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Zehntes Capitel.


Elisabeth und Dorn sahen sich von da an häufig. Wie schon erwähnt, hatte der bevorstehende Abzug des Eisenhart'schen Ehepaares Veranlassung zu einer Reihe von Abschiedsfesten gegeben, die fast jeden Abend den Kreis ihrer Bekannten vereinigte, und da der Präsident Stern zu diesen gehörte, wurde auch Dorn als dessen Gast und Neffe dazugezogen. Er hatte also Zeit und Gelegenheit, Elisabeth's Herz für sein Freundschaftsbündniß zu erobern, aber es fiel ihm schwerer, als er gedacht. – Elisabeth wies jede Annäherung spröde zurück, verletzt und gekränkt durch die ruhige Sicherheit seines Benehmens, in der sie nur einen Beweis seines völlig erkalteten Herzens sah, und der sie so viel gleichgültige Freundlichkeit entgegenstellte, als sie nur immer aufzubringen vermochte. Moritz beobachtete sie anfänglich, aber das Resultat seiner Beobachtung war immer, daß er sich fröhlich die Hände rieb und triumphirend zu sich oder auch gelegentlich zu Elisabeth sagte:

»Den habe ich ausgestochen, gründlich ausgestochen! Wie sollte ich auch nicht? Man kann sich sehen lassen, wahrhaftig, das kann man! Und mehr Mittel als solch armer Hungerleider von Poet hat man glücklicher Weise auch noch!«

Es war übrigens nicht sehr geschickt, daß er durch solche und ähnliche Worte Elisabeth anregte, Vergleiche anzustellen. Sie fielen nicht günstig für ihn aus. Dorn's äußere Erscheinung hatte nichts Hervorstechendes, aber seine Seele spiegelte sich in seinem Antlitz, und diese Seele schwebte hoch über allem Niedrigen und Gemeinen, während Eisenhart's plumpe, breite Gestalt einen Kopf trug, dem so viele platte, gewöhnliche Gedanken Ausdruck gaben, daß die Gutmüthigkeit, die immer als Lückenbüßer für edlere Eigenschaften gelten muß, selten einmal einen angenehmen Zug in die Gemeinheit seines Antlitzes hineinbrachte. Ohne daß Elisabeth es sich zugab, noch Raum in ihrem Herzen zur Liebe zu haben, hatte sie doch das Joch ihrer Ehe kaum je so drückend gefühlt. Sie war oft unsaglich traurig, obgleich sie sich alle Mühe gab es zu verbergen, aber es waren zwei alte und zwei sehr junge Augen im Hause, denen nicht leicht eine ihrer Stimmungen entging. Die Besitzerin der ersteren, die alte Dorothee, ahnte zu viel, um zu fragen, die Herrin der jungen Augen verleugnete ihr fragelustiges Alter nicht.

»Mamachen, was ist Dir?« fragte die kleine Flora einst zärtlich.

Da nahm sie dieselbe auf den Schooß und erzählte ihr, daß sie nun bald weit fortgingen, fort von allen Bekannten und Freunden, in ein Land, wo sie ganz fremd wären, wo nur Wenige ihre Sprache verständen. Sie erzählte ihr von der weiten Fahrt über's Meer, von dem öden Anblick der weiten Wasserfläche, beschrieb ihr die Stürme, die kommen könnten, die Gefahren, die ihrem Leben drohten.

Die Kleine hörte aufmerksam zu.

»Erzähle noch mehr, Mama,« bat sie, als jene schwieg, »das war eine hübsche Geschichte.«

Elisabeth schüttelte den Kopf. »Wie soll man sich Kindern verständlich machen!« dachte sie.

»Thut es Dir denn gar nicht weh, von hier fortzugehen, mein Kind?«

»Ja, Mama,« versicherte die Kleine mit ganz bedenklichem Gesicht, fügte dann aber gleich wieder erheitert hinzu: »wir kommen ja aber wieder, hat Papa gesagt!«

»Ja, aber wann?« sagte Elisabeth »Da werden viele Jahre vergehen, und dann sind die kleinen Mädchen, mit denen Du jetzt spielst, schon alle groß geworden!«

»Was schadet das denn?« fragte Flora.

»Dann kannst Du doch nie mehr mit ihnen spielen!« gab Elisabeth der Kleinen zu bedenken.

