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Achtes Capitel.


Der Winter zog allmählich vorüber. Er hatte lange gedauert, war härter als gewöhnlich aufgetreten. Man wußte sich seit Jahren, namentlich im Gebirge, nicht so häufiger, ununterbrochener Schneefälle zu erinnern. Mit dem anrückenden Frühling zeigten sich die Folgen leider in verderblichster Weise. Bäche und Flüsse schwollen von der Masse des geschmolzenen Schnees an und veranlaßten in wasserreichen Gegenden Ueberschwemmungen, die den Wohlstand der Bewohner zu untergraben drohten, ja, selbst ihr Leben in Gefahr brachten. Von allen Seiten her ertönte der Ruf um Hülfe, überall hörte man Klagen über die schon vorhandene oder noch zu fürchtende Noth und die Bitte um Abhülfe derselben.

Gewöhnlich ist solch allgemeines Unglück auch meist ein Sporn zu weitverbreiteter Wohlthätigkeit. Auch in Breslau trat sie unter allen möglichen Formen und Gestalten auf. Einzelne Gaben wurden in liberalster Weise gespendet, allgemeine Sammlungen ergaben die günstigsten Resultate. Das Scherflein der Wittwe, das reiche Opfer der Wohlhabenden, Alles strömte zu gleichem Zweck zusammen. In allen Schulen, an allen Kirchthüren standen Becken und Teller aus, und es erregte nur Rührung, nicht Spott, als man eines Tages in einem derselben eine Semmel fand, wahrscheinlich von irgend einem Kinde gespendet, das keine größeren Schätze hatte, sich damit bei der allgemeinen Opferung zu betheiligen.

»Mama, kann ich nicht auch etwas thun?« fragte Georg.

»Ich habe schon für Dich gegeben, mein Kind, ich habe in meinem und Deinem Namen Geld geschickt,« antwortete seine Mutter.

»Das meine ich nicht,« wandte Georg ein, »da habe ich doch immer noch nichts gethan!«

»Gieb so viel Du willst aus Deiner Sparkasse, mein Kind, ich ersetze es Dir gelegentlich,« beschied ihn die Mutter.

Georg wurde roth.

»Ich wollte, ich hätte gar kein Geld, ich hätte auch nichts als eine Semmel und könnte die geben,« sagte er ganz betrübt.

»Immer, immer so krankhafte Ideen!« dachte Frau Artefeld und sah den Knaben seufzend an.

Plötzlich erhellte sich Georg's Gesicht.

»Jetzt weiß ich's!« sagte er zitternd vor freudiger Aufregung.

»Nun?« fragte die Mutter.

»Weißt Du, Mama,« fuhr Georg eifrig fort, »im Theater haben sie neulich für die Ueberschwemmten gespielt, die besten Stücke haben sie ausgesucht und Jeder hat mitspielen wollen. Alle Plätze sind besetzt gewesen, und es ist sehr viel Geld eingekommen, und das ist Alles den Armen gegeben worden. Kann ich nicht auch für die Armen spielen?«

»Kind, Du phantasirst!« rief Frau, Artefeld erschrocken, »Du Comödie spielen!«

Georg lachte hell auf.

»Nicht doch Comödie!« sagte er, »Violine will ich spielen. Ich sage es Victor, der spielt mit, der wird auch noch mehr Kinder wissen, die Musik machen können, singen oder etwas Anderes, wir geben ein Concert, Du giebst den Saal oben, Mama, o nicht wahr, Du thust es?«

Frau Artefeld trat fast bestürzt zurück. Sie sollte ihr Haus dem Zudrange von Fremden öffnen, sie, die seit Jahren nur den Verkehr mit den Menschen gepflegt, der unabweisbar war! In dem Saal, in dem sich zum letzten Mal fröhliches Leben regte an dem Abend, als der verstoßene Sohn mit sehnsüchtigen Blicken und erbittertem Herzen hinüberschaute, ehe er sich für immer vom Vaterhause wandte, dort sollten wieder die Kerzen flammen und Töne der Fröhlichkeit erklingen?

