Du darfst mir für's Erste nichts wieder vor die Augen kommen, ich weiß nicht, was ich thun könnte!«
Elisabeth antwortete nicht, sie stand da, die Hände ringend, ein Bild der verzweifelnden Angst – ihre Augen folgten Dorn, der, noch ehe Eisenhart's heftige Worte ertönten, schon wieder fortgestürzt war, um weitere Nachforschungen zu veranlassen.
»Schilt mich nachher, strafe mich, wie ich's verdiene, mir ist Alles gleich, wenn nur Flora – –«
Sie brach in einen Thränenstrom aus, sie wollte fort, aber die Füße versagten ihr den Dienst, sie wäre hingefallen, hätte Moritz sie nicht in seinen Armen aufgefangen. Er trug sie auf's Sopha.
»Beruhige Dich nur,« sagte er gutmüthig, »es wird ja nicht so schlimm sein, die Kleine hat sich verlaufen, wir werden sie wiederfinden. Geschehen kann ihr nichts.«
»Sie kann im Moor versinken, sie kann krank werden, sterben vor Angst, man kann sie berauben, fortschleppen. O Gott, was läßt denn der Himmel nicht Alles zu, das Dasein Unschuldiger zu vergiften, warum sollte er denn anstehen, Schuldige zu strafen, wenn auch die Schuld nicht länger währte, als der Augenblick, der dazu hinriß!« rief Elisabeth aus.
»Ich bitte Dich, Elisabeth, beruhige Dich jetzt, ich kann sonst nicht fort, und ich muß fort, Flora zu suchen. Geschwätzigkeit und Leichtsinn sind keine Sünden, nimm Dir meine Drohung nicht gleich so zu Herzen,« bat Eisenhart freundlich.
»Deine? Nein, aber die des Himmels!« fuhr Elisabeth fort.
Eisenhart zuckte ungeduldig die Achseln, griff nach seiner Mütze und sagte: »Ich werde Dir Jemand schicken, der bei Dir bleibt, irgend einen Bekannten, ich muß fort.«
Elisabeth hing sich an seinen Arm.
»Ich gehe mit,« sagte sie, »ich bleibe nicht hier. Nachher kannst Du thun, was Du willst, mich verstoßen, Du hast zu Allem ein Recht, aber jetzt mußt Du mich mitnehmen. Ich werde Dich nicht hindern, ich habe Kraft!«
In der That schien sie ihre Kräfte wiedergewonnen zu haben, sie zog ihren Arm aus dem Eisenhart's und schritt mit eiligen Schritten neben ihm her, um ihm zu beweisen, daß sie nicht zusammenbrechen würde.
»Es wäre vernünftiger, Du bliebest hier,« sagte er, hatte aber doch nicht die Grausamkeit, sie dazu zu zwingen.
Sie fanden draußen das halbe Dorf in Bewegung. Dorn hatte eine Schaar der Fischersleute ausgebeten, den Wald zu durchsuchen. Die Geschichte von dem vermißten Kinde verbreitete sich wie ein Lauffeuer, Einzelne der Badegäste gesellten sich zu den Suchenden, Andere steuerten reichlich die unfruchtbare und doch wohlthätige Gabe des Mitleids zu der Besorgniß des Vaters und der Angst der Mutter, noch Andere streuten eine giftige Saat aus, indem sie Vermuthungen und Combinationen, die nahezu das Richtige trafen, rücksichtslos aussprachen. Man bedauerte im Allgemeinen den Vater mehr als die Mutter.
Stunden vergingen unter vergeblichem Suchen, mit der wachsenden Dunkelheit stiegen die Besorgnisse, denn sie vermehrten die Gefahren für das verirrte Kind, deren größte in dem Moor lag, über dessen grundloser, sumpfiger Tiefe sich der üppigste Graswuchs wie ein sammetner Teppich trügerisch ausbreitete, deren geringste in den Folgen der Angst oder in der aus der feuchten Nachtluft und Waldeskühle entspringenden Erkältung bestanden.
Nach dem Moor hin strömte denn auch zuerst die suchende Menge, die trotz Dorn's Bemühungen, ein bestimmtes System zu befolgen, ziemlich ordnungslos verfuhr. Aber weder dort, noch am Strande oder auf irgend einem der verborgenen Plätze des Waldes war eine Spur von dem Kinde zu finden. Mitternacht war vorüber, der Morgen graute, viele der Suchenden hatten die vergebliche Mühe aufgegeben, die einzige Ausbeute all' der Anstrengungen blieb der Blumenstrauß, den Flora ihrer Mutter gegeben und der den Händen derselben entglitten war, als die ungezügelte, wilde Leidenschaft sie in Dorn's Arme riß.
Man brachte ihr denselben, als ihr Mann die vor Erschöpfung und Angst Zusammensinkende auf seinen Armen in das Haus zurückgetragen und mit einer ihm sonst nicht eigenen Sorgfalt und Sanftmuth zu einem kurzen Ausruhen beredet hatte. Sie schrie laut auf, als sie die Blumen sah, die das unschuldige Kind ihr kurz vor dem Augenblick gegeben, in dem sie, die pflichtvergessene Mutter, für eine Secunde irdischen Glückes die höchste Blüthe der Weiblichkeit: Zartsinn, Sitte, stilles Dulden und ehrenfeste Treue zu Boden warf, wie jenen Strauß, den die Unschuld ihr anvertraute.