Flora schien auch wirklich tief darüber nachzusinnen, endlich fragte sie: »Darf man nicht mehr lustig sein, wenn man zu groß ist, um zu spielen?«

»Man darf es wohl, aber man kann es nicht,« war die Antwort.

Aber darüber lachte Flora.

»Ich werde schon lustig sein,« sagte sie zuversichtlich.

»Gott gebe es!« flüsterte die Mutter.

»Du auch, Mamachen, lache gleich 'mal!« bat die Kleine.

Elisabeth lächelte wehmüthig.

»Nein, so nicht,« sagte Flora ungeduldig, »das ist nicht gelacht, ich werde Dir's zeigen; so, Mama!« Und die Kleine lachte so herzlich, mit so silberhellem Tone, daß es Elisabeth unmöglich wurde, der Aufforderung zu widerstehen, ja, daß Moritz aus der Nebenstube herbeigelaufen kam, um an der Lustigkeit Theil zu nehmen.

»Papa, ich habe sie zum Lachen gebracht!« sagte Flora ganz stolz, »Mama dachte, sie könnte nicht lachen, aber sie kann es sehr gut, nicht wahr?«

»Was wird sie nicht können?« war die Antwort. »Ich wüßte nicht, wer lachen sollte, wenn sie es nicht könnte. Es geht nicht jeder Frau so gut, so Alles nach Wunsch.«

Moritz sprach aus voller Ueberzeugung. Elisabeth gab sich wenigstens Mühe, ihm zu glauben, und fast noch mehr Mühe, Dorn davon zu überzeugen. Sie war nie so freundlich gegen ihren Mann gewesen, als jetzt.

 

»Gott sei Dank, wir stehen einander sicher gegenüber,« dachte Dorn und näherte sich ihr nur noch freundlicher und wärmer, ohne jedoch dadurch ihre Zurückhaltung erschüttern zu können. Er konnte zuletzt den Zwang, den sie ihm dadurch auferlegte, nicht mehr ertragen. An den Gedanken, Elisabeth nie wiederzusehen, hatte er sein Herz gewöhnt, aber das war auch nicht so schwer, als seine Phantasie zu zwingen, sich an ihr entzaubertes Bild zu gewöhnen. Er sehnte sich nach einem Strahl bewußter Freundlichkeit aus ihren Augen, nach einem Wort, in dessen Tone das Herz durchklang; er wollte nicht die Larve, er wollte das wahre Antlitz der einst angebeteten Geliebten wiedersehen.

»Zerreißen Sie doch den Nebel, der uns umhüllt, und schaffen Sie uns einen klaren Tag!« bat er sie eines Abends, als sie wieder einmal in Gesellschaft zusammentrafen und es ihm gelungen war, durch geschicktes Einschieben seines Stuhles zwischen ihren und ihrer Nachbarin Platz sie ein wenig der Fensterecke zuzudrängen und einigermaßen zu isoliren. Sie erröthete, als es geschah, denn das kleine Manöver erinnerte sie an ein ähnliches, das er an jenem letzten, unvergeßlichen Abend in ihrer Eltern Hause vollführt, sie erröthete halb aus Zorn, halb aus Scham, aber dies Zeichen erregten Gefühls gab Dorn Muth, gewaltsam das Eis zu durchbrechen.

»Sie behandeln mich kalt und abweisend,« fuhr er fort, »oder, was noch empfindlicher ist, so gleichgültig, als lohne es sich nicht der Mühe, sich meiner auch nur zu erinnern. Sie haben noch nicht einmal gefragt: was hat das Leben Ihnen gebracht, was hat es Ihnen für innere und äußere Schätze erringen helfen, was ist aus Ihnen geworden? Sie haben noch nicht einmal gesagt: ich las Ihre Bücher, suchte Sie wiederzuerkennen und freute mich des Dichters, dessen Muse ich blieb, als –«

»Ich las Ihre Bücher nicht,« unterbrach sie ihn rasch, »ich will es aber jetzt thun.«

»Und warum geschah es bisher nicht?« fragte er.