»Nein, nein, das geht unmöglich, das ist eine kindische Idee von Dir!« sagte sie heftig und wandte sich von Georg ab, an's Fenster tretend und das Gesicht an die Scheiben drückend.

»Ach, Mama, sie werden Dir Alle so danken, wenn Du es erlaubst,« fuhr der kleine Bittsteller fort.

»Kind, mir hat noch nie Jemand gedankt,« sagte sie bitter und mit noch immer abgewandtem Gesicht.

»Du weißt es nur nicht, aber sie werden es Alle thun, die ganze Stadt und die Armen alle, und der König auch und der liebe Gott und ich!« betheuerte Georg mit flammenden Wangen. »Den Schauspielern ist auch gedankt worden, es stand in der Zeitung. Viktor hat es mir erzählt. Wer es liest, der lobt sie!«

»Mir ist sehr wenig an Lob gelegen,« sagte Frau Artefeld abweisend, aber doch mit weicherem Tone.

»Papa ist nun schon solange todt,« fing Georg nach einer kleinen Pause wieder an, »da könnte es doch immer einmal wieder lustig im Hause sein wie sonst.«

»Wie kommst Du darauf, was hat das mit dem Concert zu thun?« fragte sie streng und wandte sich mit finsterm Gesicht zu Georg; »wer hat Dir gesagt, daß es sonst lustiger im Hause gewesen ist?«

»Mama, ich weiß es nicht,« antwortete Georg kleinlaut, »aber irgend Jemand hat gesagt, es wäre sonst viel lustiger gewesen, aber das hätte der Papa gewollt und das hättest Du es erlauben müssen.«

»So –« sagte Frau Artefeld mit langgezogenem Tone.

In dem Augenblick trat Jakobi ein, Georg stürzte auf ihn zu.

»Lieber Herr Jakobi,« bat er schmeichelnd, »helfen Sie mir die Mama bewegen, daß sie es erlaubt, daß in unserm Hause ein Concert für die Ueberschwemmten sein darf. Bitten Sie doch mit. Wenn Sie sagen, daß es geht, wird sie es schon glauben, Sie sind so klug!«

Jakobi stutzte, ein eigenthümliches Lächeln flog über sein Gesicht. Er kam eben von einer Scene mit seiner Frau.

Sie hatte ihm die Hölle heiß gemacht, sich auf das bitterste über das einförmige, langweilige Leben beklagt, sie wollte durchaus Zerstreuung und sich nicht daran kehren, daß Frau Artefeld nie Gesellschaft gab, wollte es auf eigene Hand thun, obgleich ihr Mann ihr versicherte, davon könne keine Rede sein, sie müßten sich in Allem nach ihrer Prinzipalin richten. Georg's Bitte kam ihm wie gerufen. Er wies jedoch den kleinen Bittsteller ab.

»Ich darf die Mama nicht um solche Dinge bitten,« sagte er, »das wäre unbescheiden, meine Bitten würden auch nichts helfen, sie wird wohl wissen, warum sie es Dir abgeschlagen hat. Du mußt sie auch nicht mehr bitten,« fügte er leiser hinzu, »ein Concert hier im Hause, das geht wirklich nicht.«

»Warum nicht?« fragte Frau Artefeld, die trotz seines leisen Sprechens die letzten Worte gehört hatte.

Jakobi zögerte verlegen, sagte aber, als sie die Frage in schärferem Tone wiederholte, stotternd und mit sichtlicher Ueberwindung:

»Ich meinte nur, daß, da die Frau Commerzienräthin seit Jahren so zurückgezogen von der Welt gelebt und alles Entgegenkommen von Seiten Ihrer Bekannten zurückgewiesen haben, es nun etwas schwierig sein müßte –«

»Wieder anzuknüpfen?« fiel sie ein; »mein Gott, nichts leichter als das! Ich schicke Karten mit der Aufforderung zu dem Concert herum, gerade als Privatunternehmung würde es den größten Anklang finden.«

»Wenn nicht vielleicht einige Empfindlichkeit unter den Herrschaften der Sache hinderlich sein könnte,« wagte Jakobi einzuwenden.

Frau Artefeld warf den Kopf auf, ohne etwas Weiteres zu erwidern, aber Georg machte Herrn Jakobi Vorwürfe.