Welk, bestaubt, zerrissen verkündete er ihr zugleich ihre Schuld und ihre Strafe. Aus den todten Blumen stieg ein anderes, noch viel traurigeres Bild des Todes vor ihrem gestörten Geist empor, und vor dem Bilde vergaß sie jede Rücksicht der Klugheit, ja der Scham.
Wie vorher die Leidenschaft, raubte ihr jetzt Angst, Schuldbewußtsein, Reue alle Ueberlegung, und eine Natur, die in ohnmächtiger Hingabe an äußeren Zwang es nie gelernt hatte, sich innerlich und in wirklich kraftvoller Weise in Ordnung zu halten, verlor sich zum zweiten Mal in's Schrankenlose, als sie, der anwesenden Zeugen nicht achtend, plötzlich in glühendem Redestrom sich anklagte, den Tod Flora's verdient zu haben.
Moritz sah sie mitleidig an, die beiden Fischersleute, die ihr den Strauß gebracht, entfernten sich leise, einander bedenkliche Blicke zuwerfend.
Noch war Moritz weit davon entfernt, irgend einen Verdacht gegen seine Frau zu hegen, ja, er hatte es ihr vielleicht noch in keinem Augenblick seines Lebens so gezeigt, wie lieb er sie eigentlich hatte. Die Sorge um sie war fast noch größer als die um sein Kind, und die Angst, sie der peinlichen Aufregung, der Verzweiflung erliegen zu sehen, hatte schnell jeden Vorwurf zurückgedrängt, zu dem seine Rücksichtslosigkeit ihn sonst wohl leicht hinriß. Die Gefühle des Vaters, des Gatten hielten im Augenblick alle Rohheit im Bann, und während der ganzen durchwachten Nacht war Elisabeth der Gegenstand seiner zärtlichsten Aufmerksamkeit gewesen.
Auch jetzt erschöpfte er sich in Trostgründen, in liebevollen, wenn auch vielleicht ungeschickten Versuchen sie zu beruhigen, aber dieses neue, vortheilhafte Licht, in dem er sich zeigte, vergrößerte nur die Finsterniß ihrer Seele.
»Sei nicht freundlich gegen mich!« sagte sie in der höchsten Aufregung, »es macht meine Schuld nur tiefer, vergrößert nur meine Strafe. Ich will nicht, daß Du mich jetzt lieb hast, ich kann's nicht ertragen, ich habe es Dir noch nie so schlecht vergolten als gerade jetzt.«
Eisenhart stutzte.
»Was meinst Du, Elisabeth?« fragte er zitternd, »was bedeutet diese sinnlose Selbstanklage?«
Sie antwortete nicht, sie entriß ihm nur heftig die Hand, die er in der seinen festhielt, und verbarg ihr Gesicht in den Kissen des Sophas.
»Sprichst Du noch von einer andern Schuld als von der, auf das Kind nicht geachtet zu haben während des Geschwätzes mit Dorn?« fragte er gepreßt.
Sie schwieg, er faßte sie rauh bei der Hand und riß sie vom Sopha empor, fast ohne zu wissen was er that.
Unbeweglich stand sie vor ihm.
»Was sprachst Du mit Dorn? ich will es wissen!« fuhr er mit hartem Tone fort.
»Ich sagte ihm, daß ich ihn immer geliebt habe und liebten wolle, bis an meines Lebens Ende,« entgegnete sie tonlos.
»Das sagte er Dir, nicht Du ihm, Elisabeth! Dich verwirrt die Angst um Flora, Du weißt nicht, was Du sprichst. Er soll es aber büßen, der Schurke!« unterbrach Moritz sie, zitternd vor Aufregung.
»Nein, ich sagte es ihm,« wiederholte Elisabeth, »ich will meine Schuld nicht durch eine Lüge verdoppeln. Ich sagte es ihm. Ich weiß nicht, welcher Dämon mir das Wort aus dem innersten Herzen riß, aber einmal den Lippen entflohen, zündete es wie der Blitzstrahl und weckte seine Seele aus den Banden künstlichen Schlafes.«
Moritz starrte sie an; sein Gesicht war entstellt, seine Lippen bebten. Sie fuhr in einer fast an Wahnsinn grenzenden Extase fort:
»Er liebt mich auch, liebt mich noch wie sonst, sein Kuß« – sie sah plötzlich auf, mit geballten Händen stand ihr Mann vor ihr. – »Thu mir nichts, Moritz!« schrie sie, entsetzt zurückfahrend, »thu mir nichts, straft mich Gott nicht hart genug? Zahle ich nicht für den einen Kuß vielleicht mit meines Kindes Leben?«
Eisenhart wendete sich verächtlich von ihr ab und versuchte der Thür zuzugehen, aber die Füße versagten ihm den Dienst, ihm war zu Muth, als griffe eine eisige Hand nach seinem Herzen. Ihm schwindelte, er erhob, eine Stütze suchend, beide Hände, aber er griff nur in die leere Luft und stürzte dann mit einem dumpfen Aufschrei ohnmächtig zu Boden.
Ende des zweiten Bandes.