»Es wird so viel geschrieben, und es ist doch unmöglich, Alles zu lesen,« entgegnete sie; »jetzt, da ich öfter mit Ihnen zusammen gewesen bin, wird es mich interessiren, Ihre Schriften kennen zu lernen. Bis dahin war mir Ihre Person so fremd. Sie sind wohl ein paarmal in meiner Mutter Hause gewesen, aber ich kann Sie aus jener Zeit doch kaum als einen guten Bekannten betrachten. Gute Bekannte oder vielmehr Freunde bleiben treu im Unglück!«

Dorn hörte mit äußerstem Erstaunen zu. Die Unfreundlichkeit, die in ihren ersten Worten lag, wurde vermischt durch den seltsamen Vorwurf, den der Schluß ihrer Rede enthielt, einen Vorwurf, von dem er einen Augenblick nicht wußte, ob Unwissenheit, ob Unschuld, ob Unzartheit ihn dictirte. Aber den letzten Gedanken wies er augenblicklich zurück, besonders als er sah, wie flammende Röthe dem so unbesonnen ausgesprochenen Vorwurf folgte.

»Wann glauben Sie denn, daß ich zum letzten Mal in Ihrem Hause war?« fragte er.

»O, das weiß ich zufällig noch genau,« entgegnete sie, sich gewaltsam zu einem gleichgültigen Tone zwingend, um sich die Aufregung nicht merken zu lassen, in die sie durch die gefährliche, unvorsichtiger Weise von ihr herbeigeführte Wendung des Gespräches versetzt worden war. »Es war ein musikalischer Abend, kurz vor meiner Verlobung. Ich war noch sehr jung und sehr ängstlich und blöde, und empfand also eine gewisse Dankbarkeit für Alle, die sich meiner Schüchternheit annahmen. Das thaten Sie damals sehr freundlich, und deshalb fiel es mir auf, daß Sie sich von dem Augenblick nicht mehr bei uns sehen ließen, um so mehr, als wir viel Unglück damals hatten, mein Vater plötzlich starb, und mein kleiner Bruder durch denselben Unfall, der jenen tödtete, auf das Krankenbett geworfen wurde. Es war eigentlich eine Zeit, in der gute Bekannte sich hätten bewähren können. Es fehlte sonst keiner von ihnen bei dem Begräbniß meines Vaters, Sie waren der Einzige«.

»So wissen Sie denn also nicht, was mich vertrieb?« fragte Dorn. »So haben Sie denn die ganze Zeit unserer Trennung von mir glauben müssen, ich sei ein verrätherischer, treuloser, leichtsinniger Mensch, der es gewagt, mit Ihrem unschuldigen, jungen Herzen zu spielen und mit einem Lebewohl auf ewig zu scheiden, sobald er des Spieles überdrüssig war, während ich doch nur der bittern Nothwendigkeit folgte, als ich meinem Paradies entfloh. Ich erkläre mir jetzt Ihre abweisende Kälte, ich verdenke es Ihnen nicht, daß Sie meine Schriften mit Verachtung behandelten, und doch – hätten Sie dieselben gelesen, Sie würden erkannt haben, daß ich nur Form und Wesen der Anbetung gewechselt, daß der Dichter sich huldigend vor dem Altar niederwarf, von dessen Stufen man mich gestoßen, als ich, die verborgensten Wünsche zu einem irdischen Recht erheben wollte. Nein, ich verdiene Ihre Nichtachtung nicht!«

»Ich hege keine Nichtachtung gegen Sie,« entgegnete Elisabeth verwirrt, »ich wollte Ihnen keinen Vorwurf machen, ich wollte nur dem Ihrigen begegnen. Es war nicht meine Absicht, Dinge in Anregung zu bringen, die, wenn sie nicht immer wesenlos waren, es doch jetzt in jedem Falle geworden sind. Wir wollen von der Vergangenheit nicht mehr sprechen.«

»Doch, noch einmal wollen wir von ihr sprechen,« beharrte Dorn, »und wir müssen Freunde sein, Elisabeth, und Freundschaft duldet keinen Schleier über dem Antlitz der Wahrheit. Warum Ihre Mutter es Ihnen verschwieg, welche Kluft ihr Wille zwischen uns riß, kann ich mir jetzt allerdings erklären. Sie kommt gern schnell zu ihrem Zweck, und der bittere Stachel ihrer Worte befreite sie eben so rasch von einem mißliebigen Bewerber um die Hand ihrer Tochter, als ihr Schweigen vielleicht ein Sporn für den leidenden Gehorsam ihres Opfers war. Ich werde Ihnen erzählen, warum ich, als Leid und Kummer Sie traf, sogar hinter denen zurückbleiben mußte, die Sie doch nur zu den guten Bekannten zählen, während ich mit ganz anderem Recht, ganz anderem Anspruch an Sie herangetreten war. Nein, Ihr guter Bekannter bin ich nie gewesen und will es auch jetzt nicht sein!«