»Sie sollten mir bitten helfen,« schmollte er, »und machen es nun der Mama noch schwer!«

»Darüber sei unbesorgt,« beruhigte ihn diese, »Herrn Jakobi's Einwendungen haben durchaus nichts zu bedeuten.«

Sie brach von dem Gegenstande ab, schickte aber denselben Nachmittag noch zu Herrn Wagner, erzählte ihm, daß sie die Absicht habe, ein Kinder-Concert in ihrem Hause zum Besten der Ueberschwemmten zu arrangiren, und forderte zu diesem Zwecke seine wie Victor's Hülfe.

Er sah sie an, als habe er nicht richtig gehört, das Nein schwebte ihm schon auf den Lippen, da fiel sein Blick auf Georg, der, hinter der Mutter stehend, die Augen halb flehend, halb zweifelnd, mit unaussprechlichem Ausdruck auf ihn gerichtet hielt.

»Junge, geh hinaus!« sagte er statt aller Antwort, aber das fiel Georg nicht ein; er stürzte vielmehr seinem alten Freunde um den Hals und bat und schmeichelte mit einer Wärme und Innigkeit, daß dem alten Manne das harte Nein auf den Lippen zerschmolz, er wußte nicht wie.

»Es ist wahrhaftig verrückt,« sagte er, »es geht ganz und gar nicht, es ist als ob Du mich bitten wolltest Dir Gift zu geben, das würde ich doch auch nicht thun!«

»Wenn's vielen Anderen helfen könnte!« wandte Georg ein.

»Ja, Du nähmst es, das glaube ich, Du kleiner einfältiger Schelm!«

»Was soll mir denn das Concert schaden?« fragte er.

»Wollen Sie sich der Sache annehmen oder nicht?« warf Frau Artefeld, die schon ungeduldig zu werden anfing, dazwischen.

Wieder wollte Herr Wagner Nein sagen, und wieder wurde es durch Georg's Miene verscheucht.

Herr Wagner seufzte, klopfte dem Kinde freundlich auf die Schulter und sagte:

»Mag's drum sein! Du sollst kein Musiker von Fach werden, da geht es eher an, daß Du einmal das Wunderkind spielst. – Aber,« wendete er sich an Frau Artefeld, »wissen Sie auch, was Sie thun? Sie werfen vielleicht einen Funken in ein Pulverfaß und die Explosion sprengt das Haus in die Luft!«

Sie lächelte nur statt aller Antwort.

»Im Ernst, Sie könnten eine gefährliche Passion wecken,« fuhr er fort.

»Mit Georg's Passionen werde ich es jederzeit verstehen fertig zu werden,« sagte sie abweisend und forderte Herrn Wagner auf, ihre Vorschläge in Betreff des Concertes anzuhören.

Kopfschüttelnd ließ er sich willig finden; jedoch anstatt Vorschläge anzuhören, war er es, der in wenigen Worten einen Plan zu dem zu veranstaltenden Concert entwarf und seine Meinung dahin aussprach, daß, da die ganze Sache ein Unsinn, eine Kinderei sei, sie nun wenigstens so kindisch wie möglich zu behandeln, die musikalischen Leistungen nun auch vollständig auf jugendliche Kräfte zu basiren, und auch die Aufforderung, sich als Zuhörer zu betheiligen, hauptsächlich an die Kinderwelt zu richten sei, natürlich mit dem Vorbehalt, die erwachsenen Angehörigen derselben nicht ausschließen zu wollen.

»Victor kann die Leitung übernehmen,« brummte er, »die Musikstücke aussuchen, sie den Kindern einüben, aber rasch muß Alles gehen, lange Zeit kann ich ihm dazu nicht gestatten und auch nicht erlauben, daß sein Name bei dem Unternehmen genannt wird und er etwa für den Entrepreneur gilt,« erklärte Herr Wagner kategorisch.