Er erzählte ihr nun mit wenigen Worten die Begebenheit jener Nacht. Seine Erzählung warf eine zündende Fackel in den verborgenen Raum ihres Herzens, in den sie den Groll und die Bitterkeit über das herrische Thun ihrer Mutter verwiesen. Zu einer unkindlichen, wenn auch stummen Anklage loderte der leicht zu entzündende Stoff empor, und sie that nichts, die Flammen zu löschen, sie schürte sie nur noch mehr an, als sie dem Gedanken Raum gab, wie glücklich sie hätte werden können, wenn nicht die Mutter ihr Glück zertrümmerte, als sie im Stillen den unendlichen Segen, den das liebende Auge einer Mutter auf ihres Kindes Existenz herablächeln kann, mit dem kalten Strahl verglich, der sie nicht mit der Liebe, sondern mit der überlegenen Gewalt rücksichtslosen Willens den Weg geführt, der sie bis jetzt durch eine Wüste geleitet hatte, der sie von nun an vielleicht durch lauter Dornen weiter führen würde und zu welchem Ziel!

Auf Dorn's Erzählung sagte sie kein Wort; sie sah ihn nur mit einem flammenden Blick an, als wollte sie ihn auffordern, sich und sie für das verfehlte Geschick zu rächen. Aber die Flamme in ihrem Auge erlosch, als er mit inniger Herzlichkeit, jedoch ohne eine Spur jener Leidenschaft, die ihr Herz schlagen machte, fortfuhr:

»Sie sehen, es ist nicht nöthig, daß ein Schatten sich zwischen uns drängt, die Vergangenheit ist todt, muß todt für uns sein, da Sie heilige Herzenspflichten zu erfüllen haben und ich vielleicht bald ähnliche auf mich nehme.« Er seufzte leicht und fuhr dann fort. »Aber das darf uns doch Niemand wehren, daß wir das Todte verklärt auferstehen lassen? Ich meine, gleichgültig dürfen wir einander nicht gegenüberstehen; wir, die wir uns so klar, so schuldlos in's Auge blicken dürfen. Halten Sie nicht auch Freundschaft für eine schöne Erfüllung unseres Jugendtraumes?«

»Gewiß,« sagte sie, gewaltsam einen leichten Ton annehmend, »warum sollten wir nicht Freunde sein können! Es wird nur nicht sehr der Mühe lohnen, denn in wenigen Wochen ziehen wir von hier fort, und in nicht viel längerer Zeit wird Alles hinter mir liegen, was mich an die Heimath bindet. Dann muß doch Alles vergessen werden!«

»Oder vielleicht Alles doppelt festgehalten,« fuhr er fort; »was erst Eigenthum des Herzens geworden ist, folgt uns überall hin, macht uns überall glücklich. Jeder Augenblick, in der Gegenwart benutzt, ist ein Stein zum Gebäude der Zukunft.«

»Ja, und wenn das Gebäude fertig ist, stürzt es über unserm Kopfe zusammen und wir haben uns im besten Falle nichts gebaut, als ein Mausoleum unserer Wünsche,« entgegnete Elisabeth und stand auf.

Dorn sah ihr kopfschüttelnd nach. Der Gedanke, daß sie nicht glücklich sei, kam ihm zum ersten Mal in den Sinn. Er hatte wirklich bis jetzt nicht an ihrem Glücke gezweifelt, und selbst den träumerischen Ausdruck ihrer Schönheit hatte er nur auf Innerlichkeit ihres Wesens, nicht auf Unbefriedigung, auf Unklarheit geschoben. Er hatte sie nur freundlich und herzlich mit ihrem Manne verkehren sehen, er ahnte nicht, in welcher Weise er Theil an diesem Benehmen hatte.

Er war mit Eisenhart früher zu wenig bekannt gewesen, um beurtheilen zu können, ob er geeignet sei, eine Frau glücklich zu machen. Sein erstes Begegnen mit ihm, die scherzhafte Art, mit der er ihn behandelt, hatte ihm zwar nicht gefallen, aber er war zu tolerant, um nach einer abstoßenden Außenseite gleich den Kern eines Menschen beurtheilen zu wollen. Eisenhart's rohe Anspielungen nahm er für ein Spiel des Zufalls, eine Absicht traute er ihm nicht zu, und die sichere Art und Weise, mit der Elisabeth sich auf ihres Mannes Seite stellte, erweckte schnell den Gedanken in ihm, es müsse bei näherer Bekanntschaft etwas in ihm zu finden sein, was für den Mangel an Bildung und Feinheit entschädige. Ehe ihm Gelegenheit wurde zu prüfen, hoffte er im Interesse von Elisabeth's Glück, wenigstens einen rohen Edelstein in ihrem Gemahl zu finden. Er meinte sogar, daß eine Ehe, die auf dem zertrümmerten Tempel einer Jugendliebe geschlossen wurde, durchaus einen etwas nüchternen Charakter an sich tragen, einen ganz andern Weg führen müsse, als den einst geträumten. »Aus einer Leidenschaft in die andere stürzen, ist undenkbar,« philosophirte er. »Muß man sich von einem Herzen losreißen, so legt man sein Haupt nicht wieder an ein anderes, aber man ergreift mit Vertrauen und Zuversicht die Hand, die uns führen will.« Das schien ihm Elisabeth gethan zu haben, und dies kümmerliche Glück hielt er für ein genügendes, für eins, ausreichend, die Leere eines verlangenden Herzens auszufüllen.

»Sollte ich mich geirrt haben?« dachte er, und sein zweiter Gedanke war: »Die arme Frau! dann bedarf sie um so mehr eines Freundes, der sie den inneren Zwiespalt heilen lehrt. Gott schütze sie, wenn sie, die ihre Heimath, ihre Freunde, alle gewohnten Lebensverhältnisse verlassen muß, nicht einmal den Mann über Alles schätzt, dem sie in die Fremde zu folgen gezwungen ist.«

 

Die Zeit, die Moritz noch zum Aufenthalt in seiner Vaterstadt bestimmt hatte, verging wie im Fluge, aber Dorn wußte sie dennoch zu nutzen. Er suchte Elisabeth nicht nur viel in Gesellschaft, er suchte sie auch in ihrem Hause auf, oder vielmehr war es Eisenhart, der ihn selbst für manche Stunde dorthin brachte. Der gute Mann fand Gefallen an seinem früheren Nebenbuhler, den zu fürchten er ja nicht mehr die mindeste Ursache hatte.

Dorn war immer sehr artig gegen ihn, immer bereit, sich mit ihm zu unterhalten, parirte seine ziemlich rohen Scherze gewandt und fein, und blieb im Aussprechen seiner Meinung immer gehalten und ruhig, so daß Eisenhart, der leicht mit Jedermann in Streit gerieth, weil er immer recht haben wollte und sein Recht äußerst hartnäckig behauptete, doch eigentlich nie Gelegenheit fand, mit ihm anzubinden. Aber das war es auch nicht allein, denn Moritz ließ sich einen Menschen nicht leicht dadurch verleiden, daß er genöthigt war sich mit ihm zu streiten, aber Dorn hatte seine eigenthümliche Manier, ihn in seinen eigenen Augen zu heben, und Moritz war so eitel, daß er nichts lieber that, als sich durch ein Verschönerungsglas zu betrachten.

Es fiel Dorn nicht etwa ein, ihm zu schmeicheln oder auch nur Verbindlichkeiten sagen zu wollen, aber er spähte nach seinen guten Eigenschaften und wußte Gelegenheit zu geben, sie zur Geltung zu bringen. Eisenhart hielt sich, seit er mit Dorn verkehrte, mehr wie je für einen guten und gescheidten Kerl, und bemühte sich unwillkürlich, seine beste Seite nach außen zu kehren.

Das war ein Gewinn für ihn selbst so gut wie für Elisabeth und wurde von der Letzteren mit einer scheinbar so natürlichen, dankbaren Wärme belohnt, daß es Keinem einfiel, den Grund ihres Benehmens in einem geängstigten Herzen zu suchen.