»Ich überlasse Ihnen das Feld der musikalischen Leistungen, alles Uebrige, hoffe ich, werden Sie meinem Tact und Ermessen anvertrauen,« entgegnete Frau Artefeld und geruhte dann noch den Tag zu bestimmen, an dem das Concert stattfinden sollte. Damit war die Angelegenheit erledigt und Herr Wagner verließ, eigentlich etwas ärgerlich und mit sich selbst unzufrieden, die stolze Dame, die ihn, wie er sagte, zu dem Narrenwerk verleitet hatte.

Wie er es aber nun auszuführen gedachte, davon zeugte die Art und Weise, wie er den beabsichtigten Plan Victor mittheilte.

»Ich habe nun einmal nachgegeben, und aller Aerger, alles Brummen hilft nichts,« so schloß er seinen Bericht; »also nun wollen wir mit guter Laune an's Werk gehen, und was geschehen muß, soll auch ordentlich geschehen. Du kannst einmal zeigen, ob Du zum Concertmeister taugst, ob Du organisatorisches Talent, ob Du Tact und Geschmack hast. Geh und berede Dich mit dem kleinen Kerl, der mit seinen verwünschten bittenden Augen all' meine Grundsätze umgeworfen hat. Eigentlich kann ich mich nicht wundern, daß es ihm bei seiner Mutter auch glückte, obgleich die Frau doch sonst von Eisen und Stein ist und recht schönen und flehenden Augen widerstanden hat. Aber bei diesem Jungen sieht immer das ganze Herz zu den Augen heraus, und welch ein gutes, freundliches Herz! Mit dem hat er sich auch die dumme Geschichte ausgedacht, ein eitler Kopf hat damit nichts zu thun. Aber daß sie nachgiebt, das ist Eitelkeit! Aus Güte giebt sie nicht nach. O Eitelkeit, Eitelkeit! Dreiviertel von eines Weibes Charakter, Kopf und Herz ist von ihr angefüllt. Sie will einmal wieder die Anziehungskraft ihres Namens probiren, sie will einmal wieder in größerem Styl die Gönnerin spielen, sie will öffentliche Lobhudeleien in der Zeitung, sie will ihren Jungen produciren, schön! Nun mach', daß Du Dich auch producirst, hörst Du, Victor, Du bist kein Kind mehr,« rief er diesem zu. »Mach' mir Ehre! – Wahrhaftig,« fuhr er zu sich selbst gewendet fort, als Victor davongestürmt war, »wahrhaftig, ich könnte auf meinen Jungen hier auch eitel sein, und bin wirklich ganz wider meine Absicht und meinen Willen beinahe erfreut, dies junge Talent einmal vor den Leuten floriren zu sehen.«

 

Victor that sein Möglichstes, die Erwartung Herrn Wagners zu rechtfertigen, und bewies durch den Erfolg eben so viel richtigen Tact als Talent und Bescheidenheit, denn obgleich er Alles angeordnet, jedes Musikstück ausgewählt und an die Ausführenden vertheilt hatte, trat er selbst doch zurück, wollte von Hause aus nur den Capellmeister spielen, und es war nur auf Georg's unablässiges Bitten, daß er nachgab und ein Violinsolo vortrug.

Abgesehen von den ziemlich natürlichen Bedenklichkeiten, mit denen Viele dies Kinderconcert zu betrachten geneigt sein mochten, so konnte doch Keiner von denen, die es anhörten, leugnen, daß es einen ganz allerliebsten Eindruck machte.

Das Orchester, zusammengesetzt aus lauter jugendlichen Schülern, ward dirigirt von Victor, die Solopartien waren in den Händen von Kindern, von denen Georg der Jüngste, ein vierzehnjähriger Knabe seiner Bekanntschaft der Aelteste war, Chorgesang und Quartetts wurden gleichfalls von jugendlichen Sängern vorgetragen, von Stimmen so frisch und hell, wie die der Vögel im Walde.

Unbeschreiblicher Beifall belohnte die kleinen Künstler, Frau Artefeld wurde mit Danksagungen überschüttet, und durch die reichlichsten Gaben wurde auch der Hauptzweck des Unternehmens aus das glänzendste erfüllt.