Die Sonne, die den letzten Tagen in der Heimath leuchtete, warf einen verklärenden Schein über dieselbe. Der Gedanke an den Abschied bewegte Elisabeth's Herz mehr wie je, und doch – sie hatte sich nie so glücklich gefühlt, sie überließ sich willenlos dem Eindruck des Augenblicks. Weder ihr Mann noch Dorn hatten ein Bedenken dabei, und die alte Dorothee, die kopfschüttelnd die Veränderung ihrer Herrin bemerkte, dachte: »Warum soll ich sie erst warnen und erschrecken! In Kurzem hat ja Alles ein Ende. Mag sie doch glücklich sein bis dahin, so gut sie es vermag.«

Das Ende kam jedoch nicht so früh, als sie anfänglich gedacht. Die Alte erlauschte manchen bedeutungsvollen Blick der beiden Herren, wenn von dem nahen Aufenthalt im Seebade die Rede war, Blicke, die ein lachendes Einverständniß andeuteten und von so ungeschickten Pantomimen Eisenhart's nach Elisabeth hin begleitet waren, daß nur deren träumerisches Versinken in sich selbst sie der Wahrnehmung derselben entzog.

Dorothee hatte sie richtig gedeutet und zitterte um so mehr, als leider Herr Eisenhart, aus Gründen der Sparsamkeit, beschlossen hatte, die Alte nicht mit nach Häringsdorf zu nehmen. Er hatte genau die Kosten des Aufenthalts für eine Person mehr veranschlagt, und gefunden, daß er die Alte für ein Geringeres unterhalten könne, wenn er sie zurückließe, da er dann nicht nöthig hatte noch Jemand zu miethen, der das zurückgelassene, schon für die Winterreise bestimmte Gepäck in Obhut nahm.

Dorothee täuschte sich nicht in ihrer Vermuthung, denn als die Zeit der Abreise da war, als die Eisenhart'sche Familie das Dampfschiff bestiegen hatte, das sie nach dem zum Sommeraufenthalt gewählten Seebade bringen sollte, erschien auch Dorn plötzlich auf dem Verdeck.

»Um Abschied zu nehmen,« dachte Elisabeth und bemühte sich, ein »Gott sei Dank!« zu empfinden, ein »Gott sei Dank!« das sich aus Sturmeswellen aufgeregter Gefühle emporzuringen versuchte.

»Ich reise mit,« sagte Dorn, dem Lebewohl, das er in ihren Blicken zu lesen glaubte, begegnend, »ein kurzer Aufenthalt im Seebade wird mir gut thun. Meine Nerven sind angegriffen.«

»Glaube ihm kein Wort,« unterbrach ihn Moritz, »seine Nerven sind so gut wie die meinen, aber er ist ein guter Kerl und reist mir zu Gefallen mit. Es ist so verwünscht langweilig im Seebade, und da habe ich ihm zugeredet, mir Gesellschaft zu leisten. Du findest schon eher Damen, mit denen Du Bekanntschaft schließen kannst, aber für die Männer ist's immer schlimm. Nun habe ich meinen Gesellschafter mit, nun ist auch für mich gesorgt. Wahrhaftig, hätte ich doch vor Zeiten nicht gedacht, daß wir Beide so gute Freunde werden könnten!«

Elisabeth stand sprachlos bei dieser Mittheilung. Eisenhart nahm ihren Arm und führte sie ein paar Schritte über's Verdeck.

»Ich bitte Dich, Elisabeth, wie kannst Du so unfreundlich sein!« sagte er leise und vorwurfsvoll. »Ein paar artige Worte hättest Du ihm doch sagen können. Du warst ja ordentlich erschrocken. Ist Dir denn Dorn unangenehm?«

»Nein, das nicht, aber ich weiß nicht, ich denke, er wird uns geniren,« stammelte Elisabeth, die nicht wußte, was sie sagen sollte.

Eisenhart lachte.

»Kind, er ist ja nicht unser Gast,« strebte er sie zu beruhigen, »er wird ja für sich wohnen. Essen werden wir zusammen an der Table d'hôte. Jeder auf seine Kosten; wenn er also auch einmal eine Tasse Thee oder Kaffee bei uns trinkt, das wird nicht so viel ausmachen. Ich dachte, Du würdest Dich über sein Mitkommen freuen; aber so sind die Weiber, immer voll Widerspruch, wen sie nicht lieben können, den mögen sie auch nicht einmal leiden, und am schlimmsten hat's ein ehemaliger Liebhaber. Ihnen ist er gleichgültig, aber sie gönnen doch Keinem, selbst dem eigenen Manne nicht, seine Zuneigung. Hab' ich nicht recht, he?«

Elisabeth zwang sich, über die geniale Auffassung ihres Mannes zu lachen, dann sagte sie aber ernsthaft:

»Ich kann mich über Dorn's Anwesenheit nicht freuen, da sie Dir immer Veranlassung giebt, auf die alten vergessenen Geschichten zurückzukommen. So lange Du darüber nicht schweigst, wird mir sein Anblick unangenehm sein.«

»Nun gut, ich will ja darüber schweigen, aber nun sei freundlich gegen ihn, mir zu Gefallen, sei nicht die Einzige, die ihm ein verdrießliches Gesicht macht, sieh doch, wie vergnügt Flora ist!«

Die Kleine ging wirklich strahlenden Antlitzes neben Dorn, ihr Mündchen stand nicht still, und sie war der unermüdlichste Dolmetscher tausend wechselnder und bunter Gedanken, die alle sich, nach Kinderart, um das eigene kleine Ich drehten und die nächste Zukunft sonnenhell ausmalten, Alles zu Gunsten der eigenen Person. Elisabeth gesellte sich zu ihnen und hörte zu.

»Mamachen, Onkel Dorn kommt, ich freue mich so!« plapperte das Kind.,

Elisabeth fing auch an sich zu freuen. Sie sah Dorn an und begegnete einem fast schüchtern fragenden Blick, der aber reines Entzücken ausstrahlte, als sie ihm ein paar freundliche Worte über sein Mitkommen sagte. Wie Morgenroth ging's in ihrer Seele auf, aber nicht wie jener milde Schein, der des kommenden hellen Tages sicher ist, nein, wie flammender Purpur, der die lauernde Sturmeswolke in ein trügerisches Licht hüllt.

Sie ging eiligen Schrittes wieder fort, trat an den Bord des Schiffes und sah in das blaue Wasser. Es lachte sie an. »Sei glücklich!« rief es ihr zu. Ach, sie wollte ja so gern glücklich sein! Sie preßte die Hände auf ihr Herz. Sie konnte es sich nicht verhehlen, sie freute sich, daß Dorn mitkam, o, wie freute sie sich dessen! Rein war die Freude nicht, aber deshalb vielleicht um so hinreißender, um so gewaltiger. Es war ein Gefühl, das man kraftvoll von sich stoßen oder dem man besinnungslos in die Arme stürzen muß, mit keinem andern Gedanken als dem frevelnden: après nous le déluge!

Sie rang noch ohnmächtig mit dem Gefühl, als sie ihres Mannes Stimme neben sich hörte, wie eine Todtenglocke im Sturm.

»Bist Du krank?« fragte er besorgt, »Du siehst wie ein Geist aus!«

Sie war nicht im Stande zu antworten, aber sich an ihn lehnend, brach sie plötzlich in einen Thränenstrom aus.

»Herr Gott, Du wirst die Seekrankheit bekommen!« sagte er erschrocken, »na, ich bitte Dich, wie soll das künftig werden, wenn Du das bischen Schwanken schon nicht vertragen kannst! Du mußt etwas essen, das ist das beste Mittel, ich werde Dir Portwein holen und ein Beefsteak, das wird Dir helfen!«

Der Vorschlag allein genügte schon, Elisabeth ans ihrer Extase zu reißen, sie trocknete ihre Thränen, erklärte ganz wohl zu sein und keiner Speise zu bedürfen. Sie ließ sich zu Flora und Dorn führen, sie nahm an der allgemeinen Unterhaltung Theil, sie wies Vergangenheit und Zukunft von sich und verbannte die Freude, der sie doch nur einen, aus Todesangst erstandenen Anspruch gewähren konnte. Das Morgenroth war untergegangen, die Sturmeswolke drohte nur erst von Weitem, aber immer noch zuckte es in ihrem Herzen das Wort, das jedes Bedenken, jede Rücksicht umstößt, jeder Zukunft spottet, das man ebenso in Jubel, wie in Verzweiflung, in stumpfer Gleichgültigkeit, wie in keckem Trotz, in rücksichtsloser Kühnheit aussprechen kann: après nous le déluge!


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