Victor hatte die glückliche Idee gehabt, das Concert mit einem, von dem ganzen kleinen Künstlercorps angestimmten Lied schließen zu lassen, in dem Allen, die das Unternehmen unterstützt hatten, vor Allem der, die es in's Leben gerufen, ein feuriger Dank nicht zugesungen, nein, zugejubelt wurde. Man hätte von Stein und Erz sein müssen, um von diesen lachenden Gesichtern und fröhlichen Stimmen nicht angesteckt zu werden. Es war, als ob es auf einmal Frühling geworden wäre, selbst Frau Artefeld's Gesicht ließ unwillkürlich von seiner Strenge nach, und als plötzlich wie ein Schattenbild die Erinnerung an jenen letzten frohen Gesellschaftsabend in ihrem Hause an ihrem Geist vorüberzog, sagte sie sich mit einem Gefühl unsaglicher Genugthuung:

»Gott sei Dank, ich brauche Dich nicht, Philipp, um Frohsinn in meinem Hause zu wecken. Ich verstehe es besser, wie Du mit all' Deiner Heuchelei und Gleißnerei es je verstanden hast.«

Sie litt auch nicht, daß das zahlreiche Auditorium sich nach dem Schluß des Concerts entfernte. Sie hatte Sorge getragen, daß die Aufforderung dazu nur an die höhere Kaufmannschaft ergangen war, und wenn auch viele von den erschienenen Familien zum ersten Mal ihr Haus betraten und keineswegs daran gedacht hatten, als Gäste in demselben zu verweilen, so wurde ihnen doch jede weitere Ueberlegung abgeschnitten.

So wie der letzte Ton der Musik verhallt war, wurden die bis dahin geschlossenen Thüren zu den Nebenzimmern geöffnet, und Frau Artefeld forderte die Anwesenden, mehr durch Gesten zwar als durch Worte, auf, ihr dorthin zu folgen. Die Herrschaften wurden veranlaßt Platz zu nehmen, es wurde Eis und Kuchen und Wein präsentirt, genug, die Versammlung gewann augenblicklich den Charakter einer nur zum Vergnügen zusammengekommenen Gesellschaft und bewegte sich froh und lebhaft um die allerdings etwas steife, aber doch ihren Platz mit vieler Würde und Artigkeit ausfüllende Wirthin.

»Was geht mit ihr vor? Ist ihr Ende nah? Ist ihr die Einsamkeit langweilig, will sie noch einmal heirathen? Steht's etwa schlecht mit ihr und sie will uns Sand in die Augen streuen?« so dachte wohl hier und da Einer, im Allgemeinen nahm man aber doch in freundlicherer Weise Theil an dem eingetretenen Wechsel und freute sich, daß die Frau, deren schweres Unglück die Erinnerung an ihre Unliebenswürdigkeit sehr verlöscht hatte, wieder dem Leben zugänglicher zu werden schien.

Man schied von ihr mit aufrichtigen Versicherungen des Dankes für den gehabten Genuß, man schien sogar geneigt, es ihr zu verzeihen und nicht blos für unerträglichen Hochmuth auszulegen, daß sie auf jede an sie ergehende Einladung bestimmt erwiderte:

»Ich gehe nirgends hin, ich habe es nie gethan, ich kann es mit den Ansprüchen, die im Hause an mich gemacht werden, nicht vereinigen. Wer mich besuchen will, soll mir willkommen sein, in anderer Weise aber kann ich mit der Welt nicht leben.«

Am Morgen nach dem Concert stellten sich außer den wohlthätigen Folgen desselben für die Ueberschwemmten auch einige nachtheilige für die Unternehmer heraus. Georg lag heftig fiebernd zu Bett. » Aufregung,« sagte der Arzt, » Erkältung,« sagte Frau Artefeld, und auch Victor fieberte, aber moralisch.

Die Mangelhaftigkeit der ärztlichen Vorschrift, die nur Ruhe verordnete, ergänzend, gab Frau Artefeld ihrem armen kleinen Patienten schweißtreibende Mittel ein, und Herr Wagner tractirte den seinigen so lange mit abkühlenden, das heißt mit gutmüthigem Spott und schwierigen musikalischen Uebungen, bis die fieberhaften Träume von Meisterschaft vor der mühseligen Arbeit des Schülers wie Hirngespinnste zerflossen.

Vorläufig blieb es bei diesem ersten Versuch Frau Artefeld's, einen weiteren Verkehr mit der Welt anzuknüpfen, stehen. Sie empfing die schuldigen Danksagungsvisiten für ihre überraschende Gastfreundschaft, aber damit war Alles zu Ende, und Frau Jakobi machte ein enttäuschtes Gesicht.

 

Der Frühling zog vorüber, der Sommer kam.

»Mama, reisen wir bald?« fragte Georg früh und spät.

Es dauerte aber lange, ehe sich Frau Artefeld dazu entschloß. Es war seltsam, es zog sie zwar hinaus, aber durfte, konnte sie denn dem Zuge folgen, war der Nachtheil nicht zu groß, der dem Geschäft dadurch erwuchs? Sie hatte lange Verhandlungen mit Jakobi, in denen alle im Laufe des Sommers möglicher Weise vorkommenden wechselnden Chancen politischer, socialer und merkantiler Verhältnisse und deren Einfluß auf das Haus Artefeld vorausgesetzt und erwogen und Herrn Jakobi's Verhalten dabei bestimmt wurde. Ihm standen oft die Haare zu Berge, und er kniff die Daumen ein, um eine sehr verzeihliche Ungeduld zu bemeistern, aber wenn er glaubte, nun sei Alles besprochen und bedacht, so fiel ihr immer eine neue Schwierigkeit ein, die, wenn sie eintreten sollte, nur durch ihre Gegenwart zu besiegen war. Es ging Alles so still zu in der Welt, es war überall Friede, nirgends eine Veränderung in Verhältnissen zu erwarten, die auf den Handel hätten Einfluß haben können, der Geschäftsgang des Hauses war geregelt, alle auswärtigen Verbindlichkeiten in bester Ordnung, Jakobi durchaus fähig, dem Ganzen vorzustehen, ja viel fähiger dazu als seine Herrin selbst, aber – Klappern gehört zum Handwerk, und so mußte denn Frau Artefeld auch gehörig klappern, um ihre Autorität, ihre Leistungen und ihre Unentbehrlichkeit in das richtige Licht zu stellen.

Endlich ist Alles besprochen und bedacht und vorherbestimmt, und Jakobis sind bis auf den Einsturz des Himmels so ziemlich auf Alles vorbereitet, er im äußeren, sie im inneren Departement. Die Schlüssel der Zimmer waren ihr feierlich überreicht, ihr die Aufsicht über die zurückbleibenden Diener anvertraut, ja, sie war ersucht worden, für die Zeit der Abwesenheit der Dame des Hauses ihre eigene kleine Häuslichkeit aufzugeben und den Vorsitz an der gemeinschaftlichen Tafel zu übernehmen.

Ein »Gott sei Dank, daß sie fort ist, nun soll es hier vergnügter zugehen!« aus dem Munde der jungen, lebenslustigen Frau Jakobi folgte ihr, und ein »Wenn sie nur recht lange bleiben wollte!« war der Stoßseufzer, den Jakobi ihr nachsandte.

Sie schien seinen Wunsch zu erfüllen. Es liefen viele Briefe geschäftlichen Inhalts von ihr ein, als Antwort auf seine Berichte, aber von allen war der Schluß: »Ich finde hier viel zu thun. Ich arbeite mich merkwürdig gut in diese neuen, mir bisher fremden Geschäfte hinein, ich fürchte, ich werde Sie noch einige Zeit allein lassen müssen. Thun Sie Ihr Bestes, und wenn Sie rathlos sind, wenden Sie sich an mich, wenn es sein muß, komme ich natürlich zurück.«

Jakobi war aber nur in solchen Dingen rathlos, die sie schriftlich erledigen konnte, und so blieb sie, ja bestimmte sogar einen noch späteren Termin zu ihrer Rückkehr, als Jakobi gehofft, indem sie ihm anzeigte, daß sie den Besuch ihres Schwiegersohnes und seiner Familie, die noch im Lauf des Sommers nach New-York zu gehen beabsichtigten, erst auf dem Gute empfangen und beseitigen wolle.